Archiv

Das Deutsche Frauenarchiv geht online
"Es bleibt immer noch ein Fäserchen Unfreiheit"

Die Geschichte der Deutschen Frauenbewegung musste man sich bislang aus 40 autonomen Archiven zusammensuchen. Nun sind die Dokumente, darunter Fotos, Briefe, Tagebücher und Tonaufnahmen erstmals online unter einem Dach abrufbar: dem Digitalen Deutschen Frauenarchiv.

Von Christiane Habermalz |
    Spannende, teils unbekannte Geschichten von Frauen und der Frauenbewegung aufzubereiten und auffindbar zu machen, ist ein wichtiges Ziel des DDF und der i.d.a.-Einrichtungen, Symbolbild DDF, anonymes Gruppenbild, um 1920
    Symbolbild des Digitalen Deutschen Frauenarchivs, anonymes Gruppenbild, um 1920 (Digitales Deutsches Frauenarchiv / Jean (Iean) Feldman, Bucaresti, AddF, Kassel)
    "Ein Hauptaugenmerk für uns Frauen muss aber gegenwärtig auf das Bestreben gerichtet sein, uns die Mittel zur Unabhängigkeit zu erwerben. Erwerb! (...) Es heißt die Frau der menschlichen Würde berauben, wenn man ihr das Recht der Selbstthätigkeit entzieht oder sie in der Geltendmachung desselben hemmt."
    Diese Zeilen schrieb die radikale Frauenrechtlerin Louise Dittmar im Vorfeld der Revolution von 1848. Als radikal galt sie deshalb, weil sie sich konsequent für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einsetzte. Keineswegs selbstverständlich, selbst unter den Märzrevolutionären, mit denen sie deswegen hart ins Gericht ging.
    "Sie forschen im ganzen Dasein eine unbedingt freie Stellung des Menschen zu finden, aber sie begreifen im eigentlichsten Sinn nur den Mann darunter; es bleibt immer noch ein Fäserchen Unfreiheit, an welchem die Frau hängt."
    Geschichte der Frauenbewegung vom 18. Jahrhundert bis heute
    Louise Dittmars Schriften sind nun zusammen mit denen anderer großer Feministinnen des deutschsprachigen Raums erstmals in einem neuen Online-Portal abrufbar: dem Digitalen Deutschen Frauenarchiv. Bücher und Zeitschriften, zum Teil unveröffentlichte Briefe, Tagebücher, Tondokumente und Fotos erzählen die Geschichte der Frauenbewegung vom 18. Jahrhundert bis heute: Eine soziale Bewegung, deren Zeugnisse bislang vor allem in den rund 40 autonomen Lesben- und Frauenarchiven gesammelt wurden. Frauengeschichte, bedauert Historikerin Birgit Kiupel, die das Archiv mit aufgebaut hat, sei bis heute leider immer noch "underperformed".
    "Frau oder Geschlecht und überhaupt Gender ist nach wie vor nicht selbstverständlich in der Geschichtsschreibung. Es hat lange gedauert, bis es wirklich Thema ist, aber es ist nach wie vor nicht selbstverständlich und es ist immer noch kein Thema, mit dem Mann oder Frau Karriere machen kann."
    Louise Dittmar, Lida Gustava Heymann, Luise Otto Peters, Minna Cauer - selbst vielen Historikern sind diese Namen von frühen Frauenrechtlerinnen heute unbekannt. Sehr zu Unrecht, sagt Kiupel. Ihre furchtlosen, scharfsinnig-analytischen Texte sind bis heute von großer Aktualität.
    "Minna Cauer ist jemand gewesen, die wie viele dieser Frauen des 19. Jahrhunderts das Schreiben als ganz wichtige Waffe gesehen hat. Wie wir überhaupt sehen, dass das 19. Jahrhundert voll ist von Frauen, die ihre Feder schwingen in einer Art und Weise die uns heute noch atemlos macht."
    Plakat FrauenLesben-Demo, West-Berlin, ca. 1980er Jahre
    Plakat FrauenLesben-Demo, West-Berlin, ca. 1980er Jahre (Digitales Deutsches Frauenarchiv / FrauenLesben Aktionseinheit 1020, FFBIZ)
    Das Digitale Deutsche Frauenarchiv zieht den großen Bogen von den frühen Wegbereiterinnen für Erwerbsarbeit und Frauenwahlrecht bis zu Alice Schwarzer und den Debatten um §218, dem Kampf um sexuelle Selbstbestimmung oder um die Legalisierung von Prostitution. Auch die autonome Frauen- und Lesbenbewegung in der DDR wird dokumentiert - inklusive der Probleme von Ost- und Westfeministinnen, nach der Wende zusammenzufinden.
    "Da gab's auch sehr große Mentalitätsunterschiede! Zum Beispiel, was der größere Unterschied ist, dass die Frauenbewegten in der DDR oft sagten, Mensch was wollen wir mit den Emanzen aus dem Westen, die mit ihren Männern nicht zusammen arbeiten wollen. Wir hatten aber hier zur gleichen Zeit im sogenannten Westen: 'Wir wollen ohne Männer, wir machen männerfreie Räume!'"
    Erstaunlicher Einblick in die Freizügigkeit des Berliner Kulturlebens
    Das Archiv ist eine Fundgrube. Nachzulesen ist der erste Roman, der eine lesbische Liebesgeschichte erzählt, die auch noch glücklich ausgeht, geschrieben von Anna Elisabet Weirauch im Jahr 1919. Zu finden sind auch sämtliche digitalisierte Ausgaben der Lesben-Zeitschrift "Liebende Frauen", erschienen in fünf Konvoluten zwischen 1926 bis 1931 - ein erstaunlicher Einblick in die Freizügigkeit des Berliner Kulturlebens der 20er-Jahre.
    "In jeder Ausgabe gibt es mindestens zwei bis drei Seiten wo es nur Anzeigen gibt. Die Bar Dorian, die Bar Violetta und da gibt es Tanz und man merkt auch, dass zu dieser Zeit das nicht nur dezidiert für Lesben war, die Transvestiten kamen dazu, also - es war eine Freizügigkeit, die es viel später gar nicht gegeben hat."
    Für Sabine Balke, Geschäftsführerin des Digitalen Frauenarchivs setzt das Archiv durchaus auch ein Zeichen für die Gegenwart. Die kämpferische Haltung der Frauen in der Vergangenheit könne durchaus Ansporn sein angesichts einer AfD, die gegen Ausländer polemisiert und Frauen wieder zurück an den Herd holen wolle. Denen müsse klar sein, sagt Balke:
    "Dass wir ganz klar die Ohren spitzen und sagen: Nicht mit uns! Und gerade die Feministinnen sind dafür da zu sagen, wir wollen unseren Beitrag für die Demokratie leisten. Es ist ganz klar: Wir kämpfen! Und dieses Digitale Archiv kommt gerade zur rechten Zeit, würde ich sagen."