Friedbert Meurer: Die CDU streitet um Kurs und Richtung. Parteichefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel will die Partei weiter modernisieren, andere sagen nach links rücken. Eine Reihe von Fraktionschefs aus den Ländern fordert dagegen, mehr konservatives Profil zu zeigen.
Das war die Ausgangslage vor der Klausur des CDU-Bundesvorstands, und dort soll es gestern und heute durchaus auch kritisch zugegangen sein. Es soll Streit vor allem gegeben haben wegen der geplanten Steuersenkungen. Heute verabschiedete die CDU nun ihre sogenannte Berliner Erklärung, die auch eine Reaktion darstellen soll auf das magere Wahlergebnis vom September mit damals nur 33,8 Prozent der Wählerstimmen bei der Bundestagswahl.
Die Berliner Erklärung der CDU ist im Bundesvorstand der CDU einstimmig beschlossen worden. Werner Patzelt ist Politikwissenschaftler in Dresden, Mitglied der CDU, und kurz vor Weihnachten hat er ein Papier mitveröffentlicht und darin der CDU empfohlen, sich auf christliche Werte zurückzubesinnen. Guten Tag, Herr Patzelt.
Werner Patzelt: Guten Tag!
Meurer: Entdecken Sie in der Berliner Erklärung der CDU eine Rückbesinnung auf christliche Werte?
Patzelt: Das entdecke ich darin nicht, das war aber auch nicht der Zweck dieser Klausurtagung. Hier ging es darum, insgesamt aus dem Wahlergebnis Konsequenzen zu ziehen, und ein Teil der Konsequenzen besteht natürlich in der Wiederentdeckung und neuen Pflege des Markenkerns dieser Partei, aber das lässt sich nicht in einer Klausurtagung bewerkstelligen.
Meurer: Erschließt man, Herr Patzelt, denn mit christlichen Werten, mit konservativen Werten wirklich neue Wählerschichten?
Patzelt: Erstens ist christlich nicht gleich konservativ, sondern christlich ist im Wesentlichen gesellschaftsverändernd und zutiefst gesellschaftskritisch. Zum anderen ist das Christliche nicht dazu da, einfach funktionalisiert zu werden, um einfach irgendwelche Schichten neu zu erschließen. Dann könnte man es - im Grunde - sein lassen, denn der Prozess der Säkularisierung in dieser Gesellschaft ist ja weit vorangeschritten. Und obschon immer noch aktive Christen der harte Kern der CDU-Wählerschaft sind, ist die CDU mit diesem harten Kern in keiner Weise mehrheitsfähig, in den neuen Ländern schon gleich gar nicht.
Das heißt, die Aufgabe stellt sich wesentlich komplexer. Einesteils muss die Union, wenn sie weiterregieren will, mehrheitsfähig sein, und zwar klar oberhalb der 30 Prozent, und andernteils muss sie sich darum sorgen, dass ihr Markenkern klar erkennbar ist und ihre drei Flügel gut zusammengehalten werden.
Meurer: Wie will die CDU wieder auf 40 Prozent kommen? Diese Zahl wurde ja heute Morgen auch genannt.
Patzelt: Na ja, erstens muss man sehen, dass ein Großteil der Unionswähler auch nicht zur Wahl zu bewegen war. Hinter der sinkenden Wahlbeteiligung steht ja die mangelnde oder abnehmende Bindekraft der politischen Parteien.
Dann ist es zum anderen offenkundig - und Wählerwanderungsanalysen haben das gezeigt -, dass ein nennenswerter Teil von Unionswählern zur FDP abgewandert ist. Eine sehr vorzügliche Lehre aus dem Wahlergebnis war, dass es sich lohnt, die soziale Flanke abzudichten. Das, was unter Sozialdemokratisierung der Union läuft, ist also durchaus zu begrüßen. Und dass die Union sich auch im grünen Bereich nun breitmacht, programmatisch und auch durchaus ehrlich programmatisch, auch das ist ein richtiges Sich-neu-Aufstellen und wird dazu dienen, der Union Wählerschichten zu erschließen, die ihr in den letzten zwei, drei Jahrzehnten fremd gewesen sind.
Meurer: Bedeutet das also, Angela Merkel liegt in ihrem Kurs richtig, weiter so, und das Ergebnis wird dann schon irgendwann positiv sichtbar werden?
Patzelt: Der Teil des Kurses ist richtig, der auf die Absicherung der sozialen Flanke der Union gerichtet war und auf die Neuausrichtung der Union auf ökologische Milieus. Es darf freilich nicht mit der Formel, dass in der Mitte über die Mehrheitsfähigkeit entschieden würde, verdeckt werden, dass die Union nur dann mehrheitsfähig ist, wenn sie von der Mitte bis zum rechten Rand die einzige wählbare Partei ist und sie sich vom Schicksal der SPD fern hält, die links von sich ernst zu nehmende Konkurrenten hat aufkommen lassen.
Das heißt, man muss schon vom rechten Rand bis zur Mitte alles pflegen und in der Mitte muss man sich gegen links und gegen Vorwürfe der sozialen Kälte absichern, und das hat die Kanzlerin in der Tat sehr richtig gemacht.
Meurer: Die Kanzlerin hat ihren Führungsstil jetzt verteidigt. Das Moderieren sei so in etwa das, was Kohl immer gesagt hat: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Ist das wirklich der richtige Stil?
Patzelt: Es ist ein Teil eines richtigen Stils, denn natürlich kann ein Kanzler sich nicht nach Basta-Manier aufführen. Man muss schon intern die Kommunikationsprozesse koordinieren und anleiten. Man darf darüber aber nicht vergessen, dass die Macht eines Kanzlers daraus rührt, dass seine Partei die Wahlen gewonnen hat, und Wahlen gewinnt man nur, wenn man die Parteimitglieder motiviert, in der Partei für die Partei aktiv zu sein, und da braucht die Seele der Partei auch emotionale Zuwendung, sie braucht das Vorzeigen von Werten und Prinzipien, für die zu streiten sich auch lohnt. Und diese interne Mobilisierung der von ihr geführten Partei um zündende Ideen herum, das hat die Kanzlerin noch nicht so recht als ihre Aufgabe entdeckt und macht sie bislang auch noch nicht so, wie es im Bereich der SPD etwa ganz wunderbar Willy Brandt einst vorgeführt hat.
Meurer: Sollte die Kanzlerin auch mal der FDP klar machen, wer der Chef der Koalition ist?
Patzelt: Ich glaube, dass das Bild und die Rede vom Koch und Kellner allzu abgegriffen ist, und man wird gewiss dann aus einem kleinen Koalitionspartner keinen kooperationswilligeren machen, wenn man ihn mit der Nase immer wieder darauf stößt, dass er doch unglaublich viel weniger Stimmen und Sitze hätte.
Nein, man muss schon auf höflicher gleicher Augenhöhe einander begegnen, wohl wissend, dass sämtliche Beteiligten um die realen Machtunterschiede auch bescheid wissen.
Meurer: Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden, bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk zur Lage und Richtung der CDU heute nach der verabschiedeten Berliner Erklärung. Herr Patzelt, schönen Dank und auf Wiederhören.
Patzelt: Gern geschehen!
Das war die Ausgangslage vor der Klausur des CDU-Bundesvorstands, und dort soll es gestern und heute durchaus auch kritisch zugegangen sein. Es soll Streit vor allem gegeben haben wegen der geplanten Steuersenkungen. Heute verabschiedete die CDU nun ihre sogenannte Berliner Erklärung, die auch eine Reaktion darstellen soll auf das magere Wahlergebnis vom September mit damals nur 33,8 Prozent der Wählerstimmen bei der Bundestagswahl.
Die Berliner Erklärung der CDU ist im Bundesvorstand der CDU einstimmig beschlossen worden. Werner Patzelt ist Politikwissenschaftler in Dresden, Mitglied der CDU, und kurz vor Weihnachten hat er ein Papier mitveröffentlicht und darin der CDU empfohlen, sich auf christliche Werte zurückzubesinnen. Guten Tag, Herr Patzelt.
Werner Patzelt: Guten Tag!
Meurer: Entdecken Sie in der Berliner Erklärung der CDU eine Rückbesinnung auf christliche Werte?
Patzelt: Das entdecke ich darin nicht, das war aber auch nicht der Zweck dieser Klausurtagung. Hier ging es darum, insgesamt aus dem Wahlergebnis Konsequenzen zu ziehen, und ein Teil der Konsequenzen besteht natürlich in der Wiederentdeckung und neuen Pflege des Markenkerns dieser Partei, aber das lässt sich nicht in einer Klausurtagung bewerkstelligen.
Meurer: Erschließt man, Herr Patzelt, denn mit christlichen Werten, mit konservativen Werten wirklich neue Wählerschichten?
Patzelt: Erstens ist christlich nicht gleich konservativ, sondern christlich ist im Wesentlichen gesellschaftsverändernd und zutiefst gesellschaftskritisch. Zum anderen ist das Christliche nicht dazu da, einfach funktionalisiert zu werden, um einfach irgendwelche Schichten neu zu erschließen. Dann könnte man es - im Grunde - sein lassen, denn der Prozess der Säkularisierung in dieser Gesellschaft ist ja weit vorangeschritten. Und obschon immer noch aktive Christen der harte Kern der CDU-Wählerschaft sind, ist die CDU mit diesem harten Kern in keiner Weise mehrheitsfähig, in den neuen Ländern schon gleich gar nicht.
Das heißt, die Aufgabe stellt sich wesentlich komplexer. Einesteils muss die Union, wenn sie weiterregieren will, mehrheitsfähig sein, und zwar klar oberhalb der 30 Prozent, und andernteils muss sie sich darum sorgen, dass ihr Markenkern klar erkennbar ist und ihre drei Flügel gut zusammengehalten werden.
Meurer: Wie will die CDU wieder auf 40 Prozent kommen? Diese Zahl wurde ja heute Morgen auch genannt.
Patzelt: Na ja, erstens muss man sehen, dass ein Großteil der Unionswähler auch nicht zur Wahl zu bewegen war. Hinter der sinkenden Wahlbeteiligung steht ja die mangelnde oder abnehmende Bindekraft der politischen Parteien.
Dann ist es zum anderen offenkundig - und Wählerwanderungsanalysen haben das gezeigt -, dass ein nennenswerter Teil von Unionswählern zur FDP abgewandert ist. Eine sehr vorzügliche Lehre aus dem Wahlergebnis war, dass es sich lohnt, die soziale Flanke abzudichten. Das, was unter Sozialdemokratisierung der Union läuft, ist also durchaus zu begrüßen. Und dass die Union sich auch im grünen Bereich nun breitmacht, programmatisch und auch durchaus ehrlich programmatisch, auch das ist ein richtiges Sich-neu-Aufstellen und wird dazu dienen, der Union Wählerschichten zu erschließen, die ihr in den letzten zwei, drei Jahrzehnten fremd gewesen sind.
Meurer: Bedeutet das also, Angela Merkel liegt in ihrem Kurs richtig, weiter so, und das Ergebnis wird dann schon irgendwann positiv sichtbar werden?
Patzelt: Der Teil des Kurses ist richtig, der auf die Absicherung der sozialen Flanke der Union gerichtet war und auf die Neuausrichtung der Union auf ökologische Milieus. Es darf freilich nicht mit der Formel, dass in der Mitte über die Mehrheitsfähigkeit entschieden würde, verdeckt werden, dass die Union nur dann mehrheitsfähig ist, wenn sie von der Mitte bis zum rechten Rand die einzige wählbare Partei ist und sie sich vom Schicksal der SPD fern hält, die links von sich ernst zu nehmende Konkurrenten hat aufkommen lassen.
Das heißt, man muss schon vom rechten Rand bis zur Mitte alles pflegen und in der Mitte muss man sich gegen links und gegen Vorwürfe der sozialen Kälte absichern, und das hat die Kanzlerin in der Tat sehr richtig gemacht.
Meurer: Die Kanzlerin hat ihren Führungsstil jetzt verteidigt. Das Moderieren sei so in etwa das, was Kohl immer gesagt hat: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Ist das wirklich der richtige Stil?
Patzelt: Es ist ein Teil eines richtigen Stils, denn natürlich kann ein Kanzler sich nicht nach Basta-Manier aufführen. Man muss schon intern die Kommunikationsprozesse koordinieren und anleiten. Man darf darüber aber nicht vergessen, dass die Macht eines Kanzlers daraus rührt, dass seine Partei die Wahlen gewonnen hat, und Wahlen gewinnt man nur, wenn man die Parteimitglieder motiviert, in der Partei für die Partei aktiv zu sein, und da braucht die Seele der Partei auch emotionale Zuwendung, sie braucht das Vorzeigen von Werten und Prinzipien, für die zu streiten sich auch lohnt. Und diese interne Mobilisierung der von ihr geführten Partei um zündende Ideen herum, das hat die Kanzlerin noch nicht so recht als ihre Aufgabe entdeckt und macht sie bislang auch noch nicht so, wie es im Bereich der SPD etwa ganz wunderbar Willy Brandt einst vorgeführt hat.
Meurer: Sollte die Kanzlerin auch mal der FDP klar machen, wer der Chef der Koalition ist?
Patzelt: Ich glaube, dass das Bild und die Rede vom Koch und Kellner allzu abgegriffen ist, und man wird gewiss dann aus einem kleinen Koalitionspartner keinen kooperationswilligeren machen, wenn man ihn mit der Nase immer wieder darauf stößt, dass er doch unglaublich viel weniger Stimmen und Sitze hätte.
Nein, man muss schon auf höflicher gleicher Augenhöhe einander begegnen, wohl wissend, dass sämtliche Beteiligten um die realen Machtunterschiede auch bescheid wissen.
Meurer: Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden, bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk zur Lage und Richtung der CDU heute nach der verabschiedeten Berliner Erklärung. Herr Patzelt, schönen Dank und auf Wiederhören.
Patzelt: Gern geschehen!