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Das grün-rote Experiment

Baden-Württemberg stand lange Zeit für Unternehmertum, Schwarzwald und die CDU. Doch die Zeiten haben sich geändert. Läuft alles wie geplant, ist Baden-Württemberg ab morgen das erste Bundesland mit einem grünen Ministerpräsidenten.

Von Barbara Roth |
    Es ist Wochenmarkt auf dem Freiburger Münsterplatz. Landwirte bieten ökologisch einwandfreien Spargel und Biokartoffeln an, daneben Schwarzwälder Schinken und hausgemachte Marmelade. In der Kernstadt fuhren die Grünen bei der Landtagswahl mit 42 Prozent fast so viele Stimmen ein wie CDU und SPD zusammen. Da verwundert es nicht, dass die Marktbesucher dem Regierungswechsel in Baden-Württemberg völlig gelassen entgegen sehen.

    "Och ja, es muss ruhig mal ein Wechsel kommen. - Immer nur CDU, das ist doch repräsentativer Absolutismus. - Ich denke, die Stimmung wird sich massiv verändern, die Leute sind aufgewacht. - Dass auch der Filz, der zwangläufig da aufgetreten da ist, ein bisschen entwirrt wird. - Es war
    höchste Zeit. Ich habe auch das erste Mal grün gewählt. - Ich glaube, dass es ein interessantes Experiment ist, jetzt einen grünen Ministerpräsidenten mal zu haben."

    Das grün-rote Experiment beginnt morgen - mit der Wahl von Winfried Kretschmann zum Regierungschef und der Vereidigung seines Kabinetts. Grüne und SPD übernehmen ein Land, in dem 58 Jahre lang die CDU das Sagen hatte. Die wurde nicht etwa wegen schlechter Leistungen abgewählt. Die Arbeitslosenquote etwa liegt aktuell bei 4,2 Prozent. Der Atomunfall in Japan kurz vor der Wahl allerdings war nur ein Grund, warum die CDU die Macht verlor und die Grünen profitierten. Zuvor war bereits der Streit um Stuttgart 21 eskaliert und Regierungschef Stefan Mappus vorgeworfen worden, wie ein Rambo und nicht wie ein Landesvater zu agieren. Besser als der schroffe Mappus passt Winfried Kretschmann zum Land, dachten die, die zum ersten Mal die Grünen wählten. Als grüner Erwin Teufel, als bodenständig, ehrlich und wertkonservativ wie einer seiner CDU-Vorgänger wird Kretschmann beschrieben. Am kommenden Dienstag wird er 63 Jahre alt.

    "Er ist beliebt, sagen wir so, er ist beliebt. Schade, dass er ein Grüner ist. - Ich traue es den Grünen jetzt zu, die kommen ja nicht mehr in Turnschuhen. - Als allererstes ist mir natürlich wichtig, dass der Atomausstieg vorangetrieben wird und dass die erneuerbaren Energien auf Vordermann gebracht werden. - Skeptisch bin ich bei der Bildungspolitik. Dass sie nicht alles umwerfen."

    Dieter Salomon kennt diese Angst vor radikalen Veränderungen. Seit neun Jahren ist er Oberbürgermeister der 220.000-Einwohner-Stadt. Ein Grüner. Der erste grüne OB einer deutschen Großstadt. Mittlerweile werden auch Konstanz und Tübingen grün regiert. Der 50jährige residiert in einem malerischen Rathaus mit Arkaden und Türmchen. Kann der das? Oder krempelt er alles um? Kann ein Grüner überhaupt mit Geld umgehen? Mit diesen Fragen wurde auch Dieter Salomon vor Amtsantritt konfrontiert.

    "Ich war noch keine acht Wochen im Amt, da hat mein Kämmerer mir erzählt, dass wir riesige Haushaltslöcher haben. Ich hatte das Glück, dass nach acht Wochen selbst Leute, die mir sehr skeptisch gegenüber gestanden sind, gesagt haben, in acht Wochen kann der Grüne es noch
    nicht verludert haben, das muss andere Gründe haben. Wenn das nach einem Jahr passiert wäre, hätte es wahrscheinlich geheißen, kaum ist der Grüne da schon ist das Geld weg."

    Mit seinem rigorosen Sparkurs machte sich Salomon nicht eben beliebt, verschaffte sich aber Respekt. Bei seiner Wiederwahl im vergangenen Jahr hat die CDU sogar auf einen Gegenkandidaten verzichtet.

    "Die Grünen müssen erst mal lernen, hier zu regieren. Da haben sie 30 Jahre darauf hingearbeitet. Jetzt hat es geklappt, es ist fast das siebte Weltwunder in Baden-Württemberg. Es ist einfach was Neues, Unbekanntes. Ob sich die Politik so großartig von heute auf morgen ändern wird, glaube ich eher nicht. Das wäre für grün und rot, wenn die glaubten, jetzt das Rad in allen Bereichen völlig neu erfinden zu wollen, in einem im Durchschnitt ja unglaublich erfolgreichen Bundesland, auch fatal."

    Salomon ist Realo durch und durch. Mit dem linken Flügel seiner Partei kann er gar nichts anfangen. Auch Kretschmann hätten die internen Grabenkämpfe mit den Fundis immer angewidert. Mehrmals zog sich Kretschmann deshalb aus der Landespolitik zurück. Drohte sogar mal damit, in die CDU überzutreten.

    "Der Winfried Kretschmann ist pragmatisch, er ist reformorientiert, aber nicht fundamentalistisch und schon gar nicht missionarisch, sondern er – und das ist das Katholische an ihm – anerkennt die Menschen so wie sie sind, mit all ihren Fehlern und Schattenseiten und hat nicht ein sektiererisches Idealbild vom Menschen im Kopf als perfektes Wesen. Das bereitet immer Schwierigkeiten, ich bin meiner Partei auch nicht fundamental genug. Aber ich bin Oberbürgermeister von Freiburg und er ist demnächst Ministerpräsident. Also, alles können wir auch nicht falsch gemacht haben."

    Wer die grüne Seele Freiburgs verstehen will, kommt am Stadtteil Vauban nicht vorbei. Hier standen bis 1992 Kasernen der französischen Armee. Seitdem entstand auf 41 Hektar ein ökologisches Muster-Quartier: weitgehend Autofrei, mit eigenem Blockheizwerk, Passivhäusern und Solarzellen auf den Dächern. Rund 5500 Menschen leben hier.

    "Manche, längst nicht alle wohnen in einem Passivhaus, da spart man 80 bis 90 Prozent der Heizenergie. Alle, die nicht im Passivhaus wohnen, die leben in sogenannten Niedrigenergiehäusern, das war damals ein Fortschritt. Sehr nachgefragt ist die Solarsiedlung, mit Plusenergiehäusern vom Architekten Disch, weil der beweist, dass es möglich ist ohne fossile und nukleare Energie zu wohnen."

    Erzählt Andreas Delleske, der auch interessierte Kommunalpolitiker durch den Stadtteil führt. Vauban ist nicht repräsentativ für Baden-Württemberg, bietet dafür aber Einblicke ins grüne Milieu: Das Viertel ist ein bisschen autonom, auch esoterisch, ein bisschen studentisch und vor allem gut bürgerlich – ein Querschnitt grüner Wählerschaft.

    "Es gibt nicht nur Yuppies, die Öko-Yuppies, die sich ein besseres Leben leisten können. Sondern wir haben oft festgestellt, dass Bauen in Baugruppen schon mal 20 Prozent der Kosten spart. Dann habe ich das Geld, um die etwas teurere Ökotechnik zu bezahlen. Die sich ja wiederum in zehn bis 20 Jahren rechnet. Es ist nicht wahr, dass Ökologie nur etwas
    für die Reichen ist."

    Wer hier wohnt, ist konservativ. Nicht im politischen Sinn. Sondern wenn es darum geht, die Schöpfung, die Umwelt zu bewahren. Über 72 Prozent der Wähler in Vauban haben grün gewählt. Nirgendwo im Südwesten war die Ökopartei stärker.

    "Das, was die Leute als grünes Lebensgefühl bezeichnen, das lernen sie hier: Das was hier passiert ist, würde ich fast schon als Bürgerermächtigung begreifen. Das heißt, die Vordenker von Vauban, die waren wirklich zäh und haben Positionen mit langen Kämpfen, politischen Kämpfen errungen. Wir müssten jeden Gemeinderat einzeln überzeugen. Die grüne Parteimitgliedschaft garantiert nicht, dass alles gut wird, sondern es gehört Engagement dazu."

    Die Architektur im Quartier ist anspruchsvoll, das Wohnniveau meist gehoben. Viele Familien mit Kindern, Akademiker, Besserverdienende, Lehrer, Architekten und auch gut situierte Rentner haben sich hier niedergelassen.

    "Die Grünen sind in Freiburg in unsere Wählerschichten massiv eingebrochen. In den Stadtteilen, wo das gehobene Bürgertum lebt. Den Leuten geht es gut, die haben keine sozialen Probleme. Die haben ein gutes Einkommen und dann ist man halt auch leichter bereit, sich für grüne Ideen, die nicht per se schlecht sind, zu öffnen und auch grün zu wählen."

    Klagt der Christdemokrat Daniel Sander. Anders als die Landespartei hat sich die Freiburger CDU schon vor Fukushima gegen die Laufzeitverlängerung der Atommeiler ausgesprochen, genutzt hat es ihr nichts: Am 27. März haben in Vauban nur 77 von weit über 3000 Wählern ihr Kreuzchen bei der Mappus-Partei gemacht. Daniel Sanders ist kurz davor zu resignieren: Seine, in Baden-Württemberg überalterte, viel zu konservative und zu Männer-dominierte CDU komme einfach nicht gegen die Grünen an. Ein Schicksal, das er in Freiburg mit Walter Krögner dem Vorsitzenden der SPD, teilt.

    "Es ist in, es ist hipp, es ist sexy – grün zu sein. Auf der einen Seite ein vergleichbares Lebensgefühl wie es junge Liberale und junge Konservative haben: Ich helfe mir selbst, ich brauche die Solidargemeinschaft nicht, ich kann alles selber regeln. Und ein anderer Aspekt ist mit Sicherheit die konsequente Darlegung ökologischer Politik."

    Das ist auch bei der Wirtschaft angekommen. Der Pharmakonzern Pfizer macht es in Freiburg vor. Jedes Jahr werden hier acht Milliarden Tabletten produziert und verpackt. In den Hallen muss die Lufttemperatur konstant 21 Grad Celsius betragen. Der Energiebedarf ist enorm und die Kosten explodierten, erzählt der technische Leiter Michael Becker.

    "Eine Maßnahme, die Temperatur zu regeln, ist bei uns das Thema Holzpellets. Die komplette Wärmeversorgung am Standort wurde 2009 von Öl und Gas auf Holzpellets umgestellt. Wir haben im Moment 95 Prozent der benötigten Wärme über Biomasse hier am Standort erzielt, um das gesamte Gelände zu heizen und auch die Luft zu regenerieren."

    Mit der Anlage – der wohl größten in Europa - lassen sich pro Jahr 5500 Tonnen C02 einsparen, rechnet Becker vor. Pfizer setzt konsequent auf erneuerbare Energien: Erdwärme, Wasserkraft, Solartechnik. Ziel sei es, eine klimaneutrale Fabrik zu werden.

    "Weil wir gemerkt haben, dass der Einsatz erneuerbarer Energien nicht nur einen ökologischen Aspekt hat, sondern auch einen ökonomischen. Das bedeutet: Wir konnten in den letzten fünf Jahren trotz steigender Energiepreise unsere Energiekosten kontinuierlich senken am Standort bis
    zu 30 Prozent durch Einsatz erneuerbarer Energien."

    Was sich grün-rot in der Umweltpolitik auf die Fahne geschrieben haben – nicht nur beim Pharmakonzern Pfizer ist es längst Alltag: Ökologie und Ökonomie müssen sich nicht im Weg stehen. Dass sich mit grünen Produkten Geld verdienen lässt, hat sich bei zahlreichen Unternehmen in Baden-Württemberg längst herumgesprochen. ebm-papst beispielsweise
    baut Motoren etwa für Klimaanlagen und Kühlschränke. Firmenchef Hans-Jochen Beilke macht keinen Hehl daraus: Ihm wäre ein CDU- Ministerpräsident lieber gewesen. Grün-rot aber fürchtet er nicht.

    "Ganz viele Menschen, ganz viele Firmen denken plötzlich in diesen Dimensionen. Viel umbauen brauchen die Grünen da nimmer. Das geht alleine schon vom Markt her. Wir stellen Motoren her, die sehr energiesparend sind und wenn man die einsetzt, spart man Energie und bewirkt dasselbe, was man früher bewirken wollte mit der Hälfte der Energie nur. Die sind teurer, natürlich das lohnt sich beim Umsatz. Wir haben ein ordentliches Wachstum und denken auch, dass sich das noch die nächsten Jahre hinziehen wird."

    Waldau, oberhalb von Stuttgart, S-Bahn-Stadion am Fernsehturm. Ein Schild weist den Weg: "Zum neuen Baden-Württemberg" ist darauf zu lesen. Ein Pfeil zeigt geradeaus ins Grüne. In einer Halle am Waldrand trafen sich am Samstag rund 200 Delegierte der Grünen, um den Koalitionsvertrag mit der SPD abzusegnen. An einem Ort, wo man sonst eher auf Jogger trifft, die atemlos ihre Runden drehen.

    "Das ist eine gute Idee, den Regierungswechsel auf so einen Slogan zu bringen. Da freut man sich und ich denke, dass das die große Chance ist, ein neues Baden-Württemberg und einen neuen Stil in die Regierungsarbeit zu bringen."

    Grün-rot will vor allem eine Bürgerregierung sein. Winfried Kretschmann und sein künftiger Vize, Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid, versprechen, nicht – wie die schwarz-gelbe Vorgängerregierung - von oben herab durch-, sondern mit den Bürgerinnen und Bürgern zu regieren. Im gut 80-seitigen Koalitionsvertrag heißt es dazu vollmundig, man wolle Baden-Württemberg zum Musterland demokratischer Beteiligung machen.

    "Dass wir mit der Bürgerschaft auf Augenhöhe debattieren, das Versprechen müssen wir einlösen. Ich werde ja eine ehrenamtliche Staatsrätin für Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft berufen. Und das soll ein Zeichen sein, dass wir in der ganzen Landesregierung vorankommen müssen, Strukturen zu schaffen, dass die Bürger auch wissen, wohin sie sich wenden. Sodass echte Strukturen da sind, wo diese Augenhöhe auch Wirklichkeit werden wird. Und das ist die eigentliche Nagelprobe auf unsere Versprechen."

    Auch am Stuttgart Hauptbahnhof nehmen sie Kretschmann beim Wort. Am Nordeingang des Gebäudes steht nach wie vor der lange Bauzaun, über und über mit Plakaten, Briefen und Bildern gegen das Milliardenprojekt Stuttgart 21 behängt. Der Protest wird nicht mehr so lautstark, nicht mehr so emotional geführt wie noch vor der Wahl. Die Gegner aber sind noch da: Seit Monaten halten sie "Mahnwache" in einem Zelt. Jeden Tag, rund um die Uhr.

    Es herrscht reger Betrieb am Zelt. Passanten, auch Bahnreisende bleiben neugierig stehen. Suchen das Gespräch, decken sich mit Infomaterial ein. Auch eine Unterschriftenliste liegt aus, für das Volksbegehren gegen Stuttgart 21. Martina Sparlinger reicht einen Stift.

    "Ich bin in der Regel zwei Mal die Woche da - weil es mir wirklich wichtig ist. Ich gehe hier her und ich mache, was ich kann: Wir stehen hier und wir bleiben. Wir haben das angezettelt und wir bleiben dabei."

    Als typisch schwäbische Hausfrau stellt sich die zierliche 51jährige vor. Mutter von drei erwachsenen Kindern. Sie kommt aus einem kleinen Dorf etwas außerhalb von Stuttgart, trägt Jeans und T-Shirt. 4,50 Euro einfach kostet Martina Sparlinger jede Fahrt in die Innenstadt. Das sei es ihr wert, denn sie will dieses Wahnsinnsprojekt, wie sie es nennt, stoppen. Ihr Dienst an diesem Samstag dauert von 16 Uhr bis Mitternacht.

    "Bürgerbeteiligung. Der Herr Kretschmann hat es gesagt. Ich hoffe, dass er das auch macht. Die Grünen haben sich ja ganz klar geoutet, dass sie Stuttgart 21 nicht wollen. Und das sind unsere Sprachrohre im Parlament. Natürlich bekommen sie von uns Unterstützung. Ich hoffe, dass die Grünen jetzt wirklich in die Pötte kommen und was machen."

    Die 51jährige ist bestens informiert. Sie kennt den Koalitionsvertrag. Sie weiß, dass Grün die Tieferlegung des Bahnhofs verhindern, die SPD dagegen bauen will. Sie weiß, dass die Grünen auf den Stresstest im Juni hoffen. Darauf, dass eine erneute Kostenberechnung das Projekt viel teurer macht als die zwischen Land, Bund und Bahn vertraglich vereinbarten 4,5 Milliarden Euro und das Land dann aus der Finanzierung aussteigen kann. Sie weiß, dass im Herbst ein Volksentscheid stattfinden soll, bei dem die Koalitionspartner als Konkurrenten um Stimmen buhlen wollen. Auf die SPD angesprochen, schüttelt sie nur den Kopf.

    "Das ist kein soziales Projekt. Das ist nicht für kleine Leute. Die unterstützen da nur das Kapital. Ich kenne viele von der SPD-Basis, die werden Probleme kriegen. Da sind viele Leute, die gesagt haben, wir haben gerade noch SPD gewählt, wir sind dabei auszutreten. Die schmieren ab die SPD, wenn die nicht aufpassen, alle Felle schwimmen denen davon."

    Mitleid mit der CDU, mit dem abgewählten Stefan Mappus hat sie nicht. Sie habe geheult, als die ersten Bäume im Schlossgarten fielen. An die kahlen Stellen hat sie Blumen gepflanzt. Martina Sparlinger richtet sich darauf ein, noch lange zur Mahnwache an den Stuttgarter Bahnhof zu kommen.

    "Sobald die Politik sagt, das ist abgeblasen, ich denke dann. Man wird aber immer misstrauisch dabei sein und gucken, was machen sie: Halten sie Wort oder legen sie uns wieder rein."

    Grün-rot weiß um den Druck der Straße. Vor allem für Winfried Kretschmann und Co. könnte es brenzlig werden, denn die Protestbewegung sieht die Grünen als ihren verlängerten Arm am Kabinettstisch an. Die Ökopartei hat weit über Stuttgart hinaus von den Demonstrationen gegen das Bahnhofsprojekt profitiert. Sollten weder Stresstest noch Volksentscheid Stuttgart 21 verhindern, ist es mit der grünen Glaubwürdigkeit vorbei. Sollte die grün-rote Koalition scheitern, dann daran.

    "Wer dem Koalitionsvertrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um ihr oder sein Kartenzeichen. Gibt es Gegenstimmen? Gibt es Enthaltungen? - Der Koalitionsvertrag wurde einstimmig angenommen. - In den kommenden fünf Jahren haben wir die Chance zu beweisen, dass man uns dieses Land gut und ruhig anvertrauen kann. Und eines ist klar, liebe Genossinnen und Genossen. Wir sind gekommen, um zu bleiben. Auch nach der nächsten Landtagswahl."

    Erfolg oder Flop? Der erste grüne Ministerpräsident in Deutschland steht unter enormem Druck. Grün-rot schlägt Wohlwollen entgegen, aber auch hohe Erwartungen: Die SPD will die Juniorrolle wieder abschütteln. Und die Grünen hoffen, dass Winfried Kretschmann ihren Höhenflug nicht bremst, sondern beflügelt. Die Spitzenpolitiker in Stuttgart machen sich derweil keine Illusionen: Es wird Enttäuschungen geben. Sie werden nicht alle Hoffnungen erfüllen. In südbadischen Freiburg macht sich einer Mut: Daniel Sander von der CDU setzt darauf, dass sich nach anfänglicher Euphorie grün-rot ganz schnell entzaubert.

    "Die Grünen sind keine Gutmenschen. Sie machen schon auch eine soziale Überwachung hier in Freiburg. Sie wollen viele Dinge vorschreiben. Zum Beispiel wollten sie, dass jedes Haus Solarzellen aufs Dach machen sollte. Ich meine, das ist grundsätzlich gut, aber man kann doch niemandem vorschreiben, was er zu tun hat und zu machen hat. Und da gibt es halt Grenzen. Das, glaube ich, wird auch das Ergebnis der fünfjährigen Legislaturperiode sein, dass eine große Ernüchterung stattfindet."