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Das Ende der freien Gewerkschaften nach dem Tag der Arbeit

Die Gleichschaltung war das große Ziel der Nazis. Sie machte auch vor den Gewerkschaften nicht halt. Am 2. Mai 1933 stürmten SA und SS in einer breit angelegten Aktion Gewerkschaftsgebäude, beschlagnahmten das Vermögen und verschleppten massenhaft Funktionäre.

Von Gerhard Schröder |
    Radioreporter:
    Berlin, 1. Mai 1933. Das Luftschiff Graf Zeppelin schwebt über der Stadt, an Bord ein Radioreporter, unten in den Straßen, hakenkreuzfahnenschwingende Massen, die sich in Marschkolonnen zum Tempelhofer Feld bewegen. Eine inszenierte Jubelparade, gekrönt von dem Auftritt des Reichskanzlers Adolf Hiter:


    Adolf Hitler:
    "Wir haben den unerschütterlichen Entschluss, diese große Aufgabe vor der deutschen Geschichte zu erfüllen. Haben den Entschluss, die deutschen Menschen wieder zueinander zu führen. Und wenn sie nicht wollen, sie zueinander zu zwingen. Jubel"

    Die Drohung richtet sich direkt an die Gewerkschaften. Deren Zerschlagung ist längst beschlossene Sache, den Schlachtplan hatte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels zwei Wochen zuvor in seinem Tagebuch skizziert:

    Joseph Goebbels:
    "Den 1. Mai werden wir zu einer grandiosen Demonstration deutschen Volkswillens gestalten. Am 2. Mai werden dann die Gewerkschaftshäuser besetzt. Gleichschaltung auch auf diesem Gebiet. Es wird vielleicht ein paar Tage Krach geben, aber dann gehören sie uns. Man darf hier keine Rücksicht mehr kennen."

    Um zehn Uhr morgens beginnt die Operation, Einsatzkommandos von SA und SS stürmen die Gewerkschaftshäuser im ganzen Land, verwüsten die Büros, und verhaften die führenden Funktionäre. Der Maurer Hans Schwert, damals 26 Jahre alt, beobachtet in Frankfurt am Main den Anfang vom Untergang der Gewerkschaften:

    Hans Schwert:
    "Da fuhren Autos vor, Lastwägen mit SA-Leuten, stürmten ins Gewerkschaftshaus. Und da flogen Funktionäre zur Tür raus. Und manche haben se abgeführt. Man hat das Gewerkschaftsleben weggemacht. Das war wichtig für die Faschisten und das Kapital. Denn nur dort in den Gewerkschaften war noch Widerstand zu erwarten."

    Viele Gewerkschafter wurden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Manche auch an Ort und Stelle ermordet, wie in Duisburg, wo vier Aktivisten von nationalsozialistischen Schlägertrupps umgebracht und anschließend im Wald verscharrt wurden. Der Bergarbeiter Karl van Berg erinnert sich:

    Karl van Berg:
    "Wir haben zwei Tage später erfahren, dass sie die vier Kameraden im Kokskeller erschlagen haben. Und die haben die dann auf einen Leiterwagen gepackt, und dann ins Auto. Das wussten wir, die waren erschlagen, obwohl in der Zeitung am anderen Tag stand, die wären nach Holland geflüchtet, die Gewerkschaftskasse mitgenommen, und wären wieder einmal Arbeiterverräter."

    Schon in den Wochen zuvor hatten die Nazis den Terror verschärft. Kommunisten und Sozialdemokraten verhaftet, das Parlament entmachtet. Im März 1933 dann der erste schwere Schlag gegen die Gewerkschaften: die Ausschaltung der Betriebsräte. Viele wurden verhaftet, so wie der Textilarbeiter Ludwig Küchel, der am 1. April in ein SA-Gefängnis in Berlin verschleppt wurde:
    "Wir wurden in einen Raum gesperrt, an dessen Wänden Blut und Haarbüschel hingen. Aus den Nachbarbunkern hörten wir das Schreien der misshandelten Eingesperrten."

    Nur zehn Prozent der Stimmen hatte die hitlertreue NSBO bei den Betriebsratswahlen bekommen, ein Desaster für die Nationalsozialisten. In den Betrieben fehlte ihnen nach wie vor jeglicher Rückhalt. Der Historiker Rudolf Tschirps:

    "Als klar wurde, dass ihnen das bei Wahlen niemals gelingen würde, haben sie den terroristischen Weg eingeschlagen. Eigentlich merkten sie, über zehn Prozent kommen wir in den Industriebetrieben nicht hinaus. Nur mit illegalen Mitteln wird uns das gelingen. Wir müssen mit Gewalt gegen die vorgehen, sonst können wir die Macht der Gewerkschaften nicht brechen."

    Die Gewerkschaften, geschwächt durch Massenarbeitslosigkeit und anhaltenden Mitgliederschwund, hatten dem Terror der braunen Machthaber nichts entgegenzusetzen.

    Aufruf ADGB:
    "Der deutsche Arbeiter soll am 1. Mai standesbewusst demonstrieren und ein vollberechtigtes Mitglied der deutschen Volksgemeinschaft werden."

    So heißt es in dem Aufruf des SPD-nahen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes zum 1. Mai 1933. Eine kampflose Kapitulation, wie Michael Sommer, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes heute, 80 Jahre danach, bitter konstatiert:

    "Ich glaube, der wichtigste Grund ist, dass die Gewerkschaftsbewegung zersplittert war. Wir hatten vier große Richtungsgewerkschaften, liberale Gewerkschaften, christliche Gewerkschaften, die freiheitlich-sozialistischen, die am größten waren, und die kommunistische rote Gewerkschaftsopposition, die sich alle untereinander bekriegten und nicht in der Lage waren, den Nazis etwas entgegenzusetzen."

    Die Gewerkschaftsführer hatten den Kampf längst aufgegeben. An einen Generalstreik wie 1920, als die Gewerkschaften den Putsch rechtsextremer Militärs stoppten und so die Weimarer Republik retteten, war im Frühjahr 1933 nicht zu denken:

    "Weil das gar nicht möglich war, wir hätten keine Leute dafür gekriegt. Für einen Generalstreik, da muss ja eine Stimmung in der Bevölkerung und in den Betrieben sein. Die war nicht da. "

    Hans Schwert, der gelernte Maurer, lebt heute in einem Pflegeheim in Frankfurt. Er ist 105 Jahre alt, ein Mann von beeindruckender Statur und klaren Grundsätzen. Auch nach der Zerschlagung der Gewerkschaften gab er nicht klein bei. Schrieb nachts Flugblätter, die tagsüber heimlich verteilt wurden. Versuchte Sabotageakte in den Frankfurter Rüstungsfirmen zu organisieren.

    Hans Schwert:
    "Nach Vorschrift zu arbeiten, das haben wir ihnen beigebracht, den Arbeitern. Sie sollten nicht übermäßig fleißig sein. Und sie sollten die Zünder von den Dingern so konstruieren, dass sie nicht brauchbar waren. Sabotage."

    Doch die Arbeit im Widerstand wurde immer gefährlicher. Drei Jahre hielt Schwert durch, im August 1936 wird er von der Gestapo verhaftet, verhört und gefoltert:
    "Und so ging das einige Tage, vielleicht 14 Tage, und dann haben sich mich von SS-Leuten in den Keller gezogen. Und haben mich fast totgeschlagen. Mein Körper sah aus wie ein Ofenrohr, so haben se mich da zugerichtet. Aber ich habe niemanden verraten."

    Für Schwert, den aufrechten Gewerkschafter und überzeugten Kommunisten, beginnt ein fast zehnjähriges Martyrium in 14 verschiedenen Nazi-Gefängnissen. Aber: Er überlebt, im Frühjahr 1945 kommt Hans Schwert frei, gezeichnet von jahrelanger Haft und Misshandlung. Aber nicht gebrochen:

    "Erst mal gehört Mut und Charakter dazu. Und Überzeugung. Wenn sie von etwas überzeugt sind und wissen, dass das richtig ist, dann kann Sie nichts umschmeißen. Und so habe ich es auch durchgestanden."

    Hans Schwert steht für viele Namenlose, die sich nicht beugten, die Widerstand leisteten. Aber 80 Jahre nach der Zerschlagung der Gewerkschaften bleibt die bittere Erkenntnis: Es waren zu wenige.