Film ab, Kamera läuft. Zwei junge Männer bewegen sich durch die Kulisse. Es sind die letzten Drehtage auf dem weitläufigen Gelände einer großen portugiesischen Telenovela-Produktionsgesellschaft rund 20 Kilometer nördlich von Lissabon.
In einem unbenutzten Studio sitzt der Schauspieler Sabri Lucas an einem Tisch und bereitet sich auf seine Rolle vor: Kurze schwarze Haare, große braune Augen, ein kleiner Silberring im linken Ohr.
An manchen Tagen nehme er 20 bis 30 verschiedene Szenen auf, erzählt der 38-Jährige: fast ohne Vorbereitung und alles unter großem Zeitdruck. Das sei nicht ideal, sagt Lucas. Aber er weiß, dass er und viele seiner Kollegen ohne die Telenovela-Produktionen in Portugal nur ganz schwer über die Runden kommen würden:
"Das ist eine ganz harte Schule hier. Und man wächst daran. Man wird sicherer, ausdrucksstärker, dynamischer. Wenn du das hier schaffst, kannst du jeden Job erledigen. Wir leben nun mal in einer Welt, in der nur ganz wenige Privilegierte das Glück haben, sich ihre Rollen aussuchen zu können und damit sehr viel Geld verdienen."
An manchen Tagen nehme er 20 bis 30 verschiedene Szenen auf, erzählt der 38-Jährige: fast ohne Vorbereitung und alles unter großem Zeitdruck. Das sei nicht ideal, sagt Lucas. Aber er weiß, dass er und viele seiner Kollegen ohne die Telenovela-Produktionen in Portugal nur ganz schwer über die Runden kommen würden:
"Das ist eine ganz harte Schule hier. Und man wächst daran. Man wird sicherer, ausdrucksstärker, dynamischer. Wenn du das hier schaffst, kannst du jeden Job erledigen. Wir leben nun mal in einer Welt, in der nur ganz wenige Privilegierte das Glück haben, sich ihre Rollen aussuchen zu können und damit sehr viel Geld verdienen."
Von Mosambik nach Lissabon
Privilegiert fühlt sich aber auch Sabri Lucas. Er ist einer der ganz wenigen Schauspieler mit afrikanischen Wurzeln, die es in Portugal regelmäßig ins Fernsehen oder auf die große Leinwand schaffen. Lucas erzählt, wie er mit zwei Jahren aus Mosambik nach Lissabon kam. Seine Familie war vor dem Bürgerkrieg geflohen, der in der ehemaligen portugiesischen Kolonie in Südostafrika seit der Unabhängigkeit in den 70er-Jahren herrschte. Lucas' Vater war Abgeordneter der stärksten politischen Partei und ehemaligen Befreiungsbewegung Frelimo. Doch in Lissabon zeigte sich, wie sehr er die Machtverhältnisse zwischen Kolonie und Kolonialmacht verinnerlicht hatte:
"Für viele Schwarze ist der weiße Mann immer noch der Chef. Es herrschen weiterhin sehr viele Vorurteile zwischen Schwarzen, Mulatten und Weißen. Mein Vater ist fast 90 Jahre alt. Aber wenn er im Bus sitzt und ein Weißer kommt rein, dann steht er auf und bietet seinen Sitz dem Weißen an. Man kann sagen: Er ist einfach ein höflicher Mensch; aber das trifft es nicht, wenn wir über einen fast 90-jährigen Schwarzen reden. Ich kann das nicht verstehen, warum er das macht. Aber das alte Denken sitzt in ihm fest. Es ist das Denken aus der Zeit, als das autoritäre Regime in Portugal das Sagen hatte."
"Für viele Schwarze ist der weiße Mann immer noch der Chef. Es herrschen weiterhin sehr viele Vorurteile zwischen Schwarzen, Mulatten und Weißen. Mein Vater ist fast 90 Jahre alt. Aber wenn er im Bus sitzt und ein Weißer kommt rein, dann steht er auf und bietet seinen Sitz dem Weißen an. Man kann sagen: Er ist einfach ein höflicher Mensch; aber das trifft es nicht, wenn wir über einen fast 90-jährigen Schwarzen reden. Ich kann das nicht verstehen, warum er das macht. Aber das alte Denken sitzt in ihm fest. Es ist das Denken aus der Zeit, als das autoritäre Regime in Portugal das Sagen hatte."
"Der Frust, der sich anstaut, ist riesengroß"
Als Sabri Lucas aufwuchs, versuchte er in der Welt zwischen schwarz und weiß seinen eigenen Weg zu finden. Lucas lebte in Massamá, eine der vielen Trabantenstädte an der S-Bahn-Linie nach Lissabon. Das sei kein Ghetto gewesen, sagt er, sondern eine relativ ruhige Gegend. Und trotzdem waren die Vorurteile für Sabri Lucas und seine Freunde Sandro und Sadjo sehr stark spürbar gewesen. Jahre später erfuhr Lucas, dass seine beiden Kumpels zum Islamischen Staat übergetreten waren und vor ein paar Jahren in Syrien ums Leben kamen:
"Der Frust, der sich anstaut, ist riesengroß, aber wir haben nicht darüber geredet. Es war sehr einfach, wütend zu werden. Stellt dir vor: Irgendwo war eine Party. Und an der Tür sagen sie: Sabri, du kannst rein, du bist Mulatte. Aber Sadjo – du musst draußen bleiben, du bist zu dunkel. Sadjo wurde ausgegrenzt, und diese Erfahrungen musste er immer wieder machen. Irgendwann hat er dann ein Ventil gefunden, das alles rauszulassen. Er traf jemanden, der ihm gesagt hat: Du bist wichtig für uns. Wir glauben an dich. Und das kam bei Sadjo an. Denn er lebte in einer Gesellschaft, wo niemand mit ihm sprach, und in der die Leute mit dem Finger auf ihn zeigten, wenn irgendetwas in der Nachbarschaft passierte. Egal, ob er es war oder nicht."
"Der Frust, der sich anstaut, ist riesengroß, aber wir haben nicht darüber geredet. Es war sehr einfach, wütend zu werden. Stellt dir vor: Irgendwo war eine Party. Und an der Tür sagen sie: Sabri, du kannst rein, du bist Mulatte. Aber Sadjo – du musst draußen bleiben, du bist zu dunkel. Sadjo wurde ausgegrenzt, und diese Erfahrungen musste er immer wieder machen. Irgendwann hat er dann ein Ventil gefunden, das alles rauszulassen. Er traf jemanden, der ihm gesagt hat: Du bist wichtig für uns. Wir glauben an dich. Und das kam bei Sadjo an. Denn er lebte in einer Gesellschaft, wo niemand mit ihm sprach, und in der die Leute mit dem Finger auf ihn zeigten, wenn irgendetwas in der Nachbarschaft passierte. Egal, ob er es war oder nicht."
Ein Leben zwischen den Kulturen
Sabri Lucas fand ein anderes Ventil. Er lernte Akrobatik, Artistik und Schauspielkunst in der liberalen Lissabonner Zirkusschule Chapitô:
"Bis zum Beginn meiner künstlerischen Ausbildung hatte ich keinen einzigen schwarzen Lehrer. Ich hatte viele weiße Lehrer, vor allem in der Zirkusschule, die sich gegen diese Welt der Vorurteile wehrten. Sie haben mich wie einen Sohn aufgenommen. Das war damals nicht normal. Sie haben mir gesagt: Hol deine Leichen aus dem Schrank. Öffne dich. Wenn du dich öffnest, dann verstehst du dich besser, und wenn du dich besser selbst verstehst, dann wirst du ein viel besserer Künstler sein.
Das Leben zwischen den Kulturen, sagt Sabri Lucas, sei Teil seiner Identität geworden. Afrika hier, Europa dort. Und deshalb fühle er sich gerade in Portugal so wohl. Denn die Portugiesen lebten selbst in einer Welt voller Gegensätze:
"Die große Mehrheit der Portugiesen, die im Kolonialkrieg kämpfte, wollte nicht in den Krieg ziehen. Und als die Soldaten nach Portugal zurückkamen, musste sie ihre traumatischen Erfahrungen verarbeiten. Und sie taten das im Kreis der Familie. Die Erfahrungen waren vielschichtig. Es gab Männer, die den Krieg, den sie führten, verabscheuten. Andere hatten uneheliche Söhne in Afrika, die sie zurücklassen mussten. Gleichzeitig gab es viele wunderschöne Lieder über die Zeit. Und die Portugiesen fingen an, über all das zu reden. Offen, am Esstisch, bei einem Glas Wein. Sie haben geweint und haben gelacht, haben dir alles erzählt, haben dich umarmt und haben dich gleichzeitig angespuckt."
Im Fernsehstudio führt Lucas durch die Kulisse seiner Telenovela. Er zeigt auf einen Schreibtisch, an dem er in der Rolle eines Kripo-Chefinspektors einen Fall bearbeitet. Und er gibt zu: Er kenne eigentlich keinen schwarzen Kommissar in Portugal. Lucas lächelt: Die Welt der Fiktion scheint manchmal schon ein Stück weiter zu sein als die Wirklichkeit.
"Bis zum Beginn meiner künstlerischen Ausbildung hatte ich keinen einzigen schwarzen Lehrer. Ich hatte viele weiße Lehrer, vor allem in der Zirkusschule, die sich gegen diese Welt der Vorurteile wehrten. Sie haben mich wie einen Sohn aufgenommen. Das war damals nicht normal. Sie haben mir gesagt: Hol deine Leichen aus dem Schrank. Öffne dich. Wenn du dich öffnest, dann verstehst du dich besser, und wenn du dich besser selbst verstehst, dann wirst du ein viel besserer Künstler sein.
Das Leben zwischen den Kulturen, sagt Sabri Lucas, sei Teil seiner Identität geworden. Afrika hier, Europa dort. Und deshalb fühle er sich gerade in Portugal so wohl. Denn die Portugiesen lebten selbst in einer Welt voller Gegensätze:
"Die große Mehrheit der Portugiesen, die im Kolonialkrieg kämpfte, wollte nicht in den Krieg ziehen. Und als die Soldaten nach Portugal zurückkamen, musste sie ihre traumatischen Erfahrungen verarbeiten. Und sie taten das im Kreis der Familie. Die Erfahrungen waren vielschichtig. Es gab Männer, die den Krieg, den sie führten, verabscheuten. Andere hatten uneheliche Söhne in Afrika, die sie zurücklassen mussten. Gleichzeitig gab es viele wunderschöne Lieder über die Zeit. Und die Portugiesen fingen an, über all das zu reden. Offen, am Esstisch, bei einem Glas Wein. Sie haben geweint und haben gelacht, haben dir alles erzählt, haben dich umarmt und haben dich gleichzeitig angespuckt."
Im Fernsehstudio führt Lucas durch die Kulisse seiner Telenovela. Er zeigt auf einen Schreibtisch, an dem er in der Rolle eines Kripo-Chefinspektors einen Fall bearbeitet. Und er gibt zu: Er kenne eigentlich keinen schwarzen Kommissar in Portugal. Lucas lächelt: Die Welt der Fiktion scheint manchmal schon ein Stück weiter zu sein als die Wirklichkeit.