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"Das hat mich nicht überrascht"

Hochwasser und Hitzewellen: Land unter in Pakistan, Polen und Deutschland - Waldbrände in Russland. Laut Klimaforscher Mojib Latif müssen wir uns in den nächsten Jahrzehnten mit Wetterextremen anfreunden.

Mojib Latif im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Sie wollten noch schnell einige Habseligkeiten aus ihrem Keller retten, doch das Wasser war schneller. So sind drei ältere Menschen am Wochenende im sächsischen Neukirchen ertrunken. Mittlerweile hat sich die Hochwasserlage dort zumindest etwas entspannt; die Wassermassen schieben sich jetzt aber in Richtung Brandenburg vor. In Tschechien wurden wegen der Fluten Tausende in Notquartieren untergebracht und in Polen hat es die 18.000-Einwohner-Stadt Bogatynia ganz besonders hart getroffen.
    Die Betroffenen in der Region um Görlitz klagen, dass sie völlig überrascht wurden. Deshalb die Frage an Mojib Latif, Meteorologe und Klimaforscher am Leibnitz-Institut in Kiel, ob diese Wassermassen wirklich so aus heiterem Himmel gekommen sind. Hat Sie die Flut auch so überrascht?

    Mojib Latif: Nein, das hat mich nicht überrascht, denn wir erwarten in Folge der globalen Erwärmung, dass sich einfach Wetterextreme weltweit häufen. Insofern ist das, was wir im Moment erleben, ob es in Pakistan ist, in Russland, oder auch in Ostdeutschland, schon so etwas wie die Blaupause für das, womit wir uns in der Zukunft anfreunden müssen. Und in Görlitz beispielsweise ist die Situation die, vor der wir eigentlich auch immer wieder gewarnt haben, dass selbst in Gegenden, in denen es normalerweise zu keinen Überschwemmungen kommt, es doch passieren kann, weil einfach die Regenfälle heftiger werden, sehr viel Regen in kurzen Zeiträumen niedergehen kann, und das kann dann eben auch kleine Bäche zu reißenden Fluten machen.

    Zagatta: Aber kann man das nicht zumindest einige Tage vorher absehen, oder 24 Stunden vorher absehen und dann entsprechend warnen?

    Latif: Das ist ganz, ganz schwierig, denn man muss ja auch hydrologische Modelle entwickeln, das heißt Modelle, die auch tatsächlich diese Flüsse oder Bäche dann berechnen können, und sie wissen nie ganz genau, wo exakt gehen jetzt die ganz starken Niederschläge runter. Sie wissen zwar ungefähr, aber für solche Situationen müssen sie dann eben schon sehr, sehr gute Vorhersagen haben, und das ist dann eben zum Teil auch nicht so einfach.

    Zagatta: Für Sachsen ist das jetzt aber schon das dritte große Hochwasser in acht Jahren. Liegt Sachsen da geographisch jetzt so ungünstig, oder wo kommt das her? Gibt es da ungenügenden Hochwasserschutz, oder wie erklären Sie sich das?

    Latif: Nun, Hochwasserschutz gibt es schon. Diesmal sind die Auswirkungen zwar auch ziemlich schlimm, aber nicht so schlimm, wie sie hätten sein können. Man hat schon aus den Hochwassern der Vergangenheit etwas gelernt. Tatsache ist, dass gerade Sachsen, aber nicht nur Sachsen, im Bereich der sogenannten Mittelmeertiefs liegt, und diese Mittelmeertiefs, die bilden sich, wie der Name schon sagt, über dem Mittelmeer, können sich gerade im Sommer extrem bei dieser Hitze mit Feuchtigkeit vollsaugen, und dann kommen sie sozusagen von Süden oder Osten auf Deutschland zu. Die ziehen sehr, sehr langsam, und deswegen können sie eben ihre ganze Feuchtigkeit, ihre ganze Fracht auf Ostdeutschland, oder oft auch Polen niederprasseln lassen, und deswegen ist diese Region eben besonders stark betroffen.

    Zagatta: Polen ist ja auch betroffen, und wenn man sieht, dass Moskau gar nicht so weit weg liegt, eigentlich nur einige Flugstunden von uns, und Moskau beziehungsweise Russland erstickt in Qualm und Trockenheit, also im Moment eigentlich vom Wetter her genau das Gegenteil. Wie lässt sich so etwas erklären? Wetter macht doch an Grenzen nicht Halt, oder ändert sich nicht an Grenzen.

    Latif: Nein. Es ist halt so: wenn sie irgendwo ein Hoch haben, dann müssen die Tiefs ausweichen, und die prallen dann gewissermaßen an diesem Hoch ab. Daraus erklärt sich eben auf der einen Seite diese extreme Trockenheit und daraus dann auch die Waldbrände in Russland, auf der anderen Seite dann eben auch gerade, dass die Tiefs nun immer wieder den Osten Deutschlands beziehungsweise auch Polen heimsuchen. Also die beiden Dinge hängen schon in gewisser Art und Weise miteinander zusammen, denn sie können nicht überall Hochdruck oder überall Tiefdruck haben, sondern wenn sie irgendwo Hochdruck haben, dann muss es halt irgendwo anders auch einen Tiefdruck geben.

    Zagatta: Sie haben uns eingangs ja schon gesagt, dass Sie sich diesen Katastrophensommer oder diese vielen Katastrophen, von denen wir in diesen Tagen hören, mit der Erderwärmung erklären, dass Sie da diesen Zusammenhang sehen. Was konkret bedeutet das jetzt für Ostdeutschland? Muss man sich darauf einstellen, dass es diese Hochwasser jetzt fast jedes Jahr so in dieser Form geben wird?

    Latif: Nun, wir Klimaforscher betrachten ja relativ lange Zeiträume. Wenn wir beispielsweise etwas darüber aussagen wollen, gibt es einen Klimawandel oder gibt es ihn nicht, dann betrachten wir die letzten 50 oder 100 Jahre. Nur dann können sie wirklich diese langen Trends erkennen. Genauso muss man das jetzt in der Zukunft sehen. Wir reden nicht über Jahre, wir reden über Jahrzehnte, und tendenziell geht natürlich die Richtung schon in Richtung mehr Wetterextreme und wir sehen eben genau das, was im Moment passiert, im Falle einer fortschreitenden globalen Erwärmung auf uns zukommen. Das heißt also klar: jedes einzelne Ereignis ist irgendwo ein Wetterereignis, aber in der Häufung haben dann diese Ereignisse doch schon etwas mit der Klimaerwärmung zu tun, und diese Klimaerwärmung wird weiter zunehmen, alleine schon wegen der Trägheit des Klimasystems, und deswegen müssen wir uns in den nächsten Jahrzehnten einfach mit diesen Wetterextremen in gewisser Weise anfreunden.

    Zagatta: Aber wenn die Forschung so weit ist, so weit auch vorausblicken kann, kann man da nicht doch für die Vorhersagen irgendetwas verbessern? Müsste man da nicht schon auf einem ganz anderen Stand sein?

    Latif: Nein! Es handelt sich hierbei um zwei fundamental andere Arten der Vorhersagen. Die Wettervorhersage, die ist auf relativ kurze Zeiträume begrenzt. Bei einer Klimavorhersage versuchen wir das gar nicht. Da versuchen wir, lange Trends vorherzusehen, die aufgrund geänderter Rahmenbedingungen zu Stande kommen, also beispielsweise dadurch, dass mehr CO2 in der Atmosphäre ist, dass dadurch eben die Atmosphäre wärmer ist. Also man darf jetzt nicht daraus schließen, dass man kurzfristig vielleicht vorhersagen kann, dass man nicht doch wüsste, wo langfristig der Zug hingeht.

    Zagatta: Mojib Latif, Klimaforscher am Leibnitz-Institut in Kiel.