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Das Ende des Grauens 1918 (4/5)
Wie Schotten den Krieg wieder erlebbar machen

Das Nationale Kriegsmuseum in Edinburgh versucht, geschichtliche Ereignisse in möglichst authentischer Weise erlebbar zu machen. Wer die Ehrenhalle betritt, trifft auch David und Ailsa Clark, die als Gefreiter und Krankenschwester an den Ersten Weltkrieg erinnern.

Von Jochen Spengler |
    Die Burg Edinburgh Castle auf dem Castle Rock
    Im Zentrum auf dem Castle Rock thront die Burg Edinburgh Castle (AFP / Oli Scarff)
    Auf dem Castle Rock, einem erloschenen Vulkankegel, thront das mächtige, fast 1.000 Jahre alte Edinburgh Castle hoch über der schottischen Hauptstadt. Und ganz bewusst habe man oben in der Burganlage 1927 das "Scottish National War Memorial" errichtet, erläutert Stuart Allan, Haupt-Kurator in Schottlands Nationalmuseen.
    "Es war Ausdruck einer schottischen Antwort auf die Erfahrung des Ersten Weltkriegs. Zwar waren wir ein Teil des britischen Einsatzes und des Sieges. Aber hier ist Schottland und wir haben unsere besondere Tradition. So geschahen zwei Dinge: Zunächst wurde das Denkmal mit seiner kolossalen Gestalt auf der Spitze der Burg errichtet und dann, in einem zweiten Schritt, das Nationale Kriegsmuseum, das die schottische Militärtraditionen über die Jahrhunderte verkörpert."
    Regimentsbücher mit dem Namen der Gefallenen
    In der Ehrenhalle des Memorials liegen die Regimentsbücher in rotem Ledereinband mit den Namen der 150.000 Gefallenen. Im Kriegsmuseum weiter unten auf der Burganlage wartet David Clarke, ein Soldat des Regiments der Liverpool Scottish, jener Schotten, die in der Umgebung der englischen Hafenstadt Liverpool arbeiteten und lebten.
    "Es ist ein Heimatheer aus Teilzeit-Soldaten", erzählt David Clarke. Fünf Jahre vor dem Ersten Weltkrieg sei er dem Regiment beigetreten.
    "Seither bin ich befördert worden vom einfachen Soldaten zum Gefreiten, also der zweitniedrigste statt des niedrigsten Ranges. Mein Bataillon ist im August 1914 von Liverpool nach Edinburgh versetzt worden, um hier Eisenbahnstrecken und die Küste zu bewachen und feindliche Schiffe zu melden. Wir haben niemals damit gerechnet, dass wir rübergeschickt würden, aber schon Ende Oktober fanden wir uns in den Schützengräben wieder."
    Auf dem Kopf trägt er ein Glengarry, eine Hochlandmütze in Schiffchenform mit rot-weißem Karo und dem Regimentsabzeichen. Im Gesicht ein beeindruckender, an den Enden gezwirbelter Schnurrbart. Quer über der olivgrünen Regimentsjacke ein Patronengurt; weiter unten der Kilt, der Schottenrock mit grün, blau, weißem Tartan, mit dem man in den Krieg zog.
    Neben David steht Ailsa, eine Krankenschwester in Weltkriegstracht. Ein weißer, gestärkter Kittel, weiße Haube und graurotes Cape – daran gesteckt als Abzeichen: die schottische Distel. Auch Ailsa präsentiert auf dem Tisch Original-Ausrüstung: Verbände, chirurgische Instrumente, Skalpelle, Scheren, Tupfer, Lupen.
    "Hier haben wir verschiedene Dinge, die wir aus den Wunden entfernt haben. Die Leute erwarten Kugeln, die im Körper waren oder Metallstücke von den Granaten. Woran sie nicht denken sind Gürtelschnallen oder Knöpfe – aber alles, was der Soldat getragen hat, gelangt in Wunden. Wir müssen jede einzelne Faser der Uniform entfernen, sonst würde der Soldat daran sterben."
    Ein schottischer Dudelsackspieler spielt am 11. November 2015 zum Tag des Waffenstillstands in London (Großbritannien)
    Großbritannien gedenkt am Tag des Waffenstillstandes (11. November) wie hier in London seiner Kriegstoten (EPA)
    Die letzten Augenzeugen sind gestorben
    Antibiotika gab es noch nicht im Ersten Weltkrieg, erläutert die schwarzhaarige Schottin. Ailsa ist 38 Jahre alt und dient als Krankenschwester im französischen Royaumont dicht hinter der Front. Ein Krankenhaus, in dem ausschließlich Frauen arbeiten.
    Museumsbesucher wie Andy und Gilligam sind beeindruckt von den Gegenständen und von den Stories, die Ailsa und David erzählen können.
    "Großartig, es erinnert uns wirklich daran, was die Menschen damals durchleiden mussten."
    Die letzten Augenzeugen des Ersten Weltkriegs sind in Großbritannien vor wenigen Jahren gestorben. Und David und Ailsa Clark sind im wirklichen Leben Lehrer. Ob Uniform, Tracht oder die vielen Ausrüstungsgegenstände, alles gehört ihnen selbst und nicht dem Kriegsmuseum. Das Ehepaar hat es teilweise auf den Schlachtfeldern in Flandern gefunden, die sie schon oft mit ihren Schülern aufgesucht haben.
    "Ich bin ein Geschichtslehrer und habe versucht, meinen Unterricht interessanter zu machen. Und ich dachte mir, warum sollte ich nicht einige Sachen aus der Zeit erwerben, statt mit den Schülern nur darüber zu reden oder ihnen Fotos zu zeigen."
    David und Ailsa wollen mit der Nachstellung realer Personen an den Ersten Weltkrieg erinnern. Einzelne Schicksale interessieren sie sehr viel mehr als die große Politik oder Fragen danach, wer Schuld war am Krieg und wie man ihn hätte verhindern können.
    "Es wäre für mich schlechte Geschichtswissenschaft, ein Jahrhundert später hier zu stehen und Menschen zu kritisieren, die unter einem Druck gestanden haben, von dem wir keine Ahnung haben. Hinterher ist man immer klüger, sagt man und es ist egal, ob es britische Soldaten sind, indische oder wer auch immer. Es sind die Menschen und ihre Geschichten. Und es gibt so viel Gemeinsames zwischen den Nationen."
    Eine Produktion des Deutschlandfunk 2014