Anja Buchmann: Die österreichische Musikszene scheint seit einigen Jahren nicht still zu stehen. Oder unser Augen und Ohrenmerk ist stärker auf sie gerichtet. Jetzt: Zwei Brüder aus der Steiermark, Georg und Nikolaus Nöhrer, machen zusammen Musik: Der eine spielt Synthesizer jeglicher Art und singt Background, der andere spielt E-Bass und singt. Live gibt es noch einen Schlagzeuger dazu. Als Projekt heißen sie "Yukno" - schreibt sich anders als es sich spricht. Der Name bezieht sich übrigens auf einen früheren Familienhund - ansonsten gibt es aber keine weiteren tierischen Bezüge. Und vor "Yukno" waren die beiden schon in einer in Österreich sehr angesagten Band unterwegs. Name: Neodisco. Aber diese jugendliche Party und Power-Phase wollten sie dann irgendwann hinter sich lassen, wie sie mir diese Woche im Interview erzählt haben.
Nikolaus Nöhrer: Ein bisschen, also es klingt jetzt ein bisserl dramatisch, aber ich würde einfach sagen…
Anja Buchmann: Dramatisch oder traumatisch?
Nikolaus Nöhrer: Dramatisch. Es war nicht so viel Sturm und Drang, aber wir sind für uns vielleicht dem ein bisserl "entwachsen", möchte ich fast sagen. Also, es war eben so, dass wir da ganz früh angefangen haben, also noch in der Schulzeit, aus der Schule raus, und mit der Band eigentlich schon viel erlebt haben und auch viele Erfahrungen gesammelt haben. Wir waren dann auch zwischendurch bei einem Major-Label in Österreich und sind viel herumgekommen. Aber irgendwann war für uns so der Punkt, wo wir gesagt haben: Okay, wir oszillieren da irgendwie zwischen Club und - dann doch wieder - Zeltfest. Und immer hinten raus halt Halli-Galli-Party. Und eigentlich wollten wir dann halt mehr wirklich nur Musik machen, also dass wir halt wirklich als Musiker wahrgenommen werden und nicht als Partyprovokateure. Das war dann für uns der Grund zur Entscheidung: Okay, unser Sound wird anders, wir machen jetzt was komplett Neues.
"Wir machen einen hundertprozentigen Bruch"
Georg Nöhrer: Wir haben uns musikalisch im Studio wirklich in eine andere Richtung bewegt, die unter dem alten Bandnamen nicht mehr funktioniert hätte, weil sich das Publikum einfach auch was anderes erwartet hätte.
Anja Buchmann: Also als "Neodisco"?
Georg Nöhrer: Genau. Und dann haben wir für uns entschieden: Okay, wir machen einen hundertprozentigen Bruch und fangen wieder neu an, mit neuer Musik.
Anja Buchmann: Was für ein Ziel hattet Ihr, als Ihr so langsam gemerkt habt: Okay, unsere Musik ändert sich, wir wollen irgendwoanders hin, wahrscheinlich auch einen neuen Namen und so weiter? Wo wolltet Ihr hin, stilistisch?
Nikolaus Nöhrer: Wir wollten einerseits den Text in den Vordergrund rücken, das war so die Grundidee …
Georg Nöhrer: Genau.
Nikolaus Nöhrer: … Dass wir deutsch singen war immer klar. Aber dass wir so eine eigene Art zu texten entwickeln, die es vielleicht so im deutschen Pop nicht gegeben hat. Gleichzeitig war es irgendwie auch so für uns der Gedanke, einfach alles zu zweit selbst aufzuziehen und so selbst in der Hand zu haben, weil – ich habe es schon erwähnt – wir waren bei der ersten Band eben dann auch beim Label und so …
Anja Buchmann: … Und in den Top-20 in Österreich, immerhin.
Nikolaus Nöhrer: Genau. Und zwischen Andrea Berg und …
Georg Nöhrer: Danke fürs Erwähnen!
Anja Buchmann: Ja, bitte!
Nikolaus Nöhrer: … den Zweiten hab ich sogar vergessen, aber wir waren ja ganz toll platziert. Ja, eben, dass man zu zweit eben die Dinge in der Hand hat einfach. Gar nicht so der kreative Aspekt, sondern einfach wir haben uns gedacht: Okay, wir haben viel erfahren, gelernt – und jetzt wollen wir das einfach selber umsetzen.
"Unsere Musik funktioniert auf zwei Schienen"
Georg Nöhrer: Es ist auch so, dass wir den Sound, den wir jetzt mit Yukno machen, wir haben recht lang daran getüftelt – und sind auch kreativ oft gescheitert wirklich in diesem Unwissen: Was wollen wir eigentlich machen? Und haben dann über zwei EPs hinweg versucht, unseren Sound zu finden. Und ich glaube, wir haben ihn jetzt mit dem Album wirklich gefunden, diesen für uns fast uniquen Sound.
Anja Buchmann: Das Interessante ist ja auch diese Diskrepanz zwischen Texten, die doch eher ein bisschen, na ja, "melancholisch" ist vielleicht übertrieben, aber irgendwie "suchend" sind auf jeden Fall – auf jeden Fall nicht per se fröhlich – und einer durchaus tanzbaren Musik. Das war auch was, was Sie von Anfang an so gewollt haben oder hat sich einfach entwickelt?
Georg Nöhrer: Das war wirklich willentlich, haben wir das so entschieden. Also für mich funktioniert unsere Musik auch im kreativen Schreibprozess auf zwei Schienen: Wie Sie richtig sagten, einerseits soll es so funktionieren, dass man die Musik hört und dass man dazu tanzen kann und das es groovt und das ist cool. Und andererseits soll auf jeden Fall der Text dann das Ganze aufbrechen. Und wenn man dann als Hörer oder Hörerin die Musik hört und genauer hinhört, dann denken sie sich: Okay, was erzählen die da eigentlich, was singen die? Und mein Approach ist es, in der Popmusik wirklich weg von diesen plakativen Texten zu gehen und zu versuchen, wirklich was zu erzählen. Und das ist unser Ziel in der Musik, auf jeden Fall.
Anja Buchmann: Das tun Sie in Ihren Songs – zum Beispiel jetzt mal ein kleines Textzitat, damit die Hörerinnen und Hörer wissen, wovon wir reden:
"Die Jagd ist vorbei. / Es gibt nunmehr uns zwei. / Auf ewig gefangen, / für immer frei./ Ich lieg' Dir zu Füßen, / hier werd' ich bleiben / Wer kann schon leben, / ohne zu leiden? / Für Dich würd' ich Blut verlieren."
Aus dem Song "Blut". Eine sehr dunkle Sicht einer Beziehung?
Georg Nöhrer: (lacht) Ja, das ist lustig. Also, wenn Sie den Text so zitieren… Das Lied ist wirklich up-tempo und geht steil nach vorne.
Anja Buchmann: Ja, absolut.
Georg Nöhrer: Ja, wir wollten immer schon so ein hundertprozentiges Liebeslied schreiben, so dunkle Romantik, wirklich hundertprozentiges Aufgehen in der Liebe oder im Tod und wirklich so eine shakespearsche Dramatik fast schon. Und das wollten wir dann kleiden in ein up-tempo Poplied. Man muss wirklich den ganzen Song hören, um das dann in der Gesamtheit zu verstehen.
"Die Konzepte erarbeiten wir gemeinsam"
Anja Buchmann: Und wenn man noch das Video dazu sieht, das wer noch mal gemacht hat?
Nikolaus Nöhrer: Luca Fuchs heißt er.
Anja Buchmann: Luca Fuchs, genau. Wo es letztlich um eine Entführung geht, wo sich aber auch der Entführte in die Peinigerin, na ja, mehr oder weniger "verliebt". Also, ein merkwürdiges Verhältnis.
Georg Nöhrer: Es gibt da eine gewisse Eigendynamik, ja.
Anja Buchmann: Genau. Gut, bei österreichischen Bands hat man dann direkt Natascha Kampusch irgendwie im Kopf. Kann man, muss man nicht, wie auch immer. Ist dieses Video in Zusammenarbeit mit Ihnen entstanden oder hat er das ganz eigenständig gemacht?
Georg Nöhrer: Also, es ist so: Wir haben diesen wunderbaren Luca Fuchs, der ein unfassbar kompetenter Regisseur ist, zufällig irgendwie getroffen, übers Internet. Und die Konzepte erarbeiten wir schon gemeinsam. Also, die kreative Umsetzung im Endeffekt liegt dann schon bei ihm natürlich, aber wir besprechen vorher: Was machen wir genau? Was wollen wir machen mit dem Song? Wie bringen wir vielleicht noch eine Bedeutungsebene hinzu? Wie können wir den Song einfach irgendwie verbildlichen, so dass es cool wirkt? Und bei dem Lied ist es wirklich so, dass ich zumindest im Video vorkomme, als der Entführte. Und da habe ich jetzt einen ersten Einblick gehabt, wie so Videos gemacht werden…
Anja Buchmann: Stimmt, jetzt wo Sie es sagen, jetzt erkenne ich Ihr Gesicht wieder.
Georg Nöhrer: Genau, das bin ich – mit kürzeren Haaren. Aber es ist so, dass wir wirklich versuchen, gemeinsam immer diese Videokonzepte zu erarbeiten. Machen tut es dann er im Endeffekt.
"'Living for the Weekend' - das kann nicht der Sinn sein"
Anja Buchmann: "Ich kenne kein Weekend" – den Albumtitel muss ich natürlich noch mal ansprechen. Der bezieht sich auf ein Kunstwerk von Joseph Beuys, letztlich ein Aktenkoffer mit einer Maggiflasche und der "Kritik der reinen Vernunft" von Kant drin. Was hat Sie an diesem Kunstwerk so gereizt, dass Sie den als Albumtitel genommen haben? Oder geht es mehr so um den Titel an sich, der bei Ihnen was ausgelöst hat?
Georg Nöhrer: Beides. Also, ich habe diese Installation im Hamburger Bahnhof gesehen und war sofort sehr beeindruckt davon. Ich finde einfach, dass der Titel jetzt, "Ich kenne kein Weekend", zeitgeistig wieder enorm wichtig ist. Also, ich finde, dass er in unserer Zeit wieder gut funktioniert. Es ist schön, weil es einfach so mannigfaltige Bedeutungen haben kann, "Ich kenne kein Weekend" – man kann da unheimlich viel hineininterpretieren. Für mich persönlich ist es vielleicht so eine gewisse Antithese zu diesem "Living for the Weekend". Das ist eher so 40 Stunden arbeiten und dann zwei Tage frei, dieses Glück in der Beschränkung irgendwie. Auch wenn es plakativ klingt, aber das kann auch nicht der wahre Sinn sein. Und das ist für mich der Ausdruck in diesem "Ich kenne kein Weekend".
Anja Buchmann: Und man kann es natürlich auch negativ deuten, im Sinne von überfordert sein, weil viele – insbesondere Freiberufler oder auch Festangestellte – kein Wochenende kennen, weil sie ständig ihre Mails checken, ständig ihre Instagram-Geschichten und was auch immer und immer abrufbar sind, was ja auch nicht immer so einfach ist.
Georg Nöhrer: Genau. Das ist das Schöne, dass man es auf viele Arten denken kann.
Nikolaus Nöhrer: Um darauf noch kurz einzugehen – der Satz ist eben so stark. Also, jetzt nur mal von der Interpretation her: Wenn man denkt, vor wie vielen Jahrzehnten der Beuys das gemacht hat – und gerade dieses Denglische und dieses "Weekend" ist vielleicht 2018 genauso aktuell. Und er hat gesagt: Was denkst Du über den Titel. Und ich war eigentlich vom ersten Moment an …
Georg Nöhrer: Ich habe zuerst nicht gesagt, das ist eine Beuys-Installation – ich habe gesagt: Hey, ich hätt einen supercoolen Albumtitel – "Ich kenne kein Weekend". Und ein paar Wochen später habe ich gesagt: Das ist eigentlich nicht von uns und so. (lacht)
Anja Buchmann: Er hat es trotzdem akzeptiert?
Nikolaus Nöhrer: Ja, sofort.
"Live braucht man mehr Zeit"
Anja Buchmann: Ich habe Sie live gehört, im Deutschlandfunk, auf der Bühne bei den Kollegen von Deutschlandfunk Nova. Und da haben Ihre Songs, das ist wahrscheinlich auch Konzept, sehr viel clubbiger geklungen als auf Platte. Das wirkte teilweise, ja, fast ein bisschen "improvisiert". Das ist jetzt ein Wort aus der Jazzsprache, das möchte ich eigentlich ungern wirklich verwenden, aber es ist auf jeden Fall "ausgeweitet", wenn Sie es live darbieten, oder?
Georg Nöhrer: Ja, das haben Sie ganz, ganz richtig erkannt. Also, es ist auf jeden Fall unser Ziel, die Songs live anders aufzubereiten, als sie auf Platte sind. Für mich persönlich funktioniert Musik im Radio oder auch auf Platte mit einem CD-Spieler anders, als sie live funktioniert. Live braucht man mehr Zeit, man braucht mehr Dynamik, man muss das länger auf sich wirken lassen. Und so versuchen wir, unser Liveset auch zu strukturieren. Die Songs sind länger, es ist mehr Schlagzeug dabei, jeder Teil dauert länger, es ist mehr Dynamik, des wird nach hinten raus mehr und einfach so, dass mehr beim Publikum ankommen kann, dass das Publikum mehr Zeit hat, das, was passiert, zu verarbeiten.
Anja Buchmann: Was Sie aber vorher schon so fest arrangiert haben? Oder ergeben sich Teile dann auch auf der Bühne?
Georg Nöhrer: Ja, so. Also, "improvisieren" wäre zu weit gegriffen, auf jeden Fall. Wir wissen schon genau, was wann wie passiert. Aber in diesem strukturierten Rahmen haben wir dann schon Möglichkeiten, dass wir live Dinge adaptieren, je nachdem wie das Publikum das aufnimmt.
"Das ist ein schönes Gefühl"
Anja Buchmann: Es gibt, wie Sie wahrscheinlich in Ihren Interviews immer mal wieder auch dazu gefragt werden, in den letzten Jahren ständig einen Boom österreichischer Musik – aktuell wieder mit Wanda und Bilderbuch und Voodoo Jürgens und auch 5KHD oder Mavi Phoenix, Leyya, wie auch immer – es sind schon einige, die dazugekommen sind. Oder auch – das ist schon ein paar Jahre älter – Soap&Skin, Anja Plaschg, sehr gute Musikerin auch. Wie erklären Sie sich diese besondere Aufmerksamkeit für die Musik Ihres Landes aktuell?
Nikolaus Nöhrer: Ja, die Aufmerksamkeit resultiert, glaube ich, daraus, dass es eben gut ist, was aus Österreich kommt gegenwärtig. Also, die Bands, die wirklich, sage ich jetzt mal, durch die Decke gegangen sind, schon für die gesamte Musiklandschaft in der Hinsicht was bewegt haben, dass die Selbstwahrnehmung und das Selbstbewusstsein sich verändert hat.
Also, ich würde nicht sagen, ich bin ein gebranntes Kind – aber ich komme schon aus einer Zeit, da hat es noch den Ö3-Skandal gegeben, wo wer gesagt hat: "Ja, jetzt kommt wieder so eine österreichische Band". Und wo die österreichische Musik eigentlich einen enorm geringen Stellenwert gehabt hat und man eigentlich kaum was davon im Mainstream gehalten hat, vielleicht ein, zwei Artists, die im Fernsehen bekannt geworden sind. Und das hat sich irgendwie durch den Erfolg von diesen Bands sehr geändert.
Ich meine, wir werden immer darauf angesprochen und für uns macht es jetzt eben keinen Unterschied, dass wir aus Österreich sind, und denken: Cool, wir schwimmen jetzt auf irgendeiner Welle mit. Aber es ist doch irgendwie schön zu sehen, dass um einen herum viel passiert, dass man, wenn man gefragt wird, "mach uns eine coole Playlist mit 10 Songs, die Dir gefallen", dass man da fünf Artists nennen kann, die man persönlich kennt. Das ist ein schönes Gefühl einfach.
Georg Nöhrer: Auf jeden Fall. Wie der Niko zutreffend sagt, ich glaube, dass einfach diese großen Artists, die in den letzten Jahren rausgekommen sind, allen voran Bilderbuch und Wanda, dass die einfach dieses Österreich-Fass wieder aufgemacht haben und dass seitdem wieder größere Ernsthaftigkeit ist in der Musik in Österreich. Und man nimmt sich gegenseitig ernst und sagt: Okay, wir versuchen das einfach. Und das kann in Deutschland, in der Schweiz und überall funktionieren. Und das war davor einfach nicht mehr da. Und jetzt ist es wirklich da und dadurch entsteht einfach so ein Sog, in dem viele mitschwimmen und einfach eine Eigendynamik entwickeln.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.