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Das Erbe der Ahnen

Stefan Burke wohnt in Stolberg-Breinig, einem kleinen Ort nahe Aachen. Der 30jährige Filialleiter einer Sparkasse vermutet schon lange, dass sein Name aus Irland stammen könnte. Allerdings hat er die Suche nach den Wurzel seiner Ahnen bislang nicht allzu intensiv betrieben. Und die Abstammungsurkunden reichen auch nur drei Generationen zurück. Woher seine Vorfahren tatsächlich stammen - das müsste in seinem Erbgut verborgen sein. In jeder seiner Zellen trägt er möglicherweise die Spuren seiner Vorfahren.

Von Michael Lange und Michael Stang |
    Um das untersuchen zu lassen, hat Stefan Burke Kontakt mit der Firma Genetic Ancestor in England aufgenommen. Eine von weltweit etwa einem Dutzend Firmen für genetische Ahnenforschung. Sie bietet im Internet genetische Analysen für Privatpersonen an. Die Geschäftsmodell der Firma: Jeder trägt in seinem Erbgut Informationen aus früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden. Mit Methoden der Genomanalyse lassen sich diese genetischen Spuren der Vorfahren inzwischen analysieren.

    Michael Lange und Michael Stang haben Stefan Burke bei der Suche nach seinen Ahnen begleitet.



    " Großvater Alfred Otto Burke, geboren am 21.Mai 1913."

    Stolberg, Breinig. Ein kleiner Ort bei Aachen. Stefan Burke blättert in den Hinterlassenschaften seiner Vorfahren.

    " Mein Urgroßvater war Karl Friedrich - schwer zu lesen - Burke, Karl Friedrich Burke und davor war August Wilhelm Karl Burke, ja."

    Stefan Burke ist 30 Jahre alt. Bisher hat er sich kaum für seine Ahnen interessiert.

    " Ja, das ist der Ahnenpass von der mütterlichen Seite her, angefangen mit meinem Großvater und dessen Vater. Mein Großvater, geboren 1913 am 21. Mai in Altenessen. Dann sein Vater, also mein Urgroßvater 18. September 1870."

    " Hauptwachmeister August Wilhelm Karl Burke, gottgläubig. Geboren am 2. April 1893. Ja, ist schon phänomenal die alten Urkunden und so."

    Eine Frage beschäftigt ihn seit langem: Woher stammt sein Name: "Burke" oder englisch "Börk".

    " Das ist mit Sicherheit kein Zufall, dass der Name Burke in Irland ähnlich häufig vorkommt wie in Deutschland Schmitz, Meier und Müller, dass das eigentlich ein typisch irischer Name ist, der in Irland und Amerika sehr häufig vorkommt, also das ist bekannt gewesen, auch schon von eigenen Irlandreisen, wenn man da auf die Dörfer fuhr und auf einmal, ja, die Fleischerei hieß Burke und zwei Läden weiter der Schneider ebenfalls."

    Die Abstammungsurkunden reichen nur drei Generationen zurück. Irische Vorfahren findet Stefan Burke nicht.

    Ob er irische Ahnen hat - das müsste in seinem Erbgut verborgen sein. In jeder seiner Zellen trägt er möglicherweise die Spuren irischer Vorfahren.

    Um das untersuchen zu lassen, hat er Kontakt mit der Firma Genetic Ancestor in England aufgenommen. Eine von weltweit etwa einem dutzend Firmen für genetische Ahnenforschung. Sie bietet im Internet genetische Analysen für Privatpersonen an. Nach ein paar Tagen kommt ein Paket.

    " Anleitung zur DNA-Probenentnahme. Man nehme vier saubere Wattestäbchen, tun wir das mal als erstes. Die Wattestäbchen nacheinander mit Speichel befeuchten. So, Nummer eins."

    Stefan Burke rührt mit dem Wattestäbchen in seiner Backentasche. ...

    " Zweimal "

    Auf diese Weise bleiben genügend Zellen der Mundschleimhaut haften. Daraus können die Mitarbeiter der englischen Firma sein genetisches Profil erstellen.

    " Dreimal, so und viermal."

    Die vier Wattestäbchen liegen vor ihm auf dem Tisch. Jetzt müssen sie nur noch ein paar Stunden trocknen.

    " Gut, das müsste es eigentlich schon gewesen sein laut Anleitung, ja."

    Die getrockneten Wattenstäbchen verpackt er in die mitgeschickten Plastikröhrchen und schickt alles per Post nach Cambridge.

    Vor etwa tausend Jahren besiedelten Wikinger die Insel Island. Danach kam nur noch selten Besuch aus Europa über den Nordatlantik. Die Isländer halten sich deshalb für direkte Nachfahren der Wikinger. Britische Wissenschaftler haben im Erbgut der Isländer nach genetischen Spuren der Wikinger gesucht. Uns sie fanden tatsächlich viele Besonderheiten, die auch in Norwegen sehr häufig auftreten. Das heißt, die Isländer stammen tatsächlich von den Wikingern ab - aber nur zum Teil.

    Denn zur allgemeinen Überraschung entdeckten sie außerdem zahlreiche keltische Einflüsse im Erbgut der Isländer. In der mütterlichen Erblinie fanden sie 40 Prozent skandinavische Vorfahren und 60 Prozent keltische Vorfahren, wahrscheinlich aus Schottland. Möglicherweise haben die Wikinger zunächst Küstenregionen in Schottland besiedelt und sich dort mit der einheimischen keltischen Bevölkerung vermischt. Die Seefahrer, die schließlich von Schottland nach Island aufbrachen, hatten dann sowohl skandinavische als auch keltische Wurzeln.

    Arne Röhl ist Mathematiker und Geschäftsführer von Genetic Ancestor. Das bedeutet: genetischer Vorfahre. Die Firma macht genetische Analysen - nicht nur für Ahnenforscher.

    " Also häufig kommen zu uns Leute, die nicht wirklich was über ihre Wurzeln wissen, die also entweder die Vermutung haben, dass sie sogar Adoptivkinder sind, oder sogar, dass die aufgrund ihres Äußeren die Vermutung haben, dass sie nicht in dem Land geboren sind."

    Die Grundidee der Firma: Jeder trägt in seinem Erbgut Informationen aus früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden. Mit neuen Methoden der Genomanalyse lassen sich diese genetischen Spuren der Vorfahren analysieren. Wer waren sie? Woher stammen sie? Arne Röhl hat auf diesem Wege auch nach seinen eigenen Wurzeln gesucht. Bis dahin vermutete er seine Ahnen in der Region Danzig.

    " Ich war die ganze Zeit davon ausgegangen, dass ich aus dieser Ecke irgendwo kommen würde. Vielleicht russischer, polnischer Einfluss, irgendwas da in der Gegend und als ich dann selbst die Analyse durchgeführt hab bei mir, war ich etwas erstaunt, dass ich halt meine Wurzeln halt tatsächlich in Finnland bei den Samen habe, mütterlicherseits."

    Arne Röhl ist ein typisches Beispiel dafür, dass die Untersuchung der biologischen Herkunft nicht immer die Erwartungen bestätigt.

    " Ich war ziemlich baff. Es ist so, dass ich mich seitdem auch wirklich intensiver mit den Samen beschäftige in Finnland und deren Herkunft, deren Ursprüngen. Das ist halt eine Sache, über die hat man sich früher nie Gedanken gemacht, weil man war davon ausgegangen, man wüsste, woher man kommt und das war doch sehr überraschend."

    Henry Louis Gates ist Professor an der renommierten Harvard-University in Boston. Dort leitet er die Abteilung für Afroamerikanische Studien. Für ihn stand nie außer Zweifel, dass er Schwarzer ist und dass seine Vorfahren als Sklaven aus Afrika kamen. Möglicherweise gab es unter seinen Vorfahren auch einen weißen Plantagenbesitzer, und das wollte Henry Louis Gates durch eine genetische Analyse herausfinden lassen. Das Ergebnis jedoch stellte sein Selbstbild völlig auf den Kopf: In seinem Erbgut befanden sich je zur Hälfte Spuren afrikanischer und europäischer Vorfahren. Die mütterliche Linie führte zu einer Einwanderin, die vor über 300 Jahren aus Irland gekommen war. "Das ist unglaublich." sagte Professor Gates gegenüber der Zeitschrift Newsweek: "Vorher war ich ein Schwarzer, jetzt bin ich eine Metapher für ganz Amerika."

    " Mein Name ist Peter Forster. Ich bin Genetiker an der Universität Cambridge."

    Peter Forster ist der wissenschaftliche Kopf von Genetic Ancestor. Er untersucht die eingeschickten Proben, auch die von Stefan Burke.

    " Er hat das schön nass gemacht. Man sieht: Das ist abgenutzt. Der Teil hier ist abgebrochen. Daran sehe ich: das ist ein benutztes Röhrchen. Den schnappen wir jetzt so heraus. Schnapp. Und jetzt nehme ich eine sterile Schere, schneide hier etwas ab, damit wir hier gleich eine DNA-Extraktion starten können."

    Die Zellen mit der DNA haften an der Watte. Peter Forster steckt das abgeschnittene Wattestück in ein kleines Plastikgefäß mit etwas wässriger Flüssigkeit, einen so genannten Puffer.

    " Hier haben wir ein Wasserbad, das schon vorgeheizt worden ist. Und da stecken wir das Röhrchen rein für ein paar Minuten hinein. Im Wasserbad wird also der Puffer wirken. Er wird die DNA herauslaugen aus der Watte. Und wenn wir dann fertig sind, kann man die ganze Sache in die Zentrifuge hineintun. Und lassen das jetzt fünf Minuten lang zentrifugieren. "

    Durch Fliehkräfte trennt die Zentrifuge die Watte von der Flüssigkeit. In der Flüssigkeit ist nun die DNA gelöst.

    Peter Forster interessiert sich zunächst nur für einen kleinen Teil des Erbguts: die Mitochondrien-DNA. Mitochondrien, das sind kleine Zellbestandteile außerhalb des Zellkerns. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung der Zelle.

    " Das Interessante an den Mitochondrien ist zweierlei. Sie enthalten ihre eigene kleine DNA. Sonst kommt die DNA aus dem Zellkern von Mutter und Vater: 50/50. Die Mitochondrien haben ihre eigene DNA, und das ist ziemlich einzigartig, dass außerhalb des Zellkerns DNA noch zu finden ist. Das zweite Interessante ist, dass die Mitochondrien DNA von der Mutter auf die Kinder vererbt wird, niemals vom Vater. Deshalb können wir die Mitochondrien-DNA verwenden, um die mütterlich genetische Vorgeschichte herauszufinden. "

    Die Erbinformationen in den Mitochondrien stammen immer von der Mutter. Die hat sie von ihrer Mutter, also der Großmutter mütterlicherseits, und die hat sie von ihrer Mutter und so weiter. In den Mitochondrien kann Peter Forster also die rein mütterliche Erblinie viele Generationen zurückverfolgen. Um die genetischen Spuren zu lesen sucht Peter Forster nach Besonderheiten im Mitochondrien-Erbgut: so genannten Mutationen.

    " Stellen wir uns das vor wie einen Nachnamen. Mein Name ist zum Beispiel Forster, F-O-R-S-T-E-R. Mein Vorfahre, vielleicht vor 800 Jahren, der war Forester. Es hat also zwischen dem 800 Jahre alten Namen Forester und dem Namen Forster irgendwo eine Mutation stattgefunden. Es gibt auch einige Leute im Süden Englands, die haben auch noch das R weggelassen und heißen nur noch Foster, wie das bekannte australische Bier."

    An diesen Mutationen orientieren sich die Wissenschaftler. Zwei Personen mit der gleichen Mutation sind miteinander verwandt. Um das Mitochondrien-Erbgut zu untersuchen, muss Peter Forster es zunächst vermehren.

    " Wir haben jetzt eine sehr verdünne DNA-Lösung. Im Speichel sind ja nur ein paar Zellen drin, und da ist nicht viel DNA dabei. Wir müssen also die DNA vervielfachen. Dieses kann man erreichen durch ein Verfahren, das nennt sich: Polymerase-Kettenreaktion; polymerase chain reaction. PCR ist daher die Abkürzung."

    Bei der PCR wird die DNA immer wieder durch Hitze gespalten und anschließend durch bestimmte Enzyme verdoppelt, also kopiert - bis zu 35 mal.

    " Und so bekommt man zwei, vier, acht, 16, 32, 64, 128, 256 DNA-Moleküle. Das verdoppelt sich in jedem Schritt, und nach etwa zwei Stunden hat man genug DNA, dass wir die DNA-Analyse durchführen können."

    In der DNA sucht Peter Forster nach Gemeinsamkeiten mit anderen Personen. Denn jeder Mensch ist Teil eines rein mütterlichen Stammbaums, der sich von heute ausgehend bis zu seinen Wurzeln verfolgen lässt.

    " Wir sind hier zum Beispiel zu dritt. Wenn wir eine Generation zurückgehen, dann haben wir drei verschiedene Mütter. .... Wenn wir jetzt noch eine Generation zurückgehen, dann haben wir wieder drei Mütter. Und wieder eine Generation, dann sind es immer noch drei. Es werden nie mehr als drei, wenn wir zurückgehen in der rein mütterlichen Linie. Es können aber weniger werden. Und zwar dann, wenn wir irgendwann zu Vorfahren kommen, die die gleiche Mutter haben. Es kann sich dann auf zwei Mütter reduzieren. Und wenn wir noch weiter zurückgehen, wird sich das zwangsläufig irgendwann auf eine Mutter reduzieren, und das ist dann die Mutter, von der wir drei unsere Mitochondrien haben.

    Genauso kann man das durchspielen für die ganze Welt. Wenn wir das für alle Menschen fragen: Wann war diese Mutter am Leben, von der wir unsere Mitochondrien haben. Das war eine Frau, die haben wir berechnet, die vor etwa 150 000 Jahren gelebt haben muss. "

    Das ist die so genannte mitochondriale Eva. Die Mutter aller Mütter. Oder besser: Die Mutter aller Mitochondrien. Die Wissenschaftler teilen die Mitochondrien-DNA in verschiedene Typen ein. Dazu schauen sie sich einzelne Abschnitte im Erbgut genau an. Vor allem Stellen, an denen im Laufe der Zeit Mutationen stattgefunden haben.

    Meist ohne jeden Einfluss auf Gesundheit oder Aussehen. Diese Mutationen haben sich in vielen Generationen weiter verbreitet. Sie kennzeichnen heute einzelne Abstammungsgruppen. Sie werden deshalb auch als Varianten bezeichnet. Die Wissenschaftler können aus den Varianten ablesen, wie groß die Verwandtschaft zwischen verschiedenen Personen ist. Sie schauen sich die einzelnen Abschnitte genau an.

    Die Frage lautet dabei: Welcher der vier DNA-Bausteine befindet sich an dieser Stelle? A für Adenin, T für Thymin, C für Cytosin oder G für Guanin. Zur Auswertung setzt sich Peter Forster an seinen Computer.

    " Also hier sehen wir die Ergebnisse in Tabellenform der Mitochondrien von Herrn Burke. Wir haben hier drei Positionen: An Position 16069 ist ein T, an Position 16026 ist ein C in der DNA. In der Position 16355 haben wir ein T. Ich erkenne schon jetzt an diesem Motiv: Das ist ein J-Typ."

    Die Genetiker unterteilen die verschiedenen Mitochondrien nach Buchstaben. Stefan Burkes mütterliche Vorfahren sind also unter J zu finden. Soweit die grobe Einteilung.

    " So. Nun erzähle ich der Datenbank: bitte suchen! Und die Datenbank wird versuchen, genaue Treffer zu finden, die haargenau dieses Motiv haben."

    In der Datenbank sind die verschiedenen Mitochondrien-Typen nach ihrer geografischen Herkunft sortiert.

    " Und zwar besteht die Datenbank aus an die 30.000 Sequenzen, die publiziert worden sind von verschiedenen Forscherteams. Auch von uns selbst zu einem sehr großen Teil. Und außerdem habe ich die Rohdaten, so wie sie publiziert worden sind, korrigiert.... und so wird gesichert, dass die Datenbank wirklich die beste ist und nicht irgendwelche publizierten Fehler enthält."

    Der Computer sucht in der Datenbank nach Übereinstimmungen. Gibt es Menschen mit den gleichen Mutationen in den Mitochondrien? Gleiche Mutationen weisen auf gemeinsame Vorfahren mütterlicherseits hin. Peter Forster ruft eine Weltkarte auf. Automatisch zeigt sie die Treffer. Woher stammen Stefan Burkes mütterlichen Vorfahren?

    " Wir sehen hier: Westeuropa bis Zentraleuropa. Also wir sehen hier ganz klar: Herr Burke ist doch eher von europäischer Abstammung."

    140 Personen in der Datenbank besitzen das gleiche Profil wie Stefan Burke. Sie leben über Europa verteilt. Eine einzelne Herkunftsregion seiner mütterlichen Linie kann Peter Forster nicht bestimmen. Das kommt häufig vor, denn die Menschen in Europa haben in den letzten Jahrhunderten und Jahrtausenden keinesfalls isoliert gelebt, sondern sind umhergezogen und haben sich immer wieder untereinander vermischt.

    Aber mit einem Computerprogramm gelingt es Peter Forster, ein virtuelles Zentrum zu errechnen. Auf dem Bildschirm erscheint ein schwarzer Punkt in der Mitte der Treffer.

    " Thüringen, Sachsen. Das ist so das Gebiet. Es ist aber ziemlich gestreut um das Gebiet. Die Streuung liegt bei 1326 Kilometern. Aber die Streuung ist schon erheblich. Also da würde ich nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass es genau Sachsen sein muss."

    Dieses Ergebnis hat viel damit zu tun, wo die in der Datenbank aufgeführte DNA gesammelt und getestet wurde. Wurden in einem Gebiet viele genetische Studien, die in der Datenbank enthalten sind, durchgeführt, beeinflusst das die Trefferquote und damit das geographisch errechnete Zentrum.

    Die Herkunft der einzelnen Proben kann Peter Forster aus der Datenbank abrufen.

    " Ich sehe hier einen Treffer zum Beispiel in Greifswald. Das ist eine Studie, die von einem Institut durchgeführt worden ist in Ostdeutschland ... im Jahre 2003 publiziert."

    Zwei Wochen nach dem Test schickt Peter Forster das Ergebnis per Post von England nach Deutschland zu Stefan Burke.

    Ein paar Tage später in Stolberg-Breinig

    " Ist wie Weihnachten, große Überraschung, man weiß nicht, was einen erwartet."

    Im Briefschlag stecken die Listen der einzelnen Treffer und eine Übersichtskarte, auf der die Wohnorte der entfernten Verwandten von Stefan Burke markiert sind. Gespannt liest Stefan Burke die Erläuterungen aus Cambridge.

    " Herr Burke ist doch eher von Europäischer Abstammung, aha!"

    Mütterlicherseits hatte Stefan Burke keine Verwandten aus Irland zu erwarten. Seine Großmutter mütterlicherseits stammt aus Breinig bei Aachen. Das stimmt mit den Daten überein.

    " Einige Treffer in Greifswald. Aha, ja. "

    Die große Überraschung bleibt aus.

    " Richtung Asien hätte ich eh nicht so gedacht, aber so Mittel- und Westeuropa ist jetzt, wo ich ja so überlege, wo meine Eltern herkommen aus welchem Bereich, das passt ja dann auch irgendwo. ja."

    Kohanim ist hebräisch und bedeutet: Tempelwächter. Die Träger dieses Namens gehen, so die Überlieferung, auf Aaron zurück, den Bruder Moses. Er war der Urvater einer Priesterdynastie und damit auch aller Menschen mit Namen Cohen, Kohan, Coen oder Cons. Israelische Wissenschaftler wollten herausfinden, ob die Träger dieser Namen auch genetisch verwandt sind. Dazu haben sie 188 Y-Chromosomen untersucht.

    Das Y ist das kleinste Chromosom. Nur Männer besitzen es. Frauen haben stattdessen ein zweites X-Chromosom. Genau wie der Name vererbt sich das Y-Chromosom stets über die männliche Linie - vom Vater auf den Sohn.

    Und tatsächlich fanden die Genforscher in über 90 Prozent der Männer, deren Name von Kohanim abgeleitet ist, das typische Y-Chromosom. Zu den Trägern zählen viele europäische Juden, aber auch schwarze Afrikaner und Menschen, die sich ihrer jüdischen Herkunft nicht bewusst sind.

    Die wichtigste Frage von Stefan Burke hat Peter Forster in Cambridge noch nicht beantwortet. Gibt es eine genetische Verbindung nach Irland?

    " Herr Burke hat ja seine Probe abgeschickt zur Y-Analyse. Wir haben uns gewisse Abschnitte auf dem Y-Chromosom angeguckt."

    Nur so kann Peter Forster herausfinden, ob Stefan Burke nicht nur einen irischen Namen trägt, sondern ob er tatsächlich genetische Wurzeln in Irland hat. Denn das Y-Chromosom wird genau wie der Name vom Vater auf den Sohn vererbt. Solche Y-Tests gibt es erst seit kurzer Zeit. Ein Test kostet 230 Euro.

    Peter Forster sucht nun in den Datenbanken nach Personen, die das gleiche Y-Chromosom wie Stefan Burke besitzen. Und tatsächlich findet er 36 Männer mit dem gesuchten Y. Ihre Namen kennt er jedoch nicht, aber er weiß, woher die Proben stammen.

    " Das ist schon mal interessant, weil Herr Burke vermutet, dass sein Vorfahre vielleicht ein Burke ist von den britischen Inseln. Hier haben wir sogar zwei Treffer in Birmingham, die sein Y-Chromosom haben."

    Einen Treffer aus Irland konnte Peter Forster nicht finden. Das sagt jedoch wenig aus, denn in Irland wurden bislang nur wenige Männer untersucht. Die Aussagekraft der Daten ist gering. Das wir von Humangenetikern kritisiert.

    " Was sagt uns das eigentlich? Wozu ist das eigentlich gut?"

    Peter Propping ist Professor für Humangenetik an der Universität Bonn und ist Mitglied des Nationalen Ethikrats.

    " Ich meine, irgendwelche Vorfahren müssen wir ja haben, ich finde eigentlich nur immer interessant, wenn es bestimmte, konkrete Hypothesen zu überprüfen gilt."

    Das Y-Chromosom und auch die Mitochondrien tragen die Information einer einzelnen Erblinie, väterlicher- oder mütterlicherseits. Dieser Ansatz vernachlässigt, dass jeder Mensch zwei Eltern hat, vier Großeltern, acht Urgroßeltern und so weiter. Vor 20 Generationen - also vor rund 500 Jahren - hat jeder Mensch theoretisch über eine Million Vorfahren. Der Blick auf das Y-Chromosom beschränkt sich jedoch auf einen einzigen davon.

    " Das ist also nur dieser eine Faden, der eine Strang. Das gesamte übrige Genom ist ja eine ständige Mischung, was in jeder Generation wieder neu gemischt wird. Darüber muss man sich im Klaren sein, dass es also nur ein einziger selektiver Blick, und das mag interessant sein im Zusammenhang mit einer ganz bestimmten konkreten wissenschaftlichen Fragestellung. Für den Durchschnittsbürger bringt es eigentlich gar nichts, ich sehe da gar keine Schlussfolgerung."

    Das Y-Chromosom und die Mitochondrien ermöglichen neuerdings einen genetischen Blick in die Vergangenheit auch für Privatpersonen. Peter Propping hält die Aussagekraft dieser Analysen für gering.

    " Ja, das würde dann also verraten, dass ein Mann sein Y-Chromosom von einem bestimmten Mann aus grauer Vorzeit geerbt hat, das wäre schon richtig. Aber die große Masse seiner Erbanlagen, die ist ja nicht Y-chromosomaler Natur, die ist ständig von beiden Seiten, mütterlicher und väterlicher Seite in jeder Generation neu beigemischt. Also auch das sagt letztlich gar nichts."

    Christoph Kolumbus entdeckte 1492 den Kontinent Amerika. Das ist unstrittig. Aber woher der berühmte Seefahrer stammt, darüber streiten seit Jahrhunderten Italiener und Spanier. Wissenschaftler aus Rom und Granada wollen nun Klarheit schaffen. Da nicht bekannt ist, wo Kolumbus begraben liegt, wurde sein Sohn Hernando exhumiert. Damit war das Y-Chromosom des Kolumbus bekannt.

    Außerdem wurden 250 Männer mit Namen Colombo, Columbo, Colon oder Colomb aus Italien und aus Spanien gebeten, eine Speichelprobe abzugeben. Wenn es ein klares Ergebnis geben sollte, ist die Frage der Herkunft des Kolumbus beantwortet. Wenn es Treffer in beiden Ländern gibt, darf weiter spekuliert werden.

    Stefan Burke will nun wissen: Stammt sein Familienname aus Irland? Diese konkrete Frage können die Genetiker nur beantworten, wenn sie das Y- Chromosom eines Iren mit Namen Burke oder englisch Börk kennen. Das können sie anschließend mit Stefan Burkes Y vergleichen. Die Antwort ist dann eindeutig: Verwandt oder nicht verwandt.

    Peter Forster durchsucht zuerst die eigene Datenbank - aber ohne Erfolg. Dann weitet er die Suche aus - auf öffentlich zugängliche Datenbanken.

    " Und das Ergebnis unserer Burke-Nachforschungen liegt hier vor: Es gibt tatsächlich einen Henry Burke in dieser Datenbank, die ich ausfindig gemacht habe. Dieser Henry Burke wurde 1795 geboren und zwar in Irland in dem Kleinstädtchen Drumheriff. Und laut dieser Information ist er im Jahre 1818 ausgewandert, und ist nach Kanada eingewandert. Er ist dann gestorben im Jahre 1867. "

    Die Nachfahren von Henry Burke (Börk) haben ebenfalls Ahnenforschung betrieben und ihr Erbgut untersuchen lassen. Da alle männlichen Nachkommen das gleiche Y-Chromosom besitzen, ist auch das Y des Stammvaters Henry Burke bekannt.

    Peter Forster vergleicht nun bestimmte Stellen dieses Chromosoms mit dem Y von Stefan Burke.

    " Und hier sehen wir nun ein Y-Profil von Henry Burke, beziehungsweise von den männlichen Nachfahren. Hier ist an der Position DYS19 bei Henry Burke. "

    ... sind 14 Wiederholungen dieses DNA-Motivs. Wenn wir das vergleichen mit unserem Herrn Burke sehen wir auch 14 Wiederholungen. Das ist schon mal spannend. Könnte das die Abstammung sein von dem selben oder ist das Zufall?

    Wir haben bei unserem deutschen Herrn Burke an DYS389I 12 Wiederholungen. Schauen wir jetzt bei Henry Burke nach. Da haben wir bei DYS389I 13 Wiederholungen bei dem DNA-Motiv.


    Peter Forster entdeckt eine Gemeinsamkeit. Sind Henry Burke und Stefan Burke tatsächlich verwandt?

    " Wir haben also hier schon mal einen Unterschied zwischen den beiden Burkes. Wir müssen also weitere DNA-Positionen abrufen, um Gewissheit zu erlangen. Gehen wir nun über zu DYS389II. "

    Da hat der deutsche Herr Burke 28 Wiederholungen in der DNA. Und da hat unser amerikanisch-kanadischer Burke 29 Wiederholungen. ... das ist noch im Rahmen. So weit, so gut könnte man sagen.

    Schauen wir nun einen weiter: DYS390. Da hat Herr Burke in Deutschland 22 Wiederholungen, aber unser amerikanisch-kanadischer Burke hat hier 24.

    Da haben wir also schon zwei klare Unterschiede. Oder drei, denn von 22 auf 24 muss man zweimal die Länge verlängern.


    Noch eine Abweichung. Das muss noch nichts heißen. Peter Forster vergleicht weitere Stellen. Und noch ein klarer Unterschied.

    " Damit können wir schon mit ziemlicher Sicherheit sagen: Die beiden sind nicht in der väterlichen Linie verwandt. Diese beiden Burkes haben den identischen Nachnamen, aber nicht die gemeinsame männliche Linie als Vorfahren."

    Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: 1) Henry Burke (Börk) und Stefan Burke gehören zu zwei separaten Linien, die nicht miteinander verwandt sind. 2) Der Name beider Burkes hat den selben Ursprung. Aber entweder bei Henry Burke oder bei Stefan Burke gab es in der männlichen Linie ein "Kuckuckskind". Dann wäre zwar der Name Burke beziehungsweise "Börk" weitervererbt worden, jedoch wäre der offizielle Sohn nicht der leibliche. Die Erblinie von Y und Familiennamen stimmen ab dieser Stelle nicht mehr überein, und das ist gar nicht so unwahrscheinlich. Denn in 500 Jahren - also etwa 20 Generationen auf jeder Seite - reicht schon ein Seitensprung, und es gibt keine biologische Verwandtschaft mehr.

    Stefan Burke öffnet den zweiten Umschlag.

    " In dem Umschlag befinden sich: ein Brief, eine Liste und viele Daten. Seine Y-Analyse liefert zwei Treffer in England, aber keinen in Irland. Bleibt die Hoffnung auf seinen möglichen Verwandten Henry Burke. "

    " Ein direkter Vergleich ... " nicht verwandt. ... " Aha, diese beiden keine irischen Vorfahren, zumindest nicht im Moment nachweisbar, ja. "

    Zunächst keimt ein wenig Hoffnung. Verwandte in Irland? Aber dann Gewissheit. Henry Burke ist nicht einmal ein entfernter Verwandter von Stefan Burke.

    " Ja, ich hätte es halt sehr, sehr interessant und spannend gefunden wenn man einfach da Verwandtschaft irgendwo gehabt hätte, nicht? Das wäre irgendwo reizvoll gewesen, aber so gut, ist halt im Moment nicht zu erfahren, muss man vielleicht in paar Jahren das Ganze noch mal machen."

    Es ist aber immer noch möglich, dass Stefan Burke irische Vorfahren hat. Stefan ist zwar nicht mit Henry Burke (Börk) verwandt, aber vielleicht mit einer anderen irischen Burke-Linie.

    " Also, fast so schlau wie vorher. Ja, irgendwo ein bisschen enttäuschend, ja."