Ein Gewerbegebiet in der südhessischen Gemeinde Riedstadt, nicht weit von Darmstadt. Weiß gestrichene, mehrstöckige Flachbauten hinter einem Zaun. Am geöffneten Tor zum Gelände ein Schild, darauf Schriftzüge in Arabisch und Deutsch: Jamia Ahmadiyya Deutschland. Institut für islamische Theologie und Sprache. Pfeile weisen den Weg zum Institut und zum Studenten-Wohnheim. Die große Eingangshalle des Hauptgebäudes wird dominiert durch ein mehrere Meter hohes Wandbild mit einem arabischen Text in der Mitte:
"Das ist eine arabische Kalligrafie von einem Gebet aus dem heiligen Koran. Und der arabische Satz bedeutet übersetzt: O Herr, mehre mein Wissen."
Ausbildung zu Imamen
Iftekar Ahmad ist einer von rund 100 Männern, die hier zu Imamen ausgebildet werden. Frauen gibt es hier nicht. Die Ahmadiyya-Bewegung bezeichnet sich zwar selbst gern als Reformbewegung, doch dass Frauen als Imaminnen tätig werden wie in manchen liberalen Moscheevereinen, lehnt die Ahmadiyya-Bewegung ab. Man sei liberal, aber gleichzeitig auch wertkonservativ, sagt Abdullah Uwe Wagishauser, der Vorsitzende der Gemeinschaft in Deutschland. Demnächst gibt es allerdings in Europa so etwas wie ein kleines Theologiestudium der Ahmadiyya-Gemeinschaft für Frauen, erklärt Wagishauser:
"Wir haben das in Kanada schon, wo junge Frauen dann auch theologisch und sprachlich geschult werden. Das wird nicht ganz so ausgiebig gemacht. Das wird in einem dreijährigen Kurs gemacht anstatt sieben Jahren. Das ist einfach der Situation geschuldet, dass Frauen nicht als Imaminnen arbeiten. Weil sie dann halt auch mehr diese Familienaufgaben übernehmen."
Einige Jahre Theologiestudium – doch dann wieder Familienaufgaben übernehmen? Das klingt nicht nach einem modernen Frauenbild. Tariq Hübsch ist am Riedstädter Theologie-Institut der Ahmadiyya-Bewegung für die Vermittlung der deutschen Kulturgeschichte verantwortlich. Hübsch spielt die Bedeutung der Frauenfrage insgesamt herunter:
"Das heißt, auch das Geschlechterverhältnis ist so aufgebaut, dass man dazu in der Lage ist, Gott zu erreichen. Und wenn es verschiedene Rechte und Pflichten gibt, wenn es da Differenzen gibt, hat das nicht mit spirituellen Dimension zu tun. Sondern es geht nur darum, dass man eine Gesellschaft schafft, die dazu befähigt, dass sowohl Mann und Frau auf die beste Weise Spiritualität erlangen."
Frauen dürfen nur kürzer studieren als Männer
Frauen dürfen nur kürzer studieren als Männer. Die durchweg männlichen Ahmadiyya-Sprecher sehen darin kein Problem: Frauen könnten Gott eben auch so erreichen und sich um die Familie kümmern. Gleichberechtigung ist das nicht. Abdullah Uwe Wagishauser, ein ehemals Studentenbewegter und Kommunarde, der später zum Islam konvertiert ist, bringt noch andere Argumente, mit denen er belegen will, warum aus seiner Sicht Frauen im Islam keine Vorbeterinnen sein sollten:
"Vorbeterinnen geht aus praktischen Gründen nicht. Ich weiß nicht, ob sie das Gebet schon mal erlebt haben, wie das funktioniert, das ist ja eine sehr körperlich betonte Angelegenheit. Viele Frauen sagen einfach: In ihrer Haltung, wenn sie mit der Stirn auf dem Boden liegen möchten sie nicht, das Männer, die sie nicht kennen, hinter ihnen sind. Da gibt es viele Situationen, wo ein gemischtes Gebet nicht statthaft ist, einfach, weil man sich nicht auf das Spirituelle, auf Gott konzentrieren kann. Also es gibt gewisse spirituelle Gründe, dass es keine Vermischung der Geschlechter in solchen Situationen gibt."
Körperliche Züchtigungen von Frauen durch Männer, wie sie der Koran unter bestimmten Bedingungen erlaubt und Salafisten sie propagieren, lehnt die Ahmadiyya-Bewegung ab. Man wolle zwar keine Koranverse aufgeben, so der Tenor der Gesprächspartner in Riedstadt. Aber, so Abdullah Uwe Wagishauser, "wir haben auch das lebendige Buch im Leben des Propheten. Wir wissen vom Propheten, dass er nie eine Frau oder ein Kind geschlagen hat und er mit seinem Beispiel einfach leuchtet. Der Gründer der Ahmadiyya-Gemeinschaft hat auch nie eine Frau geschlagen und er kann sich nicht die Abartigkeit von Menschen vorstellen, die ihre Frau schlagen."
Ablehnung von Gewalt gegen Frauen und Kinder
Keine Gewalt gegen Frauen und Kinder also. Wie ist dann aber der Darmstädter sogenannte Ehrenmord in der Ahmadiyya-Gemeinschaft zu erklären?
"In der Tat haben wir schon ein Problem mit den älteren Generationen, die aus dem indo-pakistanischen Subkontinent kommen. Die Muslime haben dort mit Hindus lange zusammengelebt. Da gibt es ein katastrophales Frauenbild. Also nicht nur patriarchalisch, sondern auch menschenunwürdig. Sie kennen auch diese hinduistischen Traditionen, dass, wenn der Mann stirbt, die Frau verbrannt wird. Also extreme Situationen, die man da kennt."
Auch Kastendenken sei in Problem bei Ahmadiyya-Mitgliedern, die aus Pakistan stammen und vom Hinduismus beeinflusst seien, so Wagishauser. Eheschließungen über die Grenzen bestimmter Kasten und Stämme hinweg seien sogar für in Deutschland aufgewachsene Mitglieder der Gemeinschaft manchmal ein Problem, weil die Eltern oder Großeltern intervenieren, beobachtet der deutsche Ahmadiyya-Vorsitzende:
"Wir sind dabei, jetzt eine Schulung vorzubereiten für alle Amtsinhaber. Angefangen vom Kopf, von oben. Angefangen bei meiner Amla, meinem Gremium, wo bestimmte Bereiche abgedeckt sind. Aber auch in der Jugendorganisation. Die Imame werden durch diese Schulungen noch mal geschickt, um noch mal dies deutlich zu machen, dass das nun wirklich überhaupt nichts mit Religion zu tun hat. Sondern dass das Traditionen sind, die wir zu überwinden haben."
In wenigen Wochen wird in Darmstadt der Gerichtsprozess gegen das Amadiyya-Elternpaar beginnen, dem die Tötung ihrer Tochter vorgeworfen wird. Dann muss Abdullah Uwe Wagishauser wohl wieder in viele Mikrofone hinein wortreich erklären, dass solche patriarchalen Gewaltexzesse gegen Frauen nichts mit der Theologie zu tun haben, die im Riedstädter Zentrum der Ahmadiyya vermittelt wird – auch künftig wohl nur Männern.