Wenzhou Liu spielt auf einer Zither. In China gibt es dieses Instrument seit 5.000 Jahren, sagt sie. Und die Zither wurde und wird auch im Daoismus gespielt: um zum Beispiel mit den Unsterblichen zu kommunizieren. Das sind Frauen und Männer, die vor langer Zeit gelebt haben sollen und als heilig gelten. Es heißt, die tiefen Klänge der Zither überbringen Botschaften zwischen der Erde und dem Himmel.
"Daoismus ist Kunst, Kultur, Musik"
Wenzhou Liu stammt aus China. Jetzt lebt sie in Imsen, einem kleinen Dorf im südlichen Niedersachsen, keine 300 Einwohner. Seit Kurzem gibt es hier ein daoistisches Zentrum – gegründet von Wezhous Ehemann Patrick Liu: "Daoismus ist Kunst, Kultur, Musik - ist im Grunde genommen eine Kultur, die mich fasziniert. Und schon immer fasziniert hat."
Reihe "Wir sind die Sonstigen – kleine Religionen in Deutschland"
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
Patrick Liu ist in Deutschland aufgewachsen. Als Jugendlicher fing er an, sich für Kampfkunst zu interessieren und für Meditation: das chinesische Qigong. So fand er zum Daoismus:
"Ich habe mich damals dann hingesetzt und mir auch intensiv überlegt: Was ist mein Ziel im Leben? Was will ich erreichen? Ich hatte auch die Chance, bei VW zu arbeiten. Ich hatte auch einen Ausbildungsplatz damals schon bekommen. Aber ich habe das dann hingeschmissen, weil ich gerne der Menschheit nutzen wollte. Deshalb habe ich mir einen Plan gemacht. Ich habe mir überlegt, ich werde jetzt ein bisschen arbeiten, mir ein Ticket kaufen und dann einfach mit einem Rucksack nach China reisen."
Laotse und das Daodejing
15 Jahre ist das inzwischen her. Zurückgekehrt ist Patrick Liu als daoistischer Priester. Er hat in China von Dao-Meistern gelernt, mit seiner Frau spricht er fast nur Mandarin. Sie sind nach Deutschland gekommen, um den Menschen hierzulande den Daoismus näherzubringen. "In Deutschland ist der Daoismus eher bekannt durch das Daodejing oder Tao Te King von Laotse", sagt Patrick Liu. "Also eher im philosophischen Bereich."
Laotse, der legendäre chinesische Philosoph, gilt als Begründer des Daoismus. Ob es ihn wirklich gegeben hat, ist nicht belegt. Doch Laotses Lehren haben trotzdem Weltruhm erlangt - vor allem durch das Daodejing, die wichtigste Schrift des Daoismus. Das Daodejing gilt als der am häufigsten übersetzte Text der Welt nach der Bibel. Das Buch hat dem Daoismus auch in Deutschland zu einiger Bekanntheit verholfen.
"Die Philosophie ist allgegenwärtig"
Genau wie Yin und Yang – oft dargestellt als ineinander verschlungener schwarz-weißer Kreis. Yin und Yang sind die dualistischen Prinzipien des Daoismus, zwei Kräfte, die sich ergänzen. Und Yin und Yang sind auch wichtige Begriffe der chinesischen Philosophie.
"Die Philosophie ist allgegenwärtig und die Menschen verstehen sie auch. Aber wie es in China praktiziert wird - dass es da noch Tempel gibt und Priester gibt und Mönche gibt und Nonnen gibt, die ihr ganzes Leben im Grunde genommen nur diese Sache machen", also den Daoismus als Religion leben - das wüssten viele Menschen in Deutschland nicht, meint Patrick Liu.
Und das will er ändern. In seinem Dao-Zentrum zeigt er auf einen kunstvollen chinesischen Schriftzug: "Diese vier Schriftzeichen bedeuten, dass die daoistische Linie vom Ursprung bis zu uns hier verläuft. Also dass die Übertragung der Lehre ungebrochen an mich weitergegeben wurde."
"Das Dao ist alles"
Wie viele Menschen sich in Deutschland zum Daoismus bekennen, das ist kaum zu beziffern. Vielleicht 2.000. Weltweit sollen es 60 bis 70 Millionen sein. Aber der Daoismus ist schwer abzugrenzen. Er ist in China entstanden und dort nach wie vor am meisten verbreitet. Doch er vermischt sich oft mit Konfuzianismus und Buddhismus. Dao – oder auch Tao – das bedeutet übersetzt: der Weg. "Das Dao ist alles", erklärt Patrick Liu. "Es schließt alles ein. Es ist so groß, dass nichts außerhalb existiert. Aber es ist auch so klein, dass nichts innerhalb existiert. Also auf allen Ebenen allgegenwärtig."
Dementsprechend umfangreich ist auch das Angebot im Dao-Zentrum in Imsen. Es ist zugleich Seminarhaus, Sporthalle und Tempel. Patrick Liu bietet eine religiöse Ausbildung an. Da geht es um daoistische Rituale oder die hochkomplexe Götterwelt mit dutzenden Wesen, von denen manche einst Menschen gewesen sein soll, wie etwas Laotse selbst. Aber es gibt im Dao-Zentrum auch Gesundheitsübungen oder Kampfsport.
Patrick Liu: "So, hier ist unser Trainingsbereich, also unsere große Trainingshalle. Hier haben wir zum einen den Mattenbereich. Da können die Leute dann auch ihre Fallübungen machen. Sandsack. Ihr normales Training. Wir haben hier das chinesische Kickboxen Sanda. Wir haben hier auch Kung-Fu-Kurse, wo wir auf dem Bereich hier, dem Holzbereich sehr schön üben können."
Den Geist beruhigen
Dieser Holzboden war früher mal ein Tanzsaal. Denn das Dao-Zentrum befindet sich in einem ehemaligen Gasthof. Wo früher das Bier floss, soll jetzt das Qi fließen – die Energie und Lebenskraft des Daoismus. Alle daoistischen Praktiken, von der Meditation bis zum Kickboxen, sie haben einen gemeinsamen Zweck, erklärt Patrick Liu: "Das Hauptmerkmal an der daoistischen Praxis ist, dass man den Körper klärt, den Geist beruhigt und einen stillen Geist bekommt."
Ein klarer Geist – dabei spielt auch Tee eine wichtige Rolle. Den bauen sie im Hof des Dao-Zentrums sogar selbst an. Und veranstalten traditionelle chinesische Tee-Zeremonien. Wenzhou Liu ist nicht nur die Musikerin des Hauses, sondern auch die Teemeisterin: "Tee ist ein sehr altes und traditionelles Getränk. Viele daoistische Mönche trinken Tee, um ihren Geist zu reinigen. Und auch, um bei der Meditation nicht einzuschlafen. Außerdem hält der Tee-Anbau den Körper fit. Und Tee hat viele Vitamine."
"Ein Tor in die Welt der Unsterblichen"
Auf der Bühne des alten Gasthofs, wo früher der DJ stand, spielt jetzt daoistische Musik. Und dort steht auch das größte Heiligtum dieses deutschen Dao-Tempels: der Altar mit kunstvollen Götterbildern, Figuren und Schriftzügen. Patrick Liu erzählt von der Einweihung:
"Wir haben den Gott - oder die Gottheit, unseren Patriarchen, den Unsterblichen eingeladen. Und der ist dann natürlich auch hier. Wir machen diesen Altar ja nicht zum Anschauen, sondern das ist wie ein Tor in die Welt der Unsterblichen. Und da kann man mit bestimmten Praktiken, Ritualen eine Kommunikation aufrechterhalten, die mit diesen Unsterblichen funktioniert. Und an dem ersten Ritual haben dann alle ganz klar gesehen, nachdem wir die ganzen Kerzen gelöscht haben - wir wollten alle schon gehen: Auf einmal gehen die Kerzen wieder an. Und alle waren auf einmal begeistert."
Denn das Dao ist angekommen – in einem kleinen Dorf in Niedersachsen.