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Das indische Ramayana-Epos und die Globalisierung

Der Versuch, östliche und westliche Theatertraditionen an einem Abend zusammenzubringen, klingt verwegen, scheint aber nicht aussichtslos. Der Choreograf Joachim Schlömer beispielsweise bereist seit vielen Jahren Indien. Der Kurator der offenen Tanzkompanie "PVC" in Freiburg hat nun das indische Nationalepos "Ramayana" mit Indern und Deutschen inszeniert. Wie zu erwarten, hat Schlömer die Geschichte ins Heute geholt und kräftig sozialpolitisch aufgeladen.

Von Dorothea Marcus |
    Die Erzählung von der Sitas Entführung könnte man als mythische Rechtfertigung der inzwischen verbotenen indischen Witwenverbrennung verstehen: Sita folgt ihrem Ehemann, König Rama, für 14 Jahre ins Exil und wird dort von einem anderen König, dem Dämon Ravana, entführt. Doch sie weigert sich, ihren Entführer zu heiraten, weil sie ihren Mann liebt. Als der sie endlich gerettet hat, bezweifelt er auf einmal ihre Treue - und sie muss sie mit Hilfe einer Feuerprobe unter Beweis stellen. Als sie besteht, leben sie glücklich bis an ihr Ende - in einer späteren Fassung wird Sita schwanger verstoßen und fährt später in den Himmel auf. Die Geschichte kennt in Indien jedes Kind - und Sita werde bei indischen Frauen gerne als "ideale Gattin" gesehen, steht bei Wikipedia. Welche tieferen Bedeutungskonnotationen das uralte Epos für die indische Gesellschaft hat, kann man als westlicher Betrachter nur erahnen.

    Joachim Schlömer macht gar nicht den Versuch, einen großen west-östlichen Weltentwurf zu inszenieren, wie es einst Peter Brook mit seiner legendär gewordenen, neunstündigen "Mahabarata"-Inszenierung tat. Er bringt eher ein knapp eineinhalbstündiges Experiment auf die Bühne, eine wilde Collage in englischer Sprache aus westlichen und östlichen Tanzelementen, mit Schattenspielen, europäischen Videobotschaften - und viel wunderschöner indischer Live-Musik:
    Die Entführung ist bei Schlömer eine Art moderne Metapher für alles, was auf der Welt nicht stimmt: Terror, Globalisierung, Ausbeutung. Damit wir das auch auf jeden Fall verstehen, fallen von der Decke deutsche Zettel ins Publikum, auf denen Globalisierungsopfer von ihren Arbeitsbedingungen berichten oder die Überflüssigkeit des "Kampfs gegen Terror" betont wird. Als auf Video projizierte CNN-Nachrichtenshow mit reißerischen Schlagzeilen erzählt der indische Schauspieler Manish Chaudhari dann flott das Epos und seine Nebengeschichten nach.

    Prinzessin Sita wird von zwei Frauen dargestellt: die eine ist eine traditionelle indische Tänzerin. Mit dem Dämon Ravana, einem athletischen, westlichen Tänzer, der Goldkette auf nackter Brust trägt, tanzt sie ein kreiselndes, scheu annäherndes Duett der Kulturen. Die andere Sita ist die Performerin Johanna Eiworth. Sie trägt blonde Perücke und weißes Kleid und spricht ins Mikrofon Texte einer Entführten, inspiriert durch Interviews mit Susanne Osthoff. Wir erinnern uns: das rätselhafte Entführungsopfer in Bagdad, die nach ihrer Befreiung angeblich Teile des Lösegelds bei sich trug und schnellstmöglich in den Irak zurückkehren wollte.
    Susanne Osthoffs Interviews sind nicht gerade hohe Poesie und die durchs Mikrofon distanzierte Sprechweise schafft es auch nicht, Emotionen zu erzeugen. Das gelingt nur in seltenen Momenten, etwa wenn Sita und Rama sich an ihren Liebespakt erinnern.
    Doch Zeit und Raum verschwimmen, gleich darauf setzen sich die Darsteller gelbgewandet zusammen an einen Tisch, um auf einem "Kongress über Entführung" die Welt zu retten, der jedoch in hilfloser Vielstimmigkeit entgleitet: in Plädoyers gegen Bodenversalzung und für Feminismus. In der letzten Szene trennt sich dann Rama von Sita und auf Video flammt das Feuer auf, in das sie nun gehen muss.

    Die Inszenierung versucht keine Bebilderung eines fremden Mythos, sondern tritt eher seinen Gegenbeweis an: Dass die Welt heute nicht mehr als Mythos darzustellen ist. Dass die Geschichte von Sitas Treue unmöglich ist, weil man als Entführte seinen alten Gewissheiten nicht "treu" bleiben kann, da sich der Mensch nun einmal den Gegebenheiten anpasst - und dem sogenannten Stockholm-Syndrom unterliegt.

    "Die Entführung von Sita" ist ein ehrenwerter Abend geworden, dem man keinen Vorwurf machen kann: politisch und pädagogisch engagiert, mit wunderschönen Gesängen und Tänzen, und doch bleibt Unbehagen zurück: weil die östlichen und westlichen Versatzstücke kein poetisches Ganzes ergeben. Weil man durch die thesenhafte Mikrofonsprache kaum emotionale Beteiligung spürt. Weil man gerne mehr von dem sehen würde, was doch Schlömers ursprünglicher Beruf war: Tanz. Und weil die indischen Darsteller, seien sie auch noch so exzellent, letztlich doch nur exotische Dekoration bleiben für die politisch recht einfach gestrickten Thesen eines westlichen Regisseurs.