Wie ein dichter Teppich legen sich die Teebüsche über die steilen Abhänge der Berge von Darjeeling. Zwischen dem satten Grün bewegen sich bunte Punkte. Es sind die Pflückerinnen, deren Saris in vielen verschiedenen Farben leuchten.
"So wird gepflückt: Zwei Blätter und eine Knospe."
Nitu hält die Blätter in die Höhe.
"Siehst du das Blatt, das aussieht wie eine silberne Nadel? Das ist der weiße Tee."
Wie ihre Eltern und schon ihre Großeltern wurde sie hier in dem kleinen Dorf, in dem die Arbeiter wohnen, geboren. Mit flinken Fingern zupfen die Pflückerinnen die Teeblätter von den Büschen und werfen sie hinter sich in einem Korb, der an einem Trageriemen an ihrer Stirn hängt.
"Möchtest du mal probieren einen Korb zu tragen?"
Die Frauen arbeiten am sorgfältigsten
Nitu bittet eine der Pflückerinnen, mir ihren Korb zu leihen. Ich lege mir das breite Trageband über die Stirn und habe beide Hände frei.
"Ist es zu schwer für dich?"
Nein, besonders schwer ist der Korb eigentlich nicht. Aber ungewohnt.
"Jetzt kannst du pflücken. Da und dort und da."
Es ist gar nicht so einfach mit beiden Händen in dem Grün die zartesten zwei Blätter plus Blüte zu finden und jeden Busch schnell und vollständig abzuernten. Es ist eine Aufgabe, die fast ausschließlich von Frauen übernommen wird.
"Wir sagen immer, alle harte Arbeit wird von den Frauen gemacht. Aber nein, es liegt daran, dass die Frauen besonders sorgfältig arbeiten."
Ob es auch mal mit Männern versucht wurde?
"Ja, aber das war kein Erfolg."
Ein Schotte pflanzte die ersten Teebüsche
Es muss ein Schotte gewesen sein, der hier in den Bergen von Darjeeling im Nordosten Indiens 1859 im Auftrag der East India Company die ersten Teebüsche pflanzte – so viel kann Sidhant Prakash rekonstruieren.
"Glen" bedeutet auf Schottisch Fluss und "burn" Tal – und wir haben hier einen Fluss und ein Tal."
Der junge Mann gehört zu der Eigentümerfamilie von Glenburn. Seit Großbritannien Indien in die Unabhängigkeit entließ, bauen sie nun in vierter Generation Tee an. Die Pflanzungen liegen überall in Indien verteilt. Doch ihr bester Tee, sagt Sidarth Prakash, kommt aus Darjeeling.
"Das liegt an der Kombination mehrerer Faktoren. Wir haben hier sehr gute Erde. Aber der Schlüsselfaktor ist die Höhe. Sie macht den Anbau zwar schwieriger, weil man weniger Blätter bekommt und das Wachstum verlangsamt ist, aber das verstärkt den Geschmack. Im Tiefland könnte man solchen Tee nicht anbauen, dort wachsen die Blätter zu schnell. Und wir haben viel Regen. All das macht den Tee aus Darjeeling zu etwas besonderem, deshalb wird er auch der Champagner der Tees genannt."
Blick auf den Achttausender des Kanchanjanga-Massivs
Es war der Engländer Arthur Campell, der in seinem Privatgarten mit verschiedenen Teesamen experimentierte und 1841 entdeckte, dass chinesische Teebüsche in Darjeeling ausgezeichnet gedeihen. Seither ist die Region für ihren Tee berühmt. Nur der sehr seltene weiße Tee aus China ist noch besser, räumt Sidhant Prakash ein.
"Weil unser Tee so einen besonderen Geschmack hat und auch teuer ist, vermischten ihn viele Hersteller mit anderem Tee. Um die Kosten zu senken und höhere Preise zu erzielen. Aber kürzlich wurde der Name geschützt, jetzt darf nur noch Tee, der ausschließlich aus Darjeeling kommt, als Darjeelingtee bezeichnet werden. So wie Champagner nur so heißen darf, wenn ausschließlich Trauben aus der Champagne verwendet wurden."
Die Familie hat nicht nur die Pflanzung gekauft, sondern auch das alte Herrenhaus übernommen. Es ist ein einstöckiger Bungalow um den rund herum eine überdachte Terrasse führt. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick über die Berge Darjeelings und die mächtigen Achttausender des Kanchanjanga-Massivs.
"Das ist der Original-Bungalow aus dem 19. Jahrhundert. Wir haben ihn natürlich renoviert, aber das hier war das Zimmer des Managers und dort drüben war auch damals ein Gästezimmer."
Ein Ambiente wie in Kolonialzeiten
Alle Möbel stammen aus der Zeit der Kolonialzeit. Auf die Teetassen, Porzellanschalen und Vasen sind mit Rosen gemalt - keine Frage, die Dekoration ist britisch inspiriert. Weit weg von dem den quirligen, lauten Städten entfernt fühlt man sich hier um ein Jahrhundert zurückversetzt.
"Wir versuchen, hier einen Service anzubieten, wie es ihn damals gab. Zu dieser Zeit war es einfach, Arbeitskräfte zu finden, und dadurch entstand auf den Teeplantagen eine Kultur, in der es unglaublich viel Personal gab. Verrückt! Aber so war es damals."
Auf Glenburn bekommen die Besucher eine Ahnung davon, wie die Briten hier einst lebten. Selbst wenn das Hotel voll belegt ist, kommen auf jeden Gast vier Angestellte. Morgens wird Tee - oder, wenn es denn unbedingt sein muss, auch Kaffee - ans Bett serviert, das Personal putzt Schuhe und näht bei Bedarf Knöpfe an und überhaupt ist immer jemand in der Nähe, der einem jeden Wunsch erfüllt.
"Wir wollen die Gäste eine andere, einzigartige Welt erleben lassen, die es so eigentlich nicht mehr gibt. Und es ist eine Welt, die stirbt."
"Die junge Generation will nicht hier bleiben"
170 Jahre lang pflückten die Frauen in ihren bunten Saris im satten Grün den Tee. Ein leises Rascheln, Gespräche, Vogelzwitschern und ab und an ein Lachen – das alles strömt eine Ruhe und Entspanntheit aus, wie man sie im sonst so lauten und quirligen Indien selten findet. Doch auch in Darjeeling dürfte es damit bald vorbei sein.
"Die junge Generation will nicht hier bleiben. Die Jungen sind zur Schule gegangen und sind gut ausgebildet, sie wollen nicht als Arbeiter auf den Plantagen bleiben, sondern in die Städte gehen."
Seit vier Generationen lebt Nitus Familie auf Glenburn, aber sie will keine Teepflückerin, sondern Krankenschwester werden. Und wer wird dann den Tee ernten?
"Man wird Maschinen benutzten. Irgendwo wird man dann Leute finden müssen, die sie bedienen. Aber nicht uns."
Man mag sich nicht vorstellen, wie es hier klingt, wenn der Tee nicht mehr von Hand, sondern maschinell geerntet wird. Aber noch ist es nicht so weit.
40 Meilen Eisenbahnstrecke den Berg hinauf
Es ist nicht nur die Handarbeit, die zumindest bisher die Jahrhunderte überlebt hat.
"Im Teeanbau gibt es noch einige britische Institutionen. Zum Beispiel den Planters Club. Dort trafen sich früher die Manager der Plantagen. Der Club ist heute nicht mehr so wichtig wie früher, aber es gibt ihn noch."
Leider ist der Club derzeit wegen Renovierung geschlossen. Doch wenn er wieder aufmacht, können auch Touristen für ein paar Euro eine kurzfristige Mitgliedschaft erwerben und dort speisen.
Früher nahm der Manager von Glenburn sein Pferd und ritt einfach auf einem schmalen Pfad erst runter ins Tal und dann den Steilen Berg hinauf in die Stadt Darjeeling, die gegenüber der Teeplantage wie ein Adlerhorst im Berg hängt. Das ging wesentlich schneller, als sich heute mit dem Auto auf der schmalen, völlig verstopften Straße entlang zu quälen. Es aber auch noch eine Alternative: den Zug. Er war und ist bis heute das wichtigste Verkehrsmittel Indiens.
"Die Eisenbahnstrecke den Berg hinauf ist vierzig Meilen lang und die Fahrt dauert acht Stunden. Sie ist so wild, fesselnd, aufregend und bezaubernd, dass sie eine Woche dauern sollte."
Mit jedem Höhenmeter wird die Aussicht großartiger
Notierte Markt Twain 1896 in seinem Tagebuch, aus dem das Buch "Dem Äquator nach" entstand. Der amerikanische Schriftsteller unternahm damals eine fast ein Jahr dauernde Lesereise durch Indien.
"Die Strecke ist unaufhörlich und bezaubernd gewunden. Sie biegt hierhin und dahin aus, um hohe, in Ranken und Laub erstickende Felsen herum und an den Rändern bodenloser Abgründe entlang."
Die Briten hatten ein dichtes Schienennetz verlegt, das selbst bis in das entlegene Darjeeling reichte. Die Berge sind steil und die Strecke zu bauen war eine technische Meisterleistung. An einer Stelle winden sich die Schienen sogar in einer Schlaufe um sich selber. Die Strecke führt durch dichten Dschungel, der sich mit Teeplantagen abwechselt. Mit jedem Höhenmeter wird die Aussicht großartiger.
"Allmählich befanden wir uns weit oben in der Region der Wolken und von dieser luftigen Höhe aus sahen wir hinab und hinaus auf ein wundervolles Bild – die indische Ebene dehnte sich vor unseren Augen zum Horizont, zart und hell, platt wie ein Estrich, vor Hitze flimmernd, mit Wolkenschatten gesprenkelt und von schimmernden Flüssen durchfurcht."
"Droschkenersatz – offene Särge, in denen man sitzt"
Diese Reise mit der Bahn kann man auch heute noch unternehmen - und zwar nicht nur auf der historischen Strecke, sondern auch mit geschichtsträchtigen Zügen. Die alten Dampfloks tragen so klangvolle Namen wie" Iron Sherpa" oder "Queen of the Mountains". Schnaufend und keuchend arbeiten sie sich den Berg hinauf und stoßen dabei gewaltige Menge Dampf aus. Wer sich zu dicht heran wagt, steht unvermittelt in einem Ascheregen.
Schließlich ist Darjeeling erreicht. Nepal ist nah, das sieht und hört man. Es gibt eine ganze Reihe buddhistischer Klöster und Tempel, in denen unaufhörlich Glocken läuten. Es ist eine laute, überfüllte Stadt. Die schmalen, kurvigen Straßen, die sich durch die am Hang gebaute Stadt ziehen, sind einfach nicht für das heutige Verkehrsaufkommen gemacht. Schon zu Mark Twains Zeiten waren es keine geräumigen Kutschen, die hier am Bahnhof auf Gäste warteten.
"Am Bahnhof von Darjeeling findet man eine Menge Droschkenersatz – offene Särge, in denen man sitzt und auf Männerschultern die steilen Straßen in die Stadt hinaufgetragen wird."
Ähnlich wie zu Mark Twains Zeiten in Darjeeling
Diese Sänften gibt es nicht mehr, aber getragen wird in Darjeeling immer noch viel. Treppen und schmale Gassen durchziehen die Stadt und viele Gebäude sind nur zu Fuß zu erreichen. Und so sieht man Träger mit Kochgaszylindern und anderen schweren Lasten. Das ist und war nicht nur Männersache.
"Wir hatten Scharen von Gurkafrauen überholt… mit einem hohen Korb auf dem Rücken, der mit einem Band um die Stirn befestigt war und eine Fracht im Gewicht von - ich werde nicht sagen, wie viele hundert Pfund er enthielt, denn die Summe ist unglaublich. Es waren junge Frauen und sie schritten rasch unter dieser erstaunlichen Last dahin und taten dabei, als befänden sie sich auf einem Ferienausflug."
Nach dem Besuch im quirligen Darjeeling ist es eine Wohltat wieder in der Ruhe von Glenburn zu sein. Abends treffen sich hier alle Gäste mit dem Eigentümer und dem Manager an einer großen Tafel zu einem gemeinsamen Abendessen.
Das Personal trägt verschiedenste Gerichte auf, während am Tisch von vergangenen Reisen und Abenteuern erzählt wird. Ganz ähnlich muss es gewesen, als Mark Twain einst als Gast zu den Britten nach Darjeeling kam.