"Hier sind wir jetzt in der Bert Brecht-Straße, zu Ehren des doch eigentlich ganz lange ungeliebten Sohnes. Augsburg hat sich nämlich sehr, sehr lange sehr schwer getan mit dem berühmten Sohn, weil der Brecht in erster Linie immer als dieser Revoluzzer dargestellt wurde. Er hat sich ja auch selber dazu stilisiert. So, und von dem wollten sie nix haben. Und da hat es ewig gedauert, bis man sich tatsächlich klar geworden ist, dass er halt einer der größten deutschen Dramatiker war. Das muss man schon ganz klar sagen. Der auch das Theater revolutioniert hat.
So, ich muss jetzt nur mal gucken, dass wir die Straßen finden. Bleichstraße, das muss hier irgendwo links reingehen."
Karin Kurzendörfer stammt ursprünglich aus dem Ostteil Berlins, den sie noch als Hauptstadt der DDR kennengelernt hat. Ich befinde mich mit der quicklebendigen Touristenführerin, die schon seit langem in Augsburg lebt, auf einer Reise in die Vergangenheit, in die Jugendzeit von Bertolt Brecht. Der berühmte Schriftsteller und Bühnenautor wurde am 10. Februar 1898 in der Stadt am Lech geboren. Sein Vater hatte eine gute Anstellung als Prokurist in einer Papierfabrik und die Familie bewohnte eine geräumige Werkswohnung. An einem vornehm wirkenden Haus erinnert heute eine schlichte Tafel an den berühmten Bewohner:
"In diesem Haus wohnte während seiner Jugendjahre Bert Brecht." Also gleich hier im ersten da vorne. Das müssen zwei Etagen gewesen sein, die die Familie bewohnt hat. Und das war ja jetzt nicht so, dass die vier Kinder gehabt haben. Das war ja nur der Bert Brecht, sein Bruder, Mutter und Vater."
"Vorbei an meinem väterlichen Haus führte eine Kastanienallee entlang dem alten Stadtgraben; auf der anderen Seite lief der Wall mit Resten der einstigen Stadtmauer. Schwäne schwammen in dem teichartigen Wasser."
So beschrieb Bert Brecht die Gegend, in der er aufwuchs. Zwei Jahre war er alt, als seine Eltern das Haus in der Bleichstraße bezogen. Gute Wohnlage. Heute wie damals.
"Hammer, ne? Auch wie sich das hier so im Wasser spiegelt. Wenn man dann weiter hinten auf der Wiese steht, dann sieht man auch diese ganzen Schießscharten. Das ist schon richtig toll. Und dann hat man eben überall dieses Wasser, das ist alles Lechwasser, das in den Kanälen fließt und das ist hier der Graben, der Wassergraben."
Er mochte Alkohol und Frauen
Neben dem Wassergraben ragt langgestrecktes altes Mauerwerk empor. Überreste der Stadtbefestigung. Über die Jahrhunderte zu einem gigantischen Bollwerk ausgebaut, das der Stadt auch während des 30-Jährigen Kriegs Schutz bot. Heute sind die Ruinen und der breite Wassergraben Teil einer innerstädtischen Parkanlage mit einem beliebten traditionellen Gastronomie-Betrieb.
"Im 19. Jahrhundert kommt jemand auf die Idee, da könnte man doch Bötchen fahren. Hat man auch gemacht. Und dann entstand diese Wirtschaft, diese so genannte Kahnfahrt, die es bis heute gibt, bis heute im Besitz derselben Familie, die das damals angefangen hat. Und hier hat Brecht auf diesen Geländern hier gesessen und hat geguckt, wie die hier mit ihren Bötchen rumfahren und hat sich seines jugendlichen Lebens gefreut. Er hat auch teilweise, so wird erzählt, immer wieder dann mal geholfen, die Boote wieder zurückzuziehen, wenn die Touristen ankamen. Hat er sich wohl damit so ein bisschen sein Taschengeld aufgebessert."
Wenn er nicht die Schulbank am Real-Gymnasium drücken musste, lungerte Bert Brecht gerne mit seinen Kumpels hier in der Parkanlage herum. Mit der Klampfe begleitet wurde gesungen, fabuliert. Es entstanden kleine, freche Reime, erste Lieder.
"Jetzt liege ich auf der Lauer nach dem Sommer, Jungens. Wir haben Rum eingekauft und auf die Gitarre neue Gedärme aufgezogen. Weiße Hemden müssen noch verdient werden. Unsere Glieder wachsen wie das Gras im Juni und Mitte August verschwinden die Jungfrauen. Die Wonne nimmt um diese Zeit überhand. Der Himmel füllt sich Tag für Tag mit sanftem Glanz und seine Nächte rauben einem den Schlaf."
Dem Alkohol war der heranwachsende Brecht nicht abgeneigt und das weibliche Geschlecht wurde zu seiner großen Leidenschaft. Doch dazu später mehr.
Jetzt führt uns der Weg auf Brechts Spuren zunächst einmal von der Stadtbefestigung Richtung Innenstadt, zur Barfüßerkirche.
"Hier! Toll! Toller Blick aufs Rathaus. Perlachturm. Und wir gehen jetzt hier mal rüber und gehen in den Rest der Barfüßerkirche rein und ich hoffe, dass sie offen ist."
1243 erbaut gehörte sie ursprünglich zu einem Franziskanerkloster. Rund dreihundert Jahre später wurde sie nach der Reformation zum ersten evangelischen Gotteshaus Augsburgs. Hier wurde Bert Brecht getauft und 1912 konfirmiert.
"Wunderschöne Barockkirche mit einer der berühmtesten Barockorgeln. Gebaut von Johann Andreas Stein. Das war die berühmteste Barockorgel in ganz Europa. Mozart hat drauf gespielt und Albert Schweitzer war extra hier in Augsburg, um auf dieser Orgel zu spielen."
Das Kirchengebäude und die Barockorgel wurden bei einem Fliegerangriff im Zweiten Weltkrieg zerstört. 1951 wurde nur der ehemalige Chor der Kirche wieder aufgebaut. Dennoch ist die turmlose Kirche ein imposantes Gebäude mit einer magischen Atmosphäre. 1958 erhielt die Barfüßerkircher dann auch wieder eine neue Orgel.
(Musik: Präludium, Ricercare, Fuge - Johann, Krieger, d-moll)
Kritisch gegenüber der Kirche
Die protestantische Gemeinde ist stolz auf ihr besonderes Gotteshaus. Hans Seemüller, Mitglied des Kirchenvorstandes, ist gerade bei Vorbereitungen für eine Abendveranstaltung.
"Ja, das sagen ganz viele, dass das ein besonderer Ort ist. Wir genießen das auch sehr. Das ist ja nur noch ein Reststück von der eigentlichen Kirche. Die ganze Kirche wäre ja draußen noch der Hof gewesen, bis zur Straße hin. Das ist eigentlich nur der Chor. Es ist ja ein altes franziskanisches Kloster. Und von daher ist es einfach schlicht. Und wir versuchen dieses Schlichte auch zu behalten. Nicht zu viel Deko und all solche Sachen, sondern das sehr einfach zu halten."
In der Schlichtheit der Kirche fallen zwei Kunstwerke besonders auf: "Das sind unsere Schätze. Vor allen Dingen unser Christkind von Georg Petel und der hat auch dieses Kruzifix geschaffen. Und das ist so etwas Besonderes. Das kommt auch immer wieder in Predigten und in den Gottesdiensten vor, dass es dann besonders angestrahlt wird, dieses. Christuskind und eben dann gegenüber der erwachsene Jesus, der am Kreuz stirbt."
Die präzise Darstellung der Anatomie, der besondere Ausdruck von Körperhaltung und Gesichtszügen sind faszinierend. Nicht zu Unrecht gilt Georg Petel als einer der bedeutendsten Bildhauer des Früh-Barock. Er stammte ursprünglich aus Oberbayern, ließ sich dann aber in Augsburg nieder, wo er 1625 die Bürger- und Meisterrechte erhielt. Aber wir wollen nicht vergessen, dass wir ursprünglich wegen Bert Brecht in diese Kirche gekommen sind.
"Ja, das ist einfach so ein großer deutscher Dichter und Schriftsteller und auch wenn er gegenüber der Kirche zum Teil kritisch war, das darf man ja, warum nicht, er ist hier konfirmiert worden. Das ist einfach so. Und er ist aus Augsburg."
Eine große Papp-Tafel erinnert an den berühmten Konfirmanden. Neben einigen schwarz-weiß-Fotos und einem biographischen Informationstext kann man darauf lesen:
"Er nahm offensichtlich den Konfirmanden-Unterricht recht ernst. Mühelos konnte er die aufgetragenen Bibeltexte hersagen."
Der lange ungeliebte Sohne der Stadt
Auf dem Rain 7, einen Steinwurf von der Barfüßerkirche entfernt, liegt das Geburtshaus von Bert Brecht. Wir befinden uns im ehemaligen Handwerkerquartier, dem Lechviertel. Direkt vor und hinter dem Gebäude fließt kanalisiertes Lech-Wasser vorbei. Die Kanäle dienten früher als Transportwege, als Antriebskraft für Mühlen und Treibriemen, aber auch zur Müllentsorgung. Überall hört man hier das Wasser rauschen, überall gurgelt und gluckst es. Die Familie Brecht bewohnte die erste Etage, die sie sich mit zwei weiteren Mietparteien teilen musste.
"Und in der unteren Etage da war eine Feilenhauerei drinne. Das muss fürchterlich laut gewesen sein. Und deshalb sind die tatsächlich - er ist im Februar geboren, und im September, da war er ein halbes Jahr alt - sind die hier ausgezogen. Also vielmehr Zeit hat er, als Bertolt Brecht, in diesem Haus gar nicht verbracht."
Erst einhundert Jahre nach seiner Geburt hatten sich die Vorbehalte gegen den lange ungeliebten Sohn der Stadt soweit verflüchtigt, dass man 1998 in dem ehemaligen Handwerkerhaus ein Brecht-Museum einrichtete. Alte Möbel, Theater-Plakate, Bücher in allen erdenklichen Sprachen, historische Fotos erinnern an das Leben und Wirken Brechts. Eine Lounge lädt zum Schmökern in seinen Werken ein, auf einem Großbildschirm werden Stationen aus Brechts Augsburger Zeit präsentiert, passend dazu werden frühe Gedichte, Notizen, Erinnerungen des Schriftstellers zitiert. Beim Rausgehen gibt mir die freundliche Dame an der Kasse des Brecht-Museums dann noch einen wichtigen Tipp. Ich sollte doch unbedingt in der Buchhandlung am Obstmarkt vorbeischauen. Deren Besitzer betreibe einen ganz besonderen Brecht-Shop. Also nichts wie hin.
Kurt Idrizovic, wie Bertolt Brecht gebürtiger Augsburger, ist ein profunder Brecht-Kenner und eingefleischter Brecht-Fan. In seiner Buchhandlung sind gerade einige Kisten mit Programmheften angekommen. Von Ende Februar bis Anfang März findet in der Geburtsstadt des Dichters das Brecht-Festival mit jeder Menge Veranstaltungen statt. Theater, Performance, Konzerte, Lesungen, Diskussionen, Filme. Ein Termin folgt auf den nächsten. Der lange Jahre ungeliebte "Kommunist Brecht" ist in Augsburg wieder salonfähig.
"Als Franz-Xaver Kroetz in Augsburg Brecht-Texte lesen wollte, da hat ihm das die Stadt Augsburg, das Rathaus verboten. Das kenne ich jetzt nicht mehr, diese Stimmung ist weg. Also man geht entspannt damit um. Er ist ja sogar ein Marketing-Format. Man kann ihn sogar vermarkten. Und so kann auch eine Stadt über die touristische Schiene noch ein bisschen näher mit ihrem Schriftsteller zusammenwachsen. Und das Interesse ist groß und es wächst. Weil er eben zur Bankenkrise zu sozialen Differenzen immer was zu sagen hat. Und das ist nicht das Dümmste."
Schon sehr früh schrieb er Artikel und Gedichte
Aus den vielen Biographien über Bert Brecht und den vielen Büchern von Bert Brecht, fischt Buchhändler Idrizovic ein ganz besonderes Exemplar aus dem Regal: Den Nachdruck eines Tagebuches. Verfasst in gestochen scharfer Handschrift.
"Und wenn man sich das mal anschaut, ich kann Ihnen das mal zeigen. Das ist eines der ersten Tagebücher von Brecht. So hat er gearbeitet. Das ist diese Sütterlinschrift. Und das ist jetzt aus dem Jahr 1913. Da war der Brecht 15 Jahre. Und wenn man sich das so ansieht: "Nachmittag fast nichts getan. Sehr fad so ein Nachmittag. Ich fertige fast nur mehr Gedichte an. Alles andere schläft."
"Wir gingen an den Lech, abends heim, gut unterhalten". Abends an den Lech, das war natürlich sein wichtigster Ort. Und da spielt sich eigentlich das Leben ab. Da ist dieses Wilde, urwüchsige, Industriealisierung, Proletariat und da entsteht Spannung, da entsteht neues Sprachgefühl. Und das hat der Brecht instinktiv gekonnt, da war er einfach genial. Das kann man überall finden, in seinen Texten."
Geschrieben hat Brecht in seinen jungen Jahren schon sehr viel. Artikel und Gedichte für die Schüler- und für die Tageszeitung. Aber auch bedeutende Frühwerke wie "Die Bibel", "Baal" oder "Trommeln in der Nacht" entstanden in der Augsburger Zeit. Neben der Schreiberei hatte er aber auch noch ausgiebig Zeit für sein ausschweifendes Lotter- und Liebesleben.
"Immer streune ich abends übern Plärrer…und fahre mit der Schiffschaukel."
Schrieb Bertold Brecht 1920 rückblickend auf seine Jugendzeit in sein Tagebuch. Den Plärrer, das berühmte jährliche Augsburger Volksfest, besuchte er regelmäßig. Genauso wie seine Stamm-Kneipe "Gablers Taverne". Alkohol, gesellige Runden und Frauen, waren seine Leidenschaft neben dem Schreiben. Und es gab so einige Liebschaften. Die Augsburger Arzttochter Paula Banholzer zum Beispiel, die von Brecht geschwängert wurde und im Sommer 1919 den gemeinsamen aber unehelichen Sohn Frank zur Welt brachte. Die Opernsängerin Marianne Zoff, die er während ihres Augsburger Engagements kennenlernte. Und dann war da noch Marie Rose Aman, die der junge Brecht anschmachtete, der er auf dem Schulweg auflauerte, um in ihrer Nähe zu sein und der er später das Gedicht "Erinnerung an die Marie A." widmete.
Zitat:
An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.