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"Dark Tourism" in KZ-Gedenkstätten
Nach Auschwitz des Gruselns wegen?

Warum besuchen Menschen Auschwitz? Auch, weil sie von den KZ-Gedenkstätten als Orten des Grauens fasziniert sind, erklärt der Historiker Axel Drecoll im Dlf. Um so wichtiger sei es, die Vermittlung des Themas "nüchtern und analytisch" anzugehen.

Axel Drecoll im Gespräch mit Anja Reinhardt |
    Besucher der Gedenkstätte des ehemaligen deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau betrachten am 71. Jahrestag der Befreiung des Lagers Bilder von "Marsch der Lebenden".
    Die Motivationen für den Besuch einer KZ-Gedenksätte, wie hier Auschwitz-Birkenau, sind oft sehr vielfältig. (picture alliance / dpa / Andrzej Grygiel)
    Anja Reinhardt: Die Reise zur Gedenkstätte Buchenwald fängt ganz harmlos an: Man fährt durch ein schönes Waldgebiet, kommt zu einem großen Parkplatz, an dem auch große Reisebusse parken, und wenn man dann durch das Gelände läuft, zuerst mal vorbei an den SS-Unterkünften, dann Richtung Lagertor, durch das man zum ehemaligen Lagergelände kommt, dann schleicht sich das Grauen langsam an. Spätestens vor der Genickschussanlage oder den Verbrennungsöfen hat es einen aber dann fest im Griff. Und vielleicht ist es ja genau dieses Grauen, das der ein oder andere sucht, wenn er Buchenwald, Auschwitz oder den Obersalzberg besichtigt. Das Grauen der Vernichtungslager, des industriellen und bürokratisch organisierten Massenmordes ist mit nichts zu vergleichen. Möglicherweise kommen auch deswegen jedes Jahr mehr als 1,5 Millionen Besucher, die filmen und Selfies machen – manche Reiseveranstalter bieten so etwas gezielt an. Dark Tourism nennt sich das, die Ziele sind Nordkorea, Tschernobyl, die Killing Fields in Kambodscha oder eben Auschwitz. Tourismusforscher und Historiker interessieren sich schon länger für dieses Phänomen, vor knapp zwei Wochen ging eine Konferenz in Glasgow zu Ende, an der auch das Institut für Zeitgeschichte beteiligt war. Darüber habe ich vor der Sendung mit Axel Drecoll vom IfZ gesprochen und ihn gefragt, ob es eigentlich so etwas gibt wie den typischen Dark Tourist.
    Axel Drecoll: Den mag es geben. Aber dann kenne ich ihn nicht und ich würde auch sagen kennen wir ihn nicht. Denn das große Problem ist: So vielfältig die Touristinnen und Touristen sind, die an diese Orte des Grauens kommen, so zahlreich sind natürlich auch die Motive. Das was wir aber wohl sagen können ist, dass das Grauen, die Verbrechen und auch die Verbrecher selbst von Interesse sind und wahrscheinlich auch so was wie eine Faszination ausüben.
    "Es gibt auch diejenigen, die den Gruselreiz suchen"
    Reinhardt: Als Historiker beziehungsweise Wissenschaftler bewerten Sie ja nicht, sondern Sie suchen nach den Gründen, vielleicht auch nach den Folgen. Welche Erkenntnisse gibt es denn dazu jetzt auch noch mal nach der Konferenz in Glasgow?
    Drecoll: Es ist grundsätzlich erst mal zu unterscheiden, was guck ich mir an. Nenne ich solche Besuchergruppen Dark Tourists, weil die Orte "dark" sind, weil das Orte sind, die mit Schrecken zu tun haben, indirekt wie beim Obersalzberg, oder ganz direkt wie beispielsweise bei den KZ-Gedenkstätten. Dann werde ich alle Besucherinnen und Besucher ohne weiteres als Dark Tourists bezeichnen können. Wenn ich mir allerdings die Motivationen ansehe, primär, und nach diesen möglichen Gruselreizen suche, dann wird man sehr stark differenzieren müssen, denn es ist überhaupt keine Frage, dass es häufig ein vielleicht diffuses, aber doch einfach ein Interesse an Geschichte ist, was Touristinnen und Touristen an solche Orte bringt. Es sind häufig auch Zufallsprodukte. Menschen reisen nach Krakau und, ich sage mal so, nehmen dann die KZ-Gedenkstätte Auschwitz mit. Da gibt es auch diejenigen, die fasziniert sind und diesen Gruselreiz suchen, keine Frage. Nur die Interessenlagen sind vielfältig und um das noch mal genauer kategorisieren zu können, war diese Konferenz unter anderem sehr hilfreich.
    Reinhardt: Ich glaube, Sie haben auch darüber gesprochen, dass Auschwitz-Besucher ja auch wiederum ein Bild von Auschwitz erzeugen, besonders natürlich seit es Smartphones gibt auch Videos, die zum Beispiel über die Plattform Uploading Holocaust im Netz dann hochgeladen werden. Aus Ihrer Sicht, ist das makaber oder bereichernd?
    Drecoll: Das hängt natürlich schon sehr stark von der Art und Weise ab, wie sie sich dort darstellen. Da müssen wir einfach in Rechnung stellen, dass das die neuen Kommunikationsmittel sind, die selbstverständlich auch an solchen Orten genutzt werden, und wir müssen davon ausgehen, dass ja eine Ursache für den Run – und das ist es ja -, den Run auf solche Orte dieses Authentifizierungsbedürfnis ist, dass man Geschichte nicht nur hören will, sondern am Ort des Geschehens auch wirklich die Beweiskraft erspürt. Das wird sicherlich eine Ursache sein und dann müssen wir damit umgehen, dass dann auch diese Beweisfotos ins Netz gestellt werden. Das kann dann aber selbstverständlich in mehr oder weniger geschmackvoller Art und Weise erfolgen.
    Bilder drohen "historische Abläufe zu überdecken"
    Reinhardt: Aber um noch mal darauf zurückzukommen: Dass ja diese Besucher auch ein historisches Bild wiederum erzeugen, dadurch, dass sie Zeugnis ablegen, wie wirkt sich das auf die Geschichtsschreibung aus?
    Drecoll: Da können wir wohl von einer Wechselwirkung ausgehen, erst mal durch Bilder, die im Kopf entstehen, durch Fernsehdokumentationen und andere Publikationen, die dann wieder die Touristen zu diesen Orten führen, und aus den Orten heraus dann ja selber auch wieder publiziert wird und die wieder in der Bildgebung eine ganz große Rolle spielen. Das führt zu sehr starken Symboliken, nenne ich das mal, oder man könnte das auch als Ikonen der Vernichtung bezeichnen, die dann entstehen. Denken Sie an das Eingangstor zu Auschwitz als das Symbol für das Holocaust schlechthin – "Arbeit macht frei" – und andere Symboliken. Wir müssen dabei in Betracht ziehen, dass diese Symboliken bestimmte historische Abläufe, ich sage, zu überdecken drohen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Tatsache, dass zumindest quantitativ der Holocaust, die Ermordung der europäischen Juden in erster Linie Erschießungsaktionen waren und eben nicht die Vernichtung in den Lagern, wäre so ein Beispiel. Das mag auf den ersten Blick etwas banal anmuten, macht es denn einen Unterschied, wo die Menschen umgebracht wurden. Ja, das macht es, denn qualitativ halten Sie sich vor Augen: Die Erschießungsaktion ist eine direkte Konfrontation zwischen Tätern und Opfern mit einer sehr aktiven Rolle der Täter. Das ging natürlich in den Vernichtungslagern anonymer. Das zumindest müssen wir in Betracht ziehen, wenn es um diese starke Symbolik geht, die daraus entsteht.
    "Möglichst nüchtern und analytisch an das Thema gehen"
    Reinhardt: Nun gibt es ja auch das berühmte Zitat von Martin Walser, die Auschwitz-Keule. Ist das vielleicht der Punkt, wo man sagen muss, das so eine Überrepräsentation und auch so ein Dark Tourism dazu führen könnten, dass solche nicht besonders geschmackvollen Worte entstehen? Müssen wir sensibler oder weniger ostentativ mit dem Nazi-Terror umgehen, damit wir nicht vergessen?
    Drecoll: Da würde ich gerne in zweifacher Weise darauf antworten. Erstens: Diese Frage der Auschwitz-Keule, zumindest wie sie häufig interpretiert wird, die stellt sich für mich nicht, denn es ist ja kein von oben gesteuerter Prozess, sondern die Leute kommen ja freiwillig. Auch die ganzen Fernsehstationen oder Rundfunksender würden ja nicht ständig über das Dritte Reich berichten, wenn das Interesse nicht da ist. Das Interesse ist da und deshalb ist es halt ein permanentes Thema. Das kann man mögen oder man mag es nicht, aber es ist eine Tatsache.
    Das Zweite ist: Selbstverständlich müssen wir vorsichtig sein – das sage ich vor allem als jemand, der professionell sich mit diesem Thema beschäftigt – in zwei Richtungen. Zum einen müssen wir selbstverständlich mit solchen Begrifflichkeiten vorsichtig umgehen, die den Nazi-Terror betreffen, vor allem auch, wenn es um Tätersprache und die unreflektierte Verwendung von Tätersprache geht. So ein Codewort wäre Arisierung, es arisiert an jeder Ecke und jedem Ende, obwohl das ein ganz hochgradig ideologischer und problematischer Begriff ist. Und zum zweiten ist es, glaube ich, wichtig bei uns, dass wir zwar natürlich als ja auch Geschichtsvermittler in Anspruch nehmen müssen für uns, dass wir eine kritische Reflektion bei den Besucherinnen und Besuchern hervorrufen, dass wir sozusagen ein Stachel im Fleisch sind der Demokratie und darauf hinweisen, was ist menschenmöglich, aber dass wir gleichzeitig selber möglichst nüchtern und analytisch an das Thema herangehen und nicht unsererseits durch Überhöhungen zu Abwehrreaktionen beitragen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.