Im Darknet, schreibt der Schweizer Journalist Otto Hostettler, entstünden in riesigem Tempo gigantische Schwarzmärkte für Drogen, Medikamente, falsche Pässe, geklaute Kreditkarten und Waffen. Das Angebot explodiere förmlich. Und die Online-Shops im Darknet seien so raffiniert aufgebaut wie Ebay:
"Um auf diese Marktplätze zu gelangen, bedarf es keinerlei technischer Vorkenntnisse. Das Einzige, was man wissen muss: Sie können mit herkömmlichen Browsern wie Firefox, Chrome oder Safari nicht erreicht werden. Nötig ist ein so genannter TOR-Browser [...], der - legal - die eigenen Spuren im Netz verwischt."
TOR steht für "The Onion Router", und deshalb enden alle Adressen auch auf .onion statt auf .de oder .com. Die Daten sind - wie bei einer Zwiebel, in mehrere Schichten verpackt. Jemand, der die Info dekodieren will, kann die Originaldaten nicht lesen - und er weiß auch nicht, wer der Absender war.
Verblüffend einfach
Das klingt illegal, ist es aber nicht. Den Verbindungsbrowser zu einem TOR-Netzwerk kann sich jeder zuhause legal runterladen, erläutert Hostettler:
"Der Einstieg als Verkäufer auf einem Darknet-Marktplatz ist verblüffend einfach. Es braucht weder eine aufwändige Computerinfrastruktur noch Programmierkenntnisse. Gegen eine Gebühr [...] kann sich jedermann als "Vendor" eintragen und so seine Produkte anbieten."
Auffindbar sind solche Infos über das Darknet im normalen Internet. Derzeit sind laut Hostettler etwa täglich bis zu zwei Millionen Menschen im Darknet unterwegs, darunter etwa 180.000 in Deutschland, nach den USA und Russland das Land mit den meisten Nutzern.
Aber wer sind die Kunden? Glaubt man Hostettler, dann wohl vor allem Menschen, die sich früher ihr Marihuana und ihre Psychopharmaka auf der Straße besorgt haben - und nicht Waffenhändler oder Auftragskiller.
"Solche fragwürdigen Angebote werden in Medien oft als Inbegriff des Darknets dargestellt. In Wahrheit sind sie die absolute Ausnahme. Auf neun Marktplätzen, die im Rahmen einer Untersuchung analysiert wurden, dominieren klar die [...] Angebote im Bereich Drogen und Medikamente."
Hostettler widersteht damit der Versuchung, das viel beschworene Bild vom Darknet als Tummelplatz der Drogenhändler und Waffenhändler zu überzeichnen.
Und viele Nutzer, haben Forscher des King’s College in London herausgefunden, haben auch gar nichts Böses im Sinn. Manche wollen unerkannt von repressiven Regimes surfen; das Darknet schützt in vielen Ländern die politische Opposition oder Whistleblower wie Edward Snowden. Andere Nutzer wollen, dass Datenkraken wie Facebook oder Google weniger Daten von ihnen abgreifen und die Werbetracker sie nicht mehr identifizieren können.
Emanzipatorisches Potenzial des Darknets
Deshalb steht hinter dem Darknet auch eine Non-Profit-Organisation in Cambridge, USA, und deshalb finanziert es sich durch private Spenden, aber auch Zuwendungen von Menschenrechtsorganisationen und dem Deutschen Außenministerium. Sie alle sehen dessen emanzipatorisches Potenzial. Und schreiben damit eine Vision von Cyberpunks der 1990er Jahre weiter, die, ganz im Stil von Assange und Co. "gewaltlosen Widerstand" gegen die USA leisten wollten, die nach und nach immer größere Teile des Internets kontrollierten. Hostettler:
"Inzwischen ist TOR mit der absurden Situation konfrontiert, dass das Netzwerk - insbesondere in den USA - einerseits auf staatliche Unterstützung zählen kann. Auf der anderen Seite bekämpfen andere staatliche Stellen das Projekt weiterhin vehement."
Sie bekämpfen es deshalb so vehement, weil Geldwäsche, Wirtschaftsdelikte und Drogenhandel sich stärker ins Netz verlagert haben und noch stärker verlagern werden.
Strafermittler hecheln hinterher
Hostettler beschreibt ausgiebig, wie im Darknet Spuren durch den Einsatz von Bitcoins als verschlüsselter - und nebenbei: kinderleicht zu benutzender - Währung verwischt werden. Die Strafermittler hecheln immer hinterher.
"Wer sich mit illegalen Substanzen, Waffen und anderen fragwürdigen Dienstleistungen eindecken will, findet im Darknet geradezu ein Einkaufsparadies. [...] Die Bedeutung dieser verborgenen Märkte [...] wird von vielen Strafverfolgern verkannt."
Die Gefahr, geschnappt zu werden, sei für Darknet-Straftäter noch gering. Hostettler, der Schweizer ist, erläutert das am Beispiel seines Heimatlandes, und das ist ein entscheidendes Manko dieses Buches:
Alle Kapitel über die Probleme der polizeilichen Ermittlungsarbeit wurden ausschließlich in der Schweiz recherchiert. Europol scheint mit den Recherchen im Darknet deutlich weiter zu sein, aber es bleibt dem deutschen Leser überlassen, ob er die deutschen Ermittlungsbehörden - inklusive der Richter und Staatsanwälte - für ausreichend personell ausgestattet und weitergebildet hält.
Manko: Recherche nur in der Schweiz
Die Schweizer jedenfalls sind es nicht und finden auch kaum Darknet-versierten Nachwuchs, weil qualifizierte Informatik- und Kriminologie-Studierende meist von der Privatindustrie abgeworben werden. Und:
"Vielen Ermittlern fehlt schlicht das nötige Know-How: Es ist keine Seltenheit, dass sogar Staatsanwälte, die auf Wirtschaftskriminalität spezialisiert sind, ihre Erkenntnisse über die riesigen Schwarzmärkte im Darknet aus der Zeitung haben."
Aber Otto Hostettler macht auch Hoffnung. Die Polizei könne mit dem klassischen Instrument der verdeckten Ermittlung vorgehen.
"Viele Händler sind eitel und wollen von ihren Kunden gelobt und positiv bewertet werden. Hier lassen sich immer wieder Hinweise zur Person finden. Zudem bieten etliche Anbieter von pharmazeutischen Produkten und Drogen ihre Ware auch im Direkt- bzw. Straßenverkauf an. Andere sind auf einschlägigen Seiten im normalen Internet präsent. Die Angebote auf den Marktplätzen des Darknets sind quasi nur gespiegelte Seiten des offenen Internets - oder umgekehrt."
Hostettlers Buch ist größtenteils wunderbar einfach und verständlich geschrieben. Der Leser hat eine realistische Chance, das Darknet und seine wirtschaftliche Grundlage, das Zahlen mit Kryptowährungen wie Bitcoin, tatsächlich zu durchdringen. Nur manchmal verliert der Autor sich in einem Insiderjargon.
Die grundsätzlichen Erkenntnisse über die Unterbelichtung dieses weltweiten Untergrund-Netzes und die begrenzte Macht der Strafermittler sind allemal lesenswert.
Otto Hostettler: Darknet. Die Schattenwelt des Internets.
NZZ Libro und Frankfurter Allgemeine Buch, 205 Seiten, 29,90 Euro.
NZZ Libro und Frankfurter Allgemeine Buch, 205 Seiten, 29,90 Euro.