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"Das ist eine Scheinlösung"

Wolfgang Gerke, Präsident des Bayerischen Finanzzentrums, sieht den Kurs der US-Notenbank mit Bedenken. Zwar könne durch die weitere Hilfe in Höhe von 750 Milliarden Dollar Hypothekenkredite unterstützt werden. Allerdings drohten auch bei den Kreditkartenschulden neue Risiken. Die Schulden müssten unter anderem die kommende Generation tragen.

Wolfgang Gerke im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Noch ist die Finanzkrise nicht ausgestanden. Viele Amerikaner können ihre Hypothekenkredite nicht mehr bezahlen. Der Staat versucht, ihnen unter die Arme zu greifen. Finanzjongleure hatten zudem wacklige Hypothekenkredite zu milliardenschweren Derivaten zusammengefasst und die belasten jetzt enorm die Bilanzen von Banken und Versicherungen. Die US-Regierung hat deswegen ihr Rettungspaket noch einmal um sage und schreibe 750 Milliarden Dollar mit Hilfe der Notenbank aufgestockt.

    Die Börsenkurse, vor allen Dingen in den USA, sie sind nach der Entscheidung der US-Notenbank nach oben geklettert. Aber es gibt auch Kritiker, die vor den Risiken warnen. - Wolfgang Gerke ist Präsident des Bayerischen Finanzzentrums, eines Vereins in München, der Wirtschaft und Wissenschaft im Finanzbereich zusammenführen will. Guten Tag, Herr Gerke.

    Wolfgang Gerke: Grüß Gott, Herr Meurer.

    Meurer: Die Börsen reagieren ja positiv auf die Entscheidung der US-Notenbank, weitere 750 Milliarden Dollar für sogenannte faule Hypothekenkredite aufzuwenden. Befürworten Sie diesen Kurs der US-Regierung, diese Politik?

    Gerke: Oh, ich sehe den sehr zwiespältig. Einerseits hilft es uns erst einmal aus der Krise heraus und die Amerikaner wissen, warum sie so stark in die Schatulle langen. Sie haben da noch ein paar Zeitbomben ticken; das sind insbesondere die Kreditkartenrisiken. Die Amerikaner haben sich hoch verschuldet über ihre Kreditkarten und da kann man eine Rezession gar nicht gebrauchen. Da muss man wieder Aufschwung haben, muss höhere Arbeitszahlen haben, und stattdessen kriegt man mehr Arbeitslose. Also insofern kann man verstehen, warum die Amerikaner so die Rezession bekämpfen, und sie haben auch den Vorteil, sie kommen oftmals auch schneller wieder aus den Krisen, die sie selbst produziert haben, wieder heraus.

    Meurer: Aber Sie haben offensichtlich auch erhebliche Bedenken. Welche, Herr Gerke?

    Gerke: Ja. Meine Bedenken sind: wer zahlt das wieder ab? Die Amerikaner haben sehr schnell ihre Haushalte auch wieder in Ordnung gebracht, aber gelingt das diesmal wieder? Sind das nicht Schulden zu Lasten der nächsten Generation? In den Industrieländern haben wir dazu noch ein demographisches Problem, dass es immer weniger Menschen gibt, die dann die Rente für die Älteren verdienen, und dann sollen die auch noch die Schulden abtragen, die jetzt aufgehäuft werden. Das kann doch dann nur über eine riesige Inflation laufen und damit rechne ich auch in drei bis vier Jahren und das ist dann eine Scheinlösung, die man wählt. Man nutzt die Geldillusion der Bürger und man nützt die Steuerprogression, so dass der Finanzminister dann ein bisschen mehr Geld noch hineinbekommt - kein schönes Szenario, aber immer noch das bessere Szenario gegenüber einer Deflation.

    Meurer: Wird eine Inflation in den USA automatisch eins zu eins bei uns dann ankommen?

    Gerke: Sie wird bei uns ankommen, denn wir nehmen ja auch sehr, sehr viel Geld in die Hand. Allein wenn man sich anschaut, was an Garantien schon gegeben wurde für eine einzelne Bank wie Hypo Real Estate, dann sieht man, dass auch bei uns die nächste Generation und auch die nächsten Bundeshaushalte sehr an dem zu knabbern haben, was wir im Moment zur Bekämpfung der Rezession und der Finanzkrise alles unternehmen.

    Meurer: Mit welcher Inflationsrate rechnen Sie denn in drei, vier Jahren?

    Gerke: Das muss man natürlich sehr stark dann davon abhängig machen, welche Politik die EZB fährt. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man in drei Jahren statt bei der angepeilten maximalen Zwei-Prozent-Zahl eher auf die fünf Prozent zusteuert, und das ist viel zu hoch, denn Inflation ist immer auch Umverteilung zwischen Gläubigern und Schuldnern.

    Meurer: Was wären die Folgen zum Beispiel für Arbeitsplätze bei fünf Prozent Inflation?

    Gerke: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es gelingt, durch Scheinwachstum, durch Inflation die Arbeitslosenzahlen nicht so ansteigen zu lassen, dass man also auch wieder in Wachstum hineinkommt.

    Meurer: Dann wäre es ja nicht so schlimm.

    Gerke: Es ist vielleicht das geringere Übel sogar, obwohl Inflation etwas sehr, sehr Unfaires ist, aber es löst auch bei einigen die Probleme, zum Beispiel bei Lebensversicherern, die Garantien gegeben haben für Überschussbeteiligungen. Bei dem niedrigen Zins, den wir im Moment haben, haben die echt ein Anlageproblem, überhaupt ihre Garantien zu erfüllen. Mit höherer Inflationsrate bekommt der Bürger nicht unbedingt mehr, aber die Versicherungen und die Pensionskassen können ihre Verträge halten.

    Meurer: In den USA und auch bei uns, Herr Gerke, löst Kopfschütteln aus, dass ausgerechnet Manager des Versicherungskonzerns AIG jetzt noch im ganz großen Stil Boni abkassieren. Barack Obama, der US-Präsident, will dagegen vehement vorgehen, auch das US-Repräsentantenhaus. Haben Sie irgendein Verständnis dafür, dass die Leute solche Boni jetzt noch kassieren, die den Versicherungskonzern an die Wand gefahren haben?

    Gerke: Null Verständnis, muss man einfach sagen. Da will ich jetzt aber gar nicht in die USA schauen. Ich schaue da auch nach Deutschland. Ich habe keinerlei Verständnis dafür, dass Manager, die Milliarden Probleme geschaffen haben - denken Sie an Hypo Real Estate -, hinterher noch hohe Pensionszahlungen haben wollen, Gehaltsnachzahlungen haben wollen oder wo möglich gar Bonuszahlungen.

    Meurer: Aber der ehemalige Vorstandsvorsitzende wird das vielleicht oder sogar wahrscheinlich vor Gericht durchsetzen können.

    Gerke: Ja, das ist das Problem. Wir haben es versäumt, rechtlich vorzusorgen. Ich bedauere das extrem. Es gab unter der Schröder-Regierung einen Gesetzentwurf, Kapitalmarkt-Informations-Haftungsgesetz, furchtbares Wort. Da hätte man die Manager mehr in die Haftung nehmen können für solches Fehlverhalten. Es geht doch nicht an, dass der Steuerzahler hier in die Bresche springen muss und dann noch sehen muss, wie Manager, die Fehlleistungen einfach zu verbuchen haben, auch noch honoriert werden dafür, dass sie ihren Job aufgeben müssen.

    Meurer: Was wäre denn die entscheidende Maßnahme in einem solchen Anti-Boni-Gesetz?

    Gerke: Entscheidende Maßnahme ist, dass man erstens Bonuszahlungen nicht sofort leisten darf, sondern erst nach ein, zwei, drei Jahren frühestens und dann auch nur auf das, was wirklich als nachhaltiger Erfolg eingetreten ist. Weitere Maßnahme müsste sein, dass man auch keine Dividendenausschüttungen vornehmen darf, wenn man als Finanzinstitut Verluste macht, denn indirekt haften wir Steuerzahler für die Geschäfte der Banken mit, wie wir jetzt sehen, und dann haben wir auch ein Recht darauf, dass dort die Gelder nicht leichtfertig, die man als Reserven braucht, ausgeschüttet werden.

    Meurer: Wolfgang Gerke, Präsident des Bayerischen Finanzzentrums, bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Schönen Dank, Herr Gerke, und auf Wiederhören.

    Gerke: Schönen Tag noch!