Christian Bremkamp: Am Telefon begrüße ich jetzt Professor Joachim Scheide, er ist Leiter des Prognosezentrums des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Guten Tag, Herr Professor Scheide.
Joachim Scheide: Guten Tag!
Bremkamp: Ist dieser Kompromiss wirklich so schlecht, wie er von vielen gerade dargestellt wird?
Scheide: Gemessen an den Erwartungen und an den Erfordernissen ist er sicherlich schlecht. Wir müssen uns erinnern, dass wir Anfang des Jahres und dann im Höhepunkt, im Mai dieses Jahres, ein großes Problem in Europa hatten. Man sprach damals von der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Das mag vielleicht ein bisschen übertrieben gewesen sein, aber es war eine Krise. Und da hat man sich eigentlich geschworen, man will jetzt auf jeden Fall so etwas verhindern, auch dadurch, dass man die Kriterien des Stabilitätspakts und so weiter enorm härtet. Auch das war vielleicht eine Bedingung dafür, dass Frau Merkel diesem Rettungspaket zugestimmt hat. Nun ist das Ergebnis doch ziemlich enttäuschend. Es fehlt der Automatismus, es fehlen klare Regeln, wann es zu Sanktionen kommt, und letztlich ist es immer noch so, dass die Politik darüber entscheidet. Das heißt, die Finanzminister können immer gegen Sanktionen stimmen, die möglicherweise erforderlich sind für ein Land.
Bremkamp: Ist Letzteres, was Sie gerade angesprochen haben, der Kernfehler?
Scheide: Ich glaube schon, das ist der Kernfehler. Man hat in der Vergangenheit den Stabilitätspakt nicht mehr ernst genommen, weil da letztlich die Sünder über die Sünder entschieden haben. Dabei bleibt es ja letztlich, auch wenn jetzt die Mehrheitsverhältnisse vielleicht ein bisschen aufgeweicht sind, aber im Großen und Ganzen hat man hier jetzt nicht den großen Schritt getan. Es bleibt zu hoffen, dass damit noch nicht das Ende der Diskussion erreicht ist. Was wir in Deutschland, aber auch in Europa brauchen, ist ein Insolvenzrecht für Staaten, und da muss man sehen, ob sich die Kanzlerin da durchsetzen kann. Wenn nicht, dann wäre das sehr schade.
Bremkamp: Können Sie ein Insolvenzrecht für Staaten noch mal ein bisschen erläutern?
Scheide: Ja. Wir haben ja das Problem mit Griechenland gehabt. Griechenland war am Rande des Staatsbankrotts und da gibt es die Möglichkeit, das geordnet abzuwickeln, und zwar in dem Sinne, dass nicht die Steuerzahler belastet werden, sondern die Gläubiger. Das muss letztlich auch in Europa geschehen, damit es solche eine Zuspitzung, wie wir sie hatten, nicht noch mal gibt, und vor allem, damit verhindert wird, dass ein Land ein anderes Land durch Steuergelder heraushaut. Das darf nicht passieren, das ist diese Klausel im Maastrichter Vertrag, und die muss gehärtet werden. Die wird jetzt durch die Änderung des Stabilitätspakts nicht mehr gehärtet. Wir brauchen da ganz klare Regeln. Aber ich befürchte, so wie es jetzt sich gezeigt hat: Auch das wird nicht passieren. Das wird letztlich am Widerstand von Frankreich scheitern, und damit sind wir dann praktisch beim Status quo, alle wursteln sich weiter durch.
Bremkamp: Denn in der Politik haben wir es ja eigentlich immer mit Kompromissen zu tun?
Scheide: Das ist in der Regel so, und die Kompromisse sind meistens faul. Es muss irgendwann mal der Punkt kommen, wo dann auch ein Regierungschef sagen muss, oder eine Regierungschefin, nicht mit mir, ich mache jetzt nicht mehr mit und ich stimme nicht mehr zu, wenn wir jetzt Steuergelder dafür ausgeben, die schlechte Finanzpolitik eines anderen Landes zu honorieren.
Bremkamp: Sehen Sie solch einen Regierungschef oder solch eine Regierungschefin in Europa?
Scheide: Derzeit nicht so richtig, aber man kann ja auf Besserung hoffen.
Bremkamp: Sie kritisieren das nun Beschlossene. Bedeutet das, dass sich ein Fall Griechenland eins zu eins wiederholen könnte?
Scheide: Davon kann man ausgehen, das kann sich wiederholen. Es gibt sehr wenig Anreize für die Staaten, eine solide Haushaltspolitik zu betreiben. Bei manchen Ländern sieht man ja jetzt noch nicht mal Ansätze, dass sie das überhaupt mittelfristig machen wollen. Das wird dann wieder zu Problemen führen und dann kommen wir zu der gleichen schwierigen Lage, wie wir sie Anfang des Jahres schon einmal hatten.
Bremkamp: Wie brav ist denn Deutschland in Sachen Haushaltsdisziplin?
Scheide: Relativ brav. Wir haben natürlich auch ein Problem, aber unser Problem ist am geringsten und man hat ja auch schon ein Sparpaket beschlossen. Das heißt, wie es mittelfristig weitergehen soll mit den Defiziten, ist einigermaßen klar: Die werden deutlich reduziert. In Deutschland ist die Lage auch nicht so gravierend wie in anderen Ländern, wo die Defizite und die Staatsverschuldungen sehr viel höher sind.
Bremkamp: In Großbritannien wird am Nachmittag ein drastisches Sparpaket vorgestellt. Ist das der richtige Weg? Ist das ein Beispiel, dem andere Länder Europas folgen müssten?
Scheide: Ja! Großbritannien ist ein Beispiel, die machen es richtig. Andere Länder haben es ja auch schon angegangen. Wie erfolgreich das sein wird - das muss ja über längere Zeit durchgehalten werden -, das wird sich dann noch zeigen, aber das ist auf jeden Fall der richtige Weg. Wir haben in den Industrieländern eine Staatsverschuldung, wie wir sie noch nie hatten in Friedenszeiten, und da muss man etwas dagegen tun. Das gilt übrigens auch für die USA.
Bremkamp: Professor Joachim Scheide war das, Leiter des Prognosezentrums des Instituts für Weltwirtschaft an der Uni Kiel. Herzlichen Dank für diese Einschätzungen.
Joachim Scheide: Guten Tag!
Bremkamp: Ist dieser Kompromiss wirklich so schlecht, wie er von vielen gerade dargestellt wird?
Scheide: Gemessen an den Erwartungen und an den Erfordernissen ist er sicherlich schlecht. Wir müssen uns erinnern, dass wir Anfang des Jahres und dann im Höhepunkt, im Mai dieses Jahres, ein großes Problem in Europa hatten. Man sprach damals von der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Das mag vielleicht ein bisschen übertrieben gewesen sein, aber es war eine Krise. Und da hat man sich eigentlich geschworen, man will jetzt auf jeden Fall so etwas verhindern, auch dadurch, dass man die Kriterien des Stabilitätspakts und so weiter enorm härtet. Auch das war vielleicht eine Bedingung dafür, dass Frau Merkel diesem Rettungspaket zugestimmt hat. Nun ist das Ergebnis doch ziemlich enttäuschend. Es fehlt der Automatismus, es fehlen klare Regeln, wann es zu Sanktionen kommt, und letztlich ist es immer noch so, dass die Politik darüber entscheidet. Das heißt, die Finanzminister können immer gegen Sanktionen stimmen, die möglicherweise erforderlich sind für ein Land.
Bremkamp: Ist Letzteres, was Sie gerade angesprochen haben, der Kernfehler?
Scheide: Ich glaube schon, das ist der Kernfehler. Man hat in der Vergangenheit den Stabilitätspakt nicht mehr ernst genommen, weil da letztlich die Sünder über die Sünder entschieden haben. Dabei bleibt es ja letztlich, auch wenn jetzt die Mehrheitsverhältnisse vielleicht ein bisschen aufgeweicht sind, aber im Großen und Ganzen hat man hier jetzt nicht den großen Schritt getan. Es bleibt zu hoffen, dass damit noch nicht das Ende der Diskussion erreicht ist. Was wir in Deutschland, aber auch in Europa brauchen, ist ein Insolvenzrecht für Staaten, und da muss man sehen, ob sich die Kanzlerin da durchsetzen kann. Wenn nicht, dann wäre das sehr schade.
Bremkamp: Können Sie ein Insolvenzrecht für Staaten noch mal ein bisschen erläutern?
Scheide: Ja. Wir haben ja das Problem mit Griechenland gehabt. Griechenland war am Rande des Staatsbankrotts und da gibt es die Möglichkeit, das geordnet abzuwickeln, und zwar in dem Sinne, dass nicht die Steuerzahler belastet werden, sondern die Gläubiger. Das muss letztlich auch in Europa geschehen, damit es solche eine Zuspitzung, wie wir sie hatten, nicht noch mal gibt, und vor allem, damit verhindert wird, dass ein Land ein anderes Land durch Steuergelder heraushaut. Das darf nicht passieren, das ist diese Klausel im Maastrichter Vertrag, und die muss gehärtet werden. Die wird jetzt durch die Änderung des Stabilitätspakts nicht mehr gehärtet. Wir brauchen da ganz klare Regeln. Aber ich befürchte, so wie es jetzt sich gezeigt hat: Auch das wird nicht passieren. Das wird letztlich am Widerstand von Frankreich scheitern, und damit sind wir dann praktisch beim Status quo, alle wursteln sich weiter durch.
Bremkamp: Denn in der Politik haben wir es ja eigentlich immer mit Kompromissen zu tun?
Scheide: Das ist in der Regel so, und die Kompromisse sind meistens faul. Es muss irgendwann mal der Punkt kommen, wo dann auch ein Regierungschef sagen muss, oder eine Regierungschefin, nicht mit mir, ich mache jetzt nicht mehr mit und ich stimme nicht mehr zu, wenn wir jetzt Steuergelder dafür ausgeben, die schlechte Finanzpolitik eines anderen Landes zu honorieren.
Bremkamp: Sehen Sie solch einen Regierungschef oder solch eine Regierungschefin in Europa?
Scheide: Derzeit nicht so richtig, aber man kann ja auf Besserung hoffen.
Bremkamp: Sie kritisieren das nun Beschlossene. Bedeutet das, dass sich ein Fall Griechenland eins zu eins wiederholen könnte?
Scheide: Davon kann man ausgehen, das kann sich wiederholen. Es gibt sehr wenig Anreize für die Staaten, eine solide Haushaltspolitik zu betreiben. Bei manchen Ländern sieht man ja jetzt noch nicht mal Ansätze, dass sie das überhaupt mittelfristig machen wollen. Das wird dann wieder zu Problemen führen und dann kommen wir zu der gleichen schwierigen Lage, wie wir sie Anfang des Jahres schon einmal hatten.
Bremkamp: Wie brav ist denn Deutschland in Sachen Haushaltsdisziplin?
Scheide: Relativ brav. Wir haben natürlich auch ein Problem, aber unser Problem ist am geringsten und man hat ja auch schon ein Sparpaket beschlossen. Das heißt, wie es mittelfristig weitergehen soll mit den Defiziten, ist einigermaßen klar: Die werden deutlich reduziert. In Deutschland ist die Lage auch nicht so gravierend wie in anderen Ländern, wo die Defizite und die Staatsverschuldungen sehr viel höher sind.
Bremkamp: In Großbritannien wird am Nachmittag ein drastisches Sparpaket vorgestellt. Ist das der richtige Weg? Ist das ein Beispiel, dem andere Länder Europas folgen müssten?
Scheide: Ja! Großbritannien ist ein Beispiel, die machen es richtig. Andere Länder haben es ja auch schon angegangen. Wie erfolgreich das sein wird - das muss ja über längere Zeit durchgehalten werden -, das wird sich dann noch zeigen, aber das ist auf jeden Fall der richtige Weg. Wir haben in den Industrieländern eine Staatsverschuldung, wie wir sie noch nie hatten in Friedenszeiten, und da muss man etwas dagegen tun. Das gilt übrigens auch für die USA.
Bremkamp: Professor Joachim Scheide war das, Leiter des Prognosezentrums des Instituts für Weltwirtschaft an der Uni Kiel. Herzlichen Dank für diese Einschätzungen.