Weder in der Bundesrepublik noch in der DDR ist den Lagern als Gedenkstätten zunächst viel Aufmerksamkeit geschenkt worden. So mußten die sowjetischen Besatzungsmächte in Buchenwald die Pflege der Gräber einklagen, die ganz verwahrlost waren. Auf dem Gelände in Dachau war sehr bald nach dem Krieg ein Flüchtlingslager und in Neuengamme ein Gefängnis errichtet worden. Dadurch wurden viele Spuren des frühen Konzentrationslagers verwischt. In den 50er und 60er Jahren schließlich wurden viele Gelände planiert. Die Lager von Buchenwald und Dachau oder auch Bergen Belsen verwandelten sich in leere Plätze, Reste der Konzentrationslager blieben nur durch Zufall zurück. So ist das Gedächtnis der Dinge vielschichtig und verändert sich auch nach dem Tag der Befreiung der Konzentrationslager ständig. "Unsere Einstellung ist inzwischen so, daß wir bei jeder Form der Umformung einer Gedenkstätte skeptisch sind", so Hoffmann. "Wir würden am liebsten die alten Spuren, die ja immer auch das Vergessen thematisieren, erhalten. In Neuengamme war das Ziegelwerk lange vermietet, es waren die unterschiedlichsten Vereinigungen dort drin, und es gab noch Plakate, wo man sehen konnte, wer da alles drin war. Die hätten wir am liebsten konserviert hinter einer Glasscheibe, damit man diese Schichten des Erinnerns und Vergessens sehen könnte. Diese Verschichtung der Erinnerung würden wir gerne erhalten. Das ist ein Resultat unserer Arbeit, daß wir gelernt haben, diese Verschichtungen zu entdecken, und wir würden sie auch gerne durch besondere Markierungen dem Publikum stärker vor Augen führen."
Erst vor Ort, in den Räumen mit ihrer vielfältigen Geschichte, mit den Versuchen, Geschichte zu eliminieren, zu schleifen oder mit Gedenksteinen oder Losungen oft hilflos Erinnerung wachzuhalten, erst dort können Nachgeborene in Ansätzen erahnen, was der Holocaust bedeutet hat. "Das nennen wir Gedächtnis der Dinge, weil in den Dingen auch die Brechungen sichtbar sind. Das heißt auf dem Gelände sehe ich Spuren von 1945, und ich sehe Eingriffe aus späterer Zeit und aus ganz später Zeit. Sie sind nur noch nicht kenntlich gemacht in ihrer zeitlichen Verschichtung. So werden auch zukünftige Generationen in irgendeiner Weise ihre Spuren hinterlassen, aber sie gehen in das Gelände als Engramme ein. Das ist das wichtige, daß man bei sorgfältiger Untersuchung immer auch diese Spuren findet, also sie sind im Gelände real vorhanden."
Diese Art der Spuren werden an einem künstlich geschaffenen Denkmal, das außerhalb historischer Orte entsteht, nicht sichtbar und vor allem nicht erfahrbar. So hat die Arbeit an der Studie über das Gedächtnis der Dinge auch eine sehr aktuelle politische Dimension: "Dieses Sich-Einprägen - Einschreiben in die Erde ist das beste Argument gegen ein deutsches Holocaust-Museum. Inzwischen glaube ich, daß das eine zentrale Entsorgungsstelle ist. Man möchte gerne an diesem Platz sagen, wir haben doch was getan, jetzt ist es da. Nein, und das zeigen wir auch mit diesem Buch, dieses Land, das deutsche Territorium ist von diesem Verbrechen kontaminiert, das heißt dieser Boden ist geprägt, und deshalb soll es kein zentrales Denkmal und auch kein zentrales Museum geben."
Denkmäler, Erinnerungen an die Verbrechen der Deutschen in der Zeit des Nationalsozialismus sind an vielen Stellen in Mitteleuropa zu finden. Was sie noch immer aussagen, das zeigen eindrucksvoll die Einzel-Untersuchungen des Bandes, etwa von Detlef Hoffmann über Dachau oder von Volkhard Knigge über Buchenwald, wo er heute die Gedenkstätte leitet. Die Autoren graben sehr detailliert Erinnerungen und Fragmente aus. Dabei wird erkennbar, daß die Geschichte dieser Orte nach 1945 in Ost wie West eine Geschichte der Vernichtung von Relikten ist - unter jeweils anderen Vorzeichen aber mit gleichen Ergebnissen. Ganz anders als ein mit viel Pathos errichtetes zentrales Denkmal können die Überreste und Spuren dagegen die Geschichte und den Umgang mit ihr deutlich machen und sie damit gerade nicht museal einfrieren lassen. "Diese großen, betretbaren Bilder müssen erhalten bleiben, weil sie nicht auszuwechseln sind. Während alles andere über Fernsehschirme und simulierte Bilder auszuwechseln ist. Aber der einmalige unverwechselbare Ort ist nicht auszuwechseln, und uns liegt daran, vieles zu erhalten, was nicht auszuwechseln ist."