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Darwins Rechenknechte

Informationstechnik. - Nicht immer ist eine kühl und rational bedachte Konstruktion auch die wirklich beste. Die Natur verfolgt dagegen einen schlichten Weg zum Optimalen - stetes Probieren und Verwerfen. Auch Ingenieure greifen diese Methode auf - und zwar mit speziellen Programmen.

Von Andrea Vogel |
    Würden Sie es dem Zufall überlassen wollen, wie die Turbine Ihres Flugzeugs aufgebaut ist? Die Firma Honda tut genau das. Natürlich kleben die Honda-Ingenieure nicht einfach ein paar Blechteile zusammen und hoffen, dass damit ihr Flieger in der Luft bleibt. Sondern sie benutzen evolutionäre Algorithmen, also grob gesagt Computerprogramme, die Probleme lösen nach dem Vorbild der Darwinschen Evolution. Dieser Prozess, in dem die Schwachen aussterben und die Starken überleben und sich weiter entwickeln, kann nicht nur vielfältiges biologisches Leben hervor bringen, sondern auch handfeste technische oder Alltagsprobleme lösen.

    Bei Honda hat man – wie bei den meisten anderen Flugzeugbauern wohl auch – großes Vertrauen in klassische Ingenieurkunst. Darum dürfen Forscher wie Dr. Bernhard Sendhoff, Chief Technology Officer am Honda Research Institute Europe, auch nicht die ganze Turbine neu erfinden, sondern nur einen winzigen Teil:

    "Wir haben Erfahrung in der Optimierung von Statorblättern, die, die sich in einer Turbine nicht drehen, sondern den Luftstrom so umleiten, dass er optimal auf die Rotorblätter trifft - das sind die, die sich in der Turbine bewegen."

    Die genaue Form dieser Blätter ist enorm wichtig für die Leistungsfähigkeit und auch für die Lebensdauer der Turbine. Leider kann man die Güte der Blätter nicht in einem einzigen Wert beschreiben. Mindestens zwei müssen es schon sein: Druckverlust und Gleichmäßigkeit der Druckverteilung. Leider gilt hier: Ein Blatt, bei dem der Druckverlust besonders gering ist, erzeugt eine eher ungünstige Druckverteilung. Und umgekehrt. Und jetzt?

    "Ich weiß gar nicht, was besser ist, das eine oder das andere. Und ich möchte jetzt all die Lösungen sammeln, von denen ich weiß: Es gibt keine Lösung, die in beiden Kriterien besser ist. Man kann das als die Tradeoff-Lösungen bezeichnen."

    Viele verschiedene optimale Lösungen also. Und hier kommt die Evolution ins Spiel. Sendhoff und seine Kollegen bringen dem Computer bei, die Statorblätter als eine Art Spezies zu betrachten. Diese Spezies pflanzt sich fort. Natürlich nur im Computermodell. Statorblätter-Eltern bekommen kleine Statorblätter-Kinder: Ihnen ähnlich, aber doch mit kleinen zufälligen Unterschieden. Aus diesen Familien sucht der Computer die besten Individuen aus: Er lässt diejenigen Blätter "überleben" die in der Turbine den geringsten Druckverlust und die beste Druckverteilung erzeugen würden.

    Nach vielen Generationen digitaler Evolution kristallisiert sich dann eine Gruppe optimaler Statorblätter heraus. Und für jedes einzelne dieser Blätter gilt: Jedes Blatt, das ein Kriterium besser erfüllt, ist bei dem anderen notwendig schlechter. Welches Blatt es dann letztendlich sein soll, das kann das Computerprogramm nicht entscheiden. Hier ist wieder die klassische Ingenieurkunst der Turbinen-Bauer gefragt:

    "Kein Anwender glaubt einer Computersimulation, das heißt man muss den Test im Windkanal machen und dann schauen, wo was gut ist. Aber ich hoffe sehr, dass es irgendwann mal fliegt, und ich verspreche auch, dass ich mich in das Flugzeug setze, das mit unserem Turbinenblatt fliegt. "