Am Anfang steht ein Staatsbegräbnis: die Trauerzeremonie für Konstantin Tschernenko, Chef der KPdSU, der im März 1985 mit 82 Jahren die Augen schloss. Er war nach Breschnew und Andropow bereits der dritte sowjetische Gerontokrat, der binnen zweieinhalb Jahren im Amt verstarb.
"Das bedeutet, dass die sowjetische führende Elite biologisch zu alt geworden ist und vor allem keine Initiative mehr hatte. Dieses rasche Wegsterben der führenden Elite - und es geht nicht nur um die Generalsekretäre, sondern auch um die wichtigsten Typen der sowjetischen Ideologie oder Militärs, dass sie nicht mehr die physische Kraft besitzen, so ein großes Imperium zu regieren und außerdem noch die entsprechenden Ideen dazu haben."
Der ungarische Autor György Dalos registriert die Zeichen des Verfalls der Sowjetunion. Damit begann "Das Ende der Diktaturen in Osteuropa" - so der Untertitel seines Buches "Der Vorhang geht auf". Es war nicht nur die Überalterung der Führungseliten, die den Niedergang des sowjetischen Imperiums anzeigte: der Krieg in Afghanistan, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, das Wettrüsten mit der NATO beschleunigten den Zerfall. Michail Gorbatschow, der als Mittfünfziger den greisen Tschernenko beerbte, stand einem System vor, das auch die Krise in den Satellitenstaaten nicht länger steuern konnte und wollte - weder ökonomisch noch politisch.
"Die Sowjetunion hat sich eindeutig übernommen und außerdem waren diese Länder zunehmend eine Quelle von Problemen; einige, weil ihre Führung sowjetischer sein wollte als die Sowjets selbst, andere, weil sie zu wenig sowjetisch waren."
György Dalos ist Schriftsteller und Historiker. Er hat in Moskau die Universität besucht, heute lebt er in Berlin. Die Schattenseiten des "realexistierenden Sozialismus" studierte Dalos als demokratischer Oppositioneller in den 70er- und 80er-Jahren in Ungarn: ein gelernter Dissident mit besten Kontakten zu Gesinnungsgenossen in ganz Osteuropa. Wer also wäre berufener, die Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes zu analysieren? Dalos beschreibt die Jahre der Wende von Polen bis Rumänien mit reicher Faktenkenntnis - und: mit leiser Ironie. So zum Beispiel, wenn er die politische Bedeutung der katholischen Kirche in Polen skizziert.
"Dass die Kirche in Polen diese ausgleichende Rolle zwischen der Partei und der Bevölkerung spielte, war natürlich einem eklatanten Widerspruch zu verdanken. Die Kommunisten hatten auch das Paradies der Bevölkerung versprochen, aber es war sehr leicht zu prüfen, ob das Paradies schon eingetreten war, während das Paradiesversprechen der Kirche weniger kontrollierbar war."
Der legendäre "runde Tisch", Modell des Machtwechsels in ganz Osteuropa, wurde in Warschau schon 1988 in Auftrag gegeben. Die Manufaktur Henrykòw, die auch für den polnischen Papst arbeitete, fertigte dieses Möbel stilvoll nebst 58 Stühlen. Darauf hatten alle gesellschaftlich relevanten Kräfte Platz - von den Vertretern der Kommunisten und der katholischen Kirche bis zu Solidarnosc. Der Tisch war nicht nur ein Symbol, sondern bildete ganz konkret die Teilung der Macht für eine Übergangszeit ab.
"Die Polen waren die Ersten, die aufgrund ihrer ständigen Krisen verstanden hatten, dass ohne die Nichtkommunisten in diesem Land nichts zu machen ist. Sie wollten diesen konsultativen Rat zusammentrommeln, damit nicht die Opposition einen anderen Rat zustande bringt. Das heißt, es ging nicht mehr um irgendwelche Reformkommunisten, sondern die Macht sprach mit der Opposition."
Für die stilsichere Vorbereitung solcher Gespräche blieb in der DDR keine Zeit. Als Egon Krenz, der Nachfolger Honeckers, Anfang November 1989 in Moskau bei Gorbatschow um brüderliche Hilfe einkam, war in Ostberlin und Leipzig schon landunter.
"Und er sagt Gorbatschow: 'Schließlich sind wir kein beliebiges sozialistisches Land, sondern Kind der Sowjetunion. Und ein anständiger Mann muss die Vaterschaft anerkennen oder zumindest den Vaternamen dem Kind geben.' Worauf Gorbatschow lachte und sagte: 'Die DDR muss ihre Probleme mit der Bundesrepublik lösen.' Und das Schicksal der DDR war schon zwei Tage später einfach besiegelt."
Nach Dalos' Recherchen war das im Prinzip schon im Juli 1986 beschlossene Sache: Als Gorbatschow dem Politbüro der sowjetischen KP darlegte, dass die alten Methoden des Umgangs mit den "Verbündeten" á la CSSR 1968 unannehmbar seien, denn andernfalls müsse man sich die "Freunde" auf den Hals laden - mitsamt ihren wirtschaftlichen Problemen.
So nahmen die Dinge im November 1989 ihren Lauf. Die DDR-Bürgerrechtler wurden bei dem Versuch, den autoritären Staatssozialismus des Arbeiter- und Bauernstaates basisdemokratisch zu reformieren, von den Fakten schlichtweg überrollt. Es lief dann doch auf die Vereinigung mit der Bundesrepublik hinaus, samt Übernahme ihres Parteiensystems - plus Etablierung der ostdeutschen Protestpartei PDS. Evangelische Friedensaktivisten und Ökosozialisten wurden schon bei den ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer kalt abgestraft. Was bleibt, ist die Erinnerung an den mutigen Kampf der Dissidenten gegen die "Stasi". Dalos:
"Die Dissidenten haben als Erste verstanden, dass nur ein offener Protest hilft und dass man diese Gesellschaft aufrütteln muss. Also diese albernen Gewohnheiten, Kaffee und Kuchen am Sonntag, müssen irgendwann doch eine Pause haben. Und das waren die Dissidenten."
Fazit: György Dalos liefert eine luzide politische Analyse dieser Wendejahre, gespeist aus eigener Anschauung der Entwicklung in Budapest, Ostberlin, Warschau oder Prag. Ein pralles historisches Panorama - grundiert mit politischem Witz.
György Dalos: Der Vorhang geht auf
Das Ende der Diktaturen in Osteuropa
Aus dem Ungarischen von Elsbeth Zylla
München 2009, Verlag C.H. Beck, 272 Seiten, 19,90 Euro
"Das bedeutet, dass die sowjetische führende Elite biologisch zu alt geworden ist und vor allem keine Initiative mehr hatte. Dieses rasche Wegsterben der führenden Elite - und es geht nicht nur um die Generalsekretäre, sondern auch um die wichtigsten Typen der sowjetischen Ideologie oder Militärs, dass sie nicht mehr die physische Kraft besitzen, so ein großes Imperium zu regieren und außerdem noch die entsprechenden Ideen dazu haben."
Der ungarische Autor György Dalos registriert die Zeichen des Verfalls der Sowjetunion. Damit begann "Das Ende der Diktaturen in Osteuropa" - so der Untertitel seines Buches "Der Vorhang geht auf". Es war nicht nur die Überalterung der Führungseliten, die den Niedergang des sowjetischen Imperiums anzeigte: der Krieg in Afghanistan, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, das Wettrüsten mit der NATO beschleunigten den Zerfall. Michail Gorbatschow, der als Mittfünfziger den greisen Tschernenko beerbte, stand einem System vor, das auch die Krise in den Satellitenstaaten nicht länger steuern konnte und wollte - weder ökonomisch noch politisch.
"Die Sowjetunion hat sich eindeutig übernommen und außerdem waren diese Länder zunehmend eine Quelle von Problemen; einige, weil ihre Führung sowjetischer sein wollte als die Sowjets selbst, andere, weil sie zu wenig sowjetisch waren."
György Dalos ist Schriftsteller und Historiker. Er hat in Moskau die Universität besucht, heute lebt er in Berlin. Die Schattenseiten des "realexistierenden Sozialismus" studierte Dalos als demokratischer Oppositioneller in den 70er- und 80er-Jahren in Ungarn: ein gelernter Dissident mit besten Kontakten zu Gesinnungsgenossen in ganz Osteuropa. Wer also wäre berufener, die Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes zu analysieren? Dalos beschreibt die Jahre der Wende von Polen bis Rumänien mit reicher Faktenkenntnis - und: mit leiser Ironie. So zum Beispiel, wenn er die politische Bedeutung der katholischen Kirche in Polen skizziert.
"Dass die Kirche in Polen diese ausgleichende Rolle zwischen der Partei und der Bevölkerung spielte, war natürlich einem eklatanten Widerspruch zu verdanken. Die Kommunisten hatten auch das Paradies der Bevölkerung versprochen, aber es war sehr leicht zu prüfen, ob das Paradies schon eingetreten war, während das Paradiesversprechen der Kirche weniger kontrollierbar war."
Der legendäre "runde Tisch", Modell des Machtwechsels in ganz Osteuropa, wurde in Warschau schon 1988 in Auftrag gegeben. Die Manufaktur Henrykòw, die auch für den polnischen Papst arbeitete, fertigte dieses Möbel stilvoll nebst 58 Stühlen. Darauf hatten alle gesellschaftlich relevanten Kräfte Platz - von den Vertretern der Kommunisten und der katholischen Kirche bis zu Solidarnosc. Der Tisch war nicht nur ein Symbol, sondern bildete ganz konkret die Teilung der Macht für eine Übergangszeit ab.
"Die Polen waren die Ersten, die aufgrund ihrer ständigen Krisen verstanden hatten, dass ohne die Nichtkommunisten in diesem Land nichts zu machen ist. Sie wollten diesen konsultativen Rat zusammentrommeln, damit nicht die Opposition einen anderen Rat zustande bringt. Das heißt, es ging nicht mehr um irgendwelche Reformkommunisten, sondern die Macht sprach mit der Opposition."
Für die stilsichere Vorbereitung solcher Gespräche blieb in der DDR keine Zeit. Als Egon Krenz, der Nachfolger Honeckers, Anfang November 1989 in Moskau bei Gorbatschow um brüderliche Hilfe einkam, war in Ostberlin und Leipzig schon landunter.
"Und er sagt Gorbatschow: 'Schließlich sind wir kein beliebiges sozialistisches Land, sondern Kind der Sowjetunion. Und ein anständiger Mann muss die Vaterschaft anerkennen oder zumindest den Vaternamen dem Kind geben.' Worauf Gorbatschow lachte und sagte: 'Die DDR muss ihre Probleme mit der Bundesrepublik lösen.' Und das Schicksal der DDR war schon zwei Tage später einfach besiegelt."
Nach Dalos' Recherchen war das im Prinzip schon im Juli 1986 beschlossene Sache: Als Gorbatschow dem Politbüro der sowjetischen KP darlegte, dass die alten Methoden des Umgangs mit den "Verbündeten" á la CSSR 1968 unannehmbar seien, denn andernfalls müsse man sich die "Freunde" auf den Hals laden - mitsamt ihren wirtschaftlichen Problemen.
So nahmen die Dinge im November 1989 ihren Lauf. Die DDR-Bürgerrechtler wurden bei dem Versuch, den autoritären Staatssozialismus des Arbeiter- und Bauernstaates basisdemokratisch zu reformieren, von den Fakten schlichtweg überrollt. Es lief dann doch auf die Vereinigung mit der Bundesrepublik hinaus, samt Übernahme ihres Parteiensystems - plus Etablierung der ostdeutschen Protestpartei PDS. Evangelische Friedensaktivisten und Ökosozialisten wurden schon bei den ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer kalt abgestraft. Was bleibt, ist die Erinnerung an den mutigen Kampf der Dissidenten gegen die "Stasi". Dalos:
"Die Dissidenten haben als Erste verstanden, dass nur ein offener Protest hilft und dass man diese Gesellschaft aufrütteln muss. Also diese albernen Gewohnheiten, Kaffee und Kuchen am Sonntag, müssen irgendwann doch eine Pause haben. Und das waren die Dissidenten."
Fazit: György Dalos liefert eine luzide politische Analyse dieser Wendejahre, gespeist aus eigener Anschauung der Entwicklung in Budapest, Ostberlin, Warschau oder Prag. Ein pralles historisches Panorama - grundiert mit politischem Witz.
György Dalos: Der Vorhang geht auf
Das Ende der Diktaturen in Osteuropa
Aus dem Ungarischen von Elsbeth Zylla
München 2009, Verlag C.H. Beck, 272 Seiten, 19,90 Euro