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Das Bauspielhaus Löbau

Professor Lutz Fiesser von der Universität Flensburg hat das Netzwerk "Phänomenta" gegründet, das heute jährlich mehr als 350 000 Besuchern elementare naturwissenschaftliche Kenntnisse vermittelt. Dazu gehört auch ein Eltern-Projekt: Mütter und Väter bauen für die Schulen ihrer Kinder Experimentierstationen. Ums Experimentieren geht es auch dem emeritierten Professor Karl Debik - in mehrfacher Hinsicht: Denn - was ist es anders, wenn Kinder anfangen, mit Bausteinen spielend die Welt zu erkunden? Karl Debik hat sich selbst dabei auf Experimente eingelassen: Können Kinder heute noch mit "altem Spielmaterial" etwas anfangen? Trägt sich sein Verein "Bauspielhaus" in seiner nicht eben reichen Heimatstadt Löbau in Sachsen? Die Stadt hat das Gebäude fürs Bauspielhaus gestellt - Spielen müssen die Kinder schon selbst. Manchmal ist der Professor selber dabei.

    Hinter diesen Sachen hier überall Baukästen, Baukästen, Baukästen, hier sind Metallbaukästen.

    Karl Debik ist in seinem Element. Fast 80 Jahre zählt der quirlige Professor im Unruhestand aber zum Spielen mit Bauklötzen wird er nie zu alt. Allerdings dürfen es nur pädagogisch besonders wertvolle sein - nach den Grundlagen d e s Pädagogen, der Anfang des 19. Jahrhunderts nicht nur den Kindergarten erfand, sondern auch das Spiel mit Bausteinen:

    Die Grundbaukästen, die auf dem Fröbel-Prinzip beruhen, wie hier Anker-Stein oder auch die Metallbaukästen oder die Holzbaukästen - die haben eine unbegrenzte Zahl von Möglichkeiten und ich liebe besonders die Holzbaukästen, weil das Holz mitspielt.

    Der heutigen jungen Generation will Karl Debik das Bauspiel-Vergnügen jenseits von Lego oder Playmobil weitergeben. Deshalb ist er nach langen Jahren im Westen in seine sächsische Heimat zurückgekehrt und hat mit ehrenamtlichen Helfern ein Bauspielhaus in Löbau gegründet. Kindergruppen - meist im Grundschulalter - kommen hierher und bauen Städte, Burgen, Türme oder was ihnen sonst noch einfällt:

    Das Fenster, das kommt so an der Seite rein und hier oben drauf mach ich `n Dach und dann hab ich eigentlich die Diesellokomotive fertig.

    Der sechsjährige Fritz bastelt mit einem Matadorbaukasten. Mit einem solchen hat Karl Debik in seiner Kindheit auch schon gespielt. Wichtig für sein Projekt: Bauspiel-Traditions-Firmen aus Sachsen und Thüringen, zum Beispiel die Anker-Steine aus Rudolstadt oder die Firma Kellner aus Tabarz zu unterstützen. Ihre Produkte entsprechen den reformpädagogischen Ansprüchen des quicklebendigen Sachsen. Über 2000 solcher Spiele hat er in seinem Fundus:

    Man lernt über die Hände viel Geistiges und Philosophisches.. das kommt bis in diese Bereiche: "Begriff" von greifen oder "Setzen- Hinsetzen" oder was für Gedanken "STELLST" Du Dir vor.

    Hier spricht der emeritierte Erziehungswissenschaftler und Entwicklungspsychologe, der die Kinder - aus gegebenem Anlass - auch mit Spontaneinlagen überrascht:

    Happy birthday to you, Marmelade im Schuh, Aprikose in der Hose, Happy birthday to you.

    Debiks Pädagogikauffassung nach Peter Petersen und anderen Erziehungs-Reformern kam in den 50er Jahren bei der SED nicht gut an. Der damalige Neu-Lehrer floh mit seiner Familie noch vor dem Mauerbau aus der sowjetisch besetzten Zone in den Westen. In Gießen und Kassel arbeitete er sich vom Lehrer zum ordentlichen Professor hoch und entdeckte in späteren Jahren nicht nur seine Leidenschaft fürs Bauen mit Stein- oder Holzwürfeln, sondern auch deren entwicklungspsychologischen Nutzen.

    Davon sollen nun die Kinder in seiner alten Heimat profitieren. Heute ist eine Gruppe aus einer Schola - einer tschechisch-deutschen Schule aus dem Dreiländer-Eck an der tschechischen und polnischen Grenze zu Besuch - Für Karl Debik besonders symbolträchtig, denn er will die Kinder im übertragenen Sinne auch zum Brückenbau zwischen den Ländern animieren. Die Sechs- und Siebenjährigen freuen sich an ihrem Karussell, das sich nach mühevoller Steckarbeit nun im Kreis dreht:

    Mit den Fingern arbeiten - das ist eine wichtige Sache für Kinder, nicht nur das Aufeinanderstecken wie bei Lego, sondern auch: wie man Dinge zusammenfügt und wie man Teile miteinander kombiniert.

    Erzieherin Grit Männel begleitet die Klasse und unterstützt auch sonst die Arbeit im Bauspielhaus. Neben den Spiel und Bastelmöglichkeiten sind hier historische Raritäten aus Debiks Privat-Sammlung ausgestellt: Die Friedrich-Fröbel-Gedächtniskiste etwa, mit den originalen Grundformen aus Holz: Der Kugel, der Rolle und dem Würfel. Oder ein 120 Jahre alter Kubusbaukasten mit zusammensetzbaren Bildern, einem - wie Debik meint - "Puzzle unserer Vorfahren". Der rührige Herr mit dem weißen Haar hat im Bauspielhaus aber nicht nur Kinder zu Besuch, sondern auch Großeltern mit ihren Enkeln. Debik findet das gut, auch wenn die Omas und Opas oft vorwitzig anstelle der Kinder bauen:

    Was soll's, gerade das: Alt und Jung, das sind auch die Brücken, die wir suchen,

    meint Debik und erinnert sich an den wichtigsten Grund warum er nach Löbau zurückgekehrte und das Bauspielhaus nach seiner verstorbenen Frau - ebenfalls Pädagogin - "Trautels Bauspielhaus" nannte:

    Innerlich - My heart is in the highlands - wir waren immer zu Hause in der Lausitz