Bis zu acht Meter lang kann der Darm eines Menschen sein. Manchmal müssen Ärzte ein Stück herausschneiden, zum Beispiel bei Darmkrebs oder wenn Verwachsungen vorliegen. Dabei kommt es in wenigen Fällen zu einer ernsten Komplikation, sagt der Chirurg Professor Dietmar Lorenz, Präsident der deutschen Gesellschaft für Viszeralchirurgie:
"Das Problem, was wir fürchten und was uns häufig beschäftigt, ist das Darmenden nicht zusammenheilen obwohl wir sie fachgerecht zusammengenäht haben. Das kommt je nach Lokalisation in unterschiedlichem Maße vor: Wenn man auf den Dickdarm geht, dann liegt das in der rechten Hälfte um die 5 Prozent und je weiter man in Richtung Schließmuskel geht liegt es um die 15 Prozent."
Wenn die Darmenden nach der Operation nicht zusammenheilen, kann der Inhalt des Darms in die Bauchhöhle gelangen – mit zum Teil schweren Konsequenzen. Der plastische Chirurg Professor Raymund Horch erinnert sich an seine Zeit in der allgemeinen Chirurgie:
"Je nachdem, wann das auftritt und bei welchem Patienten, sind das lebensbedrohliche Situationen mit schwersten Nebenerscheinungen. Bis hin zur sogenannten Sepsis, also Blutvergiftung und Atembeschwerden, das die Leute intubiert werden müssen, wieder nachoperiert werden müssen."
In manchen Fällen stirbt der Patient sogar. Raymund Horch, Direktor der plastischen und Handchirurgischen Uni Klinik in Erlangen, zählt auf, was bisher als mögliche Ursache dafür galt, dass manchmal die Darmenden schlecht zusammenwachsen:
"Entweder vom Patienten hervorgerufen, dass der verkalkte Gefäße hatte oder dort keine richtige Durchblutung oder das irgendetwas mit der Technik nicht gestimmt hat."
Das Mikrobiom reagiert auf die Operation
Das heißt: Zu stark am Faden gezogen, falsch genäht oder irgendein anderer Fehler des Chirurgen. Doch jetzt gibt es einen neuen Verdächtigen: Das Mikrobiom, die Gesellschaft von Bakterien und anderen Mikroorganismen im Darm. Sie nehmen die Operation als Reiz wahr und reagieren darauf. Dietmar Lorenz erläutert die Theorie genauer, mit der der amerikanische Wissenschaftler Professor John Alverdy einiges Aufsehen erregte:
"Dass sich bestimmte Bakterienarten bewegen im Darm, hin zu dem Ort der Verletzung, also der Darmnaht, und das eben manchmal – nicht immer, aber manchmal – sie aus harmlosen Darmbakterien zu gefährlichen 'Killerbakterien' – er nennt das so - werden."
Untersucht hat John Alverdy bisher das Bakterium Enterococcus faecalis. Normalerweise lebt es unauffällig im Darm, doch durch eine einzige genetische Veränderung wird es zum "Killerbakterium", wie Alverdy es nennt:
"Die Bakterien produzieren Kollagenasen, das sind Stoffe, die Kollagen aufschlüsseln können. Und die Heilung passiert dadurch, dass Kollagen gebildet wird. Und wenn man das neugebildete Kollagen auflöst, dann ist keine Heilung da."
So lösen die Bakterien die Darmnähte auf – mit schweren Konsequenzen. Bisher wurde diese Theorie nur an Tieren überprüft, erste Untersuchungen am Menschen beginnen gerade erst. Doch wie viele andere Chirurgen hält Lorenz die Theorie für höchst interessant:
"Es ist zumindest mal ein neuer Gedanke und dieser Gedanke ist sehr schlüssig am Tiermodell belegt und er ist auch sehr gut molekularbiologisch hinterlegt, also d.h. dieses Modell ist relativ sicher."
Auch wenn also die Forschung zu diesem Thema gerade erst beginnt: Die Hoffnungen sind groß. Wohl auch, weil die Konsequenzen der Komplikation so schwerwiegend sind, meint Raymund Horch.
"Das ist eigentlich schon für mich als Chirurg faszinierend, dass man diese schlimme Komplikation, die die Menschen dann kriegen, wenn ein Darm aufgeht, eine Darmnaht, möglicherweise doch in einem gewissen Prozentsatz zukünftig so weit runterfahren kann, dass das keine klinische Rolle mehr spielt. Also das wär ein fantastischer Fortschritt."