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"Das ist doch nicht lebenspraktisch, dass ich ständig einen Notar aufsuche"

Eine gesetzliche Neuregelung zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen ist nach Ansicht der Ärztevereinigung Marburger Bund überflüssig. Die Rechtsprechung und die beruflichen Richtlinien für Ärzte seien schon jetzt eindeutig, sagte Verbandschef Rudolf Henke. Er halte alle drei der bisher vorgelegten Gesetzesentwürfe für schwierig.

Rudolf Henke im Gespräch mit Christian Schütte |
    Christian Schütte: Viele Bürger haben Angst, bei schwerer Krankheit lange leiden zu müssen. Deshalb soll eine Patientenverfügung regeln, wie die Ärzte vorgehen sollen, wenn man selbst zum Beispiel im Koma liegt und seinen Willen nicht mehr äußern kann. Wie verbindlich soll diese Willensbekundung für den behandelnden Mediziner sein? Die Politik will dies mit einem Gesetz regeln. Zwei parteiübergreifende Entwürfe liegen bereits vor. Heute wird in Berlin ein dritter Vorschlag vorgestellt. Was lässt sich regeln, wo liegen die Schwierigkeiten?

    Mitgehört hat der Vorsitzende der Ärztevereinigung Marburger Bund, Rudolf Henke. Guten Morgen!

    Rudolf Henke: Guten Morgen, Herr Schütte.

    Schütte: Mehrere Millionen Menschen in Deutschland haben eine Patientenverfügung verfasst. Die Einschätzung von Experten lautet, viele dieser Verfügungen sind zu allgemein oder missverständlich verfasst. Im Falle des Falles hilft die dem behandelnden Arzt gar nicht weiter. Herr Henke, vielleicht können Sie anhand eines Beispiels erläutern, wann eine Patientenverfügung in der Praxis untauglich ist.

    Henke: Ich will erst mal sagen, dass die Mehrzahl der Patientenverfügungen schon eine erhebliche Hilfe ist und einen Wegweis darstellt, und es ist dann noch besser, wenn es auch dann noch eine Vorsorgevollmacht gibt für eine Vertrauensperson. Aber jetzt stellen Sie sich eine Situation vor, in der ein älterer Mensch einen Herzinfarkt erleidet, bewusstlos wird, reanimiert wird, und dann findet man auf der Intensivstation in seiner Tasche einen 20 Jahre alten Zettel, da steht drauf, ich will nie an Maschinen angeschlossen werden. Was soll man dann damit machen?

    Schütte: Was geht dann vor, die Verpflichtung des Arztes, Leben zu verlängern, oder der Wille des Patienten, der den Tod0 nicht weiter hinauszögern möchte?

    Henke: Der Grundsatz ist ja informiertes Einverständnis. Das heißt, wir gehen von dem mündigen Patienten aus, der die Lage beurteilen kann und kennt. Deswegen ist das Problem solcher älterer Patientenverfügungen, die gewissermaßen nicht auf die aktuelle Lage hin gepflegt worden sind, dass wir gar nicht wissen, ob das, was da erklärt wurde, wirklich noch im Besitz der Kenntnisse über die heutigen Behandlungsmöglichkeiten, über die heutigen Chancen geschrieben ist, und wir wissen auch nicht, was der Betreffende mit Maschine meint. Deswegen glauben wir ja, eine ärztliche Beratung vor der Abfassung einer Patientenverfügung und die Ergänzung durch eine Vorsorgevollmacht, mit der man einen Berater dann für sich wählt, der mit den Ärzten, mit den Pflegekräften in den Prozess des Abwägens eintritt, das ist vernünftig, wenn man nicht als Einzelner sagt, ich überlasse das den Ärzten, das zu entscheiden, wie die das für richtig halten.

    Schütte: Und selbst wenn eine aktuelle Patientenverfügung vorliegt, geht der Arzt dann nicht trotzdem im Zweifelsfall auf Nummer sicher? Er will sich ja nicht strafbar machen und setzt beispielsweise die künstliche Beatmung fort, auch wenn dies gar nicht im Sinne der Patienten liegt.

    Henke: Strafbar macht sich der Arzt dann, wenn er sich an eine illegale Weisung hält. Also etwa, was eben mal im Vorbericht gesagt wurde, aktive Sterbehilfe. Das ist ja Tötung auf Verlangen. Die ist in Deutschland untersagt. Ein Patient, der uns dazu verpflichten wollte, der kann das nicht. Das ist ein Punkt, den man aber im Recht an anderer Stelle ändern muss als bei dieser Frage Patientenverfügung, wenn man es ändern will. Ich bin dagegen.
    Aber in dem anderen Punkt: Natürlich ist die Patientenverfügung von größter Bedeutung und natürlich ist auch das Gespräch mit dem gewählten Bevollmächtigten von größter Bedeutung. Wenn es dann am Ende Konflikte in der Auffassung gibt, dann muss im Zweifel ein Vormundschaftsgericht hinzugezogen werden. Das alles ist heute in Deutschland durch Richterrecht so geregelt. Deswegen halten wir uns auch daran.

    Schütte: Die Politik hingegen sagt, wir brauchen jetzt ein Gesetz, weil Patientenverfügungen eben nicht automatisch verbindlich sind und deshalb von den Ärzten nicht immer respektiert und befolgt werden.

    Henke: Nein. Ich glaube, die Politik muss ja immer von der Bewusstseinslage in der breiten Bevölkerung ausgehen und sie geht von einem Bewusstsein aus, das diese Entwicklungen in der Rechtsprechung und die Veränderung in der medizinischen Praxis nur unvollständig zur Kenntnis genommen hat. Viele haben Angst davor, ihre Autonomie wäre nicht gegeben, weil sie sich vielleicht an die Situation des Sterbens ihrer eigenen Eltern oder Angehörigen vor 20 oder 25 Jahren erinnern. Da galt aber vielfach noch ein ganz anderes Prinzip. Da galt nicht, dass der Wille und das informierte Einverständnis des Patienten zählt, sondern damals galt in der Tat, jawohl, die Lebenserhaltung und die Heilung des Patienten, das geht allem anderen, auch seinem eigenen Willen vor. Viele Menschen haben Erlebnisse aus der damaligen Zeit, wo sie sagen, so soll es nicht mehr sein, und darauf, glaube ich, reagiert Politik.

    Schütte: Die Politik hat mehrere Gesetzesentwürfe vorgelegt. Welchen halten Sie für praktikabel?

    Henke: Ich habe mit allen große Schwierigkeiten. Mir sind in dem so genannten Stünker-Entwurf die Formulare viel zu bindend und zu starr.

    Schütte: Nur zur Erklärung: Das ist der erste Entwurf, der vorwiegend von SPD-Abgeordneten vorgelegt worden ist.

    Henke: Ja, aber auch aus anderen Fraktionen. – Der zweite, der von Herrn Bosbach und Frau Göring-Eckardt von den Grünen vorgelegt ist, Bosbach von der CDU, Göring-Eckardt von den Grünen und anderen. Das ist ein Entwurf, da kommen wir mit dem Notar, der das alles registrieren soll, nicht weiter. Das ist mir auch viel zu bürokratisch. Am ehesten könnte ich noch akzeptieren, dass der Vorschlag, der heute vorgestellt wird, umgesetzt wird, weil er sich an die heutige Rechtsprechung sehr eng hält. Aber offen gestanden: die Rechtsprechung hat sich so klar entwickelt und auch die beruflichen Richtlinien der Ärzte, Richtlinien der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung sind so klar formuliert, dass ich keine Verbesserung erwarte, wenn man ein neues Recht kodifiziert.

    Schütte: Sie sagen, die Regelung mit einem Notar halten Sie für nicht so sinnvoll, das sei zu bürokratisch. Auf der anderen Seite haben Sie vorhin gesagt, Sie brauchen eine Sicherheit. Was nützt eine Patientenverfügung, die 20 Jahre alt ist. Also warum ist die Regelung mit dem Notar so schlecht?

    Henke: Das ist doch nicht lebenspraktisch, dass ich ständig einen Notar aufsuche, wenn es um gesundheitliche Fragen geht. Und ich bin auch nicht sicher, dass ich da eine zutreffende Beratung dann am Ende erhalte. Da gehe ich hin, wenn es um komplizierte Verträge geht, aber hier muss ja eine medizinische aktuelle Information gegeben werden, damit dieses informierte Einverständnis da ist. Ich bin sehr dafür, dass man sich, ehe man eine Patientenverfügung abfasst, mit seinem behandelnden Arzt über seinen eigenen Gesundheitszustand austauscht - da gibt es diese millionenfachen unterschiedlichen Möglichkeiten – und dann mal fragt, was kann denn auf mich in meiner Lage wahrscheinlich zukommen und wie muss ich eine Patientenverfügung vielleicht so verändern, dass es dann auf meine Situation passt und die wissen, was ich genau will. Das ist eine aktualisierte Pflege; die muss ich im Grunde vielleicht einmal im Jahr mit meinem behandelnden Arzt betreiben. Dann ist diese Patientenverfügung ein sehr, sehr hilfreiches Instrument. Und wenn ich dann noch Sorge habe, dass die Interpretation der Situation vielleicht von jemandem vorgenommen werden muss, der mich im Leben gut kennt, dann benenne ich einen Menschen, dem ich so viel Vertrauen gebe, dass er eine Vorsorgevollmacht bekommt und sich mit der ausweisen kann, um dann an dem Beratungsprozess teilzunehmen.

    Schütte: Rudolf Henke, Vorsitzender der Ärztevereinigung Marburger Bund. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Henke: Bitte sehr.