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"Das erotische Werk Goethes"

F: Das Vorspiel.

Andreas Ammer |
    F: Das Vorspiel.

    G: Sobald du ein Mädchen nach Hause geführt hast, wird sie von einer gewissen Scham und Angst ergriffen. Damit sie nicht wegläuft, muß die Göttin Manturna angerufen werden; diese wird deine Liebkosungen unterstützen, das Vergnügen am Küssen vergrößern; sie wird das auf deinen Knien sitzende Mädchen festschmieden und sie bändigen, wenn du sie zum Brautbett geführt hast. Dann wird plötzlich die Göttin Virginensis herantreten, die dem beisteht, der den Gürtel löst; sie wird den Widerstand des sich weigernden Mädchens durch Flüstern beschwichtigen und die auf dem Bett ausgestreckten Glieder allerliebst ordnen, sie wird die unnütze Kleidung entfernen, dich Verlangenden leiten und die Schenkel spreizen für den, der sich darauf legt

    F: Der Philologe weiß:

    A: Das war Goethe.

    M: Goethe, der Dichter, hat viel zu dem Bild beigetragen, das wir uns von der Dichtkunst machen. Goethe, der Mensch, - wenn es ihn denn wirklich gegeben hat - war ganz und jederzeit Dichter und hat seinen Schriften die eigene Person, den eigenen Körper hinterhergeworfen. Da ist nichts an ihm, das nicht Schrift und Buchstabe ist. Mit seinem ganzen Leib steht Goethe für seine Dichtung ein, deren literarischen Figuren man hingegen gerne nachsagt, sie seien mehr Gestalten als Leiber.

    G: "Sie wissen, ..."

    M: ... schreibt Goethe an die begehrte Frau von Stein ...

    G: "... wie symbolisch mein Daseyn ist."

    M: Ein symbolisches Dasein aber ist ein umfassendes Dasein, eines das jeden Lebensaspekt umschließt. In diesem Sinn schreibt der Geheime Rat 1790 aus an seinen Gönner, Kumpan und Herzog August, daß er sich beim winterlichen Unwetter ins Museum eingeschlossen habe, um "seinem Geist freien Lauf zu lassen". Man ist gebildet, man liest Augustinus, man schreibt Latein.

    F: "Rerum humanarum atque divinarum studium a primis annis a me sedulo tractatum fuisse ipse princeps optime nostri, theoriam quoque praxi quodammodo ...

    G: Du weißt, bester Fürst, daß ich das Studium der menschlichen und göttlichen Dinge von den ersten Jahren an mit aller Hingabe betrieben habe, und daß ich auch Theorie und Praxis einigermaßen richtig gemischt habe. Ich glaube, daß es mir zur Schande gereichen würde, wenn ich jenen durchaus göttlichen und gleichwohl menschlichen Ursprung der Zeugung und natürlich auch Schöpfung nicht an irgendeinem Beispiel erläuterte.

    M: Daraufhin paraphrasiert Goethe - immer noch nächtens ins Museum eingeschlossen - mit Augustinus den "durchaus göttlichen und gleichwohl menschlichen Ursprung der Zeugung":

    G: Zu diesem Zeitpunkt wird der Gott Subigus nicht fehlen, der dich, während du dich um den Eingang bewegst und den zarten Bauch mit deinem Bauch bedrängst, was die Griechen "gerben" oder "weich machen" nennen ... Wenn du das zart und nicht bäurisch gemacht hast, damit sie sich an die Last gewöhnt, wird die Göttin Prema der Jungfrau beistehen, damit sie dich, der du sie drückst und mit dem ganzen Körper auf ihr liegst, gern und mit Freude erträgt. Dann wird die Göttin Pertunda anwesend sein. (... ) Mit ihrer Hilfe möge also der Gott Janus das bedrängte Türchen öffnen.

    M: Dreimal in Goethes symbolischen Dasein kommt es zur Verfertigung erotischer Literatur. Dreimal geht diese Konjunktur des schriftlichen Sexes mit persönlichen Schaffenskrisen Hand in Hand. 1775, als Goethe aus Frankfurt flüchtet; 1790, als Goethe aus Italien zurückkehrt; 181 0, als Goethe nach Schillers Tod gar nichts mehr zustandebrachte. In diesen 3 Schaffenskrisen dichtet der Olympier Schweinekram. Der Philologe deutet das so-.

    A: Wenn dem Dichter nichts mehr einfällt, sexualisiert er den Schreibakt.

    F: Johann Wolfgang von Goethe, Das erotische Werk, Kritische Ausgabe, mit Anmerkungen des Herausgebers, Band 1 / Das Frühwerk / Untertitel: Der Lauf der Weit.

    A: Oder: Ober die Verfertigung von klassischer Literatur aus Obszönitäten.

    M: 1775 - der Werther ist schon geschrieben und Goethe der meistgelesene Autor seiner Ziet macht sich der Dichter an die Arbeit zu einem Drama, daß den unbescheidenen Untertitel tragen soll "Der Lauf der Welt". Der Titel des Dramenentwurfes lautet: G (Räuspern) Hanswurst Hochzeit oder Der Lauf der Welt. Dramatis Personae:

    M: Hanswurst, Bräutigam

    F: Ursel Blandine, Braut

    M: Ursel mit dem kalten Loch / Klingelt's nicht, so klapperte doch

    F: Kilian Brustfleck, Hans Arsch von Rippach, Matz Fotz von Dresden.

    M: Reck-Aerschgen, Schnuck Fötzgen / Nichten und so weiter

    F: Kilian Brustfleck tritt auf. Das Drama beginnt mit den - später in etwas anderem Zusammenhang bekannt gewordenen Worten ... G- "Hab ich endlich mit allem Fleiß Manchem moralischen Schweiß Meinen Mündel Hanswurst erzogen

    F: Alle Erziehung und aller Fleiß half nicht, angesichts seiner Hochzeitsgäste ruft der Titelheld aus:

    G: "Indess was hab ich mit den Flegeln Sie mögen fressen und ich will vögeln"

    M: Diesen Handlungsstrang hat Goethe im Entwurf zu seinem fragmentarischen Jugenddrama im typischen Sturm und Drang-Slang folgendermaßen ausgeführt:

    G: "Und hinten wo am Arsch die Hoden klunkern Das Rückgrad sich biegt die Beine sich anziehn Das rothe Stücklein aus der Scheide treibt Und der ganze Kerl herrlicher wird Beleckt jede Ihrer Brüste Hitzig, Der Schwanz sich krümmt Das Eingreifen der Pfoten Hächzen Der unendliche Ausdruck von Geilheit im Verbiegen und Verschmiegen der ganzen Natur Anbiegen und anschmiegen.

    A: Johann Wolfgang von Goethe, Weimarer Ausgabe, Band 38. F- Es sage keiner: Der Dichter hätte das nicht gewollt, das so etwas öffentlich wird. Im Gegenteil: Noch über ein halbes Jahrhundert später, an einem kühlen Märzabend des Jahres 1831 - während der Arbeit an "Dichtung und Wahrheit" - zieht Goethe vor Eckermanns Augen diese sorgsam aufbewahrten Notizen aus seiner Jugend heraus. Man gießt sich wohl noch ein Glas Wein ein und der Dichter liest daraufhin dem verblüfften Eckermann seine Jugendergüsse vor. Eckermann notiert den Vorfall mit gewohnter Accuratesse: Zuspielung Liszt Albumblatt in Walzerform

    M: Zum Nachtisch las Goethe mir sodann einige seit 1775 sich erhaltene Fragmente von Hanswurst Hochzeit. ... Eine gewaltige, produktive Kraft bis zum Übermut sprach sich in jeder Zeile aus, und ich bedauerte bloß, daß es so über alle Grenzen hinausgehe, daß selbst die Fragmente sich nicht mitteilen lassen. Goethe las mir darauf den Zettel der im Stück spielenden Personen, die fast drei Seiten füllten und sich gegen hundert belaufen mochten ...

    G: Schlingschlangschlodi kommt von Ackademien Peter Sauschwanz

    M: Scheißmatz

    G: Lauszippel

    M: Grindschniepel

    G: Rotzlöffel

    M: Geischnabel

    G: Pagen Schwanz Kammerdiener, Hundsfott (wird extempociert)

    M (darüber): Es waren alle erdenklichen Schimpfnamen, mitunter von der derbsten. lustigsten Sorte, sodaß man nicht aus dem Lachen kam.

    G: Schindluder

    M: Saufaus

    G: Vollzapf

    M: Dr. Saft

    G: Faullenz

    M: Schlucker

    G: Hungerdarm

    M: Schlüffel

    G: Schlingel

    M Flegel

    G: Fladen Candidat,Magister Sausack Pastor Loci M (darüber): Manche gingen auf körperliche Fehler, und zeichneten eine Figur dermaßen, das sie lebendig vor die Augen trat ...

    G: Stinckwiz Kammerjunker

    M: Schwanz Jungfrau Flöhot

    G: Mademoiselle Firiefanz, Hosenscheißer und Leckarsch, Paten der Braut

    M: ... andere deuteten auf die mannigfaltigsten Unarten und Laster, und ließen einen tiefen Blick in die Breite der unsittlichen Welt voraussetzen.

    G: Rauch Else

    M: Runkunkel alt

    G: Spritzbüchse

    M: Lapparsch Original Nimmersatt

    G: Dr. Bonefurz

    M: Blaufincke Pritschenmeister Fozzenhut

    G: Dreckfincke

    M: Piphan

    G: Schnudelbutz

    F: Danke das reicht.

    G: Heularsch

    M: Hengstmensch von einer Prinzeß.

    F: Herr Eckermann? Ihr Schlußkommentar ?

    M: Wäre das Stück zu Stande gekommen, so hätte man die Erfindung bewundern müssen, der es geglückt, so mannigfaltige symbolische Figuren in eine einzige lebendige Handlung zu verknüpfen.

    A: ... und fertig ist der Klassiker.

    F: Goethe selbst gibt in "Dichtung und Wahrheit" eine ausführlichere Inhaltsangabe des geplanten Stückes und schließt die Hoffnung an...

    G: "... daß Gegenwärtiges in guter Gesellschaft auch wohl im anständigen Familienkreise vorgelesen werde ..."

    F: ... und also verbirgt schon das 25-jährige angehende Dichtergenie im Bewußtsein zukünftiger Größe seine Obszönitäten sorgsam in einem "Geheimes Archiv wunderlicher Produktionen" um sie dort für die Nachwelt zu bewahren.

    G: "Es mag erhalten bleiben."

    F: ... verfügt der altersweise Dichter noch kurz vor seinem Tot altersweise seinem Sekretär, und legt dem Fragment vom "Hanswurst" zur Freude der Philologen als Zugabe auch noch den "Urfaust" bei.

    A: Womit wir wieder bei den Freuden des Archivs gelandet wären.

    F: Johann Wolfgang von Goethe, Das erotische Werk, Historisch-Kritische Ausgabe, mit Anmerkungen des Herausgebers, Band 2 / Die klassische Sau.

    F: Wir schreiten zum "Walpurgissack"-

    M: Bereits 1775 bedauert Wieland, daß bei einer Lesung des "Urfaust" die interessantesten Wollustszenen leider unterdrückt worden seien. In der Druckfassung des Faust von 1808 ist statt den Walpurgisnachtszenen lustlos die operettenhafte Zeitsatiere des Walpurgisnachttraumes hineingekleister worden. Der Philologe meint dazu:

    A : Statt obszöne Szenen zu begradigen, streicht Goethe sie bekanntermaßen lieber ganzGoethe hinterläßt den Zeitgenossen lieber eine brüchige, lückenhafte Szene und seinem Archiv, der Nachwelt und der Philologie die wilden Notizen.

    F: Es ist 1808. Im Gespräch mit dem Schriftstellerkollegen Falk, der Goethe nicht in Heiligenverehrungshaltung gegenübertrat und dessen Aussagen in der Wissenschaft deshalb gerne angezweifelt werden, schwadroniert der Olympier kokett über den Zustand der Nation und seiner Dichtung:

    G: "Sie mögen mich nicht! Das matte Wort! Ich mag sie auch nicht! Ich habe es ihnen nie recht zu Danke gemacht! Vollends, wenn mein Walpurgissack nach meinem Tode sich einmal eröffnen und alle bis dahin verschlossenen stygischen Plagegeister, wie sie mich geplagt, so auch zur Plage für andere wieder loslassen sollte; das, denke ich doch, vergeben sie mir sobald nicht."

    M: "Um Verzeihung"

    F: ... nahm an dieser Stelle Falk, wie er berichtet, das Wort ... m "Sie sprachen vorhin von einem Walpurgissack? Es ist das erste Wort, was ich heute darüber aus ihrem Munde höre. Darf ich wissen, was es mit demselben eigentlich für eine Bewandnis hat?"

    G: "Der Walpurgissack..."

    F: ... gab hierauf Goethe mit dem angenommenen feierlichen Ernste eines Höllenrichters zur Antwort ...

    G: "... ist eine Art von infernalischem Schlauch, Behältnis, Sack oder wie Ihr's sonst nennen wollt, ursprünglich zur Aufnahme einiger Gedichte bestimmt, die auf Hexenszenen im Faust, wo nicht auf den Blocksberg selbst, einen näheren Bezug hatten. Jedes Papier, das in meinem Walpurgissack herunterfällt, fällt in die Hölle; und aus der Hölle, wie ihr wißt, gibt es keine Erlösung. ... Ich wenigstens will niemanden raten, ihm zu nahe zu kommen. Ich fürchte mich selbst davor."

    F: Wissenschaftlich heißt der'Walpurgissack'Paralipomenon 50 und besteht aus einem 32-seitigem Heft, in das Goethe eigenhändig eine Satansaudienz Fausts, Hexenchöre und Handlungsfetzen notierte. Die Goethe-Philologie hat sich an den Fluch des Meisters gehalten, fürchtete sich buchstäblich vor den obszönen Seiten ihres Meisters und machte sich erst in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts zaghaft daran, die Walpurgisnacht ohne Anstandsstriche zu rekonstruieren. M: Trompetenstöße, Blitze, Donner von oben Feuersäulen, Rauch, Qualm, Fels der daraus hervorragt. Ist der Satan. Großes Volck umher. Satan spricht:

    G: (als Satan): Die Böcke zur rechten Die Ziegen zur linken Die Ziegen sie riechen, die Böcke sie stinken Und wenn auch die Böcke Noch stinkiger wären So kann doch die Ziege Des Bocks nicht entbehren. F Vernehmet die Worte Er zeigt euch die Spur Des ewigen Lebens Der tiefsten Natur.

    G: Euch gibt es zwei Dinge so herrlich und groß Das glänzende Gold und der weibliche Schoos. Das eine verschaffst Das andere verschlingt Drum glücklich wer beide Zusammen erringt.

    F: Was sagte der Herr denn? Mir bleibet noch dunkel Die herrliche Spur Nicht seh ich das Leben Der tiefen Natur. G (links): Für Euch sind zwei Dinge Von köstlichem Glanz Das leuchtende Gold Und ein glänzender Schwanz Drum wißt ihr Weiber Am Gold zu ergötzen Und mehr als das Gold Noch die Schwänze zu schätzen.

    F: Ich stehe von ferne Und stutze die Ohren Doch hab ich schon manches Der Worte verloren.

    A: Darauf Mephisto zu dem jungen Mädchen:

    M: Was weinst du artger kleiner Schatz Die Tränen sind hier nicht am Platz Du wirst in dem Gedräng wohl gar zu arg gestoßen?

    F: Ach nein! der Herr dort spricht gar zu kurios, Von Gold und Schwanz von Gold und Shoß Und alles freut sich, wie es scheint! Das verstehn wohl nur die Großen?

    M: Mein liebes Kind, nur nicht geweint, Denn willst du wissen, was der Teufel meint, So greife nur dem Nachbarn in die Hosen.

    G: ihr Mägdlein ihr stehet Hier grad in der Mitten Ich seh ihr kommt alle Auf Besen geritten. Seid reinlich bei Tage Und säuisch bei Nacht So habt ihrs auf Erden Am weitesten gebracht.

    A: Ja, das war Faust, der DEutschen liebste Dichtung.

    F: So steht es in den Manuskripten geschrieben und wurde es so noch in kaum einer Goetheausgabe gedruckt.

    A: Fußnote:

    M: Zu dem Vers "Seid reinlich bei Tage / und säuisch bei Nacht" gibt es im Corpus der Goethe-Verse eine züchtige Entsprechung. So heißt es in dem ansonsten recht spießigen Werk "Hermann und Dorothea" im berechtigten Vers 199:

    G: "Daß dir werde die Nacht zur schöneren Hälfte des Lebens."

    M: Die Goethe-Verehrer des neunzehnten Jahrhunderts ging bereits dieser Vers zu weit. Der Goethe-Herausgeber Dinzer, der wegen seiner quasi-blasphemischen Fußnote "Hier irrt Goethe" einst eine aufgeregte wissenschaftliche Diskussion vom Zaum brach, kommentierte diesen skandalösen Vers vor 99 Jahren folgendermaßen:

    F: "... bei der schöneren Hälfte könne Goethe nicht blos der gemeinste Geschlechtsgenuß vorgeschwebt haben, sondern vor allem die Öffnung der Herzen in der heiligen Stille der die Flut des Tages abwehrenden und die Seele sich selbst wiedergebenden Nacht, die auch von jeher den Dichtern als Spenderin hoher Gedanken gegolten hat. Das ist die schöne Hälfte des Lebens."

    M: Vor diesem Hintergrund ist es klar, wieso die meisten der deftigen Verse bis heute so unbekannt sind: Sie durften nicht gedruckt werden. Die Geschichte der Zensur zieht sich dabei durch alle Etappen und Zeiten bis heute dahin:

    A: Ende der Fußnote.

    A: Der erste Zensor

    M: ... weiß die Philologie heute ...

    A: war Goethe selbst.

    M: Die "Römischen Elegien" sind das künstierische Manifest der Deutschen Klassik. Als Goethe dem klassischen Mitstreiter Schiller seinen hochklassischen Gedichtzyklus zur Veröffentlichung in den Horen übersandte, hatte der Olympier den Titel "Erotica Romana" bereits in "Elegien. Rom 1788" umgeändert und zwei Elegien zurückgezogen, die den Fruchtbarkeitgott Priapus besangen, Denn das "hervorstechendste" Merkmal des Gottes Priapus ist sein eregierter Penis.

    F: Der zweite Zensor waren Goethes damalige Herausgeber, waren sie auch Freunde und Dichter und hießen sie auch Schiller:

    :M Schiller beispielsweise nimmt in den Eiegien Anstoß an den Zeilen

    G: "Näher haben wir das! Schon fällt dein wollenes Kleidchen So wie der Freund es gelöst faltig zum Boden hinab. Eilig trägt er das Kind, in leichter linnener Hülle Wie es die Amme geziemt, scherzend aufs Lager hinan. Nehme denn Jupiter mehr von seiner Juno, es lasse Wohler sich, wenn er es kann irgendein Sterblicher sein Uns ergötzen die Freuden des echten nacketen Amors Und des geschaukelten Betts lieblich knarrender Ton."

    M: Weil sich sein Schiller nicht traut, nimmt Goethe diese Elegie, sowie eine weitere, die Geschlechtskrankheiten behandelt, aus dem Zyklus heraus. Unter dem endgültigen Titel "Römische Elegien" druckt Goethe 1806 den verstümmeiten Zyklus schließlich in seiner Werkausgabe. Aus den "Erotica Romana" war durch diverse Streichungen die grundlegene Erweckungsschrift Deutscher Klassik geworden. Der Philologe meint dazu:

    A: "In den klassischen Dichtungen wird durch Streichungen der triebhafte Untergrund zum Verschwinden gebracht, der sie eigentlich erst ermöglichte."

    F: Danke. Zurück in die Archive.

    M: Goethe hat seine unterdrückten Gedichte fein säuberlich abgeschrieben und aufbewahrt. Ober ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des Klassikers betreute die Großherzogin Sophie von Sachsen als "Erbin des von Goetheschen Familienarchivs" einige führende Germanisten mit der Herausgabe einer kritischen Ausgabe, die letztendlich 143 Bände umfaßte. Laut Statut sollte die Ausgabe

    A: "Das Ganze von Goethes litterarischem Wirken ... in Reinheit und Vollständigkeit darstellen."

    M:... und um die Reinheit kümmerte sich die Großherzogin zuvor selbst. Sie findet im Nachlaß Texte wie das berühmte Gedicht "Das Tagebuch".

    A: Fußnote.

    M: Das berechtigte Goethe-Gedicht "Das Tagebuch", das in der Zeile gipfelt:

    G: "Vor deinem Jammerbild blutrünstger Christe, Verzeih mirs Gott! es regte sich der Iste."

    M: ... kursierte zuvor bereits in Liebhaberdrucken. Die Großherzogin Sophie untersagte dennoch bis 1 91 0 die Veröffentlichung des Gedichtes in der maßgeblichen Goethe-Ausgabe. Die freie Wissenschaft folgte ihrem frommen Wunsch.

    A: Ende der Fußnote.

    F: Bevor aber die Wissenschaft sich an die Texte machen durfte, korrigiert die Großherzogin in ihrem literarischen Damenzirkel die Goetheaschen Manuskripte, die sie geerbt hat. Als die Damen die Handschrift der "Venetianischen Epigramme" entdecken, sind sie endgültig entsetzt und schreiten zur Tat. Die Hofdamen machen sich - sicher vornehm entrostet daran, alle anrüchige Wörter und Passagen aus den Manuskripten zu entfernen. So sind die meisten der erotischen Texte Goethes heute verstümmelt, sie tragen brutale Radierspuren oder gar Löcher, an denen einzelne Wörter wie

    G: "Fotze"

    F: oder

    G: "zierlich"

    M: herausgeschniten wurden.

    F: Der Höhepunkt.

    G: Er möge das Türchen des wieder und wieder geliebten und zu verehrenden Heiligtumes öffnen, damit die schuldigen Pflichten der Religion erfüllt werden. Nicht fehlen wird der Gott Saturnus der den Samen herleiten wird. Gott Liber wird dich befreien, den vorn herausspritzenden Samen wird die Göttin Libera der Jungfrau entgegenbringen.

    F: Der Rest ist postkoitale Depression:

    M: Noch vor einigen Jahren wurde es dem Verfasser dieser Erotik-Kolumne vom Suhrkamp-Verlag untersagt, in einen von ihm herausgegebenen Band der "Erotischen Gedichte" Goethes die maßgeblichen Handschriften der "Venezianischen Epigramme" zu als Ganzes veröffentlichen. - Mittlerweile stand allerdings nicht Scham, sondern ein Verkaufsinteresse der Veröffentlichung entgegen.

    M: Was der Sinn von Goethes erotischem Werk sein sollte, wissen die Götter der Dichtkunst. Einer von ihnen, der Gartengott Priapus, den Goethe in der unterdrückten Version seiner Römischen Eiegien besang, bedankt sich dafürjedenfalls folgendermaßem beim Dichter:

    G: "Dafür soll dir denn auch halbfußlang die prächtige Rute Strotzen vom Mittel herauf, wenn es die Liebste gebeut, Soll das Glied nicht ermüden, bis ihr die Dutzend Figuren Durchnossen wie sie künstlich Philänis erfand."

    M: So sprach der Dichter; und das Nachwort unseres Philologen zu seiner Ausgabe der "Erotischen Gedichte" von Goethe endete einstmals mit den Sätzen:

    F: "Wie der Dichter in seiner Schreibgier zu Worten der Begierde Zuflucht nimmt, diese dann aber erschrocken aus seinen Werken streicht, um Literatur entstehen zu lassen, so nimmt der Philologe in seiner Forschungsgier Zuflucht zu den einstmals geheimen Notizen des Dichters. Der Strich des Zensors läßt Schriften verschwinden. Er ist eine Markierung des Unsagbaren im Werk des Dichters, Der'Strich des Zensors markiert die empfindlichen, erogenen Zonen der Texte."

    A: Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.