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Das Eva-Komplott

Das Eva-Prinzip geht so: Ganz unrecht hat sie nicht, aber gerade das bringt alle auf die Palme. Eva Herrmann, erst Tagesschau-Sprecherin, dann Bestsellerautorin, hat eine Diskussion um den Platz der Frau in der Gesellschaft losgetreten, die schon recht atemberaubende Ausmaße annimmt. Auch die Schriftstellerin Barbara Sichtermann setzt sich mit der Hermann-Thematik auseinander.

Von Barbara Sichtermann |
    Die Philosophen nennen es einen Kategorien-Fehler. Den begeht, wer Dinge aufeinander bezieht, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben, die sozusagen in zwei Welten wohnen. Ein solcher Kategorien-Fehler steckt auch in der über Jahrzehnte sich hinziehenden Debatte, ob Frauen Mütter werden sollen oder lieber arbeiten gehen und ob sie, wenn sie Kinder haben, weiter arbeiten dürfen oder nicht und wer, falls nicht, dies alles bezahlt.

    Ein Kategorienfehler liegt hier vor, weil diese beiden Lebenszwecke: sich fortpflanzen und sich beruflich profilieren, eigentlich nicht gegeneinander aufgerechnet werden dürfen. Sich fortpflanzen ist ein natürliches Bedürfnis, das manche Menschen zwar nicht fühlen, das aber jemand auszureden oder die Erfüllung zu erschweren, einfach grausam wäre. Sich beruflich zu profilieren, ist ein zivilisatorisches Bedürfnis, das ebenfalls manche Menschen, unter ihnen sehr wohl auch Männer, gar nicht haben, das aber Frauen schon deshalb nicht ausgeredet werden dürfte, weil sie einen jahrhundertelangen Kampf gekämpft haben, um den Weg zu seiner Erfüllung einschlagen zu können.

    Mit einem Wort: Kinder zu haben oder einen Beruf auszuüben – das ist keine zumutbare Alternative. Es muss beides möglich sein, ungeachtet der Tatsache, dass manche Menschen das eine oder das andere oder gar beides ablehnen. So zu tun aber, als ginge nur eines, das ist ungefähr so human, als stellte man einen Menschen vor die Wahl, entweder zu atmen oder zu essen.

    Nun hat die Fernsehjournalistin Eva Herman den leidigen Kategorienfehler in genau dieser Weise zu beseitigen versucht. Sie hat den jahrhundertelangen Kampf der Frauen um Zugang zu Universitäten und sämtlichen Berufszweigen zu einem Irrweg erklärt und verkündet, dass das natürliche Bedürfnis nach Fortpflanzung und die daran angelagerten Begabungen der Frauen zur Mütterlichkeit und Häuslichkeit vollkommen ausreichten, dem weiblichen Teil der Menschheit Lebenssinn und – inhalt zu vermitteln. Logisch gesehen ist das ein Fortschritt.

    Man braucht sich nicht mehr mit der falschen Alternative und den praktischen Schwierigkeiten ihrer Auflösung herumzuplagen. Historisch aber ist es eine Katastrophe. Nicht nur, dass der erwähnte jahrhundertelange Kampf der Frauen für nichtig erklärt wird – auch der Arbeitswelt wird zugemutet, ein Szenario zu akzeptieren, in dem Frauen massenhaft ihre Jobs kündigen, um daheim für Wohnlichkeit zu sorgen. Die Unternehmen würden zusammenbrechen, die Sozialsysteme vollends versagen, vom exponentiellen Anstieg verzweifelter Hausfrauen, die eine Therapie benötigen, ganz zu schweigen. Es ist auf den ersten Blick zu erkennen, dass Eva Hermans Beseitigung des Kategorienfehlers nur um den Preis eines Desasters funktionieren könnte und dass es wohl außer der Autorin selbst und ein paar unbelehrbarer älterer Herren kaum jemand gibt, der das "Eva-Prinzip" installieren möchte. Dieser Befund nun führt uns zu der Frage: Warum hören wir der Frau Herman überhaupt zu? Bzw.: lesen ihre Texte, nehmen ihre Thesen zur Kenntnis? Wirklich nur, weil sie eine Fernsehprominenz ist und weil sich ein Medien-Hype um ihre Ideen gebildet hat?

    Ganz so einfach ist es nicht. Was Herman anspricht, weckt ein Echo, und das kommt von tief drinnen, bei Männern und Frauen. Es gibt in sehr vielen von uns nämlich eine Sehnsucht, den tausend Zwängen des zivilisierten Lebens mit seiner Technisierung und seiner Arbeitsteilung zu entfliehen und stattdessen ein naturnahes Leben zu führen, einfach, gesund und gefühlvoll. Manche Zeitgenossen, in denen solche Wünsche übermächtig sind, wandern nach Australien aus, um Tierzüchter zu werden oder verkaufen ihre Eigentumswohnung und leben hinfort auf einem Kahn.

    Aber das sind Ausnahmen. Die meisten von uns wissen, dass es ein naturnahes Leben, das zugleich idyllisch war, nie gegeben hat. Dennoch fühlen wir eine solche Sehnsucht. Und für Frauen existiert ein legitimer Weg, ihr Leben so zu gestalten, dass er um die Zwänge der modernen Arbeitsteilung jedenfalls scheinbar oder sagen wir: streckenweise, herumführt. Sie können Mütter werden. Und dann sagen: Ciao, Rattenrennen im Job, Ehrgeiz, Aufstieg und ewiger Kampf, ich stille mein Kind und bestelle meinen Garten. Und habe so das bessre Teil erwählt. Genau diesen Knopf hat Herman gedrückt und damit ein Summen ausgelöst, das durch die Republik geht. Aber die Tür, die dieser Summer öffnet, führt ins Aus. Unsere Zivilisation und unsere Arbeitswelt, unsere soziale Verfassung, die mit dem Stichwort "Individualisierung" beschrieben wird und Frauen unbedingt ein eigenes Auskommen anempfiehlt und abverlangt – all das lässt sich nicht einfach zurückdrehen, auslöschen oder umkehren, nur weil wir Menschen dazu neigen, reaktionär und regressiv zu träumen. Und weil eine Autorin sich einbildet, solche falschen Träume seien realisierbar.