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Das Geheimnis des blauen Himmels

Geologie. – Die sauerstoffreiche Atmosphäre, die der Erde ihre blaue Farbe verleiht, gab es nicht von Anfang an. Tatsächlich ist sie eine Erfindung des Lebens. Sauerstoff in der Atmosphäre tauchte urplötzlich vor 2,4 Milliarden Jahren auf, sehr viel später als die Organismen, die ihn produzierten. Britische Geologen haben jetzt in "Nature" eine Erklärung für die Verspätung präsentiert.

Von Dagmar Röhrlich |
    Die Welt vor 2,7 Milliarden Jahren. Orangefarben wölbt sich der Himmel über der Erde, denn die Luft ist voller Methan. Überall im Wasser wabern zahllose Mikroben. Unter ihnen sind auch Cyanobakterien, winzige Wesen, denen damals eine unglaubliche Erfindung gelang: Sie lernten, mit Hilfe des Sonnenlichts das Wasser um sie herum als Energiequelle zu nutzen. Dabei entstand als Abfallprodukt Sauerstoff, den sie an Luft abgaben. Sie beherrschten den Trick der Photosynthese. Das glauben die Geologen, weil die Cyanobakterien in den Sedimenten einen chemischen Fingerabdruck als Beweis ihrer Existenz hinterlassen haben. Aber da gibt es ein Rätsel:

    "Den geologischen Daten zufolge gibt es eine Lücke von mindestens 300 Millionen Jahren zwischen der "Erfindung" der sauerstoffproduzierenden Photosynthese und dem Auftauchen des ersten freien Sauerstoffs in der Atmosphäre."
    Colin Goldblatt von der University of East Anglia in England. Endlose 300 Millionen Jahre lang gibt es in den Sedimenten keine Hinweise auf freien Sauerstoff. Die tauchen erst – ganz unvermittelt – vor 2,4 Milliarden Jahren auf. Wo ist während dieser Zeit der ganze Sauerstoff abgeblieben? Täuschen die Signale in den Steinen und es gab doch keine photosynthesetreibenden Cyanobakterien? Oder sind da andere Mechanismen am Werk, die die Arbeit der Mikroben maskieren? Auf letzteres tippt Colin Goldblatt:

    "”Auf der jungen Erde lebten sowohl methan- als auch sauerstoffproduzierende Bakterien. Durch die Photosynthese entstand freier Sauerstoff und Biomasse. Die Biomasse wurde von den methanproduzierenden Bakterien zersetzt, die dabei – wie ihr Name sagt – Methan an die Luft abgaben. Sauerstoff und Methan reagieren jedoch in der Atmosphäre, wobei der Sauerstoff verbraucht wird und Kohlendioxid entsteht. Das ist eine photochemische Reaktion.""

    Und sie ist in Colin Goldblatts Simulationen der Schlüssel zur Lösung. Denn photochemische Reaktionen laufen umso schneller ab, je energiereicher das Sonnenlicht ist, das auf die Reaktionspartner trifft. Nun fehlte der frühen Erde ein Sonnenschutz: Mangels freiem Sauerstoff gab es keine Ozonschicht. Problemlos drang die harte, energiereiche UV-Strahlung bis zum Boden durch. Die Folge: Der frisch produzierte Sauerstoff reagierte mit dem Methan und wurde sofort vernichtet. Es war dieser Teufelskreis, der nach 300 Millionen Jahren durchbrochen wurde. Goldblatt:

    "”Sobald der Sauerstoff einen Schwellenwert überschritt, entstand eine schützende Ozonschicht, und damit lief die Reaktion zwischen Sauerstoff und Methan viel langsamer. Der Sauerstoffgehalt schnellt hoch.""
    Die Modellrechnungen zeigen diesen Hochgeschwindigkeitsprozess: Es sieht aus, als ob man einen Schalter umgelegt hätte. Genau das lesen die Geochemiker aus den Steinen ab. Goldblatt:

    "Unserer Hypothese zufolge gab es auf der jungen Erde also zwei stabile Zustände: einer mit so gut wie keinem und ein zweiter mit viel freiem Sauerstoff in der Luft. Nach der Entstehung der sauerstoffproduzierenden Photosynthese verharrte die Atmosphäre erst einmal im stabilen Status 1 mit kaum Sauerstoff. 300 Millionen Jahre später ließ ein anderes Ereignis den Planeten in Zustand 2 mit viel Sauerstoff umschalten."
    Vielleicht hat damals der Vulkanismus etwas nachgelassen, überlegt Goldblatt. Nach dem Grund müsse man noch fahnden. Trotzdem bietet dieser Aufsatz für James Kasting, einen Experten für die frühe Erde, eine sehr gute Erklärung:

    "”Der zentrale Punkt ist, dass der Sauerstoffgehalt in Atmosphäre bei gleich bleibenden Produktionsraten durch die Cyanobakterien zwei unterschiedliche stabile Zustände einnehmen kann.""
    Dann wäre klar, warum die Cyanobakterien die ganze Zeit fleißig Sauerstoff produziert hätten, ohne dass wir etwas vom Ergebnis ihres Treibens sehen. Und es stimmt dann auch, dass die Photosynthese viel älter sein kann, als es uns die ersten Spuren von Sauerstoff nahe legen.