Das Ganze mit dem Couchsurfen fing erst mal richtig schlecht an. Zwei junge Amerikanerinnen sollten die ersten Gäste auf meinem Ausklappsofa im Wohnzimmer sein. Die beiden waren auf Europareise und wollten um 8 Uhr morgens mit dem Nachtzug aus Madrid ankommen. Also besorgte ich dies und das für ein nettes Frühstück, legte Bettwäsche und Handtücher raus und hielt mir den Tag frei.
Und dann? Nichts!
Sie kamen nicht und meldeten sich nicht. Ich mailte und hinterließ besorgte Nachrichten auf ihren Handys. War ihnen vielleicht was zugestoßen? Hatten sie den nächsten Zug genommen? Bis heute weiß ich nicht, wohin diese unhöflichen Pseudo-Couchsurferinnen damals abgedriftet sind.
Meine Couchsurferinnen im zweiten Anlauf waren dafür umso netter: zwei coole kalifornische Filmstudentinnen. Erst gönnten wir uns ein vegetarisches Picknick auf meinem winzigen Balkon, dann erkundeten die beiden die Stadt. Abends nahm ich sie mit ins Kino und in eine altmodische holzgetäfelte Lissabonner Bar, die ich sehr mag. Wir unterhielten uns bis spät in die Nacht.
Warum lade ich wildfremde Leute in meine Wohnung und in mein Leben ein? Es ist gar nicht mal so der vielgerühmte kulturelle Austausch. Den habe ich durch meinen Beruf auch so. Anderen Reisenden zu helfen, ihnen ein sicheres Bett bieten zu können, gibt mir etwas, das schwer zu beschreiben ist. Ich weiß, wie es ist, wenn man unterwegs ist und irgendwo ankommt, müde, hungrig, und sich an den gedeckten Tisch setzen und ins gemachte Bett legen darf. Als Couchsurfing-Gastgeberin teile ich etwas von meinem Leben hier in Lissabon mit Menschen aus aller Welt und jeden Alters. Sehe den bröckelnden Charme meiner Wahlheimat am Tejo mit neuen Augen. Und ohne jetzt wie das Wort zum Sonntag klingen zu wollen: Als Couchsurferin fühle ich mich auch Teil einer globalen Gemeinschaft, die einen bewussten Gegenpol setzt zu einem Wirtschaftssystem, in dem es nur um Geld geht. Vielleicht schlagen da auch so mütterliche Gefühle durch, die mir sonst eher fernliegen.
Apropos: Jede Mutter am Radio wird sich spätestens jetzt fragen, wäre mein Kind denn da sicher? Meine Tochter bei irgendwelchen unbekannten Leuten, Männern, im globalen Haus? Neulich hatte ich eine junge englische Couchsurferin bei mir, die von heute auf morgen eine Unterkunft brauchte. Maryke war Studentin aus Leeds, 19 Jahre alt. Ich fragte Maryke, wie sie das Risiko einschätzt.
"Ich denke, das Risiko ist in etwa das gleiche, wie wenn man normal unterwegs ist. Wenn du allein reist oder auch zu zweit, und nicht viel Geld hast, dann übernachtest du in Hostels, wo auch eine Menge anderer Leute sind. Beim Couchsurfing haben wir immerhin das System der "verifications”, wo deine Adresse per Kreditkarte abgeglichen wird. Du kannst dir das Profil genau ansehen, was andere Leute über sie gesagt haben. Es gibt also schon Sicherheitsmaßnahmen. Du kennst die Person selbst nicht, aber andere Leute kennen sie. Es gibt sogar die Möglichkeit, für andere Couchsurfer zu bürgen. Ich denke, Couchsurfing ist nicht gefährlicher als normaler Rucksacktourismus. Aber auf jeden Fall viel interessanter!"
Mein allererstes eigenes Couchsurfing fand in Dublin statt. Fergus, ein Student, war genauso nervös wie ich, würde ich sagen. Denn ich war auch seine erste Couchsurferin. Zufällig lief gleich am ersten Abend ein Couchsurfing-Treffen in einer Bar am Ufer der Liffey; sehr nett. Im Wohnzimmer von Fergus und seiner Schwester standen dann sogar zwei Sofas, eins härter, eins weicher. Am nächsten Tag nahm er mich zu einer Geburtstags-Grillparty mit, witzige Gespräche, eine Runde Billiard: Partytyp Fergus gegen mich Bücherwurm. Der Bücherwurm gewann sogar. Beim Abschied machte Fergus mit typisch Dubliner Humor einen doppelbödigen Scherz, über den ich heute noch lachen muss. Thanks for popping my cherry, sagte er. "Danke fürs Poppen der Kirsche,", will sagen: Dank dir bin ich keine Couchsurfing-Jungfrau mehr.
Wenn man mich fragt, ob mir schon mal was passiert ist, muss ich sagen: jein. Ich hatte eine unangenehme Erfahrung mit einem spanischen Couchsurfer, der sich unwiderstehlich fand. Und leider weiß ich, dass ich im Zweifelsfall von der portugiesischen Polizei wenig Sympathie zu erwarten hätte. Wie, a minha senhora, Sie laden sich wildfremde Männer aus dem Internet in Ihre Wohnung ein?
Also: Instinkt ist wichtig. Bei den Profilen auf der Website nicht nur den Text selbst, sondern auch zwischen den Zeilen lesen. Und dass man sich besser zunächst außerhalb der Wohnung trifft, ist klar. Ansonsten: Aus Sicherheitsgründen wird jede Kommunikation vom System gespeichert. Normalerweise schreibt man sich nach dem Couchsurfing gegenseitig eine Referenz auf die Profilseite, die dann von jedem Couchsurfer eingesehen werden kann. Negative Referenzen sind selten. Eine musste ich leider schon vergeben, an einen Herrn an der Algarve. Ein Kontrollmensch, der mir unverlangt Wodka ins unverlangte Bier schüttete und mich in schimmelig riechende Bettwäsche hüllte. Immer wieder werde ich auf diese negative Referenz angesprochen. Aber ohne sie macht das System keinen Sinn. Wie ist das bei Maryke, hat sie auch schon Couchsurfer beherbergt?
"Ja klar! Ich habe auch schon jemanden aufgenommen, zuhause in Leeds. Es war eine Taiwanesin namens Jill. Ich war gerade dabei, umzuziehen, und deshalb sicher nicht die beste Gastgeberin, die sie je hatte. Aber Jill war drei Monate unterwegs gewesen. Jetzt wollte sie einfach nur Zeit mit Menschen verbringen statt mit Statuen. Sie kam also und wir verbrachten eine sehr nette Zeit zusammen. Jill half mir und meiner Mitbewohnerin dann noch beim Umzug. Gemeinsam schoben wir einen Einkaufswagen mit all unseren Sachen die Straße hoch und runter. Jill blieb zwei Nächte und wir haben uns einfach toll verstanden. Sie hatte so viele interessante Geschichten zu erzählen von ihren Reisen, durch Indonesien, England, Europa."
Ganz klar. Natürlich gibt es Couchsurfer, die sich kostenlos durch die Welt schnorren. Ich hatte selbst schon mal jemand, der sich nach vier Tagen weigerte, auch nur das Olivenöl zu ersetzen. Dafür gibt es aber auch viele Couchsurfer, die fast nur beherbergen, ohne selbst zu reisen. Wie es mir der Vater einer Gastfamilie an der Algarve einmal sagte: "Wir holen uns die Welt ins Haus." Fünf Tage blieb ich bei seiner Familie in dem kleinen Hafenstädtchen Olhão. Couch? Ein ganzes Apartment hatte ich zur Verfügung, mit Küchennische und Computer! Plus ein Fahrrad, mit dem ich die Gegend erkundetete. Abends aß ich mit der Familie. Ab und zu mailen wir uns noch. Manchmal entstehen Freundschaften. In den meisten Fällen jedoch sieht man sich nie wieder – was die Sympathie gar nicht schmälert.
Was sollte man nun beachten, wenn man um eine Couch bittet? Der häufigste Fehler vielleicht ist die sogenannte "copy and paste"-Anfrage: "Hallo, ich bin Soundso, komme dann und dann an, haste mal ne Couch?" Ganz klar, hier sucht jemand ein Gratis-Bett und hat die gleiche Anfrage an noch 20 andere verschickt. Man muss gar nicht stundenlang an Anfragen feilen, einfach das Profil lesen und sich fragen, was hat derjenige davon, mich aufzunehmen? Vielleicht lernt er Deutsch und ich kann ihm deutsche Konversation anbieten? Oder ein deutsches Gericht kochen? Zum Beispiel: Als ich neulich in Kanada eine Couch brauchte, in Quebec, sah ich das Profil eines lachenden Mittfünfzigers. Georges Robitaille. Georges ist Geologe im Granit-Business. Ich schrieb ihm ein paar Worte zu meiner Leidenschaft fürs Steinesammeln und wurde mit offenen Armen empfangen. Georges holte mich vom Bahnhof ab und zeigte mir gleich Wasserfälle, die höher sind als die Niagarafälle. Wie hat er das Couchsurfing entdeckt?
"Nicht ich habe das Couchsurfing entdeckt, das Couchsurfing hat mich entdeckt. Ich habe zwei Söhne um die 20, die anfingen, Couchsurfer zu uns ins Haus einzuladen. So fand ich mich mitten in diesem Couchsurfing-Milieu wieder. Ich muss dazusagen, dass unsere ersten Gäste von, sagen wir mal, sehr "hoher Qualität" waren. Der erste war ein junger Libanese, der in der Folge des Bürgerkriegs vor vier Jahren nach Kanada kam. Heute ist er für mich wie ein dritter Sohn, er lebt mit einem meiner Söhne in Toronto, das sind wahre Seelenverwandte. Und unser zweiter Gast war eine junge Deutsche namens Christine, die für mich jetzt auch wie ein Teil meiner Familie ist. Ich hatte immer schon das Bedürfnis nach internationalen Begegnungen. Für mich gab es nie diese Angst, Fremde im Haus zu haben. Es stellte sich eher die Frage: Wie viele können wir denn diese Woche einladen?"
Georges hat viel mehr Couchsurfer empfangen, als dass er selbst als Couchsurfer unterwegs war. Aber drei große Couchsurfing-Reisen hat er gemacht: nach China, nach Peru und in den kanadischen Norden, nach Nunavut in der Arktis.
"Also, ich interessiere mich sehr für Geschichte. Und ich lebe gern mit den Menschen vor Ort zusammen. Und Couchsurfing ist das ideale Instrument dafür. Du siehst die Orte, die Dinge, wie sie sind, du bleibst nicht in den Touristenfallen gefangen. In China zum Beispiel hat uns der junge Mann Ecken gezeigt, die wir als Touristen nie im Leben gesehen hätten. Das gleiche in Lima. 15 Millionen Einwohner, wenn du da als Tourist ankommst, wirst du überwältigt. Lima ist eine so andere Welt, un-europäisch, un-amerikanisch in ihrer Desorganisation. Aber wenn du das mit jemand Einheimischem erlebst, ist es spannend, fantastisch! Ja, und oben im großen Norden, in der Arktis, hast du auch ganz andere Möglichkeiten mit jemandem, der dort lebt."
Die Couchsurfing-Community ist mittlerweile auf drei Millionen angewachsen. Kritiker sagen, der wahre Geist, der "Couchsurfing spirit", sei dabei verlorengegangen. Masse statt Klasse? Es kam schon vor, dass langjährige, sehr aktive Couchsurfer in London zum Beispiel keine Couch bekamen. Zur gleichen Zeit wurden diverse 21-jährige Osteuropäerinnen mit heißen Profilfotos nur so überschüttet mit Angeboten. Tatsächlich ist der Durchschnitts-Couchsurfer Ende 20. So bewege ich mich mit meinen 41 Jahren schon am oberen Rand. Aber die Community hat schon Platz für alle. Es gibt ganze Familien, die gemeinsam Couchsurfen. Und das Alter ist nun wirklich kein Hinderungsgrund, wie Georges Robitaille weiß.
"Meine erste Erfahrung mit Couchsurfern reiferen Alters war ein französisches Paar. Madame war 67, Monsieur 70, Georges und Monique. Georges, ein hervorragender Koch! Wir hatten sehr viel Spaß dabei, zusammen das Essen vorzubereiten. Die beiden waren wirklich gekommen, um einige Tage bei mir zu leben. Es ging da gar nicht um "Quebec” oder "Kanada”. Das waren keine Leute, die sagen: "Oh, wir müssen jetzt unbedingt das historische Stadtzentrum erkunden." Die Reise war ein Geschenk ihrer Töchter, beides Couchsurferinnen. Die hatten ihren Eltern gesagt: "Schaut mal her, wir organisieren das für euch, ihr registriert euch da jetzt – ihr werdet eine tolle Erfahrung machen." Georges und Monique, 67 und 70 Jahre alt. Ganz große, ganz junge Herzen; ihre Körper hatten das Alter des, ja, des Lebens. Ja, und selbst hatte ich vor ein paar Wochen das unerhörte Glück, bei einer Dame hier im Quebec Couchzusurfen, im südlichen Teil der Provinz. 84 Jahre alt, aber von Zehen bis zu den Haarspitzen in den Jungbrunnen gefallen! Marthe hieß sie, eine so nette, warmherzige, großzügige, neugierige Dame. 84! Unglaublich, sie machte alles im Haus, hatte Projekte. Ständig sprang sie zum Computer, um etwas zu recherchieren, das im Gespräch aufkam und das sie nicht kannte. Pures Dynamit!"
Eine Woche nach meinem Aufenthalt bei Georges finde ich mich in den Rocky Mountains wieder, in der Wohnung eines Nationalparkrangers. Ich bin Andrews allererste Couchsurferin. Sein Profil hatte noch keine Referenzen und auch sonst recht wenig Info. Aber jeder muss ja mal anfangen. Eine gute Wahl. Andrew bringt mir ein kanadisches Kartenspiel bei und kocht Riesenportionen Pasta Alfredo, gefolgt von einem kanadischen Roggen-Whiskey. Am nächsten Tag koche ich dafür irische Kartoffelpfannkuchen. Tagsüber, während Andrew in Jasper verkehrsbehindernde Ansammlungen von Elchen auflöst, führe ich seinen Schäferhund spazieren. Meine Begegnungen mit Elchen in der Brunftzeit werden mir für immer im Gedächtnis bleiben. Bei Andrew fühlte ich mich auf jeden Fall sofort zu Hause.
Es ist mir auch schon anders ergangen. Manchmal empfand ich Couchsurfen als richtig anstrengend. Man will ein guter Gast sein, will nicht stören. Immer wieder muss man sich in neuen Umgebungen zurechtfinden, neuen Küchen, wenn man sich nur eine Tasse Tee machen will. Offen und flexibel muss man also schon sein. Und: Immer einen Plan B haben, sollte das Ganze platzen.
Ach, und noch etwas. Als Couchsurfer muss man nicht unbedingt eine Unterkunft anbieten. Es gibt auch die Rubrik "Coffee or a Drink". Wer diese Kategorie ankreuzt, kann zwar niemanden aufnehmen, ist aber bereit, seine Stadt zu zeigen und sich auf einen Kaffee oder ein Bier zu treffen. Dann gibt es noch diverse Untergruppen. Ich gehöre zum Beispiel den Gruppen "Portugal" und "Lissabon" an. Und Subgruppen wie "Lissabonner Vegetarier" oder "Lissabonner Wellenreiter". Theoretisch könnte ich mich an jedem Tag der Woche irgendeiner Aktivität anschließen. Auf jeden Fall weiß ich, dass ich überall auf der Welt Freunde habe. Sogar in Vatikanstadt und in der Antarktis soll es Couchsurfer geben! Couchsurfing ist eine Schule des Reisens und auch eine Schule des Lebens in all seiner Unberechenbarkeit und Fülle. Eine Lektion im gegenseitigen Vertrauen und ja, ein ganz konkretes Plädoyer für den Glauben an das Gute im Menschen.
Und dann? Nichts!
Sie kamen nicht und meldeten sich nicht. Ich mailte und hinterließ besorgte Nachrichten auf ihren Handys. War ihnen vielleicht was zugestoßen? Hatten sie den nächsten Zug genommen? Bis heute weiß ich nicht, wohin diese unhöflichen Pseudo-Couchsurferinnen damals abgedriftet sind.
Meine Couchsurferinnen im zweiten Anlauf waren dafür umso netter: zwei coole kalifornische Filmstudentinnen. Erst gönnten wir uns ein vegetarisches Picknick auf meinem winzigen Balkon, dann erkundeten die beiden die Stadt. Abends nahm ich sie mit ins Kino und in eine altmodische holzgetäfelte Lissabonner Bar, die ich sehr mag. Wir unterhielten uns bis spät in die Nacht.
Warum lade ich wildfremde Leute in meine Wohnung und in mein Leben ein? Es ist gar nicht mal so der vielgerühmte kulturelle Austausch. Den habe ich durch meinen Beruf auch so. Anderen Reisenden zu helfen, ihnen ein sicheres Bett bieten zu können, gibt mir etwas, das schwer zu beschreiben ist. Ich weiß, wie es ist, wenn man unterwegs ist und irgendwo ankommt, müde, hungrig, und sich an den gedeckten Tisch setzen und ins gemachte Bett legen darf. Als Couchsurfing-Gastgeberin teile ich etwas von meinem Leben hier in Lissabon mit Menschen aus aller Welt und jeden Alters. Sehe den bröckelnden Charme meiner Wahlheimat am Tejo mit neuen Augen. Und ohne jetzt wie das Wort zum Sonntag klingen zu wollen: Als Couchsurferin fühle ich mich auch Teil einer globalen Gemeinschaft, die einen bewussten Gegenpol setzt zu einem Wirtschaftssystem, in dem es nur um Geld geht. Vielleicht schlagen da auch so mütterliche Gefühle durch, die mir sonst eher fernliegen.
Apropos: Jede Mutter am Radio wird sich spätestens jetzt fragen, wäre mein Kind denn da sicher? Meine Tochter bei irgendwelchen unbekannten Leuten, Männern, im globalen Haus? Neulich hatte ich eine junge englische Couchsurferin bei mir, die von heute auf morgen eine Unterkunft brauchte. Maryke war Studentin aus Leeds, 19 Jahre alt. Ich fragte Maryke, wie sie das Risiko einschätzt.
"Ich denke, das Risiko ist in etwa das gleiche, wie wenn man normal unterwegs ist. Wenn du allein reist oder auch zu zweit, und nicht viel Geld hast, dann übernachtest du in Hostels, wo auch eine Menge anderer Leute sind. Beim Couchsurfing haben wir immerhin das System der "verifications”, wo deine Adresse per Kreditkarte abgeglichen wird. Du kannst dir das Profil genau ansehen, was andere Leute über sie gesagt haben. Es gibt also schon Sicherheitsmaßnahmen. Du kennst die Person selbst nicht, aber andere Leute kennen sie. Es gibt sogar die Möglichkeit, für andere Couchsurfer zu bürgen. Ich denke, Couchsurfing ist nicht gefährlicher als normaler Rucksacktourismus. Aber auf jeden Fall viel interessanter!"
Mein allererstes eigenes Couchsurfing fand in Dublin statt. Fergus, ein Student, war genauso nervös wie ich, würde ich sagen. Denn ich war auch seine erste Couchsurferin. Zufällig lief gleich am ersten Abend ein Couchsurfing-Treffen in einer Bar am Ufer der Liffey; sehr nett. Im Wohnzimmer von Fergus und seiner Schwester standen dann sogar zwei Sofas, eins härter, eins weicher. Am nächsten Tag nahm er mich zu einer Geburtstags-Grillparty mit, witzige Gespräche, eine Runde Billiard: Partytyp Fergus gegen mich Bücherwurm. Der Bücherwurm gewann sogar. Beim Abschied machte Fergus mit typisch Dubliner Humor einen doppelbödigen Scherz, über den ich heute noch lachen muss. Thanks for popping my cherry, sagte er. "Danke fürs Poppen der Kirsche,", will sagen: Dank dir bin ich keine Couchsurfing-Jungfrau mehr.
Wenn man mich fragt, ob mir schon mal was passiert ist, muss ich sagen: jein. Ich hatte eine unangenehme Erfahrung mit einem spanischen Couchsurfer, der sich unwiderstehlich fand. Und leider weiß ich, dass ich im Zweifelsfall von der portugiesischen Polizei wenig Sympathie zu erwarten hätte. Wie, a minha senhora, Sie laden sich wildfremde Männer aus dem Internet in Ihre Wohnung ein?
Also: Instinkt ist wichtig. Bei den Profilen auf der Website nicht nur den Text selbst, sondern auch zwischen den Zeilen lesen. Und dass man sich besser zunächst außerhalb der Wohnung trifft, ist klar. Ansonsten: Aus Sicherheitsgründen wird jede Kommunikation vom System gespeichert. Normalerweise schreibt man sich nach dem Couchsurfing gegenseitig eine Referenz auf die Profilseite, die dann von jedem Couchsurfer eingesehen werden kann. Negative Referenzen sind selten. Eine musste ich leider schon vergeben, an einen Herrn an der Algarve. Ein Kontrollmensch, der mir unverlangt Wodka ins unverlangte Bier schüttete und mich in schimmelig riechende Bettwäsche hüllte. Immer wieder werde ich auf diese negative Referenz angesprochen. Aber ohne sie macht das System keinen Sinn. Wie ist das bei Maryke, hat sie auch schon Couchsurfer beherbergt?
"Ja klar! Ich habe auch schon jemanden aufgenommen, zuhause in Leeds. Es war eine Taiwanesin namens Jill. Ich war gerade dabei, umzuziehen, und deshalb sicher nicht die beste Gastgeberin, die sie je hatte. Aber Jill war drei Monate unterwegs gewesen. Jetzt wollte sie einfach nur Zeit mit Menschen verbringen statt mit Statuen. Sie kam also und wir verbrachten eine sehr nette Zeit zusammen. Jill half mir und meiner Mitbewohnerin dann noch beim Umzug. Gemeinsam schoben wir einen Einkaufswagen mit all unseren Sachen die Straße hoch und runter. Jill blieb zwei Nächte und wir haben uns einfach toll verstanden. Sie hatte so viele interessante Geschichten zu erzählen von ihren Reisen, durch Indonesien, England, Europa."
Ganz klar. Natürlich gibt es Couchsurfer, die sich kostenlos durch die Welt schnorren. Ich hatte selbst schon mal jemand, der sich nach vier Tagen weigerte, auch nur das Olivenöl zu ersetzen. Dafür gibt es aber auch viele Couchsurfer, die fast nur beherbergen, ohne selbst zu reisen. Wie es mir der Vater einer Gastfamilie an der Algarve einmal sagte: "Wir holen uns die Welt ins Haus." Fünf Tage blieb ich bei seiner Familie in dem kleinen Hafenstädtchen Olhão. Couch? Ein ganzes Apartment hatte ich zur Verfügung, mit Küchennische und Computer! Plus ein Fahrrad, mit dem ich die Gegend erkundetete. Abends aß ich mit der Familie. Ab und zu mailen wir uns noch. Manchmal entstehen Freundschaften. In den meisten Fällen jedoch sieht man sich nie wieder – was die Sympathie gar nicht schmälert.
Was sollte man nun beachten, wenn man um eine Couch bittet? Der häufigste Fehler vielleicht ist die sogenannte "copy and paste"-Anfrage: "Hallo, ich bin Soundso, komme dann und dann an, haste mal ne Couch?" Ganz klar, hier sucht jemand ein Gratis-Bett und hat die gleiche Anfrage an noch 20 andere verschickt. Man muss gar nicht stundenlang an Anfragen feilen, einfach das Profil lesen und sich fragen, was hat derjenige davon, mich aufzunehmen? Vielleicht lernt er Deutsch und ich kann ihm deutsche Konversation anbieten? Oder ein deutsches Gericht kochen? Zum Beispiel: Als ich neulich in Kanada eine Couch brauchte, in Quebec, sah ich das Profil eines lachenden Mittfünfzigers. Georges Robitaille. Georges ist Geologe im Granit-Business. Ich schrieb ihm ein paar Worte zu meiner Leidenschaft fürs Steinesammeln und wurde mit offenen Armen empfangen. Georges holte mich vom Bahnhof ab und zeigte mir gleich Wasserfälle, die höher sind als die Niagarafälle. Wie hat er das Couchsurfing entdeckt?
"Nicht ich habe das Couchsurfing entdeckt, das Couchsurfing hat mich entdeckt. Ich habe zwei Söhne um die 20, die anfingen, Couchsurfer zu uns ins Haus einzuladen. So fand ich mich mitten in diesem Couchsurfing-Milieu wieder. Ich muss dazusagen, dass unsere ersten Gäste von, sagen wir mal, sehr "hoher Qualität" waren. Der erste war ein junger Libanese, der in der Folge des Bürgerkriegs vor vier Jahren nach Kanada kam. Heute ist er für mich wie ein dritter Sohn, er lebt mit einem meiner Söhne in Toronto, das sind wahre Seelenverwandte. Und unser zweiter Gast war eine junge Deutsche namens Christine, die für mich jetzt auch wie ein Teil meiner Familie ist. Ich hatte immer schon das Bedürfnis nach internationalen Begegnungen. Für mich gab es nie diese Angst, Fremde im Haus zu haben. Es stellte sich eher die Frage: Wie viele können wir denn diese Woche einladen?"
Georges hat viel mehr Couchsurfer empfangen, als dass er selbst als Couchsurfer unterwegs war. Aber drei große Couchsurfing-Reisen hat er gemacht: nach China, nach Peru und in den kanadischen Norden, nach Nunavut in der Arktis.
"Also, ich interessiere mich sehr für Geschichte. Und ich lebe gern mit den Menschen vor Ort zusammen. Und Couchsurfing ist das ideale Instrument dafür. Du siehst die Orte, die Dinge, wie sie sind, du bleibst nicht in den Touristenfallen gefangen. In China zum Beispiel hat uns der junge Mann Ecken gezeigt, die wir als Touristen nie im Leben gesehen hätten. Das gleiche in Lima. 15 Millionen Einwohner, wenn du da als Tourist ankommst, wirst du überwältigt. Lima ist eine so andere Welt, un-europäisch, un-amerikanisch in ihrer Desorganisation. Aber wenn du das mit jemand Einheimischem erlebst, ist es spannend, fantastisch! Ja, und oben im großen Norden, in der Arktis, hast du auch ganz andere Möglichkeiten mit jemandem, der dort lebt."
Die Couchsurfing-Community ist mittlerweile auf drei Millionen angewachsen. Kritiker sagen, der wahre Geist, der "Couchsurfing spirit", sei dabei verlorengegangen. Masse statt Klasse? Es kam schon vor, dass langjährige, sehr aktive Couchsurfer in London zum Beispiel keine Couch bekamen. Zur gleichen Zeit wurden diverse 21-jährige Osteuropäerinnen mit heißen Profilfotos nur so überschüttet mit Angeboten. Tatsächlich ist der Durchschnitts-Couchsurfer Ende 20. So bewege ich mich mit meinen 41 Jahren schon am oberen Rand. Aber die Community hat schon Platz für alle. Es gibt ganze Familien, die gemeinsam Couchsurfen. Und das Alter ist nun wirklich kein Hinderungsgrund, wie Georges Robitaille weiß.
"Meine erste Erfahrung mit Couchsurfern reiferen Alters war ein französisches Paar. Madame war 67, Monsieur 70, Georges und Monique. Georges, ein hervorragender Koch! Wir hatten sehr viel Spaß dabei, zusammen das Essen vorzubereiten. Die beiden waren wirklich gekommen, um einige Tage bei mir zu leben. Es ging da gar nicht um "Quebec” oder "Kanada”. Das waren keine Leute, die sagen: "Oh, wir müssen jetzt unbedingt das historische Stadtzentrum erkunden." Die Reise war ein Geschenk ihrer Töchter, beides Couchsurferinnen. Die hatten ihren Eltern gesagt: "Schaut mal her, wir organisieren das für euch, ihr registriert euch da jetzt – ihr werdet eine tolle Erfahrung machen." Georges und Monique, 67 und 70 Jahre alt. Ganz große, ganz junge Herzen; ihre Körper hatten das Alter des, ja, des Lebens. Ja, und selbst hatte ich vor ein paar Wochen das unerhörte Glück, bei einer Dame hier im Quebec Couchzusurfen, im südlichen Teil der Provinz. 84 Jahre alt, aber von Zehen bis zu den Haarspitzen in den Jungbrunnen gefallen! Marthe hieß sie, eine so nette, warmherzige, großzügige, neugierige Dame. 84! Unglaublich, sie machte alles im Haus, hatte Projekte. Ständig sprang sie zum Computer, um etwas zu recherchieren, das im Gespräch aufkam und das sie nicht kannte. Pures Dynamit!"
Eine Woche nach meinem Aufenthalt bei Georges finde ich mich in den Rocky Mountains wieder, in der Wohnung eines Nationalparkrangers. Ich bin Andrews allererste Couchsurferin. Sein Profil hatte noch keine Referenzen und auch sonst recht wenig Info. Aber jeder muss ja mal anfangen. Eine gute Wahl. Andrew bringt mir ein kanadisches Kartenspiel bei und kocht Riesenportionen Pasta Alfredo, gefolgt von einem kanadischen Roggen-Whiskey. Am nächsten Tag koche ich dafür irische Kartoffelpfannkuchen. Tagsüber, während Andrew in Jasper verkehrsbehindernde Ansammlungen von Elchen auflöst, führe ich seinen Schäferhund spazieren. Meine Begegnungen mit Elchen in der Brunftzeit werden mir für immer im Gedächtnis bleiben. Bei Andrew fühlte ich mich auf jeden Fall sofort zu Hause.
Es ist mir auch schon anders ergangen. Manchmal empfand ich Couchsurfen als richtig anstrengend. Man will ein guter Gast sein, will nicht stören. Immer wieder muss man sich in neuen Umgebungen zurechtfinden, neuen Küchen, wenn man sich nur eine Tasse Tee machen will. Offen und flexibel muss man also schon sein. Und: Immer einen Plan B haben, sollte das Ganze platzen.
Ach, und noch etwas. Als Couchsurfer muss man nicht unbedingt eine Unterkunft anbieten. Es gibt auch die Rubrik "Coffee or a Drink". Wer diese Kategorie ankreuzt, kann zwar niemanden aufnehmen, ist aber bereit, seine Stadt zu zeigen und sich auf einen Kaffee oder ein Bier zu treffen. Dann gibt es noch diverse Untergruppen. Ich gehöre zum Beispiel den Gruppen "Portugal" und "Lissabon" an. Und Subgruppen wie "Lissabonner Vegetarier" oder "Lissabonner Wellenreiter". Theoretisch könnte ich mich an jedem Tag der Woche irgendeiner Aktivität anschließen. Auf jeden Fall weiß ich, dass ich überall auf der Welt Freunde habe. Sogar in Vatikanstadt und in der Antarktis soll es Couchsurfer geben! Couchsurfing ist eine Schule des Reisens und auch eine Schule des Lebens in all seiner Unberechenbarkeit und Fülle. Eine Lektion im gegenseitigen Vertrauen und ja, ein ganz konkretes Plädoyer für den Glauben an das Gute im Menschen.