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"Das empfinden sie als Krieg"

Am Donnerstag entscheidet der Bundestag darüber, ob deutsche Soldaten an AWACS-Flugeinsätzen über Afghanistan teilnehmen dürfen. Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) setzt eine andere Priorität - die militärische Ausstattung derer, die den Taliban am Boden begegnen.

Reinhold Robbe im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Führen unsere Soldaten in Afghanistan Krieg? Nicht zum ersten Mal wird über diese Frage gestritten. Dabei sind sich alle Beobachter einig: die Lage im deutschen Einsatzgebiet im Norden des Landes, sie hat sich dramatisch verschärft. Immer häufiger verwickeln die radikal-islamischen Taliban die Bundeswehr in stundenlange Gefechte mit Verletzten und mit Toten. Bei der Wortwahl aber scheiden sich die Geister. Lange hat es gedauert, bis der Verteidigungsminister bereit war, die toten deutschen Soldaten "Gefallene" zu nennen. Von einem Krieg aber mag Franz-Josef Jung nach wie vor nicht sprechen. Eisern hält er an der Formel vom Stabilisierungseinsatz fest, was bei den Soldaten schon lange auf Unverständnis stößt.

    O-Ton Soldat: Für mich ist das im Grunde Krieg, weil wenn ich rausfahre und werde beschossen, sehe Autos, die angesprengt sind, sehe Autos, die auf Mienen gefahren sind, dann ist das für mich im Grunde schon ein kriegerischer Akt.

    Barenberg: So hat es ein Bundeswehrsoldat schon vor einem Jahr beschrieben und so werden es wohl auch die Angehörigen jener drei vor einer Woche getöteten Soldaten empfinden, für die morgen in Bad Salzungen eine Trauerfeier ausgerichtet wird. Ebenfalls morgen befasst sich der Bundestag mit dem Einsatz in Afghanistan. Die Abgeordneten entscheiden darüber, ob Soldaten der Bundeswehr in sogenannten AWACS-Aufklärungsflugzeugen das deutsche Kontingent in Afghanistan verstärken sollen. – Am Telefon ist jetzt der Wehrbeauftragte der Bundesregierung, der SPD-Politiker Reinhold Robbe. Guten Morgen!

    Reinhold Robbe: Guten Morgen! Ich grüße Sie.

    Barenberg: Herr Robbe, Sie sind oft bei den deutschen Soldaten in Afghanistan gewesen. Nach Ihrer letzten Reise haben Sie von einer neuen Qualität des Konflikts gesprochen, die Sie so noch nicht erlebt hätten. Was haben Sie gemeint damit?

    Robbe: Ich habe damit einfach nur beschrieben, was mir insbesondere die Soldatinnen und Soldaten gesagt haben, die jetzt, wie Sie gerade schon in der Anmoderation erwähnten, in stundenlangen Gefechten verwickelt sind, die sehen, dass sie beschossen werden – und zwar mit modernsten Waffen -, die miterleben, wie Kameraden links und rechts verwundet werden, und wo, wie jetzt vor einigen Tagen passiert, auch Kameraden erschossen werden beziehungsweise ums Leben kommen aufgrund von Angriffen der Taliban. Das empfinden die Soldatinnen und Soldaten, wie sie mir erklären, nicht mehr als das Bauen von Schulen oder das Bohren von Brunnen, sondern das empfinden sie als Krieg, wie sie mir gegenüber erklärt haben. Da geht es dann für die Soldaten natürlich nicht um die völkerrechtliche Definition von irgendwelchen Dingen - da haben sicher Diejenigen Recht, die dann rechtlich sauber das eigentliche Mandat formulieren -, sondern hier geht es darum, was die Soldaten empfinden, und das kann ich schon nachempfinden, wenn die Soldaten so etwas als kriegsähnliche Szenarien wahrnehmen und das dann auch so ausdrücken in der ihnen eigenen deutlichen Sprache.

    Barenberg: Von den Soldaten heißt es ja, sie sagten, niemand in Deutschland habe eine Vorstellung davon, was sie in Afghanistan erleben. Was haben Sie von diesen Soldaten, die zum Teil ja wenige Stunden zuvor noch im Kampf standen, über ihre Situation erfahren?

    Robbe: Zunächst einmal eine große Ernsthaftigkeit, die ich so auch in dieser Form noch nicht erlebt habe. Wenn man mit den zum Teil auch hier sehr jungen, zwar sehr gut ausgebildeten und auf den Einsatz auch mental gut vorbereiteten Soldaten spricht, dann erlebt man diese, ich möchte sagen, ganz große Ernsthaftigkeit, die auch geprägt ist natürlich immer wieder ein Stück weit von der Sorge, wie sieht es beim nächsten Angriff aus, wie wird es aussehen, wenn ich morgen erneut auf die Taliban stoße, und was gibt es dann wieder für neue Überraschungen beziehungsweise für neue Taktiken und Strategien. Wir müssen einfach erkennen, dass die Taliban in der Lage sind, auch sehr schnell dazuzulernen. Wir müssen erkennen, dass die Sprengsätze immer perfider werden, immer ausgeklügelter werden und dass die Taliban auch mit Blick auf militärische Taktiken heute Dinge anwenden, die sie vor einem Jahr noch nicht angewandt haben, insbesondere Dinge, die man so nicht vermutet hat, und das macht eben auch die neue Qualität aus. Das setzt die Bundeswehr immer vor neue Herausforderungen und das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Soldatinnen und Soldaten natürlich auch das haben müssen, was sie benötigen, sowohl was Material angeht wie auch Personal. Hier muss ganz sensibel geschaut werden, dass permanent nachgesteuert wird, dass immer die Soldatinnen und Soldaten, ich sage mal, auf dem neuesten Stand der Technik sind.

    Barenberg: Darauf komme ich gleich noch zurück, Herr Robbe, wollte vorher noch fragen: Wenn das alles so ist, wie Sie es schildern, und die Soldaten das auch so erleben, und Sie zugleich fordern, den Einsatz so zu benennen wie er ist, was wurde denn bisher verschwiegen?

    Robbe: Ich will nicht sagen, dass hier irgendetwas verschwiegen wurde. Wir müssen einfach sehen, dass es nach wie vor in unserer bundesdeutschen Gesellschaft nicht so einfach ist, diese Dinge zu thematisieren. Vieles ist stigmatisiert. Das hängt mit unserer Geschichte zusammen. Wenn in Deutschland jemand von Krieg redet, dann hat er immer noch die Bilder des Zweiten Weltkrieges vor Augen. Das kann wahrscheinlich auch gar nicht anders sein. Trotzdem sage ich, dass die Dinge, die in Afghanistan stattfinden, bei uns auch so kommuniziert werden, wie sie tatsächlich sich abbilden. Eine ehrliche, offene Diskussion ist die Voraussetzung nach meiner Auffassung dafür, dass wir im Grunde auch mehr Verständnis für die Belange der Soldatinnen und Soldaten bekommen und dass wir auch mehr an Empathie, an menschlicher Zuwendung bekommen für den schweren Dienst der Soldatinnen und Soldaten, der dort in Afghanistan geleistet wird.

    Barenberg: Sie sprechen von einer ehrlichen Diskussion. Was gehört denn alles dazu nach Ihrer Meinung? Sie haben ja geäußert, Soldaten leiden zum Teil unter katastrophalen Bedingungen in ihren Auslandseinsätzen. Zählt das zum Beispiel dazu, zur Ehrlichkeit in der Debatte?

    Robbe: Nein, da muss man die Sachen sehr gut auseinanderhalten. Es hat ein wenig Irritationen gegeben aufgrund von Äußerungen auch unseres Generalinspekteurs, der angespielt hat auf Dinge, die lange zurückliegen, zum Beispiel auf den Kongo-Einsatz, wo er meinte, dass fehlende Schlafsäcke zu einer gewissen lamorianten Klagehäufigkeit der Soldaten geführt hat. Das sehe ich anders. Im Kongo-Einsatz gab es ganz andere Dinge, die relevant waren, dass dort die Soldatinnen und Soldaten mit unglaublichen Zuständen befasst waren, die nach meiner Einschätzung auch mit Fehlverhalten von militärischen Führern in Zusammenhang standen. Das liegt wie gesagt Gott sei Dank lange zurück.

    Barenberg: Um noch mal, Herr Robbe, bei Afghanistan zu bleiben. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, sagt, um den Eindruck von Krieg zu vermeiden, erhalten die Soldaten nicht die dringend erforderlichen schweren Waffen. Stimmen Sie zu?

    Robbe: Ich würde mich niemals beteiligen an irgendwelchen Diskussionen, die Strategie beinhalten, die Taktik beinhalten. Das sollen Andere tun. Ich bin nicht der Fachmann für derartige inhaltliche Fragen. Es wäre auch vermessen. Ich würde auch jedem da zur Zurückhaltung raten. Zumindest mache ich das. Das sollen Andere tun. Hier geht es mehr darum, dass man sensibel auf die Führer vor Ort hört, auf diejenigen, die in den PRTs (Provincial Reconstruction Teams, Anmerkung der Online-Redaktion) das Sagen haben, also in unseren Camps, die verantwortlich sind für die Führung der Quick Reaction Force und so weiter, und dann schauen, was hier notwendig ist.

    Barenberg: Und die sagen eben, diese Führer sagen vor Ort doch auch, die Einsatzregeln beispielsweise müssen verändert werden, die Waffen müssten künftig offensiver eingesetzt werden dürfen als bisher.

    Robbe: Es gibt da unterschiedliche Meinungen. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich so etwas nicht auf dem offenen Markt austrage. Wenn, dann werde ich meine Erkenntnisse dem Verteidigungsausschuss mitteilen, wie ich das nach meinem jüngsten Besuch in Afghanistan auch gemacht habe. Da gehört es hin, das gehört nicht auf den offenen Markt. Sie müssen einfach erkennen, dass auch die Taliban gut vernetzt sind und alle diese Debatten selbstverständlich sensibel mit verfolgen und daraus auch Dinge ableiten, die für sie wiederum Vorteile bedeuten im Kampf gegen die deutschen Soldatinnen und Soldaten. Das darf man nie verkennen.

    Barenberg: Der SPD-Politiker Reinhold Robbe, der Wehrbeauftragte der Bundesregierung, im Gespräch im Deutschlandfunk. Vielen Dank!

    Robbe: Bitte schön.