Es ist das Jahr 1962, das Farbfernsehen in der DDR noch sieben lange Jahre entfernt, da gründete der Ballettmeister Günter Jätzlau das Fernsehballet des Deutschen Fernsehfunks DFF. Von Beginn an stand es der Staatlichen Ballettschule Berlin sehr nah. Tänzerinnnen, die an der wichtigsten DDR-Tanzschule ausgebildet wurden, tanzten oft im Fernseh-Ensemble. Mit dem Start der Abendshow "Ein Kessel Buntes", findet das Ballett dann einen ständigen Platz im Programm.
Martin Puttke, künstlerischer Leiter und Direktor der Staatlichen Ballettschule von 1979 bis 1991, erinnert sich: "Damals hat sich ein großer Unterschied zum Ballett im Westfernsehen rauskristallisiert, dass das Fernsehballet ein eigenes Genre im Prinzip war. In Hinsicht auf choreographische Qualität, auf Benutzung von Stilmitteln und auch auf die Frage, dass die Unterhaltung bestimmte Sinnhaftigkeit vermittelt."
Natürlich wurde auch das Ballett immer wieder in die Propaganda des Staates eingewoben. So gab es Tanzeinlagen für das Fernsehen auf fertiggestellten Autobahnen oder 1969 mitten auf der Baustelle der prestigeträchtigen Stalin-Allee, der heutigen Karl-Marx-Allee in Berlin.
DDR-Fernsehen wird abgewickelt, das Fernsehballet gerettet
Doch das Fernsehballet war auch künstlerische Avantgarde; Kostüme, Musik, Stilistik. Besonders durch die ungarische Tänzerin und spätere Chef-Choreographin Emöke Pöstenyi. Sie hob den Tanz im DDR-Fernsehen auf ein Niveau, das weit über die Grenzen des sozialistischen Deutschlands ausstrahlte.
Zusammen mit ihrer kongenialen Partnerin Susan Baker, einer Halb-Amerikanerin, genoss sie Kultstatus und gewann 1991 mit dem Ballett als erste und letzte DDR-Fernsehpersönlichkeit den Telestar, den damals wichtigsten westdeutschen Medienpreis. Martin Puttke: "Man könnte das vielleicht in einem Satz einprägsam zusammenfassen: Emöke Pöstenyi ist es gelungen, das Ernste unterhaltend zu machen."
Der Ruhm und die Anerkennung auch in Westdeutschland und darüber hinaus wurde von Pöstenyi und den Tänzerinnen und Tänzern des Ensembles in den Wendejahren klug genutzt. Das DDR-Fernsehen wurde komplett abgewickelt, das Deutsche Fernsehballet jedoch gerettet - von einer eher ungewöhnlichen Koalition. Der neugegründete Mitteldeutsche Rundfunk bindet das Ballet an die ARD-Anstalt an - als weiterer Gesellschafter wird die katholische Kirche hinzugewonnen. Nur ein Jahr später gratuliert Helmut Kohl dem Ballet zum dreißgjährigen Bestehen und zur Goldenen Kamera. Neue Proberäume werden in der Berliner Masurenallee bezogen, bereitgestellt vom Sender Freies Berlin, dem späteren RBB. Der Übergang vom sozialistischen Staatsfernsehen in die westdeutsche Markt- und Medienwirtschaft schien zu glücken.
Große Erfolge in den 90er- und 2000er-Jahren
"Das Fernsehballet ist deutsches Kulturgut. 58 Jahre, das ist eine verdammt lange Zeit, mit vielen Höhepunkten. Und ich bin denen dankbar, die es nach der Wende gerettet haben. Aber jetzt ist einfach die Zeit gekommen um zu sagen: Adieu."
Der Künstlermanager und Unternehmer Peter Wolf hat die traurige Aufgabe, das endgültige Aus des Fernsehballetts zu verkünden. Auf einer Pressekonferenz während der Aufzeichnung der Abschiedsshow Mitte Oktober. Ein paar wenige Journalisten verlieren sich auf den weit auseinanderstehenden Stühlen. Die Stimmung ist gedrückt und zurückhaltend, Corona trägt dazu bei, dies ist aber nicht der Grund für das Ende. Was war also passiert?
"Allein die Verträge vom MDR reichen nicht aus, um dieses Ensemble am Leben zu erhalten. Die Aufträge von anderen Sendern fehlen. Und Fernsehballet ohne Fernsehen macht keinen Sinn."
In den 90er- und 2000er-Jahren gab es Dutzende Aufträge pro Jahr von öffentlich-rechtlicher Seite und aus der Privatwirtschaft. 1998 trat das Ballet in 40 Produktionen auf. Zehn Jahre später gab es sogar noch eigene Tourneen. Doch die TV-Unterhaltung veränderte sich - und damit auch die Aufgaben des Fernsehballetts.
"Weil es immer weniger Shows gibt, in denen das eine Rolle spielt, die so ein bunter Abend waren, ein bisschen ans Varieté angelehnt. Heute sind Shows so was wie 'Joko und Klaas gegen die Welt', wo Einspielfilme sind und ein paar Spiele im Studio, aber ganz bestimmt kein Tanzact."
Vom Hauptact zum Beiwerk
Lothar Mikos ist Professor an der Filmhochschule Potsdam und beschäftigt sich unter anderem mit TV-Unterhaltung. Dass diese Veränderung zu Problemen führt, das war schon 2012 erkennbar. Der MDR und die katholische Kirche verkauften ihre Anteile des Balletts an Peter Wolf. Eine stehende Compagnie rechnete sich nicht mehr. Nun wurde das Ballet endgültig marktwirtschaftlich geführt, wurde nur für gebuchte Shows zusammengestellt. Dazwischen waren die Tänzerinnen und Tänzer freiberuflich für anderen Produktionen tätig. Nur zwei Jahre später stand jedoch auch dieses Modell erneut auf der Kippe, wurde dann durch den Einsatz vieler Prominenter noch einmal in neue Verträge mit unter anderem dem ZDF gerettet.
Doch längst war das Ballett mehr Beiwerk als Hauptact, erzählt auch Marie-Luisa Kaster, die seit 2007 für das Ensemble tanzt - nachdem schon ihre Mutter und ihre Tante Teil der Compagnie waren: "Früher hatten wir bei jeder Show einen Haupttitel. Und es gab jetzt vermehrt in den letzten Jahren nur noch Sendungen, wo wir Künstler umrahmt haben, Sänger umrahmt haben und dadurch natürlich nicht mehr so im Vordergrund standen."
Der ehemalige Tänzer und Ballettdirektor Martin Puttke findet drastischere Worte: "Es ist verkommen von einem hochwertigen künstlerischen Genre im Fernsehen zur einfachen Staffage von Einzelunterhaltern, Einzeldarstellern, von Sängern und so weiter. Und damit ist natürlich die Berechtigung der Erhaltung eines so komplexen künstlerischen Instruments nicht mehr gegeben."
Zum Abschied noch einmal viel Platz
Die Abschschiedsshow im MDR gibt der Tanz-Compagnie noch mal reichlich Platz, ihre tänzerischen Leistungen zu zeigen. Auch die Tänzerin und Choreographin Emöke Pöstenyi wird ein letztes Mal gewürdigt. "Wir haben nicht umsonst gearbeitet. Diese Arbeit wird bleiben und das war für uns immer ganz wichtig, dass die zeigen konnten, was sie können", so Pöstenyi.
Doch am Ende bleibt die Erkenntnis, dass sich mit dem Genre "Fernsehballett" der künstlerische Tanz aus einer veränderten Fernseh- und Medienwelt weiter verabschiedet. Dass das Ende in eine Zeit fällt, in der Tanz überhaupt nirgends mehr stattfinden kann, ist ein besonders trauriger Zufall, der die schwächsten der Branche trifft: Die Tänzerinnen und Tänzer.
Marie-Luisa Kaster: "Dadurch dass jetzt viele Auftrittsmöglichkeiten abgesagt wurden, Tourneen, Theater alle zu sind, trifft das noch mal ganz besonders hart. Ganz ganz schwarz sieht es eigentlich aus."