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Das iranische Atomprogramm

Während US-Präsident Obama weiter auf Diplomatie setzt, argumentiert Israels Ministerpräsident Netanjahu, man müsse den Iran jetzt angreifen, um einen Ausbau des Atomprogramms zu verhindern. Eine Lösung des Konflikts scheint bisher nicht in Sicht.

Von Thorsten Teichmann | 10.03.2012
    Die Erwartungen an eine Reise in die USA sind hoch. Da geht es dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu so wie vielen anderen Israelis vor ihrem Abflug nach Amerika. Netanjahu wollte bei seinem Besuch in Washington US-Präsident Obama von der Bedeutung eines Militärschlags gegen Iran und das iranische Atomprogramm überzeugen. Eine Frage, die Obama seinem Gast eindeutig beantwortet habe, sagt der Journalist Udi Segal im israelischen Fernsehen:

    "Die Antwort ist ganz klar: Nein. Obama sagt Israel: Ihr habt ein Recht auf Selbstverteidigung. Ihr könnt machen, was ihr wollt. Ihr wollt angreifen? Dann greift halt an. Aber er sagt auch, dass das seiner Ansicht nach eine schlechte Idee ist. Er denkt nicht, dass es etwas bringen würde."

    Zum Verständnis: Die israelische Regierung ist überzeugt, Iran verfolge sein Atomprogramm mit dem Ziel zur Atommacht aufzusteigen. Der Chef des militärischen Geheimdienstes Aviv Kochavi hat Anfang Februar gewarnt, der Bau einer Atombombe sei in Iran keine technische Frage mehr. Es hänge allein an der Entscheidung des geistlichen Oberhaupts, Ayatollah Chamenei.

    "Iran verfolgt den Wunsch, Atomwaffen zu besitzen – aus drei Gründen: regionale Vorherrschaft, Bedrohung und Aufstieg zu einer internationalen Macht. Iran hat genügend Material für vier Atombomben. Es reichert weiter Material an und behauptet, das diene allein friedlichen und zivilen Aufgaben. Wir haben Beweise, dass Iran weiter militärische Atomwaffen entwickelt."

    Kochavi muss einräumen, dass Iran derzeit nicht an einer Bombe baut. Genau dieser Punkt ist bisher für Israels Verbündete, allen voran die USA, die rote Linie, die Teheran nicht überschreiten darf. Die israelische Regierung muss diese Haltung ärgern – nach allem, was Ministerpräsident Netanjahu versucht hat.

    Zum ersten Mal fragt der israelische Journalist Nahum Barnea in einem Leitartikel Ende Oktober 2011, ob Netanjahu und Verteidigungsminister Barak vereinbart haben, dass Israel die Atomanlagen in Iran angreift? In den folgenden Wochen entsteht folgendes Argument: Iran verlege Zentrifugen und Forschungslabors unter die Erde. Bald seien sie für das israelische Militär nicht mehr zu erreichen. Deshalb müsse Israel bereits jetzt über einen präventiven Militärschlag entscheiden, so die politische Analystin Emily Landau vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv:

    "Der Zeitpunkt, zu dem in Iran eine Entscheidung für den Bau einer Atomwaffe fällt, ist entscheidend für die USA. Für Israel ist das weniger relevant. Entscheidend ist, dass Iran in die Richtung geht. Dass sie an militärischen Dingen arbeiten. Sie täuschen die internationale Gemeinschaft täglich. Sie lügen und mogeln. Und sie sind auf dem Weg zu militärischen Möglichkeiten."

    Letztendlich aber sehe sie nicht Israel in der Pflicht, so Landau, sondern die USA. Und auch der Iranwissenschaftler David Meanshri warnt: Die israelische Politik müsse alles tun, um den Eindruck zu vermeiden, das iranische Atomprogramm sei nur für das eigene Land eine Gefahr. Genau das passiere aber mit den ständigen Spekulationen über einen militärischen Alleingang:

    "Wenn man so viel darüber spricht, sieht es so aus, als sei es unser Problem. Wir haben das Problem also beschlagnahmt, als seien wir verantwortlich für Irans Atomakte. Das ist eine zu schwierige Aufgabe für ein kleines Land, wie Israel. Man weiß, wie man militärische Aktionen beginnt, man weiß nicht, wie sie enden."

    Über die Grenzen eines Militärschlags ist in den vergangenen Wochen eben so viel spekuliert worden, wie über den Angriff selbst. Zum einen glaubt niemand, dass Iran - ähnlich wie Syrien oder der Irak - nach einem Angriff von seinen Atomplänen ablässt. Dann meldeten sich vor zwei Wochen US-Militärs über einen Artikel der "New York Times" zu Wort: Ohne Unterstützung der USA, hieß es dort, sei ein Luftangriff dieser Größenordnung für Israel nur sehr schwer möglich.

    Eine weitere Spekulation betrifft das Verhalten Irans im Falle eines Angriffs. Hat die Führung in Teheran Zugriff auf die Hisbollah im Libanon oder den Islamischen Dschihad in den palästinensischen Gebieten? Die Hamas Organisation soll angekündigt haben, sie wollen sich zurückhalten im Fall einer Auseinandersetzung. Trotzdem warnt der Stabschef des israelischen Militärs, Benny Gantz vor der militärischen Stärke der unmittelbaren Nachbarn:

    "Gaza und der Libanon sind die größten Waffenlager, die ich kenne. Sie gehören der Hisbollah, dem Islamischen Dschihad und anderen Terrororganisationen. Diese Organisationen werden unterstützt von Syrien, Iran und selbst Russland. Russland liefert weiter Waffen an Syrien. Der Nahen Osten bewaffnet sich gegenwärtig stärker als jede andere Region und wir sind das Ziel dieser Waffen."

    Selbst wenn Gantz übertreibt, die Gesellschaft in Israel ist auf keinen Krieg mit Iran vorbereitet. Verteidigungsminister Barak hatte vorgerechnet, wenn im Fall eines Gegenangriffs jeder in seinem Haus bliebe, gebe es nicht mehr als 500 Tote. Doch viele Israelis empfanden die Bemerkung als zynisch und wenig beruhigend.

    Die Mehrheit spricht sich in einer Umfrage gegen einen Militärschlag aus, wenn die USA Israel dabei nicht unterstützen. Sie bevorzugen einen sogenannten stillen Krieg: Angriffe auf iranische Atomanlagen mit Computerviren. Einzelne Anschläge auf Raketenbasen. Exekutionen von iranischen Atomwissenschaftlern und Betriebsdirektoren durch Motorradbomber. Auch wenn Israel nicht die Verantwortung für die Anschläge übernimmt.

    Letztendlich verliert sich die öffentliche Debatte in technischen Details und Schaubildern von militärischen Flugrouten Richtung Iran. Die Rechtmäßigkeit eines möglichen Angriffs steht in Israel nicht zur Diskussion. Die israelische Gesellschaft hat Angst bekommen und hofft, dass die "Sache mit Iran" nur irgendwie vorbeigeht.

    Dabei werde die Kombination aus militärischen Drohungen und harten wirtschaftlichen Sanktionen allein nicht helfen, sagt Professor Menashri von der Universität Tel Aviv. Verhandlungen mit Iran müssten parallel dazu laufen – auch wenn die Aussichten auf einen Durchbruch gering seien:

    "Wenn man mit Iran einen Dialog beginnt, dann heißt es nach sechs Monaten, einem Jahr "Ja, aber" oder "Nein, wie auch immer". Und als gute Diplomaten sagen sie zu Beginn nicht "NEIN" sondern "JA" und bringen einen dann zum Anfang wieder zurück. Trotzdem ist der Dialog wichtig, um die Menschen in Iran zu erreichen. Veränderung bringen die jungen Menschen in Iran, die Studenten in Iran. Sie muss man überzeugen, dass man alles getan hat, was möglich war, um zu einem Abkommen zu gelangen."

    Menashri, der aus Iran stammt, stellt sich damit in der Diskussion ganz weit nach außen. Er gehört derzeit nicht zum israelischen Mainstream.