Christoph Schmitz: Heute vor 40 Jahren war es. Warschau, am 7. Dezember 1970, unmittelbar vor der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland, worin die Unverletzlichkeit der faktischen Grenzen Polens anerkannt wurde. Da kniete Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Ehrenmal der Helden des Ghettos in Warschau nieder, überraschend für alle, spontan, politische Ikonografie schlechthin. Protokollarisch hätte Brandt die Schleife am niedergelegten Kranz nur richten und dann stehend verharren müssen, aber er ging in die Knie. Beginn der Entspannungspolitik mit Osteuropa, 1971 folgte der Friedensnobelpreis für Brandt. Der Hamburger Kunsthistoriker Martin Warnke ist gewissermaßen der Vater der politischen Ikonografie. Worin besteht die bildliche Kernaussage von Brandts Kniefall, habe ich Martin Warnke zuerst gefragt.
Martin Warnke: Sie sagen richtig, dass das Bild das Wesentliche an dem Vorgang ist. Wenn es das Bild nicht gäbe, so hätten wir keine Überlieferung, der Vorgang würde wahrscheinlich nicht weiter in die Geschichtsbücher eingegangen sein. Das Bild ist eindrucksvoll, von Sven Simon gemacht, ist das berühmteste Foto, es gibt ja auch Fernsehaufnahmen, und die wesentliche Aussage ist, wir kennen aus der Geschichte ja eigentlich nur Triumphal- oder Siegesgesten, Victory-Geste von Churchill oder de Gaulle, die Faust der Sozialisten, der Hitler-Gruß, Kruschtschows Schuh-Attacke oder das Schuh-Werfen gegen Bush. Das sind alles demonstrative Triumphalgesten, Siegesgesten. Das einmalige und besondere in der politischen Ikonographie der Herrschergesten ist eben, dass Brandts Niederknien, ein Demutsgestus, ein Unterwerfungsgestus ist. Es wird ja oft gesagt, es habe Analogien in der christlichen Ikonographie, Christus ist in Gethsemane niedergekniet und hat sein Urteil von Gott, den Kelch, entgegengenommen. Vielleicht am markantesten ist die Tatsache, dass in zahllosen Bildern ja auch der zum Tode verurteilte hinkniet und seine Köpfung erwartet. Also auch das steckt in diesem Bild drin, die Opferbereitschaft. Brandt selbst war unschuldig, er nimmt nun sozusagen die Schuld der Nation auf sich als Vertreter dieses Volkes.
Schmitz: War es denn so, dass dieses Zeichen eine so große politische Nachwirkung hatte in sich, oder wurde ihm das im Nachhinein zugeschrieben, weil ja erst reale politische Verhandlungen und Verträge die Entspannungspolitik mit Substanz gefüllt haben. Oder lag das alles schon im Zeichen drin?
Warnke: Also dass es in Polen Eindruck gemacht hat, geht ja daraus hervor, dass es ein Denkmal in Warschau, ein Willy-Brandt-Denkmal gibt, auf dem diese Szene im Relief dargestellt ist. Eine andere Frage ist die Reaktion unserer Mitbürger hier in Deutschland. Also da gibt es Umfragen, die besagen, dass 48 Prozent diesen Gestus für übertrieben gehalten haben, eigentlich für entwürdigend, dass ein Vertreter der Nation sich so niederwirft. Aber 41 Prozent der Gefragten haben das für angemessen gehalten. Brandt selbst hat ja das sehr spontanistisch gedeutet: "Ich habe getan, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt." So hat er das erklärt. Und ich glaube nicht oder wüsste nicht zu sagen, dass er irgendwelche Hintergedanken dabei hatte oder an solche Wirkungen gedacht hat. Aber dass dieser Gestus entsprechend gewirkt hat, halte ich für durchaus möglich. Er ist einmalig geblieben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unser Präsident jetzt, Wulff, wenn er wieder an die Stelle kommt, einen entsprechenden Gestus tut.
Schmitz: Was sagen Sie zu dem Händedruck zwischen Kohl und Mitterrand in Verdun über den Gräbern der beiden Nationen?
Warnke: Ist ein ähnlicher Gestus, auch ambivalent aufgenommen worden. Auch das wissen wir, dieser Händedruck zwischen Arafat und Rabin waren es, also Israel und Palästina, Clinton steht hinter ihnen und führt die Hände zusammen, genießt sozusagen politisch diesen Händedruck. Also es gibt immer wieder diese symbolisch inszenierten Gesten. Auch Kohl und, das war ein inszenierter, vorbedachter, genau ausgeklügelter Gestus.
Schmitz: Wwobei da ja auch Kohl sagt, dass Mitterrand ihm spontan die Hand gereicht habe. Also das Spontane scheint doch auch zur Bedeutung einer solchen politischen Ikonographie dazu zu gehören, dass sie nicht so planbar ist?
Warnke: Ja, vielleicht ja.
Martin Warnke: Sie sagen richtig, dass das Bild das Wesentliche an dem Vorgang ist. Wenn es das Bild nicht gäbe, so hätten wir keine Überlieferung, der Vorgang würde wahrscheinlich nicht weiter in die Geschichtsbücher eingegangen sein. Das Bild ist eindrucksvoll, von Sven Simon gemacht, ist das berühmteste Foto, es gibt ja auch Fernsehaufnahmen, und die wesentliche Aussage ist, wir kennen aus der Geschichte ja eigentlich nur Triumphal- oder Siegesgesten, Victory-Geste von Churchill oder de Gaulle, die Faust der Sozialisten, der Hitler-Gruß, Kruschtschows Schuh-Attacke oder das Schuh-Werfen gegen Bush. Das sind alles demonstrative Triumphalgesten, Siegesgesten. Das einmalige und besondere in der politischen Ikonographie der Herrschergesten ist eben, dass Brandts Niederknien, ein Demutsgestus, ein Unterwerfungsgestus ist. Es wird ja oft gesagt, es habe Analogien in der christlichen Ikonographie, Christus ist in Gethsemane niedergekniet und hat sein Urteil von Gott, den Kelch, entgegengenommen. Vielleicht am markantesten ist die Tatsache, dass in zahllosen Bildern ja auch der zum Tode verurteilte hinkniet und seine Köpfung erwartet. Also auch das steckt in diesem Bild drin, die Opferbereitschaft. Brandt selbst war unschuldig, er nimmt nun sozusagen die Schuld der Nation auf sich als Vertreter dieses Volkes.
Schmitz: War es denn so, dass dieses Zeichen eine so große politische Nachwirkung hatte in sich, oder wurde ihm das im Nachhinein zugeschrieben, weil ja erst reale politische Verhandlungen und Verträge die Entspannungspolitik mit Substanz gefüllt haben. Oder lag das alles schon im Zeichen drin?
Warnke: Also dass es in Polen Eindruck gemacht hat, geht ja daraus hervor, dass es ein Denkmal in Warschau, ein Willy-Brandt-Denkmal gibt, auf dem diese Szene im Relief dargestellt ist. Eine andere Frage ist die Reaktion unserer Mitbürger hier in Deutschland. Also da gibt es Umfragen, die besagen, dass 48 Prozent diesen Gestus für übertrieben gehalten haben, eigentlich für entwürdigend, dass ein Vertreter der Nation sich so niederwirft. Aber 41 Prozent der Gefragten haben das für angemessen gehalten. Brandt selbst hat ja das sehr spontanistisch gedeutet: "Ich habe getan, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt." So hat er das erklärt. Und ich glaube nicht oder wüsste nicht zu sagen, dass er irgendwelche Hintergedanken dabei hatte oder an solche Wirkungen gedacht hat. Aber dass dieser Gestus entsprechend gewirkt hat, halte ich für durchaus möglich. Er ist einmalig geblieben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unser Präsident jetzt, Wulff, wenn er wieder an die Stelle kommt, einen entsprechenden Gestus tut.
Schmitz: Was sagen Sie zu dem Händedruck zwischen Kohl und Mitterrand in Verdun über den Gräbern der beiden Nationen?
Warnke: Ist ein ähnlicher Gestus, auch ambivalent aufgenommen worden. Auch das wissen wir, dieser Händedruck zwischen Arafat und Rabin waren es, also Israel und Palästina, Clinton steht hinter ihnen und führt die Hände zusammen, genießt sozusagen politisch diesen Händedruck. Also es gibt immer wieder diese symbolisch inszenierten Gesten. Auch Kohl und, das war ein inszenierter, vorbedachter, genau ausgeklügelter Gestus.
Schmitz: Wwobei da ja auch Kohl sagt, dass Mitterrand ihm spontan die Hand gereicht habe. Also das Spontane scheint doch auch zur Bedeutung einer solchen politischen Ikonographie dazu zu gehören, dass sie nicht so planbar ist?
Warnke: Ja, vielleicht ja.