Das Kammermusikjahr 2008 wird ein Jahr der Abschiede. Das sinnbildliche Taschentuch lohnt es sich fast gar nicht in den Schrank zurückzulegen: Einige der ganz Großen werden in diesem Sommer vom Konzertpodium abtreten. Das Beaux Arts Trio hat für den Spätsommer seinen Rücktritt angekündigt; und auch das Alban Berg Quartett aus Wien sagt nach knapp 40 Jahren Lebewohl. Damit geht - ohne Übertreibung - eine Ära zu Ende, die 1971 in Wien begonnen hat, und der es zu huldigen gilt.
"Hommage" heißt denn auch die Box mit fünf CDs, die EMI Classics zum Abschied des Alban Berg Quartetts vor kurzem herausgebracht hat:
Sechs Stunden Musik, die gut 20 Jahre Alban Berg Quartett-Geschichte und gleichzeitig fast zwei Jahrhunderte Gattungsgeschichte dokumentieren - das Streichquartett von Haydn bis Rihm.
Ein umfassendes Porträt des heute schon legendären Alban Berg Quartetts!
" Musikbeispiel: Joseph Haydn, Finale aus Streichquartett C-dur, op.76 Nr. 3 (Hob.III:77) "Kaiser-Quartett" "
Joseph Haydn - mit wem sonst dürfte das diskographische Porträt eines weltbekannten österreichischen Streichquartetts beginnen, wenn nicht mit einem reifen Werk vom "Vater des Streichquartetts"? Für Haydns "Kaiser-Quartett" hat man sich entschieden. Mit ihm beginnt die musikalische Reise durch die Quartett-Welt, die schlussendlich bis ins 20. Jahrhundert führen wird: bis zu Wolfgang Rihms Streichquartett Nr. 4.
Am Anfang also spielt das Alban Berg Quartett Haydn. Und dessen Musik eignet sich wie kaum eine andere, um die Stärken dieser vier Streicher zu demonstrieren: Da ist erst einmal der Spaß am Sinnlichen, am Klang der Instrumente, ob nun am vollen Streicherklang, satt und rund; oder an der klaren Stimme eines jeden einzelnen, die gelegentlich solistisch hervortreten darf und soll. Zum anderen ist da die Lust an der Kopfarbeit. Es gilt bei Haydn, ein hochkomplex konstruiertes Stimmengeflecht "auseinander zu dröseln". Da darf kein Gedanke verschüttet, keine Nichtigkeit überbetont werden. Warum es was wann auf welche Weise spielt - das hat sich das Alban Berg Quartett reiflich überlegt, bevor das Rotlicht bei der Aufnahme angeht. Trotzdem droht das Quartett nicht vor lauter Kopflastigkeit die Balance zu verlieren. Herz und Hirn, Kopf und Bauch, Gefühl und Verstand - wie auch immer die Synthese-Klischees lauten: Das Alban Berg Quartett vereint beides.
Als sich 1971 die erste Alban Berg Quartett-Besetzung zusammenfand, überwog in ihrem Spiel noch die Intuition. Alle Musiker waren hervorragend ausgebildet worden, spielten auf prominenten Posten in den führenden Wiener Orchestern und hatten sich zu einem wagemutigen Schritt entschieden: Günter Pichler, Klaus Maetzl, Hatto Beyerle und Valentin Erben wollten das bequeme, aber fremdbestimmte Orchesterdasein gegen ein künstlerisch eigenverantwortliches Musikerleben eintauschen. Ihnen reichte es nicht aus, nach den Orchesterdiensten Kammermusik zu spielen; sie wollten hauptberuflich in kleiner Runde musizieren. Für solch einen Werdegang lieferte die Kammermusikstadt Wien damals noch kein Vorbild. Ob Musikvereins- oder Konzerthausquartett - streng genommen hatten sie das Quartettspiel lediglich als Hobby betrieben.
Das junge Alban Berg Quartett aber wollte von Anfang an keine Kompromisse eingehen, trat ein Stipendium beim legendären Lasalle-Quartett an der Universität in Cincinnati an und setzte sich ein Jahr lang der immer wiederkehrenden, zur Reflexion auffordernden Frage von Primarius Walter Levin aus: Warum macht ihr das so?
Eine harte, aber lehrreiche Schule, wie der Alban Berg-Geiger Günter Pichler später in einem Interview zugeben sollte: Er sei der Meinung, dass eine richtige Verbindung von Emotion und Intellekt für einen Künstler enorm wichtig sei.
Nur mit dieser Kombination konnten die "Alban Bergs" ihrem Namensgeber und dessen Musik gerecht werden.
" Musikbeispiel: Alban Berg, I. Allegretto gioviale aus "Lyrische Suite" "
Alban Bergs "Lyrischer Suite" kommt im Repertoire des Alban Berg Quartetts natürlich eine besondere Bedeutung zu und darf auf einer "Hommage"-CD nicht fehlen. Die vier Streicher waren bei Bergs Witwe vorstellig geworden, bevor sie den Namen annehmen konnten. Sie wollten sich nicht bloß mit einem großen Namen schmücken, sondern konnten ihren Wunsch mit Argumenten begründen: Sie wollten - wie Berg - traditionsbewusst und progressiv zugleich sein, ihre Programme stets durch Werke des 20. Jahrhunderts ergänzen; sie wollten ihre Verbundenheit mit Bergs Heimatstadt Wien zum Ausdruck bringen und schlicht und einfach zeigen, dass sie die Musik von Alban Berg lieben.
Helene Berg erteilte die Erlaubnis, und das Quartett bewies in den folgenden Jahrzehnten, dass seine Absichtserklärung kein bloßes Lippenbekenntnis gewesen war: Der musikhistorische Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart war und ist dem Alban Berg Quartett ein Herzensanliegen, das zeigt allein die lange Liste seiner Uraufführungen. Und das dokumentiert auch die fünf CDs umfassende "Hommage"-Box: Beethovens erstes Rasumowsky-Quartett nimmt man den "Alban Bergs" genau so ab wie Mendelssohns opus 13, und das wiederum spielen sie so überzeugend wie Bartóks oder Wolfgang Rihms Quartette. Wer sich die Zeit nehmen mag, dem sei eine ganz besondere Hörerfahrung empfohlen: die CDs hintereinander, ohne größere Pausen am Stück zu hören. Mit Siebenmeilenstiefeln durchschreitet man annähernd 200 Jahre Streichquartett-Historie: Verbindungen und Brüche, Weiterentwicklungen und Verwandtschaften werden plötzlich hörbar, die Ohren öffnen sich.
" Musikbeispiel: Maurice Ravel, III. Très lent aus Streichquartett F-dur (Ausschnitt) "
Maurice Ravels F-dur-Streichquartett hat das Alban Berg Quartett 1984 nicht in einem sterilen Studio, sondern in der evangelischen Kirche im nordschweizerischen Seon aufgenommen, dem bevorzugten Produktionsort des Ensembles, wo - so sagte Günter Pichler einmal - "klangliches Erleben" möglich sei. Die Sicherheit solcher Aufnahmesitzungen - mit der Möglichkeit, unzählige Male ein- und dieselbe Stelle zu wiederholen - dieses Sicherheitsgefühl haben die vier Musiker in den 90er Jahren zunehmend eingetauscht gegen den Reiz des Live-Mitschnitts. Weniger Perfektion - dafür mehr Kreativität und Spontaneität, lautete ihre Devise. Die CD-Box, die jetzt bei EMI Classics erschienen ist, trägt diesem Gesinnungswandel Rechnung: Sechs von 17 Aufnahmen sind live mitgeschnitten worden. Das ergibt eine reizvolle Mischung aus hochglanzpolierten Studioproduktionen und nicht immer lupenreinen, aber umso lebendigeren Konzertaufnahmen.
Abgesehen von einer Ausnahme ist auf den "Hommage"-CDs die langjährige Alban Berg-Formation zu hören, so wie seit 1981 zusammengespielt hat: Günter Pichler und Gerhard Schulz, Violine - Thomas Kakuska, Viola und Valentin Erben, Violoncello. Nach dem Tod von Thomas Kakuska im Jahr 2005 musizierte das Alban Berg Quartett weiter - mit Kakuskas Meisterschülerin Isabel Charisius. Mit ihr am Bratschenpult wird sich das Alban Berg Quartett im kommenden Sommer verabschieden, doch auf der "Hommage"-CD ist sie nicht vertreten. Ebenso wenig wie die vielen Kammermusikfreunde, die das Alban Berg Quartett begleitet und zeitweise zum Quintett ergänzt haben. Die fünf CDs gehören einzig und allein der langjährigen Alban Berg-Besetzung wie sie vielen Nachwuchsquartetten ein Vorbild war und bleibt.
Eine angemessene Würdigung!
So wie die fünfte der fünf CDs, die ganz der Quartettheimat Wien gewidmet ist: mit Schuberts G-dur-Quartett und zwei Walzern von Joseph Lanner und einem von Johann Strauss Vater. Allerspätestens jetzt spürt man das Wienerische in der Musik des Alban Berg Quartetts.
" Musikbeispiel: Joseph Lanner, Marien-Walzer (Ausschnitt) "
"Hommage" heißt die CD-Box, mit der EMI Classics das legendäre Alban Berg Quartett in den Ruhestand verabschiedet. Fünf CDs, die sich nicht nur für passionierte Alban Berg Quartett-Fans lohnt, sondern auch ein hervorragender Grundstock sind für eine frisch begonnene Streichquartett-Sammlung. Wärmstens empfohlen von Maja Ellmenreich.
"Hommage" heißt denn auch die Box mit fünf CDs, die EMI Classics zum Abschied des Alban Berg Quartetts vor kurzem herausgebracht hat:
Sechs Stunden Musik, die gut 20 Jahre Alban Berg Quartett-Geschichte und gleichzeitig fast zwei Jahrhunderte Gattungsgeschichte dokumentieren - das Streichquartett von Haydn bis Rihm.
Ein umfassendes Porträt des heute schon legendären Alban Berg Quartetts!
" Musikbeispiel: Joseph Haydn, Finale aus Streichquartett C-dur, op.76 Nr. 3 (Hob.III:77) "Kaiser-Quartett" "
Joseph Haydn - mit wem sonst dürfte das diskographische Porträt eines weltbekannten österreichischen Streichquartetts beginnen, wenn nicht mit einem reifen Werk vom "Vater des Streichquartetts"? Für Haydns "Kaiser-Quartett" hat man sich entschieden. Mit ihm beginnt die musikalische Reise durch die Quartett-Welt, die schlussendlich bis ins 20. Jahrhundert führen wird: bis zu Wolfgang Rihms Streichquartett Nr. 4.
Am Anfang also spielt das Alban Berg Quartett Haydn. Und dessen Musik eignet sich wie kaum eine andere, um die Stärken dieser vier Streicher zu demonstrieren: Da ist erst einmal der Spaß am Sinnlichen, am Klang der Instrumente, ob nun am vollen Streicherklang, satt und rund; oder an der klaren Stimme eines jeden einzelnen, die gelegentlich solistisch hervortreten darf und soll. Zum anderen ist da die Lust an der Kopfarbeit. Es gilt bei Haydn, ein hochkomplex konstruiertes Stimmengeflecht "auseinander zu dröseln". Da darf kein Gedanke verschüttet, keine Nichtigkeit überbetont werden. Warum es was wann auf welche Weise spielt - das hat sich das Alban Berg Quartett reiflich überlegt, bevor das Rotlicht bei der Aufnahme angeht. Trotzdem droht das Quartett nicht vor lauter Kopflastigkeit die Balance zu verlieren. Herz und Hirn, Kopf und Bauch, Gefühl und Verstand - wie auch immer die Synthese-Klischees lauten: Das Alban Berg Quartett vereint beides.
Als sich 1971 die erste Alban Berg Quartett-Besetzung zusammenfand, überwog in ihrem Spiel noch die Intuition. Alle Musiker waren hervorragend ausgebildet worden, spielten auf prominenten Posten in den führenden Wiener Orchestern und hatten sich zu einem wagemutigen Schritt entschieden: Günter Pichler, Klaus Maetzl, Hatto Beyerle und Valentin Erben wollten das bequeme, aber fremdbestimmte Orchesterdasein gegen ein künstlerisch eigenverantwortliches Musikerleben eintauschen. Ihnen reichte es nicht aus, nach den Orchesterdiensten Kammermusik zu spielen; sie wollten hauptberuflich in kleiner Runde musizieren. Für solch einen Werdegang lieferte die Kammermusikstadt Wien damals noch kein Vorbild. Ob Musikvereins- oder Konzerthausquartett - streng genommen hatten sie das Quartettspiel lediglich als Hobby betrieben.
Das junge Alban Berg Quartett aber wollte von Anfang an keine Kompromisse eingehen, trat ein Stipendium beim legendären Lasalle-Quartett an der Universität in Cincinnati an und setzte sich ein Jahr lang der immer wiederkehrenden, zur Reflexion auffordernden Frage von Primarius Walter Levin aus: Warum macht ihr das so?
Eine harte, aber lehrreiche Schule, wie der Alban Berg-Geiger Günter Pichler später in einem Interview zugeben sollte: Er sei der Meinung, dass eine richtige Verbindung von Emotion und Intellekt für einen Künstler enorm wichtig sei.
Nur mit dieser Kombination konnten die "Alban Bergs" ihrem Namensgeber und dessen Musik gerecht werden.
" Musikbeispiel: Alban Berg, I. Allegretto gioviale aus "Lyrische Suite" "
Alban Bergs "Lyrischer Suite" kommt im Repertoire des Alban Berg Quartetts natürlich eine besondere Bedeutung zu und darf auf einer "Hommage"-CD nicht fehlen. Die vier Streicher waren bei Bergs Witwe vorstellig geworden, bevor sie den Namen annehmen konnten. Sie wollten sich nicht bloß mit einem großen Namen schmücken, sondern konnten ihren Wunsch mit Argumenten begründen: Sie wollten - wie Berg - traditionsbewusst und progressiv zugleich sein, ihre Programme stets durch Werke des 20. Jahrhunderts ergänzen; sie wollten ihre Verbundenheit mit Bergs Heimatstadt Wien zum Ausdruck bringen und schlicht und einfach zeigen, dass sie die Musik von Alban Berg lieben.
Helene Berg erteilte die Erlaubnis, und das Quartett bewies in den folgenden Jahrzehnten, dass seine Absichtserklärung kein bloßes Lippenbekenntnis gewesen war: Der musikhistorische Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart war und ist dem Alban Berg Quartett ein Herzensanliegen, das zeigt allein die lange Liste seiner Uraufführungen. Und das dokumentiert auch die fünf CDs umfassende "Hommage"-Box: Beethovens erstes Rasumowsky-Quartett nimmt man den "Alban Bergs" genau so ab wie Mendelssohns opus 13, und das wiederum spielen sie so überzeugend wie Bartóks oder Wolfgang Rihms Quartette. Wer sich die Zeit nehmen mag, dem sei eine ganz besondere Hörerfahrung empfohlen: die CDs hintereinander, ohne größere Pausen am Stück zu hören. Mit Siebenmeilenstiefeln durchschreitet man annähernd 200 Jahre Streichquartett-Historie: Verbindungen und Brüche, Weiterentwicklungen und Verwandtschaften werden plötzlich hörbar, die Ohren öffnen sich.
" Musikbeispiel: Maurice Ravel, III. Très lent aus Streichquartett F-dur (Ausschnitt) "
Maurice Ravels F-dur-Streichquartett hat das Alban Berg Quartett 1984 nicht in einem sterilen Studio, sondern in der evangelischen Kirche im nordschweizerischen Seon aufgenommen, dem bevorzugten Produktionsort des Ensembles, wo - so sagte Günter Pichler einmal - "klangliches Erleben" möglich sei. Die Sicherheit solcher Aufnahmesitzungen - mit der Möglichkeit, unzählige Male ein- und dieselbe Stelle zu wiederholen - dieses Sicherheitsgefühl haben die vier Musiker in den 90er Jahren zunehmend eingetauscht gegen den Reiz des Live-Mitschnitts. Weniger Perfektion - dafür mehr Kreativität und Spontaneität, lautete ihre Devise. Die CD-Box, die jetzt bei EMI Classics erschienen ist, trägt diesem Gesinnungswandel Rechnung: Sechs von 17 Aufnahmen sind live mitgeschnitten worden. Das ergibt eine reizvolle Mischung aus hochglanzpolierten Studioproduktionen und nicht immer lupenreinen, aber umso lebendigeren Konzertaufnahmen.
Abgesehen von einer Ausnahme ist auf den "Hommage"-CDs die langjährige Alban Berg-Formation zu hören, so wie seit 1981 zusammengespielt hat: Günter Pichler und Gerhard Schulz, Violine - Thomas Kakuska, Viola und Valentin Erben, Violoncello. Nach dem Tod von Thomas Kakuska im Jahr 2005 musizierte das Alban Berg Quartett weiter - mit Kakuskas Meisterschülerin Isabel Charisius. Mit ihr am Bratschenpult wird sich das Alban Berg Quartett im kommenden Sommer verabschieden, doch auf der "Hommage"-CD ist sie nicht vertreten. Ebenso wenig wie die vielen Kammermusikfreunde, die das Alban Berg Quartett begleitet und zeitweise zum Quintett ergänzt haben. Die fünf CDs gehören einzig und allein der langjährigen Alban Berg-Besetzung wie sie vielen Nachwuchsquartetten ein Vorbild war und bleibt.
Eine angemessene Würdigung!
So wie die fünfte der fünf CDs, die ganz der Quartettheimat Wien gewidmet ist: mit Schuberts G-dur-Quartett und zwei Walzern von Joseph Lanner und einem von Johann Strauss Vater. Allerspätestens jetzt spürt man das Wienerische in der Musik des Alban Berg Quartetts.
" Musikbeispiel: Joseph Lanner, Marien-Walzer (Ausschnitt) "
"Hommage" heißt die CD-Box, mit der EMI Classics das legendäre Alban Berg Quartett in den Ruhestand verabschiedet. Fünf CDs, die sich nicht nur für passionierte Alban Berg Quartett-Fans lohnt, sondern auch ein hervorragender Grundstock sind für eine frisch begonnene Streichquartett-Sammlung. Wärmstens empfohlen von Maja Ellmenreich.