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Darstellung von Gewalt gegen Frauen im TV
Jung, schön, ermordet

Im deutschen Fernsehen wird Gewalt gegen Frauen noch immer oft klischeehaft und einseitig dargestellt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie. Vor allem Krimis prägen einen Blick auf die Welt, der mit der Wirklichkeit oft nur wenig zu tun hat. Erst langsam tut sich was.

Von Michael Borgers |
Die Füße einer Frau, davor eine Blutlache
Die Füße einer Frau, davor eine Blutlache - ein Agenturbild, das auch einem Krimi entstammen könnte (imago/Westend61)
Dorothee Schön kennt das Filmgeschäft schon lange. Als sie zum ersten Mal mit dem Bayerischen Rundfunk zu tun hatte, gab es noch nicht Batic und Leitmayr, das inzwischen dienstälteste Kommissaren-Team im BR-„Tatort“. Sie habe damals, Anfang der 1990er-Jahre, eine Ermittlerin vorgeschlagen, erinnert sich die Drehbuchautorin gegenüber dem Deutschlandfunk. Doch das sei zu der Zeit in dem öffentlich-rechtlichen Sender „undenkbar“ gewesen. 
„Tatort“-Autorin wurde Schön dennoch. Insgesamt 17 Folgen des ARD-Kultkrimis schrieb sie bis heute, für den BR und andere Anstalten. Dazu jede Menge weitere Filme und Serien. In Wikipedia ist die Liste der Auszeichnungen, die sie für ihre Arbeit erhalten hat, beinahe so lang wie die ihres Werks. Geschichten, in denen es oft auch um Mord und Totschlag ging.

„Filme, die von männlichen Phantasien geprägt sind“

Ihr Blick auf die Art und Weise, wie sie das Thema beschreibt, habe sich verändert, sagt die 60-Jährige. „Ich habe mein eigenes Problembewusstsein geschärft über die Jahre.“ Und hat dabei festgestellt, dass es nicht damit getan ist, wenn Frauen für mehr Drehbücher verantwortlich sind.
IN DER FAMILIE 1/2, Buch Bernd Lange, Regie Dominik Graf, Produktion X Filme Creative Pool am Sonntag (29.11.20) um 20:15 Uhr im ERSTEN. Ermitteln gemeinsam in Dortmund: der Münchner Kommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) mit seinen Kolleg*innen Jan Pawlak (Rick Okon), Martina Bönisch (Anna Schudt) und Nora Dalay (Aylin Tezel, v.l.n.r.).
Inzwischen begegnen sich Frauen und Männer im "Tatort" auf Augenhöhe - bei der Besetzung der Ermittlerrolle (Bild: WDR/Frank Dicks)
Auch Autorinnen und Regisseurinnen würden auf Klischees zurückgreifen, so Schön. „Wir haben auch als Autorinnen Filme gesehen, die von männlichen Phantasien geprägt sind.“ Und die das Genre weiterhin prägten. „Wenn man das einfach so übernimmt, ist das immer die same old story. Und es ändert sich nichts.“
Eine aktuelle Studie beschreibt die Folgen davon. Forscherinnen der Unis Wismar und Rostock haben 2020 ferngesehen, acht TV-Sender zwischen 18 und 22 Uhr, Fiktionales genau wie Nachrichtliches. Beauftragt wurden sie vom Filmunternehmen UFA und der MaLisa Stiftung der Schauspielerin Maria Furtwängler. Ihr Augenmerk: Wie wird Gewalt abgebildet? Und die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Darstellung bei Frauen und Männern unterscheidet. Und eben das auch ein Problem für die Gesellschaft ist.

Studie über „geschlechtsspezifische Gewalt"

Überdurchschnittlich oft komme explizite und schwere Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Fiktion vor, "also Programmen, denen ein Drehbuch zugrunde liegt", sagte Christine Linke, Kommunikationswissenschaftlerin und eine der Autorinnen, im Deutschlandfunk - und dort besonders im Genre Krimi. Die Studie spricht von „geschlechtsspezifischer Gewalt“. Und stellt fest, die Perspektive von Betroffenen und Opfern werde dabei nur selten in den Mittelpunkt gerückt. 
In anderen nicht-journalistischen Formaten, wie Dokumentationen aus dem Genre True Crime und in Daily-Soap sowie Scripted-Reality, würden darüber hinaus entweder „Sexualisierung und Stereotypisierungen“ oder „missbräuchliche Inszenierungen und Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt“ sichtbar.

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„Der männliche Blick ändert sich immer mehr“

Junge Frauen als Gewaltopfer, teilweise romantisierend in eine Liebesbeziehung eingebettet, den Blick auf die Folgen einer solchen Dynamik außen vorlassend – auch Janna Nandzik hat fiktionales Fernsehen so lange erlebt. „Tatsächlich wird ein Machtgefälle fetischisiert“, so schildert die die Drehbuchautorin ihre Eindrücke gegenüber dem Deutschlandfunk. Diese Darstellung ist durch  jahrzehntelang internalisiertes Patriarchat geprägt, so Nandzik. Doch das breche gerade auf.
Auch in Deutschland setze sich das Konzept des „Writers‘ Room“ durch, in dem in "immer diverser und queerer besetzten Autor:innengruppen Geschichten von Beginn aus mehreren Perspektiven durchleuchtet und entwickelt" würden.
 „Das heißt, der männliche, hetero-normative Blick wird immer mehr abgelöst. Gott sei Dank“, beschreibt Nandzik ihre Eindrücke.

„Weiterhin dicke Bretter bohren“

Dorothee Schön ist da weniger zuversichtlich. Studien wie die aktuelle würden in ihrer Branche zwar zur Kenntnis genommen, und dennoch ändere sich kaum etwas. Beispielsweise sei nach einer Untersuchung zur Geschlechterdarstellung in TV und Kino vor einigen Jahren die Auftragslage für Autorinnen sogar zurückgegangen, beobachtet die „Tatort“-Autorin. Diese Studie wurde, so wie die aktuelle auch, von Maria Furtwängler mitinitiiert, also einer "Tatort"-Ermittlerin. 
Ihr Eindruck sei manchmal, so Schön: Wenn eine Filmfirma eine Regisseurin eingestellt hat, werde nicht noch zusätzlich auch noch eine Drehbuchautorin beschäftigt. Nach dem Motto: „Die Alibi-Frau gibt es dann, damit man sich besser fühlt.“ Ein Umdenken in der Filmbranche passiere „so schnell nicht“, so Schön. „Und da muss man weiterhin dicke Bretter bohren.“