"Wenn ich die quatschen höre, die Politiker, dann weiß ich: Die sind nicht für mich - eine, die einfach arbeiten und ein gutes Leben haben will."
Das Stück "Das Blaue Wunder" der Autoren Thomas Freyer und Ulf Schmidt beginnt mit einer geschickt gebauten Collage aus Beschwerden, die sich ziemlich eindeutig AfD-Wählern zuordnen lassen. Volker Lösch lässt seine Schauspieler dafür in individuellen Posen am Eisernen Vorhang lehnen. Sie sind Unzufriedene, Enttäuschte, Fallengelassene und Verschwörungstheoretiker, deren Unmut immer mehr zu einem Chor anschwillt.
"Wenn wir das Sagen hätten."
Der Eiserne Vorhang hebt sich, und zur Musik von Wagners "Fliegendem Holländer" taucht aus dem Bühnenboden ein dreistöckiges Schiffsgerüst aus Stahlstreben auf. Ein beeindruckendes Bühnenbild von Cary Gayler. Die Kapitänin steht mit einem schweren, blauen Buch auf dem Oberdeck. Darin, so die blonde Frau in blau glänzenden Stiefeln, stünden die Antworten. Und sie lädt die Unzufrieden auf eine Reise in die Zukunft ein.
"Als Gleiche segeln wir unter Gleichen, Freunde unter Freunden, Deutsche unter Deutschen."
Als Erstes wird der Euro abgeschafft
Zu Beginn der Fahrt scheint das Leben auf dem Schiff das Paradies zu sein, in dem als Erstes natürlich der Euro abgeschafft wird. Mit fast schon kommunistisch anmutender Fantasie wird eine Gesellschaft gegründet, in der alle Grundbedürfnisse befriedigt werden. Am Laufen gehalten wird das Schiff durch die Maschinenmenschen, die sogenannten Ölgesichter, die unter Deck unsichtbar bleiben, aber dennoch für die auf dem Oberdeck eine permanente Bedrohung zu sein scheinen.
Doch nach dem ersten Sturm wird die Kapitänin abgesetzt, so wie Bernd Lucke von Frauke Petry abgesetzt wurde. Die Kapitänsmütze rotiert danach permanent, während das Leben auf dem Schiff immer radikaler und militaristischer wird. Begleitet werden diese Entwicklungen immer von dem blauen Buch, einer Art Bibel der rechten Schiffsnation, die aus Zitaten aus dem AfD-Parteiprogramm und der Parteifunktionäre besteht.
"Ich habe es oft genug und in aller Deutlichkeit gesagt: Ich liebe mein Volk." "Prediger Höcke, Vers drei." "Das Volk lebe hoch."
Frauen werden zur Geburtenmaschine
Die anfangs so begeisterten Matrosen stellen fest, dass auch ihre eigene Freiheit beschnitten wird. Der Kampf gegen den Genderwahn führt zur Reduzierung der Frau zur Geburtenmaschine. Aus der Ablehnung des Sozialstaates wird eine fast schon sozialdarwinistische Wirtschaftsgesellschaft. Aus Migrationskritik wird Rassismus, der schließlich sogar zum Genozid führt.
Aus der freien Gesellschaft entwickelt sich ein Überwachungsstaat, in dem man sich nicht über fehlende Meinungsfreiheit beschwert, weil man sonst erschossen wird. Unterbrochen werden diese Szenen durch echte Dresdener Aktivisten, die dem Rechtsruck etwas entgegensetzen wollen.
"Was ich aber vor allem will, ist, dass wir rauskommen aus der Opferrolle, dass wir die Geschichte vor und nach 1945 kritisch reflektieren und statt zu trauern, Mut entwickeln."
Die Premiere wurde schon im Vorfeld von Kontroversen begleitet. Gegner kritisierten, der Ansatz sei zu einfach, die Darstellung gegenüber AfD-Wähler beleidigend. So wundert es nicht, dass – während die Inszenierung wegen tontechnischer Probleme für zehn Minuten unterbrochen wurde – die Zuschauer über Sabotage witzelten. Der Abend war von Beginn an als Provokation gesetzt.
Keine Spannung, keine Überraschungen
Dabei gibt es einige starke und schockierende Momente, wenn zum Beispiel die Schiffsmiliz immer wieder Besatzungsmitglieder erschießt, die sagen, dass Weidel homosexuell und Gauland geflüchtet sei. Es ist vielleicht sogar witzig, wenn die heiligen deutschen Kämpfer mit den Dschihadisten tanzen. Doch darüber hinaus hat die Aufführung wenig zu bieten: Es gibt keine Handlung oder eine Form, in der die einzelnen Szenen ein großes Ganzes ergeben. Es gibt keine Steigerung, die Spannung und Interesse erzeugt, keine Überraschungen, die aufschrecken würden und etwas Neues verraten. Eigentlich ist schon am Anfang klar, wie das Stück enden wird.
"Die Gefahr kommt nicht von außen ins Land, die größte Gefahr für Sachsen und Dresden ist in diesem Land geboren."
Der Chor der Bürger darf als Markenzeichen Volker Löschs auch an diesem Abend nicht fehlen. Diesmal reproduziert der Regisseur jedoch nur Meinungen, die sowieso tagtäglich verhandelt werden. So wird das Theater zu einer Echokammer, in der sich die Kulturinteressierten bestätigt fühlen. Die Groteske gleicht eher einer Kompilation aus Satirebeiträgen und statt aufzurütteln, langweilt sie bereits nach einer halben Stunde. Natürlich muss nicht jeder Theaterabend ausgewogen sein, er darf Stellung beziehen und soll am Ende auch ein klares Statement haben. Aber zwei Stunden Statement ohne Handlung, Poesie oder starke Bilder – das ist ermüdend.