1967 dann begegnen sie sich ein letztes Mal, nun in den unruhigen Zeiten der Studentenrevolte. Nochmals steht im Covent Garden Berlioz' Faust auf dem Programm in einer provozierenden Aufführung, die auch das Verhältnis zwischen dem Dirigenten und der Sopranistin zu symbolisieren scheint: Marguerite, das Faustsche Gretchen, hält ein blutendes Kind in den Armen, während sie vom Chor der seligen Geister in den Himmel aufgenommen wird. Nach dieser Aufführung, die Fuentes wie eine Vision beschreibt, so daß man sich als Leser nicht sicher sein kann, auf welcher Ebene der Realität man sich befindet, verläßt der Maestro Inez für immer, obwohl sie ihn in Gedanken ebenso wie die berliozsche Musik bis an sein Lebensende begleiten wird.
Für sich genommen gäbe dieser Plot des Romans nicht mehr als den Stoff für eine längere Erzählung her, wenn Fuentes nicht - und das ist sein verstörender Kunstgriff - zwischen die ans Triviale, fast Kitschige grenzenden Begegnungsepisoden der beiden Protagonisten jeweils versetzt drei Kapitel geschoben hätte, die etwas völlig anderes zu erzählen scheinen: die Geschichte der Menschwerdung in prähistorischer Zeit. Hier zieht der Fabulierer Fuentes alle Register seines Könnens, wenn er die Ur-Menschen "a-nel" und "ne-el" in Urwald, Steppe und Eiszeit aufeinandertreffen läßt, ihnen Sprache gibt und bildliche Vorstellung, die Mittel der Verständigung und der Kontemplation, die allmähliche Bewusstwerdung der Individualität, der Gemeinschaft, von Liebe und Schuld, Gesetz und Verbrechen. Von solchen vorzeitlichen Imaginationen wie von mythischen Bildern umrahmt erscheinen die Episoden um den Dirigenten und die Sängerin, als hätte man sie zuvor auf den Fotoseiten einer Klatschillustrierten betrachtet, in einem neuen, einem rätselhaften Licht. Wer in Fuentes' letztem umfangreichen, vor zwei Jahren erschienen Roman "Die Jahre mit Laura Díaz" ein Zuviel an bei diesem Autor ungewohntem, teils nüchternem Realismus verspürte und sich lieber von der Magie südamerikanischer Gesten und vieldeutiger Visionen betören lassen möchte, der findet im gläsernen Siegel eben jene Welt literarischer Hieroglyphen und Zeichen, die man gemeinhin als künstlerische Phantasie bezeichnet und die - wie ihr Schöpfer - um so rätselhafter zu werden scheinen, je länger man sie betrachtet.