Archiv


Das Ende der Kinderarbeit

Es besteht allgemeiner Konsens darüber, dass junge Menschen bei der Arbeit vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen besonders geschützt werden müssen - auch in der Arbeitswelt. Das Jugendarbeitsschutzgesetz wurde am 9. August 1960 verkündet.

Von Anette Wilmes |
    Als der Entwurf des neuen Jugendarbeitsschutzgesetzes im Mai 1960 im Bundestag zur Debatte stand, erinnerte der SPD-Abgeordnete Heinz Frehsee an die Vorgeschichte:

    "1839 hat es das erste Kinderarbeitsschutzgesetz in Deutschland gegeben. 1839 gab es das Kinderarbeitsverbot in Fabriken für Kinder bis zu neun Jahren. Jetzt, 1960, sollen zum ersten Mal die Landwirtschaft und auch die Hauswirtschaft in den Jugendarbeitsschutz und in den Kinderarbeitsschutz einbezogen werden."

    Frehsee, der selbst früher in der Landwirtschaft gearbeitet hatte, setzte sich für ein generelles Arbeitsverbot für Kinder ein. Denn es gab immer noch Bestrebungen, Kinder wegen des Arbeitskräftemangels in der Landwirtschaft zu bestimmten Arbeiten zuzulassen.

    "Aber dies ist ein untaugliches Objekt, mit Kinderarbeit wirtschaftliche Probleme landwirtschaftlicher Betriebe lösen zu wollen."

    Dass es sich bei den gelegentlichen angeblich leichten Tätigkeiten in Wirklichkeit um Schwerstarbeit handelte, machte Frehsee klar, indem er aus dem Tagebuch eines zehnjährigen Mädchens zitierte:

    Freitag: 5 Stunden Hafer aufgestellt,
    Sonnabend 5 1/2 Stunden.
    Sonntag 6 Stunden.
    Montag: 4 Stunden Kühe von der Weide geholt.
    Dienstag 6 Stunden Kartoffeln gelesen.
    Mittwoch: 10 Stunden Kühe auf die Weide getrieben. Kartoffeln ausgemacht. Keine Schule.

    Große landwirtschaftliche Betriebe holten auch Kinder mit Bussen oder Lastwagen, um sie im Akkord auf dem Kartoffelfeld oder beim Rübenverziehen arbeiten zu lassen. Vor solcher Schinderei sollten die Kinder durch das neue Gesetz bewahrt bleiben. Und auch die Jugendlichen in der Ausbildung sollten stärker als bisher geschützt werden. Der CDU/CSU-Abgeordnete Fritz Mensing bezweifelte jedoch, dass bei verkürzten Arbeitszeiten noch "tüchtige Gesellen" herangebildet werden könnten. In Zeiten des Kalten Krieges beschwor er den Blick in den anderen deutschen Staat, in die DDR:

    "Wie dort die Jugend geknetet wird und bei uns der umgekehrte Weg gegangen wird, dass eine Verweichlichung dieser jungen Menschen eintritt. Zumal wir alle wissen, dass es nur junge Menschen können, die wirklich in der Lehre schon hart gemacht wurden."

    Das Jugendarbeitsschutzgesetz, das am 9. August 1960 verkündet wurde, verbot grundsätzlich die Kinderarbeit. Kindern ab 12 Jahren waren lediglich geringfügige und gelegentliche Hilfeleistungen in der Land- und der Hauswirtschaft erlaubt. Und für die Jugendlichen, also die Minderjährigen zwischen 14 und 18 Jahren, galt: kürzere Arbeitszeiten, keine Nachtarbeit, keine Akkordarbeit. Wochenendarbeit war nur eingeschränkt im Hotel, in der Gaststätte oder im Krankenhaus erlaubt. Im Übrigen wurden im neuen Gesetz Berufsschule, Ruhepausen, Freizeit und Urlaub geregelt. Wichtig war auch die ärztliche Gesundheitskontrolle.

    "Also das Jugendarbeitsschutzgesetz schützt minderjährige Auszubildende vor Überlastung. Gerade in der besonderen Phase, wo Jugendliche in den Beruf einsteigen, wo viele Dinge neu sind, wo Arbeitsprozesse neu sind, braucht es diesen Schutz",

    erklärt René Rudolf, Bundesjugendsekretär des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Als das neue Gesetz 1976 überholt und verbessert wurde, gab es wieder heftige politische Auseinandersetzungen. Protest kam vor allem aus dem Hotel- und Gaststättenbereich wegen der strengen Wochenendregeln. Auszubildende wollte man als vollwertige, aber schlecht bezahlte Dienstleistungskräfte einsetzen. Dieser Trend, sagt Gewerkschafter René Rudolf, habe sich bis heute gehalten:

    "Wir erleben kontinuierlich Vorschläge, die Regelungen zur Nachtarbeit, zur Wochenendarbeit, zu Überstunden, zur Sonntagsarbeit zu entschärfen, also auszuweiten."

    Diese Vorschläge hätten bereits ihre Wirkung gezeigt, sagt Rudolf. Jedenfalls steht im Vertrag der Regierungskoalition der bemerkenswerte Satz:

    Ausbildungshemmnisse im Gastgewerbe werden durch ein flexibleres Jugendarbeitsschutzgesetz abgebaut.

    Dass der Jugendarbeitsschutz tatsächlich gelockert wird, darf jedoch bezweifelt werden. Derzeit überprüft eine Arbeitsgruppe, die auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gegründet wurde und sich aus Fachleuten von Bund und Ländern zusammensetzt, ob das Gesetz eventuell geändert werden soll.

    Weitere Informationen:
    Bundesministerium der Justiz: Gesetz zum Schutz der arbeitenden Jugend