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"Das ist ein Trümmerhaufen"

Fehlende Munition für Schießübungen und kaum Bewerber für den Dienst an der Waffe: Nach der Abschaffung der Wehrpflicht fürchtet der DLF-Bundeswehrexperte Paul Elmar Jöris um die Zukunft der deutschen Armee. Nur durch erhebliche Werbemaßnahmen sei die Krise zu bewältigen.

Paul Elmar Jöris im Gespräch mit Jürgen Zur heide | 23.04.2011
    Jürgen Zurheide: Über die Bundeswehr wollen wir reden, und wenn man über die Bundeswehr in diesen Tagen redet, dann redet man immer übers Geld. Jetzt ist wieder bekannt geworden, dass es offensichtliche Internüberlegungen, Papiere gibt, und wenn man die liest, dann wird man einigermaßen nachdenklich, weil das Geld reicht nicht für das, was man eigentlich braucht, für das, was man machen müsste. Milliarden müssen eingespart werden, die Truppe soll reduziert werden, die Zahl der Soldaten auf jeden Fall, und das hat Auswirkungen, die möglicherweise sogar die Bündnisfähigkeit infrage stellt. Über all das wollen wir reden, ich begrüße im Studio den Kollegen Paul Elmar Jöris, der sich da besonders gut auskennt, guten Morgen, Herr Jöris!

    Paul Elmar Jöris: Guten Morgen!

    Zurheide: Zunächst einmal: Es muss viel gespart werden, sieben bis acht Milliarden, redet man mindestens. Was hat das für Auswirkungen im Moment, was kann man jetzt schon absehen?

    Jöris: Na ja, es hat vor knapp einem Jahr eine Sparklausur des Bundeskabinetts gegeben, wo man sich über die Sparziele der Bundesregierung insgesamt unterhalten hat, und die Auflage für das Verteidigungsministerium bei 8,4 Milliarden. Und anschließend haben die Soldaten angefangen zu rechnen und sind darauf gekommen, für dieses Geld bekommt man ungefähr 150.000, 155.000 Soldaten.

    Das alarmierte dann die Sicherheitspolitiker, die dann feststellten, mit 155.000 Soldaten kann man die Verpflichtungen nicht mehr erfüllen, die man eingegangen ist gegenüber der NATO oder gegenüber der Europäischen Union, zum Beispiel auch für die EU-Battlegroups, und diese EU-Battlegroups stehen ja kurz davor aufgerufen zu werden als eine Truppe, die humanitäre Hilfsmaßnahmen in Libyen absichern soll.

    Dann kann man diese Kontingente nicht mehr stellen. Dann hat sich das Kabinett in einer weiteren Runde darauf verständigt, um die Verpflichtungen erfüllen zu können, brauchte man ungefähr 185.000 Soldaten. Das ist wirklich die Untergrenze, wenn man weniger hat, kann man diese Verpflichtungen einfach nicht mehr erfüllen. Und dann hatten wir damals Verteidigungsminister zu Guttenberg, der dann in einer Hauruck-Aktion die Wehrpflicht abschaffte. Das führte dazu, dass der Nachwuchs ausblieb.

    Sie müssen in diesen Monaten junge Soldaten werben, auf dem Kasernenhof haben, um auszubilden, damit die dann im nächsten Jahr in die Einsatzkontingente gehen. Und wenn man das von jetzt auf sofort macht, fehlt dieser Nachwuchs und man muss fürchterlich viel Geld ausgeben, dass man dann Nachwuchs bekommt. Kurz: Das Ganze ist durch diese Hauruck-Aktion noch teurer geworden.

    Zurheide: Ich habe jetzt hier eine Zahl, von den 498.000 jungen Männern, die im März und April angeschrieben worden sind, um möglicherweise zur Bundeswehr zu kommen, haben sich dann wohl nur 1800 interessiert gezeigt. Das ist eine Quote von 0,4 Prozent. Und im Umkehrschluss heißt das, wenn man junge Menschen werben und überzeugen will, wird es teurer. Das heißt, diese Bundeswehrreform, so wie sie da ist, ist eigentlich ein Torso.

    Jöris: Das ist ein Trümmerhaufen. Torso wäre noch geschmeichelt. Diese 0,4 Prozent sind auch noch nicht gemustert. Das heißt, wie viele davon auch in der Lage sind, in den Einsatz zu gehen, weiß kein Mensch im Moment. Und wenn wir das mal vergleichen mit den Franzosen, wo man ja auch umgebaut hat von einer Wehrpflichtarmee zu einer freiwilligen Armee, da hat dieser Prozess sechs Jahre gedauert. Man hat eine Reform gemacht, Schritt für Schritt, und am Ende dieses Prozesses stand dann die Abschaffung der Wehrpflicht. Man hatte dann entsprechende Möglichkeiten gefunden, Nachwuchs zu werben.

    Das kostet Geld, man muss die anständig bezahlen, man muss ihnen attraktive Bedingungen, Arbeitsbedingungen bieten, und, was sehr wichtig ist, es kommt darauf an, wo die Bundeswehr stationiert ist. Da, wo die Bundeswehr noch präsent ist, wo man verbunden ist mit der lokalen Wirtschaft, gelingt es einigermaßen, Nachwuchs zu bekommen, weil man dann den jungen Männern oder jungen Frauen auch eine Perspektive über die Bundeswehr hinaus bieten kann. Wo das nicht der Fall ist, haben Sie Schwierigkeiten Nachwuchs zu bekommen, denn die Wehrpflicht bringt keine Soldaten mehr auf den Hof.

    Zurheide: Wenn man das jetzt alles unter dem Strich wertet, kommt man zu dem Ergebnis: Wenn die Sparziele erreicht werden, wird man die Bundeswehr kaum so halten können. Es gibt da jetzt – und Sie kennen diese Überlegung möglicherweise – Hinweise darauf, dass die Marine, was weiß ich, ihre U-Boote von zehn auf sechs reduzieren muss, dass die Luftwaffe fünf ihrer 13 Geschwader auflösen muss. Diese Zahlen sind alle realistisch, weil wenn man kein Geld hat, kann man es nicht mehr machen, und noch mal, im Ergebnis ist dann die Bündnisfähigkeit gefährdet.

    Jöris: Die Realität ist sogar noch bitterer: Verbände, die sich auf den Auslandseinsatz vorbereiten, haben heute bereits nicht mehr genug Munition, um sich auszubilden. Und wenn Sie bedenken, dass eben halt Fallschirmjäger, die nach Afghanistan sollen, nicht mehr in dem Umfang ihre Schießausbildung absolvieren können, wie es sein muss – und das ist Realität heute –, dann sehen Sie, wie dramatisch die Situation ist. Hier hat man wirklich nur vom Geld her gedacht und man hat die sicherheitspolitischen Dinge nicht berücksichtigt.

    Und vor allen Dingen, wenn wir uns jetzt mal in der Welt umschauen: Wir wissen, man kann nicht sagen, was auf Deutschland und was dann auch auf die Bundeswehr zukommen kann. Kein Mensch weiß zum Beispiel, wie das in Libyen ausgeht, aber es ist einigermaßen realistisch sich vorzustellen, dass am Ende doch eine irgendwie geartete UN-Friedenstruppe dort hinmuss. Und da wird natürlich Deutschland gefragt sein, ob es sich daran beteiligt, und immer nur Nein sagen wird einfach nicht gehen.

    Zurheide: Das heißt aber auch noch mal, wenn wir das politisch werten, was Verteidigungsminister zu Guttenberg abgeliefert hat beziehungsweise seinem Nachfolger übergeben hat, das ist, Sie haben eben von einem Trümmerhaufen gesprochen! Das ist ja doch eine politische Wertung?

    Jöris: Das ist eine politische Wertung und von den Bundesministern tut mir der amtierende Verteidigungsminister de Maizière wirklich leid, er hat ein schweres Erbe angetreten, weil eigentlich nichts zu nichts passt. Es gibt noch keine Standortentscheidungen, es gibt keine Entscheidungen, wie die Armee strukturiert werden soll, und es gibt keine Entscheidungen, was junge Leute freiwillig zur Bundeswehr treiben soll.

    Zurheide: Paul Elmar Jöris war das heute Morgen, über die Bundeswehr haben wir geredet und den schwierigen Zustand, den schwierigen Stand, es fehlen Milliarden. Ich bedanke mich für das Gespräch, danke schön!