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Das älteste Gewerbe der Welt

"Selling Sex in the City" heißt ein Forschungsprojekt des Amsterdamer Instituts für Sozialgeschichte. In 25 Hafenstädten weltweit haben Forscher die Geschichte der Prostitution erzählt - von Istanbul bis Schanghai. Ein Ergebnis: Für die meisten Herrschenden war die Prostitution eine wichtige Einnahmequelle.

Von Kay Müllges |
    Sie gehören zu den Hafenstädten, wie die Masten und die Kräne: die Rotlichtviertel, die leichten Mädchen und die käufliche Liebe. Diese Städte sind denn auch der Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt "Selling Sex in the city" erklärt der Historiker Lex Heerma van Voss vom Internationalen Institut für Sozialgeschichte.

    "Wir haben weltweit Leute gebeten, uns eine Geschichte der Prostitution aus der Stadt zu liefern, mit der sich ihre eigene wissenschaftliche Arbeit befasst. Wir haben jetzt 25 solcher Geschichten von Shanghai bis Amsterdam oder von Rio de Janeiro bis Rom. Und wir sind jetzt hier, um die Ergebnisse miteinander zu vergleichen".

    Die auffälligste Gemeinsamkeit: Behörden überall auf der Welt und zu allen Zeiten mischen sich in die Prostitution ein. Begnügten sich manche mit relativ laxen Kontrollen der Prostitution, die im Wesentlichen dazu dienten, die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten zu verhindern, konnte der Staat in anderen Ländern und zu anderen Zeiten durchaus sehr viel tiefer eingreifen. Im osmanischen Istanbul beispielsweise gab es strenge Regelungen, wonach ein Muslim keinesfalls mit einer christlichen oder jüdischen Prostituierten verkehren dürfte, auch die Arbeitsorte waren klar aufgeteilt: Ungläubige Liebesdienerinnen arbeiteten auf der europäischen Seite, muslimische auf der anatolischen der Stadt am Bosporus. Noch weiter ging die staatliche Kontrolle in China, meint Sue Groenevold, Historikerin an der Kean University in New Jersey.

    "Prostitution wurde nicht als Sünde betrachtet. Keinesfalls. Es war etwas, das Frauen aus ökonomischen Gründen taten. Und der Staat wusste das, akzeptierte es und regulierte es."

    Lange Zeit war Prostitution in China deshalb regelrecht eine Angelegenheit des Staates. Prostituierte arbeiteten – als Staatsangestellte – in staatlichen Bordellen. Etwa seit der Mingdynastie im 17. Jahrhundert begnügte sich der Staat dann mit einer mehr nur regulierenden Rolle, aber auch die war noch stark. Sue Groenevold:

    "Es gibt ein Lizenzierungssystem. Die Frauen waren in Bordellen, es gab wenig oder gar keine Straßenprostitution, die Frauen waren also in Bordellen, Teehäusern oder Ähnlichem. Sie hatten eine Lizenz, sie wurden besteuert, sie waren auf eng begrenzte Sperrbezirke beschränkt. Und der Staat hatte überall seine Finger drin, bis die Kommunisten an die Macht kamen."

    Wie wichtig die Einkünfte aus den Bordellen und Teehäusern für die örtlichen Behörden waren, zeigt der Fall des Warlords Feng Yuxiang im Nordchina der 1920er-Jahre. Unter dem Einfluss christlicher Missionare verbot er zunächst die Prostitution in seinem Herrschaftsbereich, nur um wenig später einsehen zu müssen, dass er ohne diese Einnahmequelle nicht in der Lage war, seine Soldaten zu bezahlen.

    Die aktuelle Diskussion über Prostitution in Deutschland konzentriert sich stark auf die Rolle krimineller Menschenhändler, die beispielsweise junge, arme Frauen aus Osteuropa mit falschen Versprechungen in die Bundesrepublik schleusen und sie hier unter unmenschlichen Bedingungen zur Prostitution zwingen. Dennoch greife diese Diskussion global gesehen zu kurz, meint Lex Heerma van Voss:

    "Politiker und andere, die sich an den aktuellen Debatten beteiligen, sehen Prostitution gerne als einen so furchtbaren Job, das man ihn nur machen kann, wenn man dazu gezwungen wird. Ich aber denke, dass die historische Forschung zeigen kann, dass erstens sie das auch schon früher gedacht haben und es auch früher schon falsch war, und deshalb unwirksame Gesetze gemacht haben, die auf dieser falschen Annahme beruhten und zweitens, dass es aufgrund der historischen Erfahrungen extrem unwahrscheinlich ist, dass heute die große Mehrheit der Prostituierten zu ihrem Job gezwungen wird."

    Eine kühne These, die der Historiker da aufstellt. Und er geht noch einen Schritt weiter und bezeichnet die Interpretation früherer Untersuchungen als falsch, wie zum Beispiel eine Studie des Völkerbundes aus den 1920er-Jahren. Die stellte fest, dass viele europäische Prostituierte in großen lateinamerikanischen Städten arbeiteten, und zog daraus den Schluss, dass diese Frauen dazu gezwungen sein müssten, weil keine weiße, europäische Frau sich freiwillig mit einem Lateinamerikaner einlassen würde. Das Gegenteil sei richtig, meint Lex Heerma van Voss:

    "Diese Frauen verdienten dort als Prostituierte einfach besser. Sie waren schon vorher in Europa Prostituierte gewesen. Das war einfach ein Markt. Sie waren in Rio mehr wert als in Paris und gingen einfach dorthin, wo ihre Marktposition besser war."

    Die Argumentation, dass Prostituierte ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen auswanderten, scheint simpel. Eine ebenso große Rolle dürften beispielsweise Probleme mit den Behörden gespielt haben. Die Historikerin Nicole Keusch von der Goethe-Universität Frankfurt hat einen wenig bekannten Fall aus Sansibar aufgespürt. Dort landeten um 1870 einige erste und wenige Prostituierte aus Japan.

    "Afrika war oft so ein bisschen der letzte Punkt, wo sie hin sind, weil dort die Regierung sie in Ruhe gelassen hat. Also die meisten Frauen waren vorher in Singapur gewesen, sind dort ausgewiesen worden. Sind dann weiter, zum Beispiel in Richtung Borneo oder ähnliche Orte und haben da wieder Probleme bekommen. Und in Afrika waren sie relativ frei, einfach weil die japanische Regierung sich nicht mehr für die wenigen Damen in Afrika interessiert hat. Und die afrikanischen Regierungen, beziehungsweise die kolonialen Regierungen, die es da vor Ort gab, sich auch nicht damit befasst haben, weil es auch nicht in dieses Rassenmuster letztendlich hineinfiel."

    In einem solchen Schutzraum konnte dann über fünfzig Jahre lang beispielsweise die Japanese Bar auf der Insel Sansibar florieren. 15 bis 20, traditionell in Kimonos gekleidete Japanerinnen boten dort ihre Dienste den durchreisenden Matrosen an. Viele der ehemaligen Prostituierten aus der Japanese Bar begannen übrigens nach ihrer Zeit dort eine zweite Karriere als Import-Export-Kauffrauen, hat Nicole Keusch herausgefunden. Behilflich waren ihnen dabei ihre zuvor im Hafen Sansibars geknüpften Kontakte und ihre eigene hervorragende Landeskenntnis.