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Das Gesicht des fortschrittlichen Südafrika

Sie ist eine Ikone im Anti-Apartheid-Kampf und erhielt 1996 den Literaturnobelpreis: Bis heute ist die Schriftstellerin Nadine Gordimer eine der meistbeachteten afrikanischen Schriftstellerinnen. An diesem 20.November wird sie 85 Jahre alt.

Von Werner Bloch | 20.11.2008
    Beethoven - ausgerechnet Beethoven! Den legt Nadine Gordimer am liebsten auf, wenn sie abends in ihrem großen, mit Kunstwerken vollgestellten Haus in Johannesburg sitzt, in einem wohlhabenden weißen Vorort. Aber gerade Beethoven ist für Nadine Gordimer auch zu einer Chiffre geworden für die sozialen Auseinandersetzungen in Südafrika und für die neuen Probleme zwischen Schwarz und Weiß.

    " Ich höre viel klassische Musik im Radio. Eines Tages kündigte der Moderator ein Stück von Beethoven an und sagte: "Beethoven war ein Sechzehntel schwarz." Ich war völlig überrascht. Warum sagte er das? Offenbar bezog er sich auf die südafrikanischen Verhältnisse. Unter der Apartheid wollten viele Südafrikaner nachweisen, dass sie schneeweiß waren, weil sie sich davon Vorteile versprachen. Man vergaß also gern, dass die Urgroßmutter eine Khosa war oder der Großvater Khoi-khoi, ein Buschmann... Jetzt ist es genau umgekehrt. Jetzt haben wir eine Regierung der schwarzen Mehrheit, und alle versuchen, möglichst schwarz zu sein. Deshalb habe ich die Geschichte geschrieben: "Beethoven war zu einem Sechzehntel schwarz". Weil sie zeigt, wie sich Identitäten verändern - oder zumindest andere Identitäten gewünscht werden. "

    Es sieht nicht gut aus für die junge Demokratie Südafrikas, daran lässt Nadine Gordimer keinen Zweifel. Mandelas friedliche Revolution von 1994, der Triumph über die Apartheid - all das hat die Welt am Kap nicht einfacher gemacht. Südafrikas gegenwärtige Herrscher jedenfalls, sagt Nadine Gordimer, seien dabei, den von Mandela ererbten Kredit zu verspielen.

    " Ich bin schwer enttäuscht und mache mir große Sorgen um das, was in unserem Land passiert. Wir haben hier dieses fürchterliche Problem der Korruption. Da gab es höchst merkwürdige Zahlungen und Schmiergelder im Zusammenhang mit einem Rüstungsgeschäft mit einer französischen Firma. Einer der Nutznießer war Jacob Zuma, der voraussichtlich nächste Präsident Südafrikas.

    Zuma hat auch Geld für den Kauf von U-Booten aus Deutschland kassiert. Diese U-Boote waren so schlecht, dass sie nicht einmal richtig funktionierten. Und immer ist es Jacob Zuma, der solche Deals aushandelt. "

    Von Jacob Zuma, dem nächsten Präsidenten Südafrikas, erwartet Nadine Gordimer nur das Schlimmste. Der Mann ist in mehreren Vergewaltigungs- und Korruptionsprozessen angeklagt, er verharmlost das Aids-Problem in grotesker Weise und rechtfertigt sogar öffentlich Vergewaltigungen.

    Vielleicht ist die Satire das beste Mittel gegen die Anmaßung der Eliten. In ihrem Erzählband "Beethoven war ein Sechzehntel schwarz" macht sich Gordimer über die neuen Mächtigen lustig. Da betrachtet sie zum Beispiel die Welt aus der Sicht eines Bandwurms, eines Parasiten, der den menschlichen Körper ausbeutet.

    " Viele Journalisten fragen: Worüber soll man jetzt nach der Apartheid noch schreiben. Na, fragen Sie doch mal Günther Grass, worüber man nach der Niederlage der Nazis noch schreiben kann. Natürlich hat sich manches in Südafrika geändert. Wir haben den Kampf gegen die Apartheid gewonnen, es gab eine große Party - und jetzt ist der Kopfschmerz groß.

    Der Rassismus am Kap hat 1652 angefangen, als Jan van Ribbeck von der Holländischen East Indian Company - der ersten internationalen Handelsgesellschaft der Welt - am Kap an Land ging, um Proviant aufzunehmen für die Weiterfahrt nach Indien. Damit begann die Besiedlung Südafrikas. Van Ribbek ließ eine Residenz bauen und Gärten anlegen, aber die Eingeborenen durften seine Gärten nicht betreten. Das war der Beginn der Apartheid.

    Wie soll man dann erwarten, dass wir in nur 14 Jahren die sozialen Unterschiede zwischen der schwarzen Mehrheit und der weißen Minderheit abschaffen? Gebt uns eine Chance! Verdammt uns nicht nach 14 Jahren. Das ist die Basis für meinen trotzigen Optimismus. "