Archiv

Das afrikanische Lissabon (3/5)
Die Träume der alten portugiesischen Militärs

Einmal in der Woche treffen sich in Lissabon ehemalige Militärs, um über den Kolonialkrieg in Afrika zu diskutieren - und zuweilen auch mal nostalgisch zu werden. Der Umgang mit dem Krieg und seinen Folgen ist für die portugiesische Bevölkerung weiterhin schwierig.

Von Tilo Wagner |
    Die Samora-Machel-Statue auf dem Platz der Unabhängigkeit in Maputo, der Hauptstadt von Mosambik
    Der Platz der Unabhängigkeit in Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, das bis 1975 portugiesische Kolonie war (Leonie March)
    In einem herrschaftlichen Saal im zweiten Stock eines Lissabonner Stadtpalastes öffnet Oberst Vasco Valdez die Glastür eines Holzschranks. Er zieht einen der 31 dicken Bände über den portugiesischen Kolonialkrieg in Afrika heraus und liest die Personalien eines gefallen Kameraden vor: Geburtsdatum, letzter Wohnsitz, Einsatzort, Todesursache. Rund 8500 Namen stehen in dem Buch – so viele portugiesische Soldaten sind in den Jahren zwischen 1961 und 1974 in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau ums Leben gekommen.
    Viele seien verunglückt, erzählt der große Mann mit dem freundlichen Gesicht. Vasco Valdez bewegt sich so geschmeidig wie ein Diplomat der alten Schule – in den 90er-Jahren hat er als Militärattaché den portugiesischen Staatspräsidenten Mário Soares begleitet.
    Valdez klemmt sich ein paar Bücher unter den Arm. Er ist auf dem Weg in ein Besprechungszimmer. Jeden Mittwochvormittag tagt in dem prunkvollen Lissabonner Militärpalast die "Kommission zur Erforschung der Feldzüge in Afrika". An einem Tisch haben sechs pensionierte Offiziere Platz genommen, die in der Afrika-Kommission ehrenamtlich tätig sind. Neben Plätzchen und Kaffeetassen liegt ein 1.400 Seiten starkes Werk über Mosambik mit Dokumenten aus dem Militärarchiv.
    2449244297_Afrika-Offiziere_Copyright_TWagner.jpg
    Mitglieder der ehrenamtlichen Afrika-Kommission (Deutschlandradio/ Tilo Wagner)
    Oberst Valdez klopft auf den Quellenband. "Das sind hier keine Geschichten, das ist Geschichtswissenschaft," sagt er.
    Am Kopf des Konferenztisches stellt General Henrique Garcia, 97 Jahre alt, hageres Gesicht, Oberlippenbart, seinen Gehstock an die Wand. Garcia ist das letzte verbliebene Gründungsmitglied der militärhistorischen Afrika-Kommission, die dem Generalstab der portugiesischen Armee direkt unterstellt ist. Das gibt ihm die Freiheit, ganz offen über seine Vorgesetzten zu reden:
    "Viele junge Portugiesen wissen nicht einmal, dass es diesen Krieg gab. Und deshalb haben sie keine Ahnung, welche außerordentliche Leistung die portugiesische Armee in den dreizehn Kriegsjahren vollbracht hat. Wir reden hier von über einer Millionen Soldaten, die zwischen 1961 und 1974 aus Lissabon nach Mosambik, Angola oder Guinea-Bissau verschifft wurden. Heutzutage ignoriert selbst die Armee diesen Kraftakt, schlimmer noch: Die Militärs schämen sich sogar für diesen sogenannten Kolonialkrieg, weil sich allgemein die Meinung festgesetzt hat, dass der Krieg ein grausames Verbrechen der Weißen an den Schwarzen gewesen sein soll."
    Erinnerungen in der Sprache des autoritären Regimes
    General Garcia spricht nicht von Kolonien, sondern von Überseegebieten. Dass ihm die Sprache des autoritären Regimes noch heute leicht über die Lippen geht, liegt auf der Hand. Er hat viel länger der Diktatur gedient als der Demokratie, die 1974 nach einem Militärputsch ihren Anfang nahm. Damals war er Gouverneur der mosambikanischen Provinz Zambézia gewesen. Rassismus sei damals kein entscheidender Faktor gewesen, sagt Garcia und erzählt, wie er nach dem Putsch die Macht an seinen Kriegsgegner übergab – einen Funktionär der Befreiungsorganisation Frelimo.
    "Mein Nachfolger blieb einige Zeit dort an der Macht, die Menschen mochten ihn. Er wurde dann auch General. Und später, als seine Frau krank war, kamen sie aus Mosambik hier nach Lissabon zu einem Freund von mir, der Arzt war. Die beiden haben zwei Wochen lang bei mir gewohnt. Wir haben uns einfach gut verstanden."
    Die Offiziere um den Tisch schmunzeln, schieben die dicken Geschichtsbände zur Seite und fangen an zu erzählen. In Guinea-Bissau sei der Krieg am schlimmsten gewesen, berichtet ein Oberst. Dagegen habe man in weiten Teilen Angolas und Mosambiks wenig von dem Konflikt gespürt. Viele Soldaten hätten sogar Frauen und Kinder mitgenommen. Ein Militäringenieur wirft ein: Lissabon habe erst richtig in Afrika investiert, als der Krieg ausgebrochen sei. In den Hauptstädten Luanda oder Lourenço Marques blühten Tanzlokale und Kinos auf, die Fußballstadien waren gut besucht.
    "Das war ganz fantastisch"
    José Vaz Serra, ein 86-jähriger Oberst mit schelmischem Blick, kam vor dem Krieg in den 50er-Jahren als einer der wenigen weißen Offiziere nach Bissau:
    "Ich hatte damals schon meinen Pilotenschein. Briefe und Pakete wurde mit Flugzeugen in die verschiedenen Regionen geflogen. Doch manchmal fehlten der Post die Piloten, und dann haben sie Leute genommen, die das machen wollten – und ich wollte immer. Also habe ich das Land dauernd von oben gesehen. Das war ganz fantastisch. Später hat sich die Lage zugespitzt. Aber zu Beginn war das sehr schön dort. Und die Leute aus Bissau habe ich als sehr nette Menschen in Erinnerung. Als ich später nochmal zurückging, hatte sich das alles leider sehr verändert."
    Die Gewinner des Krieges
    Es ist Mittagszeit, der Magen knurrt. Die sechs Offiziere verlagern ihre Kommissionssitzung in die Kantine.
    Weingläser klirren, Enten-Reis kommt auf den Tisch, die Anekdoten wollen kein Ende nehmen. Es stellt sich heraus, dass Oberst Vaz Serra sowohl in Guinea-Bissau als auch später in Mosambik Zeuge der Aufstände gewesen war, die direkt zum Ausbruch des Krieges geführt haben. Ein halbes Jahrhundert später wird er dafür von seinen Freunden geneckt: Ein Kriegstreiber sei er wohl gewesen.
    Vor dem Nachtisch wird es doch nochmal kurz ernst: Die Hobby-Historiker streiten, wer denn nun den Kolonialkrieg gewonnen hätte. Vasco Valdez, der beim Militärputsch am 25. April 1974 mit seinem Regiment den Flughafen von Lissabon besetzte, lässt keinen Zweifel aufkommen:
    "Das Ende des Kolonialkrieges hat zwei Gewinner hervorgebracht: Das portugiesische Volk, weil es sich von der Diktatur befreien konnte und Portugal demokratisch wurde, und gleichzeitig die afrikanischen Völker in den Kolonien – denn sie haben ihr Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit erhalten."