Das Ende vor Augen

Liebe Lies! Unsere Kompanie ist nicht mehr, und wir werden mal sehen, was es in den nächsten Tagen gibt, und dann werden wir vorn in Stellung bei anderen Einheiten sein.

Von Dietrich Möller |
    Der Gefreite Heinz Risse am 13. Dezember an seine Frau. Er kommt nicht nach Hause. Irgendwo zwischen Wolga und Don, im Kessel um Stalingrad ist er verschollen. Wie Tausende seiner Kameraden der 6. Armee in jenem Winter 1942/43. Wie auch der Gefreite Alois Müller:

    Geliebtes Putzerl! Sende die innigsten Grüße von der Front. Ein Datum weiß ich nicht mehr. Ich schreibe im Finstern, und es geht sehr schlecht. Wir liegen nun schon 14 Tage in der Stellung .... Aber ich will alles gern mitmachen, wenn ich nur weiß, dass ich gesund nach Hause komme zu Dir und Du mir bleibst.... Ich sehe nichts mehr, es ist so finster. Liebes Elschen, ich küsse Dich in Sehnsucht aus der Steppe und der Einsamkeit.

    Betet für uns, es muss doch besser werden. Furchtbar ist der Krieg. Manchmal denke ich so: wenn doch die Welt untergehen wollte. Es muss doch mal etwas geschehen, die Zeiten können doch nicht so weitergehen.

    Rudolf Nothdurft, ebenfalls ein Gefreiter, schreibt dies am Heiligabend nach Hause. Er stirbt später in der Gefangenschaft. Das Weihnachtsfest mag für viele Anlaß sein, über die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage nachzudenken. Am Heiligabend bereitet der Soldat Kurt Haas seinen Vater darauf vor, dass er womöglich nicht zurückkehrt.

    Ich will Dir noch etwas schreiben, was etwas hart klingt, aber wir sind ja keine Frauen. Wenn Karl auch nach Russland gekommen sein sollte oder kommt noch hin, und es sollte eine Nachricht heimkommen, die niemand erwartet, so mache beim Wehrmeldeamt ein Gesuch, dass einer zurückkommt, damit Du nicht das Allerschrecklichste erleben musst, dass noch eine zweite Nachricht nach Hause kommt.

    Kurt Haas bleibt vermißt. Und auch der Divisionspfarrer Gustav Raab; er gesteht am 11. Januar seiner Familie:

    Viel kann ich nicht schreiben – nicht etwa, weil ich keine Zeit hätte, sondern weil mir die innere Kraft dazu fehlt.... Nun ist es so geworden, dass sich überhaupt nicht absehen lässt, wie diese Lage einmal gelöst werden soll. Heute können wir nur sprechen: Herr, Dein Wille geschehe.

    Unsere Männer sind nun bald am Ende ihrer Kraft, was dann werden soll, wissen wir nicht. Ich will Dich, meine Geliebte, nicht im Unklaren lassen, dass uns nur ein Wunder befreien kann. Lebe in der Hoffnung auf ein Wiedersehen, wenn auch vielleicht erst nach längerer Zeit, und lasse Dich nicht vom Schicksal klein bekommen. Sei weiter tapfer für unsere beiden Jungen. Vorläufig ist es ja noch nicht soweit, aber ich weiß nicht, ob ich noch später Gelegenheit haben werde, Dir zu schreiben.

    Hauptmann Emil Krawielitzki am 16. Januar. Seit dem 10. rennen sechs sowjetische Armeen gegen den Kessel an und drücken ihn zusammen. Krawielitzki gerät in Gefangenschaft und überlebt. – Am 17. Januar schreibt Oberst Friedrich Meyer an seine Frau:

    Der Russe macht große Anstrengungen, aber es sind doch nur traurige Erfolge, die er erzielt, wenn man es überhaupt als Erfolg bezeichnen kann. Auf lange Sicht kann er dieses Menschenabschlachten auch nicht durchhalten, denn mal muss es mit seinen Menschen ja zur Neige gehen. Wenn wir über diese Menschenmassen verfügen würden, wäre der Krieg bestimmt schon im ersten Jahre vorbei gewesen. Unsere Aufgabe ist nun, die Ohren anzulegen und zu warten, dass man uns hilft.

    Niemand hilft. Friedrich Meyer stirbt in der Gefangenschaft. Am 18. Januar lässt Pfarrer Gustav Raab seine Angehörigen wissen:

    Ich bin noch am Leben. Es ist die Hölle, das werdet Ihr inzwischen genau wissen. Und je furchtbarer es wird, um so tiefer und fester ist mein Gottvertrauen.

    19. Januar 1943. Der Feldwebel Otto Kirschner schreibt an seine Frau Leni:

    Bitte erschrecke nicht über diese Zeilen. Nur Dir allein schreibe ich es, wir befinden uns hier in einer hoffnungslosen Lage. Jeden Augenblick können wir in den Händen der Russen sein.

    Es ist Kirschners letzter Brief; seine Frau erhält bald darauf die Nachricht, dass ihr Mann vermisst wird. Einen letzten Brief schreibt am 20 Januar auch der Wachtmeister Alfred Just; Stunden später ist auch er verschollen.

    Es geht uns dreckig genug, aber ich habe noch immer das Gefühl, dass unsere alte Glückssträhne uns auch diesmal nicht im Stich lässt. Wenn es schief gehen sollte, Herze, dann erwarte nicht, dass ich in Gefangenschaft gehe. Dann laß alle guten Wünsche und alle Liebe, die ich jetzt heiß und lebendig für Dich und das Kleine in mir trage, dem Kleinen angedeihen und sei der Welt nicht gram.... Aber noch leben wir...

    Verlass Dich ganz fest darauf, dass ich versuchen werde, Dir und unseren geliebten beiden Kleinen mein Leben so lange wie irgend möglich und so lange es Euch noch etwas nützen kann, zu erhalten, und dass meine grenzenlose Liebe zu Dir mich auch Schwerstes ertragen lassen wird – wenn Aussicht auf eine Rückkehr in diesem Leben zu Dir nur im Entferntesten bestehen sollte. Noch geben wir alle den Glauben und die Hoffnung nicht auf, dass der Führer einen Weg finden wird, die vielen Tausende hier drin zu erhalten, leider haben wir aber schon viele bittere Enttäuschungen erlebt.

    Rittmeister Heino Graf Vitzthum am 20. Januar; er überlebt. Am 23. Januar verbietet Hitler die Kapitulation der ausgehunderten und verblutenden Armee. Am Tag davor schreibt Emil Krawielitzki:

    .....und über den Ausgang der Kämpfe sind wir uns wohl alle hier einig. Bisher bin ich noch am Leben. Vielleicht komme ich gut durch. Gib die Hoffnung nicht auf und bete.