Archiv


Das Ende der letzten Demokraten

Die deutsche Zentrumspartei galt als die treueste Hüterin der Weimarer Verfassung. Auch nach dem Ende der Monarchie 1918 sah es die älteste Partei Deutschlands als ihre Aufgabe an, sich am Aufbau des neuen Staates zu beteiligen. In der Weimarer Republik war das Zentrum an fast allen Regierungen beteiligt. Aber so sehr sie mit der Republik verbunden war, so sehr wahrte die konservativ-konfessionelle Partei Distanz zur Demokratie. Diese Haltung wurde zum Verhängnis, als Anfang der Dreißigerjahre die Nationalsozialisten zum Sturm auf die Republik riefen. Im Bemühen, die NSDAP zu zähmen, gleichzeitig aber die Demokratie nur halbherzig zu verteidigen, spielte das Zentrum den Feinden der Republik in die Hände. Heute vor 75 Jahren löste sich die deutsche Zentrumspartei auf.

Von Christian Berndt |
    Es gibt keinerlei Widerstand. Als am Abend des 5. Juli 1933 die Zentrumsführung die Auflösung der Partei bekannt gibt, ist niemand überrascht. Das eigentliche Ende der Zentrumspartei kam schon drei Monate vorher. Am 23. März 1933 beschloss der Reichstag die Annahme des Ermächtigungsgesetzes, mit dem Adolf Hitler die vollständige Macht im Reich übertragen wurde. Nur die SPD stimmte dagegen, die Zentrumspartei einstimmig dafür. Sie bot dem NS-Regime, das seit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler das Land mit Terror überzog, sogar ihre Mitarbeit an. Der Vorsitzende des Zentrums, Ludwig Kaas, erklärte dazu im Reichstag:

    "Die deutsche Zentrumspartei, die den großen Sammlungsgedanken schon seit langem vertreten hat, setzt sich in dieser Stunde bewusst und aus nationalem Verantwortungsgefühl über alle parteipolitischen und sonstigen Bedenken hinweg."

    Die katholische Zentrumspartei, die sich als Hüterin der Weimarer Verfassung verstand, hat damit die Republik an deren Todfeinde ausgeliefert. Zum Teil aus Angst um ihre Anhänger, aber auch, weil man sich dem neuen Staat verpflichtet fühlte. Dieses Denken hatte Tradition im Zentrum. Im Kaiserreich wurde die Partei von Reichskanzler Bismarck, der einen Kulturkampf gegen den Einfluss der katholischen Kirche führte, als Reichsfeind bezeichnet. Aus dieser Erfahrung heraus stellte sich das Zentrum nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 in den Dienst der ungeliebten Republik. Der Zentrumspolitiker Constantin Fehrenbach erklärte 1918:

    "Eine neue Zeit ist im politischen Leben des deutschen Volkes angebrochen. Es ist selbstverständlich, dass manche Kreise diesem Neuen kritisch, ja sogar ablehnend gegenüberstehen. Wie erhoffen von den Leistungen der neuen Zeit eine versöhnende und klärende Wirkung."

    In der Weimarer Republik ist das Zentrum an fast allen Regierungen beteiligt und stellt mehrere Kanzler. Aber mit durchschnittlich 12 Prozent Wählerstimmen gelingt es ihm nicht, zu einer Volkspartei zu werden. Zu sehr bleibt das Zentrum die Vertretung der Katholiken. Da es als konfessionelle Partei die verschiedensten gesellschaftlichen Strömungen in sich vereint, dient als einzige Klammer der Katholizismus, auf den sich die Partei seit Ende der Zwanzigerjahre immer stärker besinnt. Damit wächst auch die Distanz zur Republik, die viele Zentrumsanhänger als materialistisch und zu liberal kritisieren.

    Als mit Beginn der Weltwirtschaftskrise und dem Aufstieg der NSDAP die Republik in die Krise gerät, kommt auch im Zentrum der Wunsch nach autoritären Lösungen auf. 1930 wird der Zentrumspolitiker Heinrich Brüning Reichskanzler. Seine Regierung stützt sich - unabhängig vom Parlament - allein auf Notverordnungen des Reichspräsidenten Hindenburg. Doch 1932 wird Brüning vom Reichspräsidenten entlassen, weil Hindenburg eine Rechtsregierung mit Politikern der Deutschnationalen Volkspartei wünscht. Das folgende deutschnationale Kabinett Franz von Papens wird vom Zentrum scharf bekämpft: die Partei drängt auf eine Koalitionsregierung mit der NSDAP. Man glaubt, man müsse - so wie 1919 mit der SPD - nun auch mit den Nazis kooperieren. Doch die Hoffnung, die Nazis in einer Koalitionsregierung zähmen zu können, erweist sich als Illusion. Nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt worden ist, denkt er nicht daran, mit dem Zentrum zu koalieren. Die Zentrumsführung versucht, wenigstens Zugeständnisse für die Rechte der Kirche zu erreichen. Und Hitler versteht es in seiner Regierungserklärung geschickt, sich mit leeren Versprechungen die Zustimmung der Partei zum Ermächtigungsgesetz zu sichern:

    "Ebenso legt die Reichsregierung, die im Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes sieht, den größten Wert darauf, freundschaftliche Beziehungen zum heiligen Stuhl weiter zu pflegen und auszugestalten."

    Als der Diktator auch noch den Abschluss eines Reichskonkordats mit dem Vatikan ankündigt, scheint für viele Zentrumsanhänger die Partei überflüssig zu werden. Als das Verbot droht, löst sich das Zentrum als letzte demokratische Partei selbst auf - nicht, ohne seine Anhänger aufzufordern, den neuen Staat zu unterstützen. In dem festen Willen, nie wieder Reichsfeind zu werden, hat sich das Zentrum in den Dienst der Terrorherrschaft gestellt.