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Das Automobil und das Mädchen

100.000 Reichsmark sollte die Reise kosten, die Clärenore Stinnes im Jahr 1927 antrat. Als erste Frau reiste die Industriellentochter und Rennfahrerin mit dem Auto rund um die Welt. Die Filmemacherin Erica von Moeller zeichnet die Geschichte dieser Fahrt in ihrem neuen Film nach.

Von Josef Schnelle |
    Das Auto, heute nur noch Gegenstand von Krisenberichterstattung, war einmal ein Wunderding und ein unbequemes, störrisches Reisegefährt dazu. Treibstoff kaufte man in der Apotheke. Für eine weite Reise musste man auf dem Weg Depots anlegen und am besten gleich einen Mechaniker mitnehmen, der alles was kaputt ging, auch wieder wenigstens provisorisch reparieren konnte. Straßen waren Mangelware, besonders in den entlegenen Gebieten der Welt. Doch Straßenräuber lauerten schon überall. Das war die Stunde der Abenteurer, die mit dem Auto alles umrundeten, was sich umrunden ließ. Unter den Abenteurern ein paar Frauen. Dieser Film erzählt die Geschichte von Clärenore Stinnes, die mit 26 Jahren in einem Wagen der Firma Adler die Welt umrundete. 100.000 Reichsmark standen der Industriellentochter für diesen Coup zur Verfügung. Die Adlerwerke stellten ihr ein Auto, "Adler Standard 6", einen Materialwagen und zwei Mechaniker zur Verfügung. Außerdem sollte sie beweisen, dass der Superkraftstoff für Otto-Motorren "Benzol" effektiver sei als das gerade in Mode gekommene Benzin. Schon 1904 hatte der Berliner Schriftsteller Otto-Julius Bierbaum eine "empfindsame Reise" im Adler-Automobil unternommen. Aber die Medienaufmerksamkeit des Fräuleins Stinnes, das schon 17 Autorennen gewonnen hatte, übertraf sämtliche Automobilisten-Pioniertaten. Am 25. Mai 1927 setzte sie sich ans Steuer, um die 48 000 Kilometer, die sie sich vorgenommen hatte, zu bewältigen. Eine riesige Schar von Reportern bedrängte die junge Frau mit dem bekannten Namen, die im burschikosen Anzug mit einer Kurzhaarlockenfrisur vor ihnen stand:

    Erica von Moeller hat die Geschichte des Fräuleins Stinnes zu einem Film verarbeitet. Es existiert noch das komplette Filmmaterial der Reise durch ganz Europa Kleinasien, Sibirien, China und dann nach einer Schiffspassage weiter durch die Anden, wo der Wagen im Stich gelassen werden musste. Clärenore hatte alles aufnehmen lassen, weniger um die Reise zu dokumentieren, als um zu beweisen, wo sie überall gewesen waren. Wer eine Reise macht, kann viel erzählen, aber ob es auch stimmt? So begründet Stinnes irgendwann im Film die Dreharbeiten. Natürlich reicht das größtenteils stumme Originalmaterial nicht aus, um die wahren Herausforderungen der Reise darzustellen. Zum Glück führte Kameramann Carl-Axel Söderström, der schon mit Greta Garbo gedreht hatte, ein Tagebuch. Die Regisseurin sah sich aber auch noch genötigt, dem Film eine Spielebene hinzuzufügen, in der Sandra Hüller und Bjarne Henriksen die beiden Hauptprotagonisten verkörpern. Reenactments, schlichte nachinszenierte Elemente sind im heutigen Dokumentarfilm durchaus üblich. Doch im Film über die Völkerwanderung stapfen nur Germanen durch den Schnee und in der Schriftstellerbiografie wird eine Schreibmaschine traktiert. In solchen Szenen treten eigentlich fast nie bekannt Schauspieler auf und Dialoge sind daher eher Mangelware. Erica von Moeller traute sich aber an richtige Spielszenen heran. Fast jede davon zeigt, dass die Regisseurin, die sogar schon einen ansprechenden Spielfilm inszeniert hat, weder den Schauspielern, noch den Situationen, die sie darstellen sollen gewachsen ist. Hölzern agiert insbesondere Bjarne Henriksen, im Kino aus Thomas Vinterbergs Film "Das Fest" bekannt. Auch die Liebesgeschichte der beiden, die lange nach der Reise heirateten und Kinder bekamen, ist im Film kein Thema, obwohl man sie gleich begreifen könnte, wenn diese beiden zum ersten Mal zusammentreffen.

    Die Chemie zwischen den beiden, die immerhin ein für die damalige Zeit ungewöhnliches Liebespaar werden, kommt nie so recht "rüber" in dieser feministischen Fleißarbeit, die nur berührt, wenn die echte Clärenore Stinnes vor die Kamera tritt und mit überlauter Stimme erklärt, was es mit dieser Reise auf sich hat. Nach den über zwei Jahren ihrer Expedition werden die beiden automobilistischen Weltumkreiser in Berlin so stürmisch gefeiert wie die Flugpioniere. Das Auto ist ein Wunderding, das alles kann, dachte man damals. Inzwischen sind die Zerstörungspotenziale des Autos präsenter als die schöne Utopie der abenteuerlichen Mobilität, die eine der Vorboten der Globalisierung war. Clärenore Stinnes wird darüber damals nicht nachgedacht haben. Doch einmal in Russland platzt dem eher bodenständigen Söderström der Kragen und er schreit den Satz heraus, den man allen Rekordreisenden und Gipfelstürmern immer wieder entgegenschleudern sollte. Die Welt ist nämlich ein schöner ruhiger Fluss. Wenn man lange genug wartet, kommt sie sowieso vorbei.

    Was hat Clärenore angetrieben?