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"Das ist ein Systemproblem"

Der Medien- und Kommunikationswissenschaftler Stefan Weber hat die Forschungsinstitutionen aufgerufen, ihre Maßnahmen gegen Plagiate zu verbessern und dabei auf das Know-how der Plagiatswikis zurückzugreifen. In den letzten Jahren habe die Qualitätssicherung an Universitäten eindeutig versagt.

Stefan Weber im Gespräch mit Kate Maleike |
    Kate Maleike: Und unter diesen engagierten Plagiatsjägern, wenn man das so sagen kann, ist auch Dr. Stefan Weber. Er ist Medien- und Kommunikationswissenschaftler und Plagiatsgutachter. Er betreibt zudem einen Internetblog für wissenschaftliche Redlichkeit. Guten Tag, Herr Weber!

    Stefan Weber: Schönen guten Tag!

    Maleike: Der Fall Koch-Mehrin ist, wie wir gerade gehört haben, auch durch die Recherchen von Plagiatsjägern an die Öffentlichkeit gekommen. Die Uni Heidelberg hatte am Montag entsprechende Hinweise bekommen, und nun steigen ja stündlich die Meldungen über weitere abgeschriebene Passagen in der Doktorarbeit von Frau Koch-Mehrin. Suchen Sie in diesem aktuellen Fall jetzt mit und noch weiter?

    Weber: Nein, überhaupt nicht, das erledigt ja jetzt die Netzgemeinde. Das ist ja ganz toll - wir haben jetzt sozusagen eine Arbeitsteilung erstmals, das heißt, wenn jemand ein Gutachten in Auftrag geben möchte von mir als Einzelperson mit meiner Expertise, dann wendet er sich an mich, und das kostet dann natürlich. Und wenn hier anonym die Netzgemeinde arbeitet, kostenlos, dann werden auch Fälle ans Tageslicht gebracht, das ist ganz hervorragend. Und ich hätte als Einzelperson gar nicht die Möglichkeit, das Potenzial, hier sozusagen zum Beispiel Dutzende oder Hunderte Diplomarbeiten, Dissertationen in Deutschland systematisch zu überprüfen. Das passiert jetzt im Internet, das ist ein selbstorganisierender Prozess, und das ist eigentlich großartig, dass das passiert.

    Maleike: Was ist eigentlich das Motiv dieser Jäger? Geht es um die Aufdeckung, sprich um die wissenschaftliche Redlichkeit, oder geht es eher ums Mitmachen bei der Suche?

    Weber: Der Fall Guttenberg hat hier eine Lawine losgetreten, die in dieser Form nur im Netz möglich ist. Das sind einfach sich selbst organisierende Kräfte, die es außerhalb des Netzes in dieser Form nicht gibt. Das heißt, es gibt hier mehrere Effekte, die auch mit medienwissenschaftlich im Übrigen sehr interessant zu analysieren sind. Es gibt, ich sag einmal, so Leitpersonen, die diese Wikis ursprünglich gründen, die also dann die Administratoren sind, und es gibt dann einige Aktivisten, die sehr viel arbeiten - das sind jetzt nicht immer die gleichen Leute, aber das sind vielleicht ein paar Dutzend Leute, die sehr aktiv sind und die sich jetzt dieser Sache annehmen, die das teilweise in ihrer Freizeit, teilweise in der Nacht erledigen, die im Übrigen selbst Wissenschaftler oder angehende Wissenschaftler sind und denen das einfach stinkt, dass man mit solchen Arbeiten in Deutschland den Doktorgrad erlangen kann. Die Leute haben kein politisches Motiv, hier irgendjemandem zu schaden. Es geht hier ausnahmslos um die Qualität der Doktorarbeiten und um das Aufzeigen eines Fehlers, einer Unkultur im System, die sich hier in den vergangenen zehn Jahren eingeschlichen hat.

    Maleike: Was ist denn Ihr Motiv, warum sind Sie zum Plagiatsjäger geworden?

    Weber: Na ja, ich bin vom Jäger zum Sammler geworden. Ich jage ja nicht aktiv oder ich überprüfe nicht systematisch, sondern ich handele auf Auftrag, weil mir das einfach zu viel geworden ist in Österreich. Ich habe ja auch sehr viele Fälle reinbekommen. Ich bin das geworden aufgrund von eigener Betroffenheit, erstens was die Unfähigkeit der Studierenden anbelangt, zwischen Zitat und eigenem Text unterscheiden zu können, und b) weil aus meiner eigenen Doktorarbeit insgesamt dreimal abgeschrieben wurde und hier auch zwei akademische Grade rechtskräftig aberkannt wurden. Das heißt, ich habe dieses Phänomen am eigenen Leib erlebt, dass jemand mit meiner Arbeit oder mit 50 Prozent meiner Arbeit Jahre später seinen Doktortitel macht und dafür ein sehr gut bekommt. Und das fand ich natürlich nicht in Ordnung, das war natürlich auch ein besonders deutlicher Fall bei mir. Und so hat eigentlich im Jahr 2005 das Ganze bekommen, dass ich mich in die Bibliothek gesetzt habe damals in Österreich und auch schon ganz ähnliche Arbeiten, wie jetzt hier im Stile Guttenbergs zumindest, vorliegen, also Arbeiten mit sehr vielen abgeschriebenen Stellen entdeckt habe und ziemlich fassungslos war, dass das fast ausnahmslos Arbeiten waren, die die Höchstnote bekommen haben. Also dasselbe Phänomen in Österreich vor einigen Jahren, wie es jetzt in Deutschland auftaucht.

    Das Interessante ist, dass es hier tatsächlich eben Politiker trifft bislang. Das war in Österreich so nicht nachweisbar, vielleicht hat man auch nicht so genau geschaut, aber hier ist offenbar auch eine Verschiebung eingetreten. Man hatte immer gesagt, Österreich ist dieses Land des Titelkults und der Titelgeilheit - offenbar ist es auch in Deutschland so, dass man mittlerweile glaubt, für ein Amt in der Öffentlichkeit braucht's einen Doktortitel. Und dann sind offenbar doch einige Wege und Mittel recht, damit man Doktor wird. Und das wird jetzt aufgezeigt, und das ist gut, wenn das in Zukunft abgestellt wird.

    Maleike: Sie haben Ihre Jagd in Österreich schon angesprochen. Da hieß es mal, dass Sie diese beendet haben mit einer Begründung, die man lesen konnte, dass Sie die Hoffnung, dass in Österreich das Bemühen um die Aufklärung von Plagiatsfällen als Qualitätssicherung der Wissenschaft wahrgenommen wird und breite Unterstützung bei den Verantwortlichen finden wird, sich nicht erfüllt habe. Das sei für Sie eine traurige Bilanz. Welche Hoffnung haben Sie denn diesbezüglich, dass das in Deutschland anders ist?

    Weber: Das ist das große Problem. Wir müssen jetzt alles daransetzen, dass sich hier etwas langfristig ändert und dass das nicht der berühmte Sturm im Wasserglas ist, dass man sagt, na gut, jetzt müssen wir halt ein bisserl aufpassen, ob eh alle Studentleins richtig zitieren, aber sozusagen im Großen und Ganzen können wir so weitermachen wie bisher. Und da sollte man darauf hinarbeiten, dass das jetzt anders wird. Es ist natürlich nicht sinnvoll, wenn man jetzt sozusagen nur den Leuten auf die Finger schaut und sich alle Institutionen hier zum Feind macht. Im Gegenteil, man muss die Institutionen - damit meine ich die Universitäten, die deutsche Forschungsgemeinschaft - jetzt irgendwie ins Boot holen. Das wäre eine Vision, dass man hofft, dass hier irgendwie eine Zusammenarbeit möglich ist. Das heißt, man müsste das irgendwie zusammenführen, die Qualitätssicherungsmaßnahmen der Universitäten, die hier in den letzten Jahren eindeutig zum Teil versagt haben, und dieses Know-how, das jetzt in diesen Plagiatswikis da ist, um hier ein für alle mal klarzumachen, eine Doktorarbeit in Deutschland muss gewissen Standards genügen. Es geht hier gar nicht um die Frage, korrekt zitiert oder nicht. Dass korrekt zitiert sein muss, ist überhaupt die Bedingung dafür, dass wir von einer Doktorarbeit sprechen, und dann ergibt sich daraus eh schon, dass die plagiatsfrei sein muss. Und ich glaube, wir brauchen jetzt eine sehr deutliche Debatte, was können wir tun, damit die Wissenschaft nicht zu 99, sondern zu 100 Prozent plagiatsfrei wird. Und das ist einfach anzugehen, und Sie sehen, ich sehe das durchaus systemisch und ich sehe das nicht nur jetzt als spezifisches Problem gewisser Politiker, sondern das ist ein Systemproblem, und da gehört das gesamte wissenschaftliche System sozusagen qualitätsoptimiert.

    Maleike: Sagt Dr. Stefan Weber, der Medien- und Kommunikationswissenschaftler, der sich seit Jahren gegen Plagiate in der Wissenschaft bemüht. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!