"Brasilien – wach auf. Jeder Lehrer ist mehr Wert als Neymar. "
Das war einer der beliebten Sprechchöre bei den Demonstrationen in Brasilien während des Confed- Cups. Im ganzen Land sind die Menschen auf die Straße gegangen. Viele waren empört von diesem riesigen Kontrast: Auf der einen Seite die Hochglanz-Stadien, die Hunderte Millionen Euro verschlungen haben – und auf der anderen Seite die prekäre Situation in den Schulen, wo es an Büchern und Heften fehlt und wo Lehrer ein miserables Gehalt bekommen. Aber mittlerweile sind die Proteste wieder eingeschlafen. Im Juni war auch der Jurastudent Lorenco Guimaraes bei den Demonstrationen dabei.
"Ich hab da mitgemacht, weil ich es als eine Pflicht angesehen habe, schon allein weil ich jung bin, und weil ich absolut unzufrieden bin, mit dem, was in unserem Land passiert. Das marode Bildungssystem, diese riesige Korruption. Ich wollte einfach rausschreien, was sich angestaut hatte. Und damit irgendwie auch die Behörden unter Druck setzen, damit sich etwas verändert."
Verändern muss sich etwas, denn das brasilianische Bildungssystem ist katastrophal. Die Zahlen der OECD belegen das. Brasilien – immerhin die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt – gibt pro Schüler im Jahr nur knapp 2000 Euro aus – das ist weniger als die Hälfte des OECD-Durchschnittswertes. Auch bei den Bildungsvergleichen wie PISA-Tests, landen die brasilianischen Schüler regelmäßig am unteren Ende der Skala. Die Folge: Wer genug Geld hat, schickt seine Kinder auf Privatschulen. Lourenco hat eine hochwertige private Schulausbildung genossen – aber er ist trotzdem unzufrieden mit diesem Zwei-Klassensystem:
"Das ist völlig ungerecht. Das öffentliche Schulsystem ist absolut defizitär. Die Lehrer verdienen extrem wenig, viele Schule haben kaum eine Struktur, sind häufig runtergekommen . Wenn man sich eine Privatschule leisten kann, dann hat man engagierte Lehrer, die mehr verdienen. Das ist natürlich auch ein Geschäft, deshalb hat man mit Geld immer eine gute Schule. "
Nach der Schule kommt die Universität – und das ist vielleicht die größte Ungerechtigkeit im brasilianischen Bildungssystem. Die staatlichen Universitäten haben ein hohes Niveau und – sind kostenfrei. Was sich gut anhört, hat einen entscheidenden Haken: Auf diese Unis kommt man nur über einen Eignungstest. Und den besteht man in der Regel nur, wenn man vorher auf einer Privatschule war. Die Eliten haben also über Jahrzehnte ein Bildungssystem geschaffen, dass die eigene Klasse klar bevorteilt.
Wer den Eignungstest nicht besteht, und trotzdem studieren will, der muss bezahlen, für eine der unzähligen Privatuniversitäten, erklärt Hans Wagner, der stellvertretende Direktor einer deutschen Schule in Sao Paulo .
"Die sind relativ günstig, was die monatlichen Studiengebühren anbelangt, sodass eben auch Studenten aus ärmeren Bevölkerungsschichten finanzieren können. Aber es sind eben Massen-Universitäten, die produzieren im Grunde billige Abschlüsse. Der Arbeitsmarkt ist voll von solchen Studienabgängern, die eigentlich kaum eine Chance haben, in einen besser bezahlten Job einzusteigen. "
Geändert hat sich seit den Protesten vor einigen Wochen kaum etwas. Es bleibt bei Absichtserklärungen. Zwar hat die Regierung eine Finanzspritze zugesagt – 75 Prozent der Erdöleinnahmen sollen in die Bildung fließen. Klingt konkret, ist es aber nicht. Denn es handelt sich um zukünftige Einnahmen: Viele Erdölvorkommen sind noch gar nicht erschlossen. Es handelt sich also um 75 Prozent eines Betrages, dessen Höhe niemand kennt und von dem niemand weiß, wann er erlöst wird. Entsprechend düster ist die Prognose von Bildungsexperte Hans Wagner:
"Verbesserungen des Bildungssystems kann man natürlich nicht in diesem singulären Bereich machen. Ich denke, man muss in Brasilien das ganze politische System grundlegend reformieren, im Grunde wäre da eine große Strukturreform notwendig, auch die politische Kultur müsste sich ändern. Auch die Kultur im Bildungssystem müsste sich ändern. Ich denke, das ist eine Frage von einer Generation, wenn nicht sogar zwei Generationen. "
Eine grundlegende Veränderung des Bildungssystems wird auch in Chile angestrebt. Chile gilt gemeinhin als das Musterland in Südamerika – allerdings sind die Studienkosten hier so hoch wie nirgendwo sonst auf dem Kontinent. Wer in Chile studieren will, kommt entweder aus reichem Haus, oder er verschuldet sich massiv. Viele Studenten haben Kredite über 25.000 US-Dollar laufen. Mit Zinsen müssen sie am Ende oft 50.000 Dollar zurückzahlen. Und das bei Gehältern, die häufig unter 1000 Dollar liegen. Damit wollen sich die Studenten nicht abfinden. Immer wieder gehen sie auf die Straße.
Bei den Demonstrationen sind hauptsächlich Studenten unterwegs, aber auch Familienväter:
"Wir sind so ein reiches Land, wir haben allein schon so viel Kupfer. Da sollte das Gesundheitssystem und die Bildung kostenlos sein."
Für kostenlose Bildung wird in Chile seit zwei Jahren immer wieder demonstriert. In dieser Zeit ist Camila Vallejo fast zu einer Ikone geworden. Die 25 jährige Geologie-Studentin hat die Proteste angeführt. Mittlerweile engagiert sie sich in der kommunistischen Partei Chiles. Für die Jung-Politikerin ist die Privatisierung der Bildung eine zwingende Folge des kapitalistischen Systems.
"Das zeigt nur, dass der Kapitalismus kein erstrebenswertes System ist, kein nachhaltiges System. Kapitalismus ist pervers und muss bekämpft werden – mit alternativen Modellen. "
Für Camila Vallejo und viele der anderen jungen Leute in Chile geht es nicht nur um eine Bildungsreform, es geht um einen Politikwechsel. In Südamerika ist Chile gemeinsam mit Kolumbien das letzte verbliebene Land mit einer konservativ-bürgerlichen Regierung. Die Bildungsproteste werden definitiv politische Wirkung zeigen. Im November sind in Chile Präsidentschaftswahlen.
Das war einer der beliebten Sprechchöre bei den Demonstrationen in Brasilien während des Confed- Cups. Im ganzen Land sind die Menschen auf die Straße gegangen. Viele waren empört von diesem riesigen Kontrast: Auf der einen Seite die Hochglanz-Stadien, die Hunderte Millionen Euro verschlungen haben – und auf der anderen Seite die prekäre Situation in den Schulen, wo es an Büchern und Heften fehlt und wo Lehrer ein miserables Gehalt bekommen. Aber mittlerweile sind die Proteste wieder eingeschlafen. Im Juni war auch der Jurastudent Lorenco Guimaraes bei den Demonstrationen dabei.
"Ich hab da mitgemacht, weil ich es als eine Pflicht angesehen habe, schon allein weil ich jung bin, und weil ich absolut unzufrieden bin, mit dem, was in unserem Land passiert. Das marode Bildungssystem, diese riesige Korruption. Ich wollte einfach rausschreien, was sich angestaut hatte. Und damit irgendwie auch die Behörden unter Druck setzen, damit sich etwas verändert."
Verändern muss sich etwas, denn das brasilianische Bildungssystem ist katastrophal. Die Zahlen der OECD belegen das. Brasilien – immerhin die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt – gibt pro Schüler im Jahr nur knapp 2000 Euro aus – das ist weniger als die Hälfte des OECD-Durchschnittswertes. Auch bei den Bildungsvergleichen wie PISA-Tests, landen die brasilianischen Schüler regelmäßig am unteren Ende der Skala. Die Folge: Wer genug Geld hat, schickt seine Kinder auf Privatschulen. Lourenco hat eine hochwertige private Schulausbildung genossen – aber er ist trotzdem unzufrieden mit diesem Zwei-Klassensystem:
"Das ist völlig ungerecht. Das öffentliche Schulsystem ist absolut defizitär. Die Lehrer verdienen extrem wenig, viele Schule haben kaum eine Struktur, sind häufig runtergekommen . Wenn man sich eine Privatschule leisten kann, dann hat man engagierte Lehrer, die mehr verdienen. Das ist natürlich auch ein Geschäft, deshalb hat man mit Geld immer eine gute Schule. "
Nach der Schule kommt die Universität – und das ist vielleicht die größte Ungerechtigkeit im brasilianischen Bildungssystem. Die staatlichen Universitäten haben ein hohes Niveau und – sind kostenfrei. Was sich gut anhört, hat einen entscheidenden Haken: Auf diese Unis kommt man nur über einen Eignungstest. Und den besteht man in der Regel nur, wenn man vorher auf einer Privatschule war. Die Eliten haben also über Jahrzehnte ein Bildungssystem geschaffen, dass die eigene Klasse klar bevorteilt.
Wer den Eignungstest nicht besteht, und trotzdem studieren will, der muss bezahlen, für eine der unzähligen Privatuniversitäten, erklärt Hans Wagner, der stellvertretende Direktor einer deutschen Schule in Sao Paulo .
"Die sind relativ günstig, was die monatlichen Studiengebühren anbelangt, sodass eben auch Studenten aus ärmeren Bevölkerungsschichten finanzieren können. Aber es sind eben Massen-Universitäten, die produzieren im Grunde billige Abschlüsse. Der Arbeitsmarkt ist voll von solchen Studienabgängern, die eigentlich kaum eine Chance haben, in einen besser bezahlten Job einzusteigen. "
Geändert hat sich seit den Protesten vor einigen Wochen kaum etwas. Es bleibt bei Absichtserklärungen. Zwar hat die Regierung eine Finanzspritze zugesagt – 75 Prozent der Erdöleinnahmen sollen in die Bildung fließen. Klingt konkret, ist es aber nicht. Denn es handelt sich um zukünftige Einnahmen: Viele Erdölvorkommen sind noch gar nicht erschlossen. Es handelt sich also um 75 Prozent eines Betrages, dessen Höhe niemand kennt und von dem niemand weiß, wann er erlöst wird. Entsprechend düster ist die Prognose von Bildungsexperte Hans Wagner:
"Verbesserungen des Bildungssystems kann man natürlich nicht in diesem singulären Bereich machen. Ich denke, man muss in Brasilien das ganze politische System grundlegend reformieren, im Grunde wäre da eine große Strukturreform notwendig, auch die politische Kultur müsste sich ändern. Auch die Kultur im Bildungssystem müsste sich ändern. Ich denke, das ist eine Frage von einer Generation, wenn nicht sogar zwei Generationen. "
Eine grundlegende Veränderung des Bildungssystems wird auch in Chile angestrebt. Chile gilt gemeinhin als das Musterland in Südamerika – allerdings sind die Studienkosten hier so hoch wie nirgendwo sonst auf dem Kontinent. Wer in Chile studieren will, kommt entweder aus reichem Haus, oder er verschuldet sich massiv. Viele Studenten haben Kredite über 25.000 US-Dollar laufen. Mit Zinsen müssen sie am Ende oft 50.000 Dollar zurückzahlen. Und das bei Gehältern, die häufig unter 1000 Dollar liegen. Damit wollen sich die Studenten nicht abfinden. Immer wieder gehen sie auf die Straße.
Bei den Demonstrationen sind hauptsächlich Studenten unterwegs, aber auch Familienväter:
"Wir sind so ein reiches Land, wir haben allein schon so viel Kupfer. Da sollte das Gesundheitssystem und die Bildung kostenlos sein."
Für kostenlose Bildung wird in Chile seit zwei Jahren immer wieder demonstriert. In dieser Zeit ist Camila Vallejo fast zu einer Ikone geworden. Die 25 jährige Geologie-Studentin hat die Proteste angeführt. Mittlerweile engagiert sie sich in der kommunistischen Partei Chiles. Für die Jung-Politikerin ist die Privatisierung der Bildung eine zwingende Folge des kapitalistischen Systems.
"Das zeigt nur, dass der Kapitalismus kein erstrebenswertes System ist, kein nachhaltiges System. Kapitalismus ist pervers und muss bekämpft werden – mit alternativen Modellen. "
Für Camila Vallejo und viele der anderen jungen Leute in Chile geht es nicht nur um eine Bildungsreform, es geht um einen Politikwechsel. In Südamerika ist Chile gemeinsam mit Kolumbien das letzte verbliebene Land mit einer konservativ-bürgerlichen Regierung. Die Bildungsproteste werden definitiv politische Wirkung zeigen. Im November sind in Chile Präsidentschaftswahlen.