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Das Gütesiegel des Papstes

Gerade im Polarisieren Johannes Paul II in der säkularisierten Welt sieht Walter Brandmüller ein Gütesiegel für den Pontifikat. Ob der gestorbene Papst aber als der "Große" in die Geschichtsschreibung eingehen wird, müsse späteren Generationen überlassen werden.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Das Werk dieses Papstes ist großartig. Allein das Schriftwerk kann man mit Fug als voluminös bezeichnen: 14 Enzykliken hat er geschrieben und mehr als 90 apostolische Schreiben, Ermahnungen und Konstitutionen, insgesamt mehr als 80.000 Seiten. Auf mehr als 100 Reisen, kleine Visiten nicht eingerechnet, hat er an die 140 Länder besucht. Fast 500 Persönlichkeiten hat er heilig und 1300 selig gesprochen, Millionen Jugendliche hat er versammelt und begeistert, in Manila feierte er mit 4 Millionen Menschen die größte Messe aller Zeiten. Er hat Bücher geschrieben, die Kirche reformiert, mehr als 200 Kardinäle ernannt, ein Attentat überlebt, den Niedergang des Kommunismus entscheidend mitherbeigeführt und die Trennung Europas überwunden. Er hat die Kirche mit dem Judentum versöhnt und den Glauben mit der Wissenschaft. Er hat die Versöhnung mit der orthodoxen Kirche vorangetrieben, wenn auch nicht erreicht, und den Dialog der Religionen belebt, Friedensinitiativen gestartet, den Wert der Familie ins Bewusstsein gehoben und den Menschenrechten in vielen Teilen der Welt Gehör verschafft. Wie ist so ein Werk einzuordnen? Was kann nach ihm kommen? Das versuchen wir nun im Gespräch zu erfahren mit dem Vorsitzen des päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften, Prof. Walter Brandmüller. Herr Brandmüller, Johannes Paul II. hat Geschichte geschrieben und gestaltet, er selbst ist zu Lebzeiten ein Gigant der Geschichte, der Kirche zumindest, geworden. Wir würden Sie diese Gestalt historisch einordnen?

    Walter Brandmüller: In erster Linie ist zu sagen, dass er nach Pius IX. von allen Päpsten am längsten regiert hat. Außerdem war er nach 1523, Jahr des Todes Papst Johannes VI. der erste Nichtitaliener auf dem Stuhl Petri, hinzu kommt, dass mit der Wahl des Polen Woytila, die Kardinäle ein deutliches Signal in Richtung des kommunistischen Machtblocks aussenden wollten und das dies dort verstanden wurde, wird nicht zuletzt in dem gescheiterten Attentat von 1981 deutlich. Es war nicht zuletzt die Sprengkraft seiner immer wieder verkündeten Botschaft von der Freiheit und der Würde des Menschen, der Person, die sie nicht nur totalitären Regimen gegenüber entfaltet hat.

    Liminski: Wie ist denn sein Werk inhaltlich einzuordnen? Er war ja gerade auch in Deutschland ein Mann der klaren Positionen und der deswegen ja auch polarisierte.

    Brandmüller: Diese Frage zielt eigentlich auf eine andere, nämlich auf die nach den Kriterien, an denen Leben und Werk eines Papstes gemessen werden müssen. Und zu diesen gehört es aber gerade nicht, ob ein Papst allgemeine Zustimmung findet, oder polarisiert. Der Papst ist in erster Linie, aber nicht ausschließlich, der Treuhänder für die Bewahrung und die unverfälschte Weitergabe des Vermächtnisses Jesus Christi an die Menschheit. Dass er dabei durch göttlichen Beistand vor Irrtum bewahrt bleibt, ist der Sinn des vielfach missverstandenen Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes. Je klarer nun ein Papst diesem Auftrag entspricht, desto notwendiger ist es, dass er damit dem Widerspruch einer zunehmend säkularisierten Welt erregt. Ich möchte sogar soweit gehen, zu behaupten, dass gerade der Widerspruch von dieser Seite ein Gütesiegel für einen Pontifikat darstellt.

    Liminski: Aber die Unfehlbarkeit bezieht sich doch nur auf Lehräußerungen.

    Brandmüller: In der Tat.

    Liminski: Sie nennen einige Kriterien zur Beurteilung eines Pontifikats. Muss man da also unterscheiden zwischen Wissenschaft von der Geschichte, also dem Reich der Welt auf einen, und er Heilsgeschichte, also dem Reich des Glaubens auf der anderen Seite?

    Brandmüller: Es ist ja klar, dass der Papst zwar eine wesentlich religiöse Sendung hat, dass aber auch sein Wirken auf die Welt als ganze, auf Kultur und Gesellschaft, durchaus Einfluss hat und es ist den Historikern nicht benommen, einen Papst unter diesen Aspekten zu würdigen. Aber das Wesentliche ist eben seine religiöse Sendung, Garant der authentischen Jesusüberlieferung zu sein.

    Walter Brandmüller sieht im Polarisieren Johannes Paul II in der säkularisierten Welten ein Gütesiegel für einen Pontifikat. Ob der gestorbene Papst aber als der "Große" in die Geschichtsschreibung eingehen werde, müsse späteren Generationen überlassen werden.

    Liminski: Vermutlich wird es bald heißen, Johannes Paul der Große, ist ja auch auf dem Petersplatz bei der ersten Messe fast gesagt worden. Im Manuskript stand es drin, im Manuskript von Kardinal Sudano. Johannes Paul II. war sicher ein großer Hirte und Seelsorger. War er auch ein großer Regent?

    Brandmüller: Zunächst einmal, den Hinweis, dass wir die Verleihung des Prädikats "Groß" der Geschichtsschreibung späterer Zeiten überlassen wollen. Die Kirche kennt nur zwei Päpste, denen sie diesen Namen gegeben hat, Leo den Großen und Gregor den Großen. Es ist nicht auszuschließen, dass spätere Generationen zu einer ähnlichen Beurteilung auch Johannes Pauls II. kommen. Dem ist nicht vorzugreifen. Wenn Sie nun fragen, "war er auch ein großer Regent?", er war gewiss ein großer Hirte und Seelsorger, "war er auch ein großer Regent?" Ja, da muss man natürlich bedenken, dass Umfang und Bedeutung des päpstlichen Amtes, die Möglichkeiten eines einzelnen Menschen weit überschreiten. Ein Papst ist eben auch nur ein Mensch. Er muss also Schwerpunkte setzen und Johannes Paul II. hat sich eindeutig für den prophetischen Aspekt seines Amtes entscheiden und den hat er in großartiger Weise entsprochen.

    Liminski: Das Wirken von Johannes Paul II. in der Geschichte ist auf den ersten Blick so vielfältig, dass es schwer fällt, eine Linie durch das Vierteljahrhundert seines Pontifikats zu erkennen. Gibt es Ihrer Meinung nach so eine Linie?

    Brandmüller: Ja die hat ja selber einmal formuliert, wenn er davon sprach, dass der Mensch der Weg der Kirche ist. Es ging ihm also um den Menschen als Geschöpf und als erlöstes Geschöpf Gottes und dessen Würde, die Würde der Person, die Würde der Familie, die Würde der Ehe, um das ist es im Wesentlichen gegangen und das schimmerte in allen seinen Äußerungen hindurch.

    Liminski: Was kann denn nach solch einem Papst folgen? Wie war es in der Kirchengeschichte? Folgten nicht auf große Päpste eher Männer, die konsolidierten, statt neue Akzente zu setzen?

    Brandmüller: Das ist sicherlich in dem einen oder anderen Fall so gewesen, ob es auch diesmal so sein wird, vermag niemand zu sagen. Man könnte vermuten, dass nach einem so langen Pontifikat ein älterer Papst gewählt wird, von dem eine kürzere Amtsdauer zu erwarten ist. Das alles sind Dinge, die in den kommenden Tagen die Kardinäle beschäftigen werden.

    Liminski: Sie kennen das Innenleben des Vatikans. Wen würden Sie denn als Nachfolger sehen?

    Brandmüller: Davon abgesehen, dass ich keinerlei Einfluss auf die Wahl des Papstes habe, habe ich auch keine Möglichkeit hier irgendeine Prognose zu stellen. Aber eines ist sicher, das Kardinalskollegium hat bisher immer einen recht sicheren Instinkt für die Erfordernisse des Augenblicks und der Zeit bewiesen, wenn es in Konklave entschieden hat.

    Liminski: Es könnte ja auch mal in diesem Sinn ein Deutscher sein? Wann gab das zum letzten Mal? Spielen Nationalitäten im Kardinalskollegium überhaupt noch eine Rolle?

    Brandmüller: Ich meine, dass das in zunehmendem Maße weniger der Fall ist. Obwohl man natürlich sagen muss, dass der Nationalismus auch in unseren Tagen wieder sein Medusenhaupt erhebt, möchte ich doch behaupten, dass das Bewusstsein der Universalität der Kirche in unseren Tagen sehr stark geworden ist.

    Liminski: Die Italiener stellen 20 Kardinäle. Es könnte ja durchaus sein, dass es wieder ein Italiener wird?

    Brandmüller: Das ist durchaus möglich.