Das Ende des Urkilogramms. Forscher wollen die Masseneinheit neu definieren.
Überprüfung des Depots der metrischen Prototypen. Protokoll. Der Präsident des internationalen Komitees für Maße und Gewichte, der Direktor des internationalen Büros für Maße und Gewichte und der Konservator der Archives de France haben die Überprüfung des Depots der internationalen metrischen Prototypen vorgenommen. Man hat die drei Schlüssel zusammengebracht, die das Depot öffnen: den, der dem Direktor des Büros anvertraut ist, den, der im Nationalarchiv hinterlegt ist, und schließlich denjenigen, den der Präsident des internationalen Komitees in seiner Obhut hat.
Nach Öffnung der beiden Eisentüren des Gewölbes sowie des Panzerschranks hat man in letzterem das Vorhandensein der Prototypen festgestellt: den Meter und das Kilogramm. Auf den Messinstrumenten im Panzerschrank hat man folgende Angaben abgelesen:
Derzeitige Temperatur: 20,56 Grad Celsius Maximaltemperatur: 23 Grad Celsius Minimaltemperatur: 19 Grad Celsius Feuchtigkeitsgrad: 57 Prozent
Mit Aufnehmer, Besen und Schwamm nehmen zwei Frauen in Kitteln eine rasche Reinigung des Raumes vor. Luft, Staub und Feuchtigkeit: wie bei den in den Katakomben Roms verwitternden Fresken greift der Kontakt mit diesen Elementen die beiden Eich-Prototypen an. Die doppelte Panzertür wird wieder verschlossen; es ist 17Uhr45. Die Öffnung des Gewölbes hat nur eine Dreiviertelstunde gedauert. Erst in einem Jahr wird man die Türen wieder öffnen: am letzten Freitag im September.
Das Kilogramm basiert nach wie auf meinem Stück aus Platin-Iridium. Ein kleiner Zylinder, 39 Millimeter hoch, 39 Millimeter im Durchmesser, gefertigt aus Platin mit zehn Prozent Iridium. Das ist der internationale Prototyp des Kilogramms.
Terry Quinn, Direktor des BIPM, des internationalen Büros für Maße und Gewichte in Paris. Das Weltzentrum der Metrologie, der Lehre von den Maßen und Gewichten. Mit Argusaugen wacht das BIPM darüber, dass möglichst überall auf dem Globus mit denselben Maßeinheiten gemessen und gearbeitet wird.
Früher gingen die Menschen ziemlich willkürlich mit den Maßeinheiten um. Bis ins 19. Jahrhundert hinein besaß jedes Land seine eigenen Einheiten, zum Teil sogar jede Region, jedes Fürstentum. Doch um 1860, 1870 hatte der Handel zwischen den Ländern so stark zugenommen, dass ein internationales Abkommen über Maße und Gewichte notwendig wurde. Also lud die französische Regierung die anderen Staaten nach Paris ein - in der Hoffnung, sich auf so etwas wie ein internationales System für die Maßeinheiten zu einigen. 1875 dann wurde die Meterkonvention von 17 Ländern unterschrieben und das internationale Büro für Maße und Gewichte in Paris gegründet – mit der Aufgabe, internationale Standards für den Meter und das Kilogramm einzurichten.
1792. Frankreich in den Wirren der Revolution. Auf Geheiß der Volksversammlung machen sich zwei Astronomen auf, die Erde zu vermessen. Möglichst genau sollen Jean-Baptiste Delambre und Pierre-Francois Méchain herausfinden, wie lang ein Meridian ist, ein Längengrad. Der eine fährt in Richtung Norden, bis nach Dünkirchen. Der andere zieht gen Süden, nach Barcelona. Beide Städte liegen auf demselben Längengrad wie Paris. Unterwegs klettern Delambre und Méchain auf zahllose Kirchtürme, spähen durch Fernrohre und vermessen Winkel. 1800 solcher Messungen haben sie zu bewältigen. Eine ununterbrochene Kette von gedachten Dreiecken muss den Weg von Dünkirchen nach Barcelona bedecken. Sechs Jahre dauert es, dann ist das Werk vollbracht. Nun können die Astronomen ausrechnen, wie lang der Meridian ist – genauer gesagt der Meridianquadrant, die Strecke zwischen Nordpol und Äquator. Der zehnmillionste Teil dieser Strecke soll der Meter sein. Ein Längenmaß, gleich bleibend für alle Zeiten und für alle Völker. "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". Die Ideen der französischen Revolution sollen nicht nur für Verfassung und Regierung gelten, sondern auch für Stoffballen und Ackerflächen.
1875. In Paris entsinnen sich die Mitgliedsstaaten der Meterkonvention der Ergebnisse von Delambre und Méchain. Sie beschließen, den Urmeter anfertigen zu lassen. Ein Stab aus Platin-Iridium, fortan der Maßstab sämtlicher Längen und Entfernungen. Ein zweiter Prototyp aus Platin-Iridium wird zum Urkilogramm. Ein unscheinbarer Zylinder, nicht viel größer als ein Filmdöschen. Seine Masse entspricht exakt der eines Würfels, zehn Zentimeter Kantenlänge, gefüllt mit reinem Wasser. Urmeter und Urkilogramm - bis heute lagern beide im Jagdschloss von Breteuil, dem Arbeitsplatz von BIPM-Direktor Terry Quinn.
Das Problem ist: Im Laufe der Zeit verändern sich diese Prototypen. Ihre Eigenschaften hängen von Luftdruck und Luftfeuchtigkeit ab. Ihre Oberflächen können verunreinigt werden. Und im Laufe der Zeit verändert sich das Material selber, weil sich Wasserstoff aus dem Inneren des Metalls löst.
Und schließlich – so die Urangst der Metrologen – könnten die Prototypen auch gestohlen werden, oder eine Naturkatastrophe könnte sie beschädigen. Da wäre es doch besser, Länge, Zeit und Masse auf Naturkonstanten zurückzuführen – auf Größen wie zum Beispiel die Lichtgeschwindigkeit - unveränderlich, unverrückbar, universell. Gesagt, getan.
Der Meter ist heute nicht mehr auf der Grundlage des Urmeters definiert. 1960 wurde er zunächst definiert als ein Vielfaches der Wellenlänge von Licht, das von Kryptonatomen ausgestrahlt wird. Und seit 1983 ist der Meter festgelegt durch die Lichtgeschwindigkeit - also die Distanz, die das Licht in einem bestimmten, sehr kleinen Sekundenbruchteil zurücklegt.
Auch die anderen Basiseinheiten fußen heute auf Naturkonstanten, auf stetigen, unveränderlichen Größen. Bis – so Terry Quinn – bis auf eine Ausnahme.
Die Ausnahme ist mein internationaler Prototyp des Kilogramms. Alle anderen Einheiten – Länge, Zeit, elektrische Spannung – basieren auf physikalischen Prinzipen. Die einzige Einheit, die nach wie vor durch einen Prototypen definiert ist, ist das Kilogramm.
Ein grundlegender Makel, den die Forscher liebend gern beseitigen würden. Doch es gibt da noch einen Grund, weshalb die Meteorologen das Urkilogramm lieber heute als morgen ins Museum verbannen würden. Einen durchaus beunruhigenden Grund. Er hängt mit folgender Geschichte zusammen.
Und zwar gibt es ein Urkilogramm im BIPM in Paris.
Arnold Nicolaus von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig, kurz PTB.
Das ist nach Definition das Kilogramm. Im ersten Anlauf wurden 42 Kopien hergestellt und an die verschiedenen Staatsinstitute verlost.
Ausgehend von diesen Kopien, den so genannten Sekundär-Prototypen, stellen die Staatsinstitute weitere Gewichtsstücke her, die sie an die Eichämter im ganzen Land verteilen. Die Ämter eichen damit Waagen und Gewichte - letztlich auch die Gewichte, mit denen der Händler auf dem Markt das Gemüse auswiegt.
Die Sekundärkilogramm-Prototypen sind mit den damaligen Mitteln bestmöglich hergestellt worden. Und sie haben Massenabweichungen, die kleiner sind als ein Milligramm zu dem Urkilogramm.
Das war 1889. Später kamen zu den 42 Sekundär-Prototypen noch acht hinzu, sodass es mittlerweile 50 dieser Staatsnormale gibt. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob die Normale auch nach Jahrzehnten noch mit dem Urkilogramm übereinstimmen. Dazu muss man sie nach Paris schaffen und mit dem Urkilogramm vergleichen. Zwei Mal ist das bis heute geschehen: 1950 und zuletzt 1990.
Das Urkilogramm wird auf dem einen Teil dieser Waage gelagert. Und dann wird das jeweils andere Kilogramm des nämlichen Staatsinstitutes auf der anderen Waagschale gelagert. Und die Differenz wird dann durch Zusatzgewichte ermittelt – bis sich die Waage ausbalanciert.
Eine Methode, die einem bekannt vorkommt. Nicht anders wiegt auch die Marktfrau das Gemüse ab. Der Unterschied: In Paris übernimmt das die empfindlichste Waage der Welt. Und:
Da diese Staatsnormale sehr seltene Unikate sind, ganz zu schweigen von dem Urkilogramm, wird natürlich ein ziemlicher Sicherheitsaufwand gemacht. Weder darf eines verloren gehen, noch dürfen sich Kratzer oder andere Beschädigungen auf dem jeweiligen Kilogramm befinden. Deshalb muss man sehr hohen Aufwand treiben, was auch die Reinigung und das Handling dieser Kilogramm-Prototypen angeht.
An sich sollte sich zwischen dem Urkilogramm und jedem der Staatsnormale nichts verändert haben, sagt Arnold Nicolaus. Die kleinen Abweichungen, die man 1889 festgestellt hatte, sollten auch nach einem Jahrhundert noch dieselben sein. So dachten es sich die Metroelogen – und erlebten 1990, beim letzten Abgleich, einen Schock.
Es ist festgestellt worden, dass sich die anfängliche Massendifferenz in den letzten 100 Jahren für alle um etwa 50 Mikrogramm erhöht hat. D.h. der Mittelwert der vielen Sekundärprototypen beträgt jetzt 50 Mikrogramm mehr als es das Urkilogramm damals hatte.
50 Mikrogramm sind durchaus eine Größe, die außerhalb jeglicher Unsicherheiten bei der Messung liegt – und bereitet natürlich Unbehagen, wenn man an die Definition des Kilogramms denkt.
Die Ursache ist völlig ungeklärt. Die Vermutung liegt natürlich nahe, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass die 50 benutzten Kilogramms sich alle gleich verändert haben. Sondern man geht wohl doch von der Vermutung aus, dass sich dieses Urkilogramm in Paris geändert haben könnte. Aber es gibt zurzeit keine physikalische Erklärung, warum denn dies leichter geworden sei könnte.
So wie es aussieht, ist das Urkilogramm im Laufe der Jahrzehnte immer leichter geworden. Vielleicht, so die Vermutung, liegt es an den Wasserstoffatomen, die aus dem Metall entweichen. Womöglich wurden die Kopien auch anders hergestellt als das Original, oder das Pariser Urkilogramm ist in der Vergangenheit zu gründlich geputzt worden. Die Experten stehen vor einem Rätsel. Ihr Vertrauen, das sie lange in den kleinen Platin-Iridium-Zylinder gesetzt hatten, wurde enttäuscht. Nicht zuletzt deshalb gehört das Urkilogramm abgeschafft, meint die Fachwelt – und versucht mit Nachdruck, die Einheit der Masse endlich auf ein solides Fundament zu stellen, auf das Fundament einer Naturkonstanten. Dabei basteln die Forscher gleich an drei Verfahren, mit denen das Kilogramm neu festgelegt werden soll. Ein regelrechter Wettlauf, der immer mehr an Spannung gewinnt.
"das Jagdschlösschen von Breteuil" "Protokoll" "doppelte Panzertür" "20,56 Grad Celsius" "Es ist 17 Uhr" "Feuchtigkeitsgrad: 57 Prozent" "Die doppelte Panzertür wird wieder verschlossen" "Minimaltemperatur 19 Grad Celsius" "am letzten Freitag im September"
Der gesamte Keller ist der Zuluft-Raum. Und im Boden befinden sich alle 40 Zentimeter Rosetten, wo der Luftdurchtritt aus dem Keller in den Dachboden, wo dann abgesaugt wird, ermöglicht wird. Diese Rosetten dienen dazu, eine laminare Strömung zu erreichen, sodass der Raum gleichmäßig von strömender Luft erfüllt ist, ohne dass es zu Turbulenzen kommt.
Die Rosetten, die gleichmäßig von unten nach oben strömende Luft – das soll gewährleisten, dass die Temperatur überall im Labor von Arnold Nicolaus gleich ist. Denn:
Hauptsache ist, dass wir während der Messung extrem stabile Temperaturverhältnisse haben.
In diesem Labor an der PTB in Braunschweig dreht sich alles um ein kleines, handliches Ding: eine Kugel aus hochreinem Silizium, ein Kilogramm schwer und nicht viel größer als ein Tennisball.
Die ist spiegelnd poliert, ist in einem silbrig-blau-glänzenden Ton und hat eben genau ein Kilogramm. Es sind 93 Millimeter, was so gerade gut in der Hand liegt.
Es ist die rundeste Kugel der Welt. Ein Jahr lang waren Experten in Australien damit beschäftigt, sie zu schleifen und zu polieren, bis sie so rund war wie es eben nur geht.
Und um mal typische Werte zu sagen: Die Oberflächenabweichung dieser Kugel liegen im Bereich 30 Nanometer. Das ist etwa ein Tausendstel Haardurchmesser. Und umgerechnet auf die Erde würde das bedeuten: Der höchste Berg auf dieser Kugel würde auf der Erde nur etwa 1,70 Meter entsprechen. Oder die tiefste Rinne, die wir auf dieser Kugel gefunden haben, die würde gerade eine Rinne von zwei Metern sein.
Vor uns steht das Avogadro-Experiment, so nennen Arnold Nicolaus und seine Leute den Versuch: ein massiver Messtisch, gelagert auf luftgefederten Stahlfüßen. Jetzt senkt ein Motor die Siliziumkugel ab in einen rechteckigen Metallkasten, aus dem kräftige Pumpen die Luft saugen. Einige Glasfasern leiten Laserlicht in den Kasten. Innen drin lenken Spezialobjektive das Licht auf die Siliziumkugel. Digitalkameras nehmen das gespiegelte Licht auf. Interferometer, so heißt die Vorrichtung. Sie dient dazu, den Durchmesser der Siliziumkugel so präzise es geht zu vermessen – und damit ihr Volumen. Mit diesem Aufbau möchte Nicolaus möglichst genau herausfinden, aus wie vielen Atomen seine Kugel besteht. Dadurch will er das Kilogramm auf eine Naturkonstante zurückführen – auf die Masse eines einzelnen Atoms. Ein Kilogramm wäre dann definiert als die Masse von soundso vielen Siliziumatomen. Ein simple, aber zugleich wahnwitzige Idee. Denn dieses "soundso viel" wäre eine Zahl mit 25 Stellen, und im Prinzip hat Nicolaus tatsächlich vor, diese 1025 Atome abzuzählen. Das geht natürlich nicht so ohne weiteres. Also greift der Physiker zu einem Trick.
Wir benutzen die Getränkekiste-Methode. Wir haben einen großen Lagerhof voll mit Getränkekisten. Und man wird sie nie einzeln zählen, sondern wird sagen: Ich schreite die beiden Längen ab und zähle nach oben. Und aus dem Produkt dieser Zahlen ermittle ich dann die Anzahl.
Die Forscher aus Braunschweig nutzen aus, dass sich Silizium zu überaus regelmäßigen Kristallen züchten lässt, Einkristalle genannt. Sie bestehen aus kleinsten, sich immer wiederholenden Einheiten, den Einheitszellen. Diese Einheitszellen entsprechen den erwähnten Getränkekisten auf dem Lagerhof. Denn die Experten wissen sehr genau, wie groß die Einheitszellen sind und wie viele Atome sie enthalten – ebenso wie man ja auch weiß, wie viele Bierflaschen in einem Kasten sind. Und indem Nicolaus den Durchmesser der Siliziumkugel präzise misst, kann er die Einheitszellen abzählen wie Getränkekisten – und daraus dann ermitteln, aus wie vielen Atomen die Kugel besteht.
Wir haben erste Messungen mit drei verschiedenen Siliziumkugeln gemacht.
Noch aber ist die Methode nicht präzise genug, um das Kilogramm neu zu definieren. Die Fachleute müssen die Genauigkeit ihres Experiments noch um das Dreifache steigern. Dazu wollen es die PTB-Forscher künftig mit einer anderen, noch besseren Kugel versuchen. Einer Kugel, die fast ausschließlich aus einer einzigen Siliziumsorte besteht – aus dem Isotop 28, hergestellt in russischen Atomzentrifugen.
"das Jagdschlösschen von Breteuil" "Protokoll" "doppelte Panzertür" "20,56 Grad Celsius" "Es ist 17 Uhr" "Feuchtigkeitsgrad: 57 Prozent" "Die doppelte Panzertür wird wieder verschlossen" "Minimaltemperatur 19 Grad Celsius" "am letzten Freitag im September"
Zufälligerweise ist es gerade in der Masse, wo wir im Wettbewerb stehen mit der PTB in Braunschweig, indem wie eine sog. Wattwaage gebaut haben. Die ist in Betrieb und hat große Chancen, dass sie Erfolg haben wird.
Wolfgang Schwitz ist der Direktor von METAS, so heißt das Schweizerische Institut für Metrologie in Bern. Er würde das Kilogramm gern elektrisch festnageln – mit einem Präzisionsapparat namens Wattwaage. Watt, das ist die Einheit der elektrischen Leistung.
Die baut darauf, dass die Leistung, ob sie mechanisch ist oder elektrisch, äquivalent sein muss. Wir hoffen damit, über elektrische Messungen das Urkilogramm im Prinzip beobachten zu können, was es tut. Denn das weiß noch niemand.
Das Problem am Kilogramm ist eben, dass es mit der Außenwelt wechselwirkt. Die Oberfläche verändert sich dauernd. Und da weiß man nie, ob man wirklich ein Kilogramm hat oder mehr oder weniger.
Ein Schritt weiter wäre dann, über elektrische Messungen und über die Nutzung von Fundamentalkonstanten das Kilogramm zu ersetzen.
Aber soweit sind die Forscher in Bern noch nicht. Noch basteln sie an den Grundlagen für ihren Apparat.
Die Wattwaage baut darauf, dass Sie im Prinzip das Kilogramm kompensieren durch elektrische Größen. Sie bringen das Kilogramm in Gleichgewicht mit eine elektrischen Spule, wo Sie Strom durchschicken. Und wenn das in der Balance ist, haben Sie das äquivalent. Das ist ganz einfach.
Der Vorteil: Elektrische Größen lassen sich heute sehr genau messen, sagt Wolfgang Schwitz. Und sie lassen sich auf Naturkonstanten zurückführen.
Ausgehend von der Planckschen Konstante und von der Elektronenmasse können wir sehr, sehr, sehr genaue Spannungen und genaue Widerstände machen. Das gibt automatisch auch den Strom. Und wenn wir den Strom durch die Spule schicken, können wir eine Kraft erzeugen. Und diese Kraft kompensiert eben dann die Masse, die auf der Waage aufliegt.
Das Prinzip ist einfach, die Ausführung umso schwieriger. Die Messtechnik muss vom Allerfeinsten sein.
Wie z.B. die Wägmessung über ein optisches System. Oder das Vakuum, das da aufgebaut werden muss, etc. Es ist überall Spitze, was man haben muss.
Noch arbeitet die Berner Wattwaage nicht so genau, als dass sie das Urkilogramm in Paris ablösen könnte – eben sowenig wie die beiden anderen Wattwaagen, an denen sich Forscher in den USA und in England versuchen. Nicht nur den Schweizern steht noch einiges an Laborarbeit bevor.
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Wenn unser Experiment gelingt, könnte man sich vorstellen, dass man das Kilogramm so definiert: Ein Kilogramm ist die Masse von einer bestimmten Anzahl sagen wir Goldatomen. Nur man muss dieses Experiment erst mal machen. Ein Atom ist sehr klein und hat eine sehr kleine Masse – etwa 10-24 kg. Das ist eine sehr kleine Zahl. Und das ist nicht ganz einfach.
Wie Arnold Nicolaus arbeitet auch Michael Gläser an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Doch er möchte das Kilogramm weder mit einer Siliziumkugel definieren noch mit einer Wattwaage, sondern setzt auf einen dritten Weg – eine Art Zählmaschine für Ionen.
Wir erzeugen im Vakuum einen Ionenstrahl. Ionen sind geladene Atome. Wir wollen diese Ionen dann aufsammeln in einem Behälter zu einer wägbaren Masse. Und wir müssen dann noch wissen, wie viele Atome wir aufgesammelt haben.
Dabei nutzt Gläser aus, dass die geladenen Ionen, die durch seine Apparatur fliegen, einen elektrischen Strom bilden. Dieser Strom lässt sich präzise messen – woraus die Forscher dann genauestens schließen wollen, wie viele Atome ihnen in die Falle gegangen sind.
Es ist eine Vakuumapparatur. Ungefähr vier Meter lang und zwei Meter breit. Wir erzeugen erst mal den Ionenstrahl mit einer Ionenquelle. Da entstehen die Ionen. Und dann müssen wir die Ionen aus der Quelle herausholen. Das wird mit einer Hochspannung gemacht. Damit kann man die Ionen beschleunigen.
Die schnellen Ionen landen in einem Sammelbehälter, dem Kollektor - zum Beispiel einem Zylinder mit zentimetergroßer Öffnung, in die die Teilchen hineinfliegen. Der Zylinder fängt die Ionen auf und misst gleichzeitig den von ihnen erzeugten Strom.
Der nächste Schritt ist dann: Wir müssen die Ionen, die wir aufsammeln, auch hinreichend genau wägen. Eine Waage, die hinreichend genau ist, wurde schon einmal entwickelt. Das ist eine Waage, die ein Kilogramm auf ein Zehntel Mikrogramm genau wägen kann.
Damit das Wägen genau genug funktioniert, haben die Forscher immerhin zehn Gramm an Ionen aufzusammeln. Dazu wird die Anlage sechs Tage ununterbrochen laufen müssen. Noch aber ist Gläsers Apparat nicht fertig. Bislang haben er und seine Leute nur Vorversuche gemacht, mit einem schwachen Strahl und einem provisorischen Kollektor. Künftig wollen sie einen kräftigen Ionenstrahl aus Wismut verwenden. Das Ziel: eine Genauigkeit von 10-8. Das bedeutet: Bis auf acht Stellen hinterm Komma genau wollen die Braunschweiger ihre Atome zählen, um die Masse neu zu definieren.
Vermutlich im nächsten Jahr werden wir einen neuen Versuch machen mit einem Kollektor. Dass wir in einem ersten Schritt um zwei bis drei Größenordnungen genauer werden, dass wir dann bei 10-5 liegen werden. Das ist noch nicht das endgültige Ziel. Wir brauchen 10-8. Dazu würde es dann noch einige Jahre brauchen.
"das Jagdschlösschen von Breteuil" "Protokoll" "doppelte Panzertür" "20,56 Grad Celsius" "Es ist 17 Uhr" "Feuchtigkeitsgrad: 57 Prozent" "Die doppelte Panzertür wird wieder verschlossen" "Minimaltemperatur 19 Grad Celsius" "am letzten Freitag im September"
Siliziumkugel, Wattwaage, Ionenzähler – welche Methode wird sich durchsetzen, wird das Urkilogramm in Paris irgendwann mal ablösen?
Das ist im Moment noch offen.
sagt PTB-Mann Arnold Nicolaus. Das gesteckte Ziel heißt 10-8. Das bedeutet: Bis auf ein zehn Milliardstel genau müssen die Fachleute ihre Atome zählen bzw. die elektrische Leistung messen können. Erst dann wäre ein Verfahren präzise genug, um als Massenstandard in Frage zu kommen. Sowohl die Wattwaagen als auch das Braunschweiger Experiment mit der Siliziumkugel bringen es heute erst auf eine Genauigkeit von 10-7. Hinzu kommt eine weiteres Problem.
Es ist bislang eine Diskrepanz aufgetaucht zwischen dem schon recht weit gediehenem Programm der Wattwagen und unserem Experiment.
Will heißen: Die Messwerte widersprechen sich zurzeit. Vereinfacht gesagt kommen beide Verfahren auf unterschiedliche Zahlen, wie viele Atome ein Kilogramm enthält. Doch damit nicht genug: Auch die Werte der Wattwaagen aus den USA und aus England weichen bislang stärker voneinander ab, als es den Experten lieb sein kann. Das bedeutet: Die Meteorologen müssen weiter tüfteln und feilen, um die Messgenauigkeit zu steigern.
Welche der drei Methoden sich behaupten wird, ist noch nicht zu sagen. Wahrscheinlich werden die Offiziellen erst mal abwarten, bis zwei unabhängige Methoden zu den gleichen Ergebnissen kommen, statt sich wie heute zu widersprechen. Und sollten Wattwaage, Siliziumkugel oder Ionenzähler in einigen Jahren tatsächlich soweit sein, dann werden sie das Pariser Urkilogramm nicht gleich ersetzen. Zuerst einmal sollen sie überwachen, inwieweit es wirklich an Gewichtsschwund leidet.
Wir wissen es nicht vom Kilogramm, wie konstant dieser Prototyp in Paris ist. Und daraufhin zielen zunächst einmal diese Experimente ab festzustellen, ob es sich im Laufe der Zeit verändert.
Das Ende des Urkilogramms. Forscher wollen die Masseneinheit neu definieren.
Überprüfung des Depots der metrischen Prototypen. Protokoll. Der Präsident des internationalen Komitees für Maße und Gewichte, der Direktor des internationalen Büros für Maße und Gewichte und der Konservator der Archives de France haben die Überprüfung des Depots der internationalen metrischen Prototypen vorgenommen. Man hat die drei Schlüssel zusammengebracht, die das Depot öffnen: den, der dem Direktor des Büros anvertraut ist, den, der im Nationalarchiv hinterlegt ist, und schließlich denjenigen, den der Präsident des internationalen Komitees in seiner Obhut hat.
Nach Öffnung der beiden Eisentüren des Gewölbes sowie des Panzerschranks hat man in letzterem das Vorhandensein der Prototypen festgestellt: den Meter und das Kilogramm. Auf den Messinstrumenten im Panzerschrank hat man folgende Angaben abgelesen:
Derzeitige Temperatur: 20,56 Grad Celsius Maximaltemperatur: 23 Grad Celsius Minimaltemperatur: 19 Grad Celsius Feuchtigkeitsgrad: 57 Prozent
Mit Aufnehmer, Besen und Schwamm nehmen zwei Frauen in Kitteln eine rasche Reinigung des Raumes vor. Luft, Staub und Feuchtigkeit: wie bei den in den Katakomben Roms verwitternden Fresken greift der Kontakt mit diesen Elementen die beiden Eich-Prototypen an. Die doppelte Panzertür wird wieder verschlossen; es ist 17Uhr45. Die Öffnung des Gewölbes hat nur eine Dreiviertelstunde gedauert. Erst in einem Jahr wird man die Türen wieder öffnen: am letzten Freitag im September.
Das Kilogramm basiert nach wie auf meinem Stück aus Platin-Iridium. Ein kleiner Zylinder, 39 Millimeter hoch, 39 Millimeter im Durchmesser, gefertigt aus Platin mit zehn Prozent Iridium. Das ist der internationale Prototyp des Kilogramms.
Terry Quinn, Direktor des BIPM, des internationalen Büros für Maße und Gewichte in Paris. Das Weltzentrum der Metrologie, der Lehre von den Maßen und Gewichten. Mit Argusaugen wacht das BIPM darüber, dass möglichst überall auf dem Globus mit denselben Maßeinheiten gemessen und gearbeitet wird.
Früher gingen die Menschen ziemlich willkürlich mit den Maßeinheiten um. Bis ins 19. Jahrhundert hinein besaß jedes Land seine eigenen Einheiten, zum Teil sogar jede Region, jedes Fürstentum. Doch um 1860, 1870 hatte der Handel zwischen den Ländern so stark zugenommen, dass ein internationales Abkommen über Maße und Gewichte notwendig wurde. Also lud die französische Regierung die anderen Staaten nach Paris ein - in der Hoffnung, sich auf so etwas wie ein internationales System für die Maßeinheiten zu einigen. 1875 dann wurde die Meterkonvention von 17 Ländern unterschrieben und das internationale Büro für Maße und Gewichte in Paris gegründet – mit der Aufgabe, internationale Standards für den Meter und das Kilogramm einzurichten.
1792. Frankreich in den Wirren der Revolution. Auf Geheiß der Volksversammlung machen sich zwei Astronomen auf, die Erde zu vermessen. Möglichst genau sollen Jean-Baptiste Delambre und Pierre-Francois Méchain herausfinden, wie lang ein Meridian ist, ein Längengrad. Der eine fährt in Richtung Norden, bis nach Dünkirchen. Der andere zieht gen Süden, nach Barcelona. Beide Städte liegen auf demselben Längengrad wie Paris. Unterwegs klettern Delambre und Méchain auf zahllose Kirchtürme, spähen durch Fernrohre und vermessen Winkel. 1800 solcher Messungen haben sie zu bewältigen. Eine ununterbrochene Kette von gedachten Dreiecken muss den Weg von Dünkirchen nach Barcelona bedecken. Sechs Jahre dauert es, dann ist das Werk vollbracht. Nun können die Astronomen ausrechnen, wie lang der Meridian ist – genauer gesagt der Meridianquadrant, die Strecke zwischen Nordpol und Äquator. Der zehnmillionste Teil dieser Strecke soll der Meter sein. Ein Längenmaß, gleich bleibend für alle Zeiten und für alle Völker. "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". Die Ideen der französischen Revolution sollen nicht nur für Verfassung und Regierung gelten, sondern auch für Stoffballen und Ackerflächen.
1875. In Paris entsinnen sich die Mitgliedsstaaten der Meterkonvention der Ergebnisse von Delambre und Méchain. Sie beschließen, den Urmeter anfertigen zu lassen. Ein Stab aus Platin-Iridium, fortan der Maßstab sämtlicher Längen und Entfernungen. Ein zweiter Prototyp aus Platin-Iridium wird zum Urkilogramm. Ein unscheinbarer Zylinder, nicht viel größer als ein Filmdöschen. Seine Masse entspricht exakt der eines Würfels, zehn Zentimeter Kantenlänge, gefüllt mit reinem Wasser. Urmeter und Urkilogramm - bis heute lagern beide im Jagdschloss von Breteuil, dem Arbeitsplatz von BIPM-Direktor Terry Quinn.
Das Problem ist: Im Laufe der Zeit verändern sich diese Prototypen. Ihre Eigenschaften hängen von Luftdruck und Luftfeuchtigkeit ab. Ihre Oberflächen können verunreinigt werden. Und im Laufe der Zeit verändert sich das Material selber, weil sich Wasserstoff aus dem Inneren des Metalls löst.
Und schließlich – so die Urangst der Metrologen – könnten die Prototypen auch gestohlen werden, oder eine Naturkatastrophe könnte sie beschädigen. Da wäre es doch besser, Länge, Zeit und Masse auf Naturkonstanten zurückzuführen – auf Größen wie zum Beispiel die Lichtgeschwindigkeit - unveränderlich, unverrückbar, universell. Gesagt, getan.
Der Meter ist heute nicht mehr auf der Grundlage des Urmeters definiert. 1960 wurde er zunächst definiert als ein Vielfaches der Wellenlänge von Licht, das von Kryptonatomen ausgestrahlt wird. Und seit 1983 ist der Meter festgelegt durch die Lichtgeschwindigkeit - also die Distanz, die das Licht in einem bestimmten, sehr kleinen Sekundenbruchteil zurücklegt.
Auch die anderen Basiseinheiten fußen heute auf Naturkonstanten, auf stetigen, unveränderlichen Größen. Bis – so Terry Quinn – bis auf eine Ausnahme.
Die Ausnahme ist mein internationaler Prototyp des Kilogramms. Alle anderen Einheiten – Länge, Zeit, elektrische Spannung – basieren auf physikalischen Prinzipen. Die einzige Einheit, die nach wie vor durch einen Prototypen definiert ist, ist das Kilogramm.
Ein grundlegender Makel, den die Forscher liebend gern beseitigen würden. Doch es gibt da noch einen Grund, weshalb die Meteorologen das Urkilogramm lieber heute als morgen ins Museum verbannen würden. Einen durchaus beunruhigenden Grund. Er hängt mit folgender Geschichte zusammen.
Und zwar gibt es ein Urkilogramm im BIPM in Paris.
Arnold Nicolaus von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig, kurz PTB.
Das ist nach Definition das Kilogramm. Im ersten Anlauf wurden 42 Kopien hergestellt und an die verschiedenen Staatsinstitute verlost.
Ausgehend von diesen Kopien, den so genannten Sekundär-Prototypen, stellen die Staatsinstitute weitere Gewichtsstücke her, die sie an die Eichämter im ganzen Land verteilen. Die Ämter eichen damit Waagen und Gewichte - letztlich auch die Gewichte, mit denen der Händler auf dem Markt das Gemüse auswiegt.
Die Sekundärkilogramm-Prototypen sind mit den damaligen Mitteln bestmöglich hergestellt worden. Und sie haben Massenabweichungen, die kleiner sind als ein Milligramm zu dem Urkilogramm.
Das war 1889. Später kamen zu den 42 Sekundär-Prototypen noch acht hinzu, sodass es mittlerweile 50 dieser Staatsnormale gibt. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob die Normale auch nach Jahrzehnten noch mit dem Urkilogramm übereinstimmen. Dazu muss man sie nach Paris schaffen und mit dem Urkilogramm vergleichen. Zwei Mal ist das bis heute geschehen: 1950 und zuletzt 1990.
Das Urkilogramm wird auf dem einen Teil dieser Waage gelagert. Und dann wird das jeweils andere Kilogramm des nämlichen Staatsinstitutes auf der anderen Waagschale gelagert. Und die Differenz wird dann durch Zusatzgewichte ermittelt – bis sich die Waage ausbalanciert.
Eine Methode, die einem bekannt vorkommt. Nicht anders wiegt auch die Marktfrau das Gemüse ab. Der Unterschied: In Paris übernimmt das die empfindlichste Waage der Welt. Und:
Da diese Staatsnormale sehr seltene Unikate sind, ganz zu schweigen von dem Urkilogramm, wird natürlich ein ziemlicher Sicherheitsaufwand gemacht. Weder darf eines verloren gehen, noch dürfen sich Kratzer oder andere Beschädigungen auf dem jeweiligen Kilogramm befinden. Deshalb muss man sehr hohen Aufwand treiben, was auch die Reinigung und das Handling dieser Kilogramm-Prototypen angeht.
An sich sollte sich zwischen dem Urkilogramm und jedem der Staatsnormale nichts verändert haben, sagt Arnold Nicolaus. Die kleinen Abweichungen, die man 1889 festgestellt hatte, sollten auch nach einem Jahrhundert noch dieselben sein. So dachten es sich die Metroelogen – und erlebten 1990, beim letzten Abgleich, einen Schock.
Es ist festgestellt worden, dass sich die anfängliche Massendifferenz in den letzten 100 Jahren für alle um etwa 50 Mikrogramm erhöht hat. D.h. der Mittelwert der vielen Sekundärprototypen beträgt jetzt 50 Mikrogramm mehr als es das Urkilogramm damals hatte.
50 Mikrogramm sind durchaus eine Größe, die außerhalb jeglicher Unsicherheiten bei der Messung liegt – und bereitet natürlich Unbehagen, wenn man an die Definition des Kilogramms denkt.
Die Ursache ist völlig ungeklärt. Die Vermutung liegt natürlich nahe, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass die 50 benutzten Kilogramms sich alle gleich verändert haben. Sondern man geht wohl doch von der Vermutung aus, dass sich dieses Urkilogramm in Paris geändert haben könnte. Aber es gibt zurzeit keine physikalische Erklärung, warum denn dies leichter geworden sei könnte.
So wie es aussieht, ist das Urkilogramm im Laufe der Jahrzehnte immer leichter geworden. Vielleicht, so die Vermutung, liegt es an den Wasserstoffatomen, die aus dem Metall entweichen. Womöglich wurden die Kopien auch anders hergestellt als das Original, oder das Pariser Urkilogramm ist in der Vergangenheit zu gründlich geputzt worden. Die Experten stehen vor einem Rätsel. Ihr Vertrauen, das sie lange in den kleinen Platin-Iridium-Zylinder gesetzt hatten, wurde enttäuscht. Nicht zuletzt deshalb gehört das Urkilogramm abgeschafft, meint die Fachwelt – und versucht mit Nachdruck, die Einheit der Masse endlich auf ein solides Fundament zu stellen, auf das Fundament einer Naturkonstanten. Dabei basteln die Forscher gleich an drei Verfahren, mit denen das Kilogramm neu festgelegt werden soll. Ein regelrechter Wettlauf, der immer mehr an Spannung gewinnt.
"das Jagdschlösschen von Breteuil" "Protokoll" "doppelte Panzertür" "20,56 Grad Celsius" "Es ist 17 Uhr" "Feuchtigkeitsgrad: 57 Prozent" "Die doppelte Panzertür wird wieder verschlossen" "Minimaltemperatur 19 Grad Celsius" "am letzten Freitag im September"
Der gesamte Keller ist der Zuluft-Raum. Und im Boden befinden sich alle 40 Zentimeter Rosetten, wo der Luftdurchtritt aus dem Keller in den Dachboden, wo dann abgesaugt wird, ermöglicht wird. Diese Rosetten dienen dazu, eine laminare Strömung zu erreichen, sodass der Raum gleichmäßig von strömender Luft erfüllt ist, ohne dass es zu Turbulenzen kommt.
Die Rosetten, die gleichmäßig von unten nach oben strömende Luft – das soll gewährleisten, dass die Temperatur überall im Labor von Arnold Nicolaus gleich ist. Denn:
Hauptsache ist, dass wir während der Messung extrem stabile Temperaturverhältnisse haben.
In diesem Labor an der PTB in Braunschweig dreht sich alles um ein kleines, handliches Ding: eine Kugel aus hochreinem Silizium, ein Kilogramm schwer und nicht viel größer als ein Tennisball.
Die ist spiegelnd poliert, ist in einem silbrig-blau-glänzenden Ton und hat eben genau ein Kilogramm. Es sind 93 Millimeter, was so gerade gut in der Hand liegt.
Es ist die rundeste Kugel der Welt. Ein Jahr lang waren Experten in Australien damit beschäftigt, sie zu schleifen und zu polieren, bis sie so rund war wie es eben nur geht.
Und um mal typische Werte zu sagen: Die Oberflächenabweichung dieser Kugel liegen im Bereich 30 Nanometer. Das ist etwa ein Tausendstel Haardurchmesser. Und umgerechnet auf die Erde würde das bedeuten: Der höchste Berg auf dieser Kugel würde auf der Erde nur etwa 1,70 Meter entsprechen. Oder die tiefste Rinne, die wir auf dieser Kugel gefunden haben, die würde gerade eine Rinne von zwei Metern sein.
Vor uns steht das Avogadro-Experiment, so nennen Arnold Nicolaus und seine Leute den Versuch: ein massiver Messtisch, gelagert auf luftgefederten Stahlfüßen. Jetzt senkt ein Motor die Siliziumkugel ab in einen rechteckigen Metallkasten, aus dem kräftige Pumpen die Luft saugen. Einige Glasfasern leiten Laserlicht in den Kasten. Innen drin lenken Spezialobjektive das Licht auf die Siliziumkugel. Digitalkameras nehmen das gespiegelte Licht auf. Interferometer, so heißt die Vorrichtung. Sie dient dazu, den Durchmesser der Siliziumkugel so präzise es geht zu vermessen – und damit ihr Volumen. Mit diesem Aufbau möchte Nicolaus möglichst genau herausfinden, aus wie vielen Atomen seine Kugel besteht. Dadurch will er das Kilogramm auf eine Naturkonstante zurückführen – auf die Masse eines einzelnen Atoms. Ein Kilogramm wäre dann definiert als die Masse von soundso vielen Siliziumatomen. Ein simple, aber zugleich wahnwitzige Idee. Denn dieses "soundso viel" wäre eine Zahl mit 25 Stellen, und im Prinzip hat Nicolaus tatsächlich vor, diese 1025 Atome abzuzählen. Das geht natürlich nicht so ohne weiteres. Also greift der Physiker zu einem Trick.
Wir benutzen die Getränkekiste-Methode. Wir haben einen großen Lagerhof voll mit Getränkekisten. Und man wird sie nie einzeln zählen, sondern wird sagen: Ich schreite die beiden Längen ab und zähle nach oben. Und aus dem Produkt dieser Zahlen ermittle ich dann die Anzahl.
Die Forscher aus Braunschweig nutzen aus, dass sich Silizium zu überaus regelmäßigen Kristallen züchten lässt, Einkristalle genannt. Sie bestehen aus kleinsten, sich immer wiederholenden Einheiten, den Einheitszellen. Diese Einheitszellen entsprechen den erwähnten Getränkekisten auf dem Lagerhof. Denn die Experten wissen sehr genau, wie groß die Einheitszellen sind und wie viele Atome sie enthalten – ebenso wie man ja auch weiß, wie viele Bierflaschen in einem Kasten sind. Und indem Nicolaus den Durchmesser der Siliziumkugel präzise misst, kann er die Einheitszellen abzählen wie Getränkekisten – und daraus dann ermitteln, aus wie vielen Atomen die Kugel besteht.
Wir haben erste Messungen mit drei verschiedenen Siliziumkugeln gemacht.
Noch aber ist die Methode nicht präzise genug, um das Kilogramm neu zu definieren. Die Fachleute müssen die Genauigkeit ihres Experiments noch um das Dreifache steigern. Dazu wollen es die PTB-Forscher künftig mit einer anderen, noch besseren Kugel versuchen. Einer Kugel, die fast ausschließlich aus einer einzigen Siliziumsorte besteht – aus dem Isotop 28, hergestellt in russischen Atomzentrifugen.
"das Jagdschlösschen von Breteuil" "Protokoll" "doppelte Panzertür" "20,56 Grad Celsius" "Es ist 17 Uhr" "Feuchtigkeitsgrad: 57 Prozent" "Die doppelte Panzertür wird wieder verschlossen" "Minimaltemperatur 19 Grad Celsius" "am letzten Freitag im September"
Zufälligerweise ist es gerade in der Masse, wo wir im Wettbewerb stehen mit der PTB in Braunschweig, indem wie eine sog. Wattwaage gebaut haben. Die ist in Betrieb und hat große Chancen, dass sie Erfolg haben wird.
Wolfgang Schwitz ist der Direktor von METAS, so heißt das Schweizerische Institut für Metrologie in Bern. Er würde das Kilogramm gern elektrisch festnageln – mit einem Präzisionsapparat namens Wattwaage. Watt, das ist die Einheit der elektrischen Leistung.
Die baut darauf, dass die Leistung, ob sie mechanisch ist oder elektrisch, äquivalent sein muss. Wir hoffen damit, über elektrische Messungen das Urkilogramm im Prinzip beobachten zu können, was es tut. Denn das weiß noch niemand.
Das Problem am Kilogramm ist eben, dass es mit der Außenwelt wechselwirkt. Die Oberfläche verändert sich dauernd. Und da weiß man nie, ob man wirklich ein Kilogramm hat oder mehr oder weniger.
Ein Schritt weiter wäre dann, über elektrische Messungen und über die Nutzung von Fundamentalkonstanten das Kilogramm zu ersetzen.
Aber soweit sind die Forscher in Bern noch nicht. Noch basteln sie an den Grundlagen für ihren Apparat.
Die Wattwaage baut darauf, dass Sie im Prinzip das Kilogramm kompensieren durch elektrische Größen. Sie bringen das Kilogramm in Gleichgewicht mit eine elektrischen Spule, wo Sie Strom durchschicken. Und wenn das in der Balance ist, haben Sie das äquivalent. Das ist ganz einfach.
Der Vorteil: Elektrische Größen lassen sich heute sehr genau messen, sagt Wolfgang Schwitz. Und sie lassen sich auf Naturkonstanten zurückführen.
Ausgehend von der Planckschen Konstante und von der Elektronenmasse können wir sehr, sehr, sehr genaue Spannungen und genaue Widerstände machen. Das gibt automatisch auch den Strom. Und wenn wir den Strom durch die Spule schicken, können wir eine Kraft erzeugen. Und diese Kraft kompensiert eben dann die Masse, die auf der Waage aufliegt.
Das Prinzip ist einfach, die Ausführung umso schwieriger. Die Messtechnik muss vom Allerfeinsten sein.
Wie z.B. die Wägmessung über ein optisches System. Oder das Vakuum, das da aufgebaut werden muss, etc. Es ist überall Spitze, was man haben muss.
Noch arbeitet die Berner Wattwaage nicht so genau, als dass sie das Urkilogramm in Paris ablösen könnte – eben sowenig wie die beiden anderen Wattwaagen, an denen sich Forscher in den USA und in England versuchen. Nicht nur den Schweizern steht noch einiges an Laborarbeit bevor.
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Wenn unser Experiment gelingt, könnte man sich vorstellen, dass man das Kilogramm so definiert: Ein Kilogramm ist die Masse von einer bestimmten Anzahl sagen wir Goldatomen. Nur man muss dieses Experiment erst mal machen. Ein Atom ist sehr klein und hat eine sehr kleine Masse – etwa 10-24 kg. Das ist eine sehr kleine Zahl. Und das ist nicht ganz einfach.
Wie Arnold Nicolaus arbeitet auch Michael Gläser an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Doch er möchte das Kilogramm weder mit einer Siliziumkugel definieren noch mit einer Wattwaage, sondern setzt auf einen dritten Weg – eine Art Zählmaschine für Ionen.
Wir erzeugen im Vakuum einen Ionenstrahl. Ionen sind geladene Atome. Wir wollen diese Ionen dann aufsammeln in einem Behälter zu einer wägbaren Masse. Und wir müssen dann noch wissen, wie viele Atome wir aufgesammelt haben.
Dabei nutzt Gläser aus, dass die geladenen Ionen, die durch seine Apparatur fliegen, einen elektrischen Strom bilden. Dieser Strom lässt sich präzise messen – woraus die Forscher dann genauestens schließen wollen, wie viele Atome ihnen in die Falle gegangen sind.
Es ist eine Vakuumapparatur. Ungefähr vier Meter lang und zwei Meter breit. Wir erzeugen erst mal den Ionenstrahl mit einer Ionenquelle. Da entstehen die Ionen. Und dann müssen wir die Ionen aus der Quelle herausholen. Das wird mit einer Hochspannung gemacht. Damit kann man die Ionen beschleunigen.
Die schnellen Ionen landen in einem Sammelbehälter, dem Kollektor - zum Beispiel einem Zylinder mit zentimetergroßer Öffnung, in die die Teilchen hineinfliegen. Der Zylinder fängt die Ionen auf und misst gleichzeitig den von ihnen erzeugten Strom.
Der nächste Schritt ist dann: Wir müssen die Ionen, die wir aufsammeln, auch hinreichend genau wägen. Eine Waage, die hinreichend genau ist, wurde schon einmal entwickelt. Das ist eine Waage, die ein Kilogramm auf ein Zehntel Mikrogramm genau wägen kann.
Damit das Wägen genau genug funktioniert, haben die Forscher immerhin zehn Gramm an Ionen aufzusammeln. Dazu wird die Anlage sechs Tage ununterbrochen laufen müssen. Noch aber ist Gläsers Apparat nicht fertig. Bislang haben er und seine Leute nur Vorversuche gemacht, mit einem schwachen Strahl und einem provisorischen Kollektor. Künftig wollen sie einen kräftigen Ionenstrahl aus Wismut verwenden. Das Ziel: eine Genauigkeit von 10-8. Das bedeutet: Bis auf acht Stellen hinterm Komma genau wollen die Braunschweiger ihre Atome zählen, um die Masse neu zu definieren.
Vermutlich im nächsten Jahr werden wir einen neuen Versuch machen mit einem Kollektor. Dass wir in einem ersten Schritt um zwei bis drei Größenordnungen genauer werden, dass wir dann bei 10-5 liegen werden. Das ist noch nicht das endgültige Ziel. Wir brauchen 10-8. Dazu würde es dann noch einige Jahre brauchen.
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Siliziumkugel, Wattwaage, Ionenzähler – welche Methode wird sich durchsetzen, wird das Urkilogramm in Paris irgendwann mal ablösen?
Das ist im Moment noch offen.
sagt PTB-Mann Arnold Nicolaus. Das gesteckte Ziel heißt 10-8. Das bedeutet: Bis auf ein zehn Milliardstel genau müssen die Fachleute ihre Atome zählen bzw. die elektrische Leistung messen können. Erst dann wäre ein Verfahren präzise genug, um als Massenstandard in Frage zu kommen. Sowohl die Wattwaagen als auch das Braunschweiger Experiment mit der Siliziumkugel bringen es heute erst auf eine Genauigkeit von 10-7. Hinzu kommt eine weiteres Problem.
Es ist bislang eine Diskrepanz aufgetaucht zwischen dem schon recht weit gediehenem Programm der Wattwagen und unserem Experiment.
Will heißen: Die Messwerte widersprechen sich zurzeit. Vereinfacht gesagt kommen beide Verfahren auf unterschiedliche Zahlen, wie viele Atome ein Kilogramm enthält. Doch damit nicht genug: Auch die Werte der Wattwaagen aus den USA und aus England weichen bislang stärker voneinander ab, als es den Experten lieb sein kann. Das bedeutet: Die Meteorologen müssen weiter tüfteln und feilen, um die Messgenauigkeit zu steigern.
Welche der drei Methoden sich behaupten wird, ist noch nicht zu sagen. Wahrscheinlich werden die Offiziellen erst mal abwarten, bis zwei unabhängige Methoden zu den gleichen Ergebnissen kommen, statt sich wie heute zu widersprechen. Und sollten Wattwaage, Siliziumkugel oder Ionenzähler in einigen Jahren tatsächlich soweit sein, dann werden sie das Pariser Urkilogramm nicht gleich ersetzen. Zuerst einmal sollen sie überwachen, inwieweit es wirklich an Gewichtsschwund leidet.
Wir wissen es nicht vom Kilogramm, wie konstant dieser Prototyp in Paris ist. Und daraufhin zielen zunächst einmal diese Experimente ab festzustellen, ob es sich im Laufe der Zeit verändert.
Das Ende des Urkilogramms. Forscher wollen die Masseneinheit neu definieren.