Musik 1: Schumann "Schöne Fremde" aus Liederkreis op. 39
Es ist der erste schöne Frühlingstag in diesem Jahr. Und während draußen die Magnolienbäume in voller Blüte stehen, blühen im Ballsaal der Heidelberger Stadthalle die Stimmen junger Sänger auf. Es sind die Stipendiaten der Lied-Akademie beim Heidelberger Frühling. Mit ihren Mentoren Brigitte Fassbaender und Thomas Hampson haben sie bereits in den letzten Tagen im geschützten Raum des stillen Kämmerleins gearbeitet, nun darf erstmals das Publikum bei der Arbeit zuhören.
"Also pass auf, das Rauschen, das musst Du mir gleich noch mehr malen."
Brigitte Fassbaender weiß genau, wovon sie spricht, war sie bis zu ihrem Bühnenabschied im Jahr 1995 doch selbst eine der besten Liedsängerinnen. Für sie geht es vor allem um eins:
"Man will etwas aussagen. Es geht nicht nur um das Singen, es geht um die Aussage, um den Gehalt, den ich klar machen will, um die Bilder, die ich malen will mit der Stimme. Jetzt auch hier im Unterricht gehe ich mit ganz konkreten Vorschlägen und Bildern an die jungen Leute heran, dass die ihre Fantasie und Innenschau mobilisieren. Das ist beim Lied, glaube ich, ein ganz, ganz wichtiges Kriterium."
Für Thomas Hampson spielt außerdem die Technik eine wichtige Rolle, auf deren Grundlage eine gelungene Interpretation überhaupt erst entstehen könne. Denn nur wenn ein Sänger sein Handwerkszeug beherrscht, kann er seine Stimme in ein ausdrucksstarkes Instrument verwandeln. Hampson arbeitet daher akribisch an Stimmsitz, Vokalausgleich oder der richtigen Atemtechnik:
"Luft ist nicht Benzin, Luft ist ein noch nicht gehörter Gedanke."
In Heidelberg ist das Kunstlied höchst vital
Die Leidenschaft mit der Lehrer und Schüler hier zu Gange sind, ist deutlich zu spüren. Das Kunstlied scheint, zumindest an diesem Nachmittag, eine höchst vitale Gattung zu sein. Der Ballsaal jedenfalls ist restlos ausverkauft. Doch Thorsten Schmidt, der Intendant des Heidelberger Frühlings, hat auch andere Erfahrungen gemacht, wie er leidvoll erzählt:
"Wir sind in der Situation, dass wir heute mit jungen Sängern kaum noch Publikum kriegen. Wenn wir einen Liederabend mit jungen Sängern machen oder früher gemacht haben, dann konnte es passieren, dass da 40 Leute im Saal saßen. Mittlerweile ist es bei uns schon ein bisschen besser, weil wir das Publikum erzogen haben. Aber wenn Sie Kollegen fragen, wie sie zu Liederabenden stehen, gerade mit jungen, unbekannten Sängern, haben viele ihre Serie gestrichen. Und ich finde das sehr bedauerlich, wenn man sich überlegt, dass das Lied für die Kultur bei uns einer der wichtigsten Botschafter ist."
Aus diesem Grund hat Thorsten Schmidt das Lied als integralen Bestandteil des Heidelberger Frühlings stets gestärkt. Nicht nur durch die Lied-Akademie, die eine wichtige Säule des Festivals ist. Sondern auch mit Formaten wie "Neuland.Lied" oder "Lied.Lab", die sich als Werkstatt für neue Liedformate und neue Präsentationsformen verstehen. Nun möchte man das Ganze auf die nächste Ebene heben und hat zu diesem Zweck das internationale Liedzentrum Heidelberg gegründet. Hier sollen die bisherigen Bemühungen gebündelt und weitergedacht werden, so Thorsten Schmidt:
"Also im ersten Schritt soll es darum gehen, von Heidelberg ausgehend, das Lied wieder ein bisschen mehr in die Köpfe zu kriegen. Und in einem zweiten Schritt habe ich bei der Gründung einmal die Vision in den Raum gestellt, dass ich von einer Villa Massimo des Liedes in Heidelberg träume. Das heißt, einen Ort zu schaffen, an dem Nachwuchssänger die Möglichkeit haben, Kurse zu besuchen und sich ausbilden zu lassen; an dem wir Komponisten und Sänger zusammenführen; an dem Produktionen entstehen können; an dem Menschen, die sich um Konzertformate kümmern und sich damit beschäftigen, gemeinsam mit jungen, aber auch etablierten Künstlern Formate entwickeln können."
Lied-Wettbewerb von Thomas Quasthoff künftig in Heidelberg
Vieles davon ist noch Zukunftsmusik, doch Einiges wurde bereits in die Tat umgesetzt: So wird der bisher in Berlin ausgetragene Lied-Wettbewerb von Thomas Quasthoff künftig in Heidelberg stattfinden. Für Thomas Schmidt gibt es dafür kaum einen besseren Ort als die Stadt am Neckar, denn:
"Heidelberg hat ein besonderes Lied-Gen. Also erstens haben Arnim und Brentano hier die Sammlung "Des Knaben Wunderhorn" begonnen. Haben damit einen wesentliche Impuls fürs Kunstlied gesetzt. Eichendorff ist hier gewesen. Schumann ist hier gewesen, Brahms ist sieben Mal in Heidelberg gewesen. Und vor allem ist nach dem 19. Jahrhundert dann auch hier in Heidelberg der Zupfgeigenhansel entstanden, der neue deutsche HipHop ist hier entstanden – irgendwie scheint hier in Heidelberg etwas mitzuschwingen, was diese Stadt zur Liedstadt macht. Ich glaube, es gibt kaum einen Ort in Deutschland, der so geeignet ist von der Historie, aber auch der Zugewandtheit der Zukunft gegenüber, der so geeignet ist wie Heidelberg."
Zurück im Ballsaal der altehrwürdigen Stadthalle möchte man Thorsten Schmidt Recht geben. Wer miterlebt, wie die gerade einmal 23-jährige Yajie Zhang mit ihrer außergewöhnlichen Stimme nicht nur das Publikum, sondern auch die erfahrene Brigitte Fassbaender begeistert, macht sich um die Zukunft des Liede etwas weniger Sorgen. In Heidelberg wird jedenfalls schon fleißig daran gearbeitet.
Musik 2: Brahms, Zigeunerlieder, "Rote Abendwolken ziehn"