Depressionen gehören zu den häufigsten Erkrankungen. Dennoch ist nicht in allen Einzelheiten geklärt, wie sie entstehen und welche Ursachen dahinter stecken. Dass Darmbakterien bei der Entstehung von Depressionen eine Rolle spielen, mag nicht unbedingt naheliegend erscheinen. Doch schon 2019 hat ein Forscherteam im Fachblatt Nature Microbiology Hinweise dafür präsentiert, dass bestimmte Bakterienstämme im Darm von depressiven Menschen seltener vorkommen. Nun haben Wissenschaftler um Shaohua Hu von der Zhejang Universität in China diese Ergebnisse bestätigt. Und sich dabei auch genauer angesehen, wie das gesamte mikrobielle Ökosystem im Darm die mentale Gesundheit beeinflusst.
"In unserer Studie zeigen wir, dass bei Patienten mit depressiven Störungen das allgemeine Gleichgewicht des Ökosystems im Darm durcheinander geraten ist. Genauer gesagt das Miteinander von Bakteriophagen - das sind Viren, Bakterien und deren Stoffwechselprodukten. Das zeigt einmal mehr, dass die mentale Gesundheit und die des Darms zusammenhängen. Gleichzeitig könnte die Analyse der von den Bakterien gebildeten Substanzen helfen, depressive Erkrankungen zu diagnostizieren."
Bei Depressiven ist die Darmflora verändert
Shaohua Hu und sein Team untersuchten auch die Stoffwechselprodukte derjenigen Bakterien, deren Häufigkeit sich veränderte. Dabei zeigten sich bei Teilnehmenden mit depressiver Störung bestimmte Substanzen in höheren Konzentrationen, andere dagegen in geringeren Mengen. Welche Rolle die Stoffwechselprodukte bei der Entstehung depressiver Störungen spielen, ist noch unklar. Über die Blutbahn könnten sie aber auch das Gehirn erreichen und dort Stoffwechselprozesse beeinflussen. Für Mireira Valles-Collomer ergeben diese neuen Ergebnisse ein neues Puzzleteil, dass die Forschende nun in das Bild von der Entstehung depressiver Krankheiten einfügen können. Die Forscherin untersucht an der Universität von Trento in Italien, welchen Einfluss Darmbakterien auf Depressionen haben und war an der wegweisenden Studie von 2019 beteiligt.
"Wir wussten bereits, dass bei depressiven Menschen weniger Bakterien vorkommen, die so genannte kurzkettige Fettsäuren produzieren. Gleichzeitig werden Mikroben häufiger, die Entzündungen im Körper auslösen können. Das bestätigt auch die neue Studie der chinesischen Forscher. Und diese Untersuchung geht noch einen Schritt weiter, denn sie erforscht nicht nur, wie sich das Gleichgewicht der Bakterien verschiebt, sondern auch die Zusammensetzung von deren Stoffwechselprodukten sowie die Vielfalt an Viren und Pilzen, die ebenfalls im Darm leben."
Das Zusammenspiel von Darm und Gehirn ist komplex
Wie diese anderen mikrobiellen Darmbewohner das Ökosystem im Darm beeinflussen, beginnt die Wissenschaft gerade erst zu verstehen. Klar ist: Bestimmte Viren, so genannte Bakteriophagen, befallen Bakterien und töten diese. Gleichzeitig können sich harmlose Pilze, deren Wachstum normalerweise von Bakterien kontrolliert wird, nach einer Antibiotika-Behandlung so stark vermehren, dass sie Schaden im Körper anrichten. Indirekt könnten diese Mikroben die mentale Gesundheit also ebenfalls beeinflussen. Denn wenn bestimmte Darmbakterien seltener werden, gelangen weniger mikrobielle Stoffwechselprodukte in den Blutkreislauf, erklärt Mireira Valles-Collomer.
"Wir versuchen nun, mehr über die Mechanismen herauszufinden. Ein paar Hinweise gibt es aus unseren Untersuchungen. Bakterien und ihre Stoffwechselprodukte können nicht nur die Darmbarriere und die Blut-Hirn Schranke, also die Grenze zum Gehirn überwinden und dort ihre Wirkung entfalten. Sie können auch direkt den Vagusnerv, also das Nervensystem im Darm beeinflussen oder dafür sorgen, dass die Zellen in der Darmwand Stoffe freisetzen, die das Nervensystem beeinflussen. Und diese Kommunikation geht in beide Richtungen." Die Nervenzellen könnten also auch umgekehrt auf die Darmbakterien einwirken.
Probiotische Therapien gegen Depression werden erprobt
Interessant ist, dass keimfreie Mäuse, denen Forschende die Darmbakterien gestresster Artgenossen verpflanzt hatten, ihr Verhalten änderten und typische Symptome mentaler Verstimmungen zeigten. Das deutet darauf hin, dass die Bakterien Depressionen beeinflussen und nicht umgekehrt die Symptome dazu führen, dass sich die Zusammensetzung der Mikroben verändert. Es wäre demzufolge denkbar, depressiven Menschen die Bakterien von Gesunden zu verabreichen, um die Symptome zu behandeln. Zwar werden solche Stuhltransplantationen in Einzelfällen auch schon beim Menschen durchgeführt, die an chronischen Durchfallerkrankungen leiden. Doch Mireira Valles-Collomer rät zur Vorsicht. Sie möchte zunächst versuchen, einzelne Bakterienspezies im Darm depressiver Menschen zu ersetzen.
"Wir versuchen nun, Therapien zu entwickeln, in denen wir Bakterien einsetzen. Zumindest bei einem Teil der Patienten mit Depressionen beobachten wir, dass vor allem Bakterien vorkommen, die Entzündungen auslösen. Und das stellen wir auch sehr häufig bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen fest. Deswegen glauben wir, dass es einen Versuch wert ist, die Bakterien zu beeinflussen, um zu sehen, ob die Entzündungsreaktionen abnehmen."
So könnten die Forscher diejenigen Bakterien ersetzen, die bei depressiven Menschen im Vergleich zu Gesunden seltener werden. Erste Versuche dazu laufen bereits.